<html>
  <head>

    <meta http-equiv="content-type" content="text/html; charset=UTF-8">
  </head>
  <body>
    <br>
    <br>
    ----------------------------------------------------------<br>
    Online-Zeitschrift "IMI-List"<br>
    Nummer 0570 .......... 23. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563<br>
    Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.<br>
    Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka<br>
    Abo (kostenlos)........
    <a class="moz-txt-link-freetext" href="https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list">https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list</a><br>
    Archiv: ....... <a class="moz-txt-link-freetext" href="http://www.imi-online.de/mailingliste/">http://www.imi-online.de/mailingliste/</a><br>
    ----------------------------------------------------------<br>
    <br>
    Liebe Freundinnen und Freunde,<br>
    <br>
    in dieser IMI-List findet sich<br>
    <br>
    1.) neue Texte zur KSK-Debatte, zur SPD-Position in Sachen
    Drohnenbewaffnung sowie zur Friedensfrage im Grünen Programmentwurf;<br>
    <br>
    2.) eine IMI-Analyse zu neuen Forschungsagenturen, von denen zwei
    explizit militärischen Zwecken dienen sollen. <br>
    <br>
    <br>
    1.) KSK, SPD-Drohnenbewaffnung, Grüne<br>
    <br>
    Zur aktuellen Debatte um rechte Netzwerke im Kommando Spezialkräfte
    (und darüber hinaus) haben wir unsere diesbezügliche Sonderseite
    aktualisiert. Selbiges haben wir mit ersten (Kurz)Einschätzungen zur
    SPD-Positionierung in der Frage der Drohnenbewaffnung getan.
    Außerdem erschien mit Blick auf die anstehenden Wahlen kürzlich
    erstmals seit 2002 ein neuer Programmentwurf der Grünen, der – wie
    zu erwarten war – aus friedenspolitischer äußert problematisch ist.<br>
    <br>
    IMI-Sonderseite (Update 2.7.2020)<br>
    Rechte Netzwerke zerschlagen!<br>
    <a class="moz-txt-link-freetext" href="http://www.imi-online.de/2020/06/18/rechte-netzwerke-zerschlagen/">http://www.imi-online.de/2020/06/18/rechte-netzwerke-zerschlagen/</a> <br>
    (18. Juni 2020)<br>
    <br>
    IMI-Mitteilung <br>
    SPD & Bundeswehr Drohnenbewaffnung<br>
<a class="moz-txt-link-freetext" href="http://www.imi-online.de/2020/07/01/spd-bundeswehr-drohnenbewaffnung/">http://www.imi-online.de/2020/07/01/spd-bundeswehr-drohnenbewaffnung/</a><br>
    (1. Juli 2020)<br>
    <br>
    IMI-Analyse 2020/31- in: Telepolis 1.7.2020<br>
    Grüner Programmentwurf<br>
    Kaum Licht und viel Schatten in der Friedensfrage<br>
    Jürgen Wagner (2. Juli 2020)<br>
    <br>
    IMI-Mitteilung<br>
    SPD & Bundeswehr Drohnenbewaffnung<br>
    <a class="moz-txt-link-freetext" href="http://www.imi-online.de/2020/07/02/gruener-programmentwurf/">http://www.imi-online.de/2020/07/02/gruener-programmentwurf/</a> <br>
    (1. Juli 2020)<br>
    <br>
    <br>
    2) IMI-Analyse: Forschungsagenturen<br>
    <br>
    IMI-Analyse 2020/32<br>
    Ein diskreter Dammbruch der Rüstungsforschung<br>
    Das Corona-Konjunkturpaket dient auch der Stimulation staatsnaher
    und militärischer Forschung<br>
<a class="moz-txt-link-freetext" href="http://www.imi-online.de/2020/07/02/ein-diskreter-dammbruch-der-ruestungsforschung/">http://www.imi-online.de/2020/07/02/ein-diskreter-dammbruch-der-ruestungsforschung/</a>
    <br>
    Christoph Marischka (2. Juli 2020)<br>
    <br>
    Anfang Juni 2020 hat die Bundesregierung mit ihrem „Konjunkturpaket“
    nach Jahren restriktiver Ausgabenpolitik ein sog. „Konjunkturpaket“
    im Umfang von 130 Mrd. Euro auf den Weg gebracht.
