[IMI-List] [0605] Ukraine-Krieg: Stellungnahmen und Analysen

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Do Feb 24 19:04:00 CET 2022


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0605 .......... 25. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,

wir sind wohl alle geschockt von den Ereignissen in der Ukraine – die
klare Kritik an dem russischen Angriff zieht sich durch fast alle
Stellungnahmen der Friedensbewegung, auch durch die unsrigen. Die
Situation ist ernst, sie darf nicht noch ernster werden, indem
diejenigen noch mehr Gehör finden, die jetzt nach genau den
militärischen Mitteln schreien, die uns in diese Lage gebracht haben.

Die IMI hat sich die letzten Tage mehrfach untereinander ausgetauscht,
erste Positionen und Analysen verfasst und wird sich auch morgen an
einer Kundgebung gegen den Krieg beteiligen.

Hier eine Auswahl der neuesten Texte: eine Zusammenstellung bisheriger
Stellungnahmen der Friedensbewegung, zwei erste kurze Stellungnahmen
unsererseits und eine längere Analyse zur Rolle des Ulmer
Logistikkommandos JSEC, das nun angesichts zu erwartender weiterer
Truppenverlegungen nach Osteuropa von zunehmender Bedeutung sein wird.
Schon kurz vor der jetzigen Eskalation erschien eine Analyse des
anstehenden Großmanövers Defender 2022, auf die wir ebenfalls hinweisen
möchten:


IMI-Analyse 2022/04 - in: AUSDRUCK (März 2022)
Organisierter Aufmarsch
NATO-Kommando in Ulm koordiniert Truppenbewegungen in Europa
https://www.imi-online.de/2022/02/24/organisierter-aufmarsch/
Martin Kirsch (24. Februar 2022)

IMI-Standpunkt 2022/006b
Zur aktuellen Entwicklung in der Ukraine
Aktualisierung der Stellungnahme vom 22. Februar 2022
https://www.imi-online.de/2022/02/24/zur-aktuellen-entwicklung-in-der-ukraine/

Claudia Haydt (24. Februar 2022)

IMI-Mitteilung
Ukraine: Erklärungen aus der Friedensbewegung
https://www.imi-online.de/2022/02/24/ukraine-erklaerungen-aus-der-friedensbewegung/

(24. Februar 2022)

IMI-Analyse 2022/03
Säbelrasseln gegen Russland
Das Großmanöver Defender Europe 2022
https://www.imi-online.de/2022/02/15/saebelrasseln-gegen-russland/
Claudia Haydt (15. Februar 2022)


IMI-Standpunkt 2022/007
Die Dummheit des Krieges und der Aufrüstung (der NATO)
https://www.imi-online.de/2022/02/24/die-dummheit-des-krieges-und-der-aufruestung-der-nato/

Christoph Marischka (24. Februar 2022)

Der militärische Einmarsch Russlands in die Ukraine stellt einen
eklatanten Bruch des Völkerrechts dar und ist zu verurteilen.
Insbesondere ist zu verurteilen und zu unterstreichen, dass sich die
russische Regierung hierbei auf ihren Status als Atommacht abstützt.
Dies ist insbesondere zu unterstreichen, weil es die sehr weitgehende
Handlungsunfähigkeit der NATO und ihrer Mitgliedsstaaten erklärt. Den
innerhalb des militaristisch aufgeladenen Diskurses womöglich
nachvollziehbaren Forderungen nach einem militärischen Beistand der
Ukraine ist auch deshalb eine klare Absage zu erteilen, weil dieser die
Welt kurzfristig (noch näher) an den Abgrund eines Atomkrieges führen würde.

Dasselbe gilt auf längere Sicht allerdings für die nun erhobenen
Forderungen nach einer weiteren Aufrüstung der NATO-Ostflanke, der
NATO-Streitkräfte und Erhöhung der Rüstungshaushalte der
NATO-Mitgliedsstaaten. Diese Politik der vergangenen Jahre ist die
Ursache der aktuellen Eskalation und – aktuell ganz offensichtlich –
nicht deren Lösung. Über Jahre hat Russland Sicherheitsgarantien und
einen Stopp der NATO-Osterweiterung eingefordert – stattdessen wurde
aufgerüstet, auf beiden Seiten. Dies betrifft nicht alleine die
militärische Ebene, sondern nahezu alle Politikbereiche. Von der
Handels- und Sanktionspolitik über die Cybersicherheit und den Kampf um
Informationshoheit bis hin zu den Patenten für Impfstoffe war und ist
das Verhältnis zwischen den Großmächten von Konkurrenz statt Kooperation
geprägt. Dass diese früher oder später auch militärisch eskaliert, war
absehbar.

