From imi at imi-online.de Mon Jan 18 15:08:04 2021 From: imi at imi-online.de (IMI-JW) Date: Mon, 18 Jan 2021 15:08:04 +0100 Subject: [IMI-List] [0583] Studie: PTBS / Analyse: Abschiebungen Afghanistan Message-ID: ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0583 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List findet sich 1.) der Hinweis auf eine soeben erschienene IMI-Studie über Traumatisierung und PTBS bei der Bundeswehr; 2.) Hinweise auf weitere neu erschienene IMI-Texte (Mali, Bundeswehr, KI & Repression); 3.) eine IMI-Analyse über Abschiebungen nach Afghanistan. 1.) IMI-Studie: Traumatisierung und PTBS IMI-Studie 2021/01 Der heilbare Krieg Diskurse um Traumatisierung und PTBS bei Bundeswehr-Veteranen* http://www.imi-online.de/2021/01/18/der-heilbare-krieg/ Thomas Rahmann (18. Januar 2021) INHALTSVERZEICHNIS 1. DIE PTBS ? EINE DIAGNOSE AUS MILITÄRISCHEM KONTEXT PTBS ? ein Teilbereich von Traumata Zwischen Anerkennung und Diskriminierung Entschädigungsanspruch und Begehrenswünsche Zwischenfazit 2. MEDIALER DISKURS ZU PTBS IN DEUTSCHLAND Selbstdarstellung der Bundeswehr: ?Die verstehen das? Darstellung in Funk und Fernsehen: Moment des Traumas Stimmen betroffener Veteranen und aus der Psychologie 3. WEITERENTWICKLUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN DISKURSES UM PTBS Das kranke Gewissen und der saubere Krieg Traumatic brain injury 4. BLINDE FLECKEN UND PERSPEKTIVEN DES PTBS-DISKURSES Krieg verletzt nicht nur Soldaten Mali: Trauma und Krieg 5. EINSATZFÄHIGKEIT ODER FRIEDEN Gesamte Studie zum herunterladen: http://www.imi-online.de/2021/01/18/der-heilbare-krieg/ Kriegerische Auseinandersetzungen können auch zu seelischen Verletzungen führen. Was auf den ersten Blick eine banale Erkenntnis zu sein scheint, ist bei genauerer Untersuchung ein politisch äußerst umkämpftes Gebiet. Dass die Anerkennung solcher Verletzungen, im psychologischen Fachjargon 'Psychotraumata' genannt, immer wieder öffentlich thematisiert wird, zeigt aktuell beispielsweise das Forderungspapier 'Mission Seele' des Deutschen BundeswehrVerbandes, das die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl, am 1. Oktober 2020 entgegengenommen hat. Hier geht es um Unterstützung und Anerkennung von seelisch verwundeten Soldaten. Die verteidigungspolitischen Sprecher von CDU/CSU, SPD, FDP und Die Linke äußern sich in kurzen Videos auf der Seite durchweg positiv und unterstreichen die Wichtigkeit dieses Papiers. Lediglich der Sprecher der Partei 'Die Linke' merkt neben einer Unterstützung des Forderungspapiers an, dass seine Partei grundsätzlich gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr sei. Die Übergabe des Papiers wird fotografisch festgehalten und ein Kanon von Repräsentanten aus Politik und Bundeswehr bekräftigen die Wichtigkeit der Forderungen. Alle scheinen sich darüber einig zu sein, dass Soldaten, die schließlich offiziell im Namen der gesamten Gesellschaft in einen Auslandseinsatz geschickt werden, im Falle einer seelischen Verwundung ein Anrecht auf die Unterstützung seitens dieser Gesellschaft haben ? wie auch immer die einzelnen Standpunkte bezüglich dieser Auslandseinsätze aussehen mögen. Wolfgang Hellmich, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, spricht von der Verantwortung des Dienstherren. Bei diesem scheinbar allgemeinen Konsens fragt man sich allerdings, warum überhaupt ein umfangreiches Forderungspapier notwendig ist. Sollte noch nicht genügend bekannt sein über seelische Verletzungen, sodass die scheinbar unbefriedigende Situation traumatisierter Veteranen trotz der Bekundung guten Willens von allen Seiten auf ein Informationsdefizit zurückzuführen sei? Um diese Frage zu klären, lohnt es sich, zunächst einen Blick in die Geschichte und Beschaffenheit jener psychiatrischen Diagnose zu werfen, die sich zentral mit seelischen Traumatisierungen beschäftigt und vor allem im Rahmen militärischer Auseinandersetzungen entstanden ist: die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Um die Verstrickung von Politik und Psyche in Bezug auf das Thema PTBS aufzuzeigen, werden anschließend mediale sowie wissenschaftliche Diskurse anhand von Beispielen beschrieben, analysiert und ausgewertet. Ein zentrales Werk, das in dieser gesamten Studie eine Rolle spielt, ist dabei José Brunners 'Die Politik des Traumas', in der die enge Verstrickung von