    „Mehrwertsteuersenkung und Familienbonus beschlossen“, titelte der
    Deutschlandfunk am 29. Juni 2020, nach der Zustimmung des
    Bundestages zur entsprechenden Änderung des Steuergesetzes. Zugleich
    wird im Konjunkturpaket allerdings mehrfach das Ziel proklamiert,
    dass „Deutschland gestärkt aus der aktuellen Krise hervorgeh[en]“
    solle.1 Dies ist v.a. auch Aufgabe und Inhalt des 50 Mrd. Euro
    schweren „Zukunftspakets“, das Teil des Konjunkturpaketes ist und
    mit dem die Bundesregierung erklärtermaßen versucht, die
    Wettbewerbsposition der heimischen Industrie auszubauen. Ein
    besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf sog. Schlüsseltechnologien,
    von denen sich Deutschland auch militärische Vorteile erhofft.
    Wesentliche Teile des Zukunftspaketes werden mit der nun anstehenden
    Verabschiedung des Nachtragshaushaltes umgesetzt, über die bislang
    recht wenig öffentlich berichtet und diskutiert wird.<br>
    <br>
    Ein neues Forschungszentrum der Bundeswehr<br>
    <br>
    So werden die bis 2025 vorgesehenen „Investitionen“ in „Künstliche
    Intelligenz“ um 2 Mrd. auf 5 Mrd. Euro erhöht, u.a. „um dem Bedarf
    an Rechenkapazität gerecht zu werden“ und „KI-Ökosysteme von
    internationaler Strahlkraft auf[zu]bauen“. Ein weiterer Bereich, in
    dem deutsche Wissenschaft und Industrie massiv gefördert werden
    sollen, ist die Quantentechnologie, für die das Zukunftspaket 2 Mrd.
    Euro zusätzlich vorsieht. Proklamiertes Ziel ist dabei, „dass
    Deutschland in wesentlichen Bereichen der Quantentechnologien,
    insbesondere dem Quantencomputing, der Quantenkommunikation, der
    Quantensensorik und auch der Quantenkryptographie wirtschaftlich und
    technologisch an der Weltspitze konkurrenzfähig“ werden soll. Was
    sich dahinter zumindest auch verbirgt, wird im „Rahmenprogramm
    Quantentechnologie“ der Bundesregierung von 2018 recht offen
    benannt. Demnach sei die „aktive und bedarfsgerechte Förderung von
    Forschungs-, Innovations- und Entwicklungsvorhaben im Bereich der
    Quantentechnologien […] aus Sicht von Sicherheitsbehörden des Bundes
    und der Bundeswehr von herausgehobener Bedeutung“.2 Für die
    Strafverfolgungsbehörden wird dabei recht offen „das Brechen
    herkömmlicher Kryptoverfahren“ als Anwendungsbereich genannt. Im
    Verantwortungsbereich des Bundesverteidigungsministeriums (BMVg) ist
    etwas allgemeiner davon die Rede, dass „die Entschlüsselung
    bestehender IT-Sicherungssysteme“ eine wichtige Aufgabe sei und bei
    „der wehrtechnischen Forschung und Technologie in den nächsten
    Jahren insgesamt die Erschließung möglicher militärischer
    Anwendungsfelder von Quantentechnologien im strategischen Fokus“
    stehen müsse.3<br>
    <br>
    Wesentlich deutlicher noch werden die geostrategischen und
    militärischen Ziele des „Zukunftspakets“ beim darin ebenfalls
    vorgesehen „Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung
    der Bundeswehr“, das es dieser ermöglichen soll, „innovative und
    interdisziplinäre Forschung in einem sicheren Umfeld zu betreiben“,
    „um die nationale Verfügbarkeit digitaler und technologischer