Es gab allerdings – v.a. jenseits der Großmächte – auch andere Ansätze.
Ausgehend von zivilgesellschaftlichen Initiativen haben im Juli 2017 122
von 193 in den UN vertretenen Staaten für die Verabschiedung des
Atomwaffenverbotsvertrags gestimmt, aktuell haben ihn 86 Staaten
unterzeichnet und 59 Staaten ratifiziert. Die Atommächte, Deutschland
und auch die allermeisten NATO-Mitgliedsstaaten sind nicht darunter.

Nach dem Ende der sog. „Blockkonfrontation“, der Auflösung der
Sowjetunion und des Warschauer Pakts bestand weltweit die Hoffnung auf
eine Friedensdividende. V.a. die NATO aber hat auf ihrem Fortbestand und
ihrer Osterweiterung beharrt und obendrein ihre Aktivitäten 1999
(Serbien) und 2001 (Afghanistan) über ihr Bündnisgebiet hinaus
ausgedehnt. Auch dadurch wurde in den vergangenen 30 Jahren eine
historische Möglichkeit verspielt, die Welt von der Geißel der
Atomwaffen zu befreien, abzurüsten und auf eine kooperative Form der
internationalen Sicherheit hinzuarbeiten. Dies hätte die immensen
Summen, die weltweit in Rüstung und Militärs fließen, für andere,
dringende Aufgaben der Menschheit freigesetzt. Stattdessen wurden v.a.
unter dem US-Präsidenten Donald Trump wichtige Abkommen der
Rüstungskontrolle und Mechanismen der Deeskalation aufgekündigt bzw.
aufgegeben.

Dieser Kurs darf nicht fortgesetzt und erst recht nicht durch den
russischen Einmarsch in der Ukraine beschleunigt werden. So
selbstverständlich wie nun von allen Seiten eine weitere Aufrüstung der
NATO und der Bundeswehr als „Reaktion“ eingefordert wird, so sehr
verdeutlicht der Krieg in der Ukraine das Scheitern dieser Politik. Und
es ist nicht nur der Krieg in der Ukraine, der dieses Scheitern
offenbart, sondern es ist auch das Scheitern an anderen
Herausforderungen, die nur gemeinsam gelöst werden können und nicht in
einer Situation der beständig eskalierenden Großmachtkonkurrenz: Dem
Klimawandel, dem Artensterben, der aktuellen und künftigen Pandemien und
der Überwindung einer auf Wettbewerb, Wachstum und Ausbeutung
basierenden Ökonomie.

Die Überwindung dieser Probleme und Konflikte sollten wir nicht
hochgerüsteten Potentaten und Bündnissen überlassen, sondern selbst in
die Hand nehmen. Das bedeutet auch, ihnen jene Mittel zu entziehen, auf
denen ihre Macht fußt und aus denen sich ihre Konkurrenz und Kriege
speisen. Auf den Straßen und in den Haushaltsverhandlungen sollte
Abrüstung statt Aufrüstung das Gebot der Stunde sein. Einen von vielen
Bezugspunkten hierfür lieferte der UN-Generalsekretär in seiner Rede vom
23. März 2021, in der er zu einem „weltweiten Waffenstillstand“ aufrief,
um sich dem „gemeinsamen Feind“ stellen zu können. Gemeint war damals
Covid19. „Das Wüten des Virus offenbart die Dummheit des Krieges“, so
Guterres in seiner Rede, die historisch hätte werden können – wäre sie
beachtet worden. Weitere solche „gemeinsamen Feinde“ wären der
Klimawandel, Ressourcenverbrauch, Rassismus, Atomwaffen und der
Militarismus mitsamt der dahinter stehenden ökonomischen Strukturen.


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