    Innovationen … zu verbessern“. Dieses Zentrum wird seinen Standort
    an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg bei München haben,
    soll aus einem „stark virtualisierte[n] Verbund der beiden
    Bundeswehruniversitäten“ (München und Hamburg) bestehen und wird aus
    dem „Zukunftspaket“ mit 500 Mio. Euro ausgestattet. „Näheres gibt es
    zu dem geplanten Zentrum bisher noch nicht zu sagen“, so wird der
    Pressesprecher der Bundeswehruniversität noch am 19. Juni (indirekt)
    von der SZ zitiert.4 Kurz zuvor hatte sich der dortige
    SPD-Landesverband in einem Brief an Verteidigungsministerin
    Kramp-Karrenbauer (CDU) bemüht, den Standort des neuen Zentrums ins
    Saarland zu holen, weil das Bundesland „mit seinen Hochschulen,
    Forschungsinstituten und als ‚etablierter Bundeswehrstandort‘ beste
    Bedingungen“ böte.5 Auch das spricht dafür, dass das Konzept bislang
    reichlich vage ist und der Geldsegen auch die
    Bundeswehruniversitäten eher unvorbereitet trifft. Überraschend ist
    er allerdings nicht.<br>
    <br>
    Zwei Agenturen für „disruptive“ Forschung<br>
    <br>
    Denn das neue Zentrum ergänzt eine ganze Reihe bestehender
    Initiativen der aktuellen Bundesregierung, um Wissenschaft und
    Industrie enger miteinander zu vernetzen und durch staatliche
    Förderung Fortschritte in sog. Schlüsseltechnologien voranzutreiben.
    So heißt es bereits im Koalitionsvertrag vom Frühjahr 2018: „Zur
    Förderung von Sprunginnovationen wollen wir neue Instrumente
    schaffen und die direkte Forschungsförderung des Bundes stärker auf
    den Wissens- und Technologietransfer in die Wirtschaft ausrichten“.6
    Seitdem arbeitet die Regierung u.a. am Aufbau zweier Agenturen, die
    Forschung im Bereich der identifizierten Schlüsseltechnologien
    anstoßen, finanzieren und mithilfe von Unternehmen die Umsetzung in
    marktfähige Produkte unterstützen sollen. Im Oktober 2019 wurde die
    „Bundesagentur für Sprunginnovationen“ als SprinD GmbH mit Sitz in
    der Leipziger Innenstadt gegründet. Gründungsdirektor Rafael Laguna
    de la Vera, der selbst als Investor und Unternehmer tätig war,
    beschreibt deren Aufgabe so: „Wir nehmen die Projekte, die zu groß
    und zu riskant sind, wo ein normaler Finanzinvestor vielleicht nicht
    gut beraten ist, zu investieren. Wir entwickeln die zu einem Grad,
    wo dann Business Angel [Finanzinvestoren] auch einsteigen können und
    auch sollen“.7 Dafür soll die Agentur bis Ende des Jahrzehntes mit
    einer Mrd. Euro ausgestattet werden.<br>
    <br>
    Mitte Juni 2020 berichtete der MDR, dass darüber hinaus die im
    Koalitionsvertrag vorgesehene „Agentur für Disruptive Innovationen
    in der Cybersicherheit und Schlüsseltechnologien (ADIC)“ in Halle
    ihre Arbeit aufgenommen habe, ihr genauer Standort jedoch zunächst
    „aus Gründen der Sicherheit“ nicht öffentlich gemacht werde.8 Diese
    nun meist nur noch als „Cyberagentur“ bezeichnete Institution
    untersteht gemeinsam dem Bundesinnenministerium und dem
    Bundesverteidigungsministerium und soll Forschung explizit in jenen
    Bereichen vorantreiben, die als sicherheitspolitisch relevant
    angesehen werden. Der Gründungsdirektor dieser Agentur, Christoph
    Igel, kommt als Wissenschaftler vom Deutschen Forschungszentrum für
    Künstliche Intelligenz (DFKI) und hat sich anschließend nach einer
    erneuten Grundausbildung („wir sind wirklich über die
    Hindernisbahn“) beim IT-Bataillon in Gerolstein als Soldat auf Zeit
    im Kommando Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr vereidigen
    lassen.9 Laut einem Bericht des im Verteidigungsministerium
    angesiedelten Aufbaustabs der Agentur besteht deren Aufgabe in der
    „zielgerichtete[n], am Bedarf der inneren und äußeren Sicherheit
    orientierte[n] Beauftragung“ von „Forschungseinrichtungen durch
    staatliche Einrichtungen“. Hierzu „analysiert“ sie die
    „Innovationslandschaft“.10 Nach den Worten des Gründungsdirektors
    Igel soll sie „Forschung stimulieren und koordinieren“: „Es geht um
    Forschungsfragen, die zum Beispiel das Bundeskriminalamt, die
    Bundespolizei, die Marine, die Luftwaffe haben könnten“.11 Als
    Handlungsfelder identifizierte der Aufbaustab „unter anderem die
    Quantentechnologie, Künstliche Intelligenz oder alternative
    Rechnerarchitekturen.“ Konkreter benannt werden u.a. „DNA-basierte“,
    „organisch-elektrochemische“ sowie „neuromorphe und neuronale
    Architekturen“. Konkret werden auch „Autonomie und
    Entscheidungsfindung“ und „Lagebilder und Lagebilddarstellung“ sowie
    Sensorik als Forschungsthemen genannt. „[A]bhängig vom Schwerpunkt
    des spezifischen Programms“ ist dabei vorgesehen, dass die Agentur
    „Programmbüros an anderen Standorten in Deutschland“ einrichtet.
    „Dabei handelt die Cyberagentur bewusst als Wagniskapitalgeber und
    schließt nicht aus, dass sich manche beauftragten Forschungen und
    Entwicklungen als Irrweg erweisen“.12 Zugleich hat die
    Bundesregierung gegenüber der Agentur den Anspruch formuliert, dass
    – wie auch bei der (zivilen) Agentur für Sprunginnovationen – „der
    Aspekt der Verwertung künftiger Fähigkeiten … wesentlicher Treiber“
    der Aktivitäten sein solle.13 Mit ihrem zugleich risikobereiten wie
    anwendungszentrierten Ansatz orientieren sich damit beide
    Institutionen an der DARPA, der Forschungsbehörde des Pentagon.14
    Dabei beschränkt sich die Agentur für Sprunginnovationen laut ihrer
    Homepage auf „Themenfelder“, die „zivilen Zwecken dienen“,15 während
    die Cyberagentur ihre Aufgabenfelder „aus dem Blickwinkel der
    inneren und äußeren Sicherheit“ bestimmt.16<br>
    <br>
    Kampfansage an Zivilklauseln<br>
    <br>
    Insbesondere die letztgenannten Agenturen sollen in staatlichem –
    auch militärischem – Interesse die deutsche Forschungslandschaft
    beobachten und analysieren, davon ausgehend durch zielgerichtete
    Beauftragung Projekte „stimulieren“ und „koordinieren“ und Kontakte
    zu Investoren und der Industrie herstellen, um bei der
    Kommerzialisierung auch noch als „Wagniskapitalgeber“ zu fungieren.
    Das ist eine grundsätzliche Abkehr vom Gedanken der Unabhängigkeit
    von Forschung, der Autonomie der Hochschulen und der Wissenschaft.
    Es handelt sich dabei auch um einen Frontalangriff auf die Kämpfe um
    Zivilklauseln, die in den letzten Jahren an vielen Hochschulen
    ausgefochten wurden als Versuch, eine militärische Indienstnahme der
    Wissenschaft zu verhindern. In einem vom BMVg veröffentlichten
    Interview jedenfalls hat der Gründungsdirektor der „Cyberagentur“,
    Christoph Igel, bereits eine Art Kampfansage formuliert: „im
    Hinblick auf Zivilklauseln und Dual-Use-Problematiken“ werde man
    „erstmal richtig dicke Bretter bohren müssen“.17<br>
    <br>
    Zivilklauseln gehen oft auf Initiativen der Studierendenschaft oder
    des sog. Mittelbaus zurück und stellen Selbstverpflichtungen von
    Hochschulen dar, nicht für militärische Zwecke zu forschen bzw.
    friedliche Ziele zu verfolgen. Ihre Umsetzung gestaltet sich
    schwierig, weil die meisten Universitäten sich bei der Einwerbung
    von Drittmitteln nicht wirklich einschränken wollen und im Grunde
    gerne mit Förderungen und Kooperationen mit großen Unternehmen und
    staatlichen Stellen für sich werben. Militärische Zwecke werden
    deshalb ebenso wie friedliche Ziele nicht genauer definiert und
    erstere eng, letztere weit ausgelegt. So ist die Zusammenarbeit mit
    Rüstungsunternehmen auch an Hochschulen mit Zivilklauseln eher die
    Regel als die Ausnahme, weil hier oft auf den Dua-Use-Charakter der
    Forschung, also mögliche zivile Anwendungen der Ergebnisse verwiesen
    wird. Und tatsächlich findet der Entwicklungsschritt, in dem
    Technologien explizit auf militärische Nutzung zugeschnitten werden,
    typischerweise nicht an Hochschulen statt, sondern wird durch die
    Rüstungsindustrie selbst, in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr oder
    an außeruniversitären Instituten (wie den Fraunhofer-Instituten)
    vollzogen. Auch bei Forschung, die aus dem Verteidigungshaushalt
    finanziert wird, gilt der „Dual-Use“ häufig als Argument gegen die
    Anwendbarkeit von Zivilklauseln, wenn etwa bei wehrmedizinischer
    Forschung auf ihren (potentiellen) allgemeinen medizinischen Nutzen
    verwiesen wird. Es finden sich allerdings auch Argumentationen,
    wonach der Schutz der eigenen Soldaten, insbesondere in sog.
    „Friedenseinsätzen“ auch als friedlicher Zweck zu interpretieren
    sei.18<br>
    <br>
    Die konkreten Drittmittelaufträge der Bundeswehr an zivile
    Hochschulen werden in der Regel nicht öffentlich bekannt gegeben und
    z.B. gegenüber dem Bundestag als Verschlusssache eingestuft.19 Ihr
    Gesamtumfang betrug zwischen 2006 und 2009 – soweit bekannt –
    jährlich etwa 8 Mio. Euro.20 Forschungsaufträge des US-Militärs
    allerdings sind im Umfang vergleichbar und öffentlich
    nachvollziehbar. So kam der Spiegel durch eine Auswertung der
    US-Haushaltsdatenbank von 2008 bis 2019 auf die Summe von 21,7 Mio.
    US$, die in diesem Zeitraum vom Pentagon an deutsche Hochschulen
    geflossen sind, darunter auch einige mit <br>
    Zivilklauseln.21<br>
    <br>
    Dabei handelt es sich im Vergleich zum Drittmittelaufkommen
    deutscher Hochschulen insgesamt um überschaubare Beträge, die jedoch
    bereits durchaus ausreichend sind, um Forschung zu „stimulieren“,
    das zivile Gepräge von Hochschulen zu erschüttern und
    wissenschaftliches Personal für die Rüstungsindustrie, die
    bundeswehreigenen und bundeswehrnahen Forschungsinstitute (etwa des
    Fraunhofer-Verbundes Verteidigungs- und Sicherheitsforschung, VVS)
    zu rekrutieren. Die Cyberagentur jedenfalls, die explizit auf die
    Bedürfnisse „der inneren und äußeren Sicherheit“ ausgerichtet ist,
    soll jährlich mit 80 Mio. Euro ausgestattet sein, von denen 20% für
    den Grundbetrieb, darunter die Personalkosten der etwa 100
    Mitarbeiter*innen, vorgesehen sind. 80% des Budgets sollen in die
    „Forschungs- und Innovationsvorhaben“,22 also die zielgerichtete
    Beauftragung von Forschungseinrichtungen fließen. Das ist etwa der
    achtfache Betrag der Drittmittel, welche deutsche Hochschulen
    zwischen 2006 und 2009 direkt vom BMVg erhalten haben. Es ist
    allerdings davon auszugehen, dass die Cyberagentur – wie auch das
    BMVg selbst – einen Großteil ihrer Forschungsgelder nicht direkt an
    Universitäten ausschütten werden, sondern an außeruniversitäre
    Forschungseinrichtungen, die bereits jetzt deutlich mehr Mittel aus
    dem Rüstungshaushalt erhalten. Allerdings werden die Trennlinien
    zwischen beiden immer unschärfer, denn zu den im Koalitionsvertrag
    vorgesehenen „neue[n] Instrumente[n] zur Förderung von
    Sprunginnovationen und des Wissenstransfers in die Wirtschaft“
    gehören eben auch jene „Forschungscampi“, „Zukunftscluster“ und
    „Ökosysteme“, die Wissenschaft, Industrie, Kapital und Politik
    systematisch verschmelzen und nun auch noch aus dem
    „Corona-Konjunkturpaket“ mit den nötigen Mitteln ausgestattet
    werden, um sich zu militärisch-technologischen Versuchsanstalten zu
    entwickeln.<br>
    <br>
    PS: Auch das Kapital ist hocherfreut<br>
    <br>
    Die Forderung, in Deutschland eine Forschungsagentur nach dem
    Vorbild der DARPA auszubauen, hat noch während der
    Koalitionsverhandlungen im Januar 2018 der Präsident der
    Max-Planck-Gesellschaft (MPG) öffentlich erhoben.23 Wenige Monate
    zuvor, im Oktober 2017, hatte die MPG gemeinsam mit den GermanU15
    (als Verband „forschungsstarker“ Universitäten) und großen
    Industrieverbänden wie dem BDI, dem Branchenverband Bitkom und dem
    Verband der Automobilindustrie (VDA) ein gemeinsames Positionspapier
    mit Forderungen veröffentlicht, um „Wissenschaft und Forschung als
    Fundament unserer Zukunft weiter [zu] stärken“. In dem gerade mal
    drei knappe Seiten umfassenden Papier wird ebenfalls gefordert,
    „vollständig neue Förderformate in den Blick [zu nehmen], die auf
    disruptive Innovationen abzielen“. Weiter heißt es dort: „Die
    Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ist weiter zu
    fördern und mit dem Ziel zu stärken, vollständige
    Innovationskreisläufe von der Grundlagenforschung bis in die
    Anwendung und zurück abzubilden. Dazu sollten zusätzliche
    Förderformate entwickelt werden, die auf engen
    Entwicklungspartnerschaften zwischen Forschungseinrichtungen und
    Unternehmen mit komplementären Interessen und komplementärem
    Know-how aufbauen und diese in Innovationen überführen. Auch die
    innovationsorientierte öffentliche Beschaffung sollte ausgebaut
    werden, um die Marktanwendung von Forschungsergebnissen aktiv
    voranzutreiben und Innovationsprozesse zu beschleunigen“.24 Viele
    weitere der hier gemeinsam von Wissenschaft und Industrie
    formulierten Forderungen – darunter das Ziel, 3,5% des BIP für die
    Forschung auszugeben und dafür den Unternehmen für entsprechende
    Aktivitäten weitere Steuererleichterungen einzuräumen – finden sich
    im Koalitionsvertrag von 2018 wieder und werden mit dem sog.
    „Corona-Konjunkturpaket“ weiter umgesetzt.<br>
    <br>
    Zwar ist nachvollziehbar, dass die bemerkenswerte Koalition von
    Industrie und Wissenschaft eine gewisse politische
    Durchsetzungskraft erzeugt. Es gibt jedoch noch weitere Akteure, die
    am Konzept der disruptiven Technologiepolitik ein Interesse haben
    und auch geltend machen. Dabei handelt es sich um internationale
    Beratungs- und Kapitalgesellschaften wie PriceWaterhouseCoopers,
    Roland Berger, EY (Ernst & Young) und Unternehmen wie Accenture,
    Capgemini, IBM, Atos und Bosch, die sich als „Anbieter der digitalen
    Transformation“ verstehen und in den vergangenen Jahren kräftig in
    diese Bereiche investiert haben. Bei den investierten Geldern
    handelt es sich letztlich um Risikokapital: Obwohl sich mit der
    Digitalisierung des Alltags, der öffentlichen Verwaltung, der
    Gesundheit und auch der Streitkräfte bereits jetzt recht viel Geld
    verdienen lässt, bleiben die bislang realisierten Gewinne jedoch
    weit hinter den Erwartungen zurück. Deshalb wirken diese
    Kapitalfraktionen massiv auf die Politik ein, um die angekündigten
    Disruptionen weiter zu forcieren oder zumindest die Erwartungen
    daran aufrecht zu erhalten. Es sind v.a. diese Unternehmen bzw. die
    in ihrem Umfeld agierenden Denkfabriken, PR-Gesellschaften und
    sonstigen Institutionen, die dabei gerne die geopolitische und auch
    militärische Relevanz entsprechender Technologien hervorheben und
    beständig davor warnen, dass Deutschland/Europa mit den
    bevorstehenden Disruptionen v.a. gegenüber den USA und China ins
    Hintertreffen zu geraten drohe.25 Ins gleiche Horn blasen jedoch
    zunehmend auch die großen Wissenschaftsorganisationen wie die MPG
    und schlagen dabei erstaunlich nationalistische Töne an, um
    Forderungen Nachdruck zu verleihen, die letztlich den Interessen
    eines internationalen Risikokapitals dienen. Denn wenn der Staat nun
    zunehmend selbst als „Wagniskapitalgeber“ auftritt und in Bereiche
    investiert, in denen Disruptionen erwartet werden, verbessert dies
    die Möglichkeiten anderer Investoren, Profite zu erwirtschaften,
    bevor ein Produkt auf den Markt kommt oder sich die erwartete
    „Disruption“ überhaupt je ereignet. Bis die Blase platzt.<br>
     <br>
    <b>Anmerkungen</b><br>
    [1] Alle Zitate ohne Quellenangaben entstammen dem Eckpunktepapier
    „Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit
    stärken“ („Corona-Konjunkturpaket“) des Koalitionsausschusses vom 3.
    Juni 2020.<br>
    [2] Bundesregierung: „Rahmenprogramm Quantentechnologien – von den
    Grundlagen zum Markt“, BT-Drucksache 19/4645.<br>
    [3] Ebd.<br>
    [4] „Zentrum für Digitale Forschung geplant“, sueddeutsche.de vom
    19.6.2020.<br>
    [5] Florian Mayer: SPD-Fraktion will Cyber-Bundeswehrzentrum ins
    Saarland holen, <a class="moz-txt-link-abbreviated" href="http://www.sr.de">www.sr.de</a> vom 10.6.2020.<br>
    [6] Ein neuer Aufbruch für Europa / Eine neue Dynamik für
    Deutschland / Ein neuer Zusammenhalt für unser Land,
    Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 19.
    Legislaturperiode.<br>
    [7] „Eine gute Erfindung steigert das Gemeinwohl“, Rafael Laguna de
    la Vera im Gespräch mit Annette Riedel, Deutschlandfunk Kultur
    (Tacheles) vom 29.2.2020.<br>
    [8] Marcel Roth: Cyberagentur des Bundes startet in Halle,
    <a class="moz-txt-link-abbreviated" href="http://www.mdr.de">www.mdr.de</a> vom 15.6.2020.<br>
    [9] BMVg: Im Interview – Forschungsdirektor der Cyberagentur,
    <a class="moz-txt-link-abbreviated" href="http://www.bmvg.de">www.bmvg.de</a> vom 20.5.2020. Im Interview lässt Igel an seiner
    Sympathie für die Bundeswehr keine Zweifel aufkommen und berichtet
    einleitend von seiner Zeit als Wehrdienstleistender: „Ich hatte
    frisch mein Abitur in der Tasche und habe im Anschluss meinen
    Grundwehrdienst geleistet. Das waren damals fünfzehn Monate in einem
    Fallschirmjäger-Bataillon. So richtig kämpfende Einheit, mit
    Ausbildung zum Scharfschützen und Teilnahme an NATO-Übungen. Da war
    ich Fallschirm springen, Mitglied der Mannschaft des militärischen
    Fünf-Kampfes der Kompanie und habe all das gemacht, was zur ‚grünen
    Ausbildung‘ gehört. Spannende Zeit, das hat ganz viele positive
    Eindrücke hinterlassen“.<br>
    [10] Aufstellungsstab Cyberagentur: Bericht zum Aufbau (Stand 1.
    August 2019). Cyberagentur: Bedarfe – Themen – Vorgehen.<br>
    [11] Marcel Roth: Was die Cyberagentur in Halle/Leipzig machen wird
    – Interview mit Cyberagentur-Chef, <a class="moz-txt-link-abbreviated" href="http://www.mdr.de">www.mdr.de</a> vom 15.6.2020.<br>
    [12] Aufstellungsstab Cyberagentur, a.a.O.<br>
    [13] BT-Drucksache 19/3289.<br>
    [14] Ebd.<br>
    [15] <a class="moz-txt-link-freetext" href="https://sprind.org">https://sprind.org</a> (Stand 29.6.2020). Aktuell (1.7.2020) ist
    die Homepage der Agentur/GmbH nicht erreichbar.<br>
    [16] BT-Drucksache 19/3289.<br>
    [17] BMVg: Im Interview – Forschungsdirektor der Cyberagentur,
    <a class="moz-txt-link-abbreviated" href="http://www.bmvg.de">www.bmvg.de</a> vom 20.5.2020.<br>
    [18] Vgl.: Christoph Marischka: „…und irgendwann fahren Panzer
    drüber“ – Ein Beispiel für Geheimdienstforschung und vielsagende
    Rechtfertigungen, IMI-Analyse 2013/028, sowie: IMI: Zivilklausel an
    der Universität Tübingen, Reader vom Juli 2011.<br>
    [19] S. BT-Drucksache 17/3337.<br>
    [20] Ebd.<br>
    [21] Armin Himmelrath und Holger Dambeck: Millionen vom Pentagon für
    deutsche Unis, <a class="moz-txt-link-abbreviated" href="http://www.spiegel.de">www.spiegel.de</a> vom 22.6.2019.<br>
    [22] Drucksache 19/15961<br>
    [23] „Glaubwürdigkeitskrise der gesellschaftlichen Eliten“, Martin
    Stratmann im Gespräch mit Ralf Krauter, Deutschlandfunk (Forschung
    aktuell) vom 24.1.2018.<br>
    [24] Max-Planck-Gesellschaft u.a.: Wissenschaft und Forschung als
    Fundament unserer Zukunft weiter stärken, gemeinsames
    Positionspapier vom 10.10.2017, <a class="moz-txt-link-abbreviated" href="http://www.mpg.de">www.mpg.de</a>.<br>
    [25] Christoph Marischka: KI und Geopolitik – Die unheilige Allianz
    von Risikokapital, Wissenschaft und Politik, IMI-Analyse 2020/14.<br>
    <br>
    <br>
  </body>
</html>