Politik und Therapie, auch in Bezug auf Auslandseinsätze der Bundeswehr, diskursanalytisch dargestellt wird. Die Auseinandersetzung mit diesem Werk hier kann sowohl als eine kritische Auseinandersetzung als auch eine Aktualisierung gesehen werden, denn das Buch erschien bereits 2014. Gesamte Studie zum herunterladen: http://www.imi-online.de/2021/01/18/der-heilbare-krieg/ 2.) Neue Texte auf der IMI-Homepage IMI-Standpunkt 2021/003 - in: Telepolis (9.1.2021) Allons Enfants? Umstrittene französische Luftangriffe in Mali http://www.imi-online.de/2021/01/11/allons-enfants-umstrittene-franzoesische-luftangriffe-in-mali/ Christoph Marischka (11. Januar 2021) IMI-Standpunkt 2021/002 Zorn vs. AKK? Die Debatte um eine pandemiebedingte Absenkung von Fähigkeitsprofil und Militärhaushalt ist eröffnet http://www.imi-online.de/2021/01/11/zorn-vs-akk/ Jürgen Wagner (11. Januar 2021) IMI-Standpunkt 2021/001 - in: Graswurzelrevolution (Dezember 2020) Umkämpfte Technologie Künstliche Intelligenz und ihre militärische Verwendung - Prozess gegen Antimilitaristen http://www.imi-online.de/2021/01/07/umkaempfte-technologie/ Christoph Marischka (7. Januar 2021) 3.) IMI-Analyse: Abschiebungen  nach Afghanistan IMI-Analyse 2021/01 Keine Abschiebung nach Afghanistan Ein Blick auf die aktuelle Lage im Einsatzgebiet der Bundeswehr http://www.imi-online.de/2021/01/15/keine-abschiebung-nach-afghanistan/ Jacqueline Andres (15. Januar 2021) Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland ? ganz im Gegenteil. Das Institute for Economics and Peace stufte Afghanistan sowohl im Jahr 2019 als auch 2020 in seinem Global Peace Index sogar als den unsichersten Staat weltweit ein.[1] Dennoch finden seit 2016 fast monatlich Sammelabschiebungen von Deutschland nach Afghanistan statt. Mit der seither 35. Sammelabschiebung am 12. Januar 2021 wurden 26 Menschen in Begleitung von insgesamt 84 Bundespolizist*innen nach Kabul geflogen.[2] Die afghanischen Behörden weigerten sich aus humanitären Gründen einen afghanischen Staatsangehörigen anzunehmen, den das Bundesland Hessen abschob. Etwa einhundert Menschen demonstrierten am Abend der Sammelabschiebung im Düsseldorfer Flughafen, von wo aus der Flug startete.[3] Damit wurden seit 2016 insgesamt 963 Männer nach Afghanistan abgeschobenen und in Gefahr gebracht.[4] Die geplanten Abschiebungen im Zeitraum von März bis November 2020 wurden pandemiebedingt und auf Bitte der afghanischen Regierung ausgesetzt.[5] Am 16. Dezember 2020 wurden sie jedoch wieder aufgenommen, d.h. just an dem Tag, an dem der Lockdown in der BRD ausgerufen wurde. Martin Link vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein kritisierte: ?Dass trotz des nun auch in Deutschland ausgerufenen Lockdowns eine bundesweite Charterabschiebung ausgerechnet in das vom Bürgerkrieg und einer grassierenden Pandemie heimgesuchte Afghanistan ? wo ein Drittel der Bevölkerung als infiziert gilt ? stattfinden soll, ist purer Zynismus.?[6] Sogar die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Bayern forderte im Dezember 2020 aus Sorge um ihre Beamt*innen eine vorübergehende Einstellung der Abschiebungen nach Afghanistan, denn dabei komme es immer wieder zu Zwischenfällen. So würde die Polizei immer wieder bespuckt werden und es bestehe für sie eine hohe Infektionsgefahr. Zudem sieht selbst die GdP die Lage in Kabul als "sehr umstritten und teilweise unsicher"[7] an. David Förster vom Bayerischen Flüchtlingsrat kritisiert die Abschiebungen scharf und schlägt vor: ?Sollte es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Ausländerbehörden und in den Innenministerien geben, denen langweilig wird, können sie sinnvoll die Gesundheitsämter bei der Kontaktnachverfolgung unterstützen. Der Infektionsschutz gebietet hingegen die drastische Reduktion direkter Kontakte und damit einen generellen Abschiebestopp!?[8] Die wiederhergestellte Kooperationsbereitschaft der afghanischen Behörden in Hinblick auf die Abschiebungen könnte laut Thomas Ruttig in Zusammenhang mit der zugesagten Weiterfinanzierung der Entwicklungshilfe bis 2024 auf der Geberkonferenz in Genf vergangenen November 2020 stehen.[9] Abschiebungen trotz Protesten Die Entscheidung, Sammelabschiebungen nach Afghanistan durchzuführen, obwohl sich im Jahr 2016 der bereits seit mehr als einem Jahrzehnt andauernde Kriegszustand verschlimmerte und es sich um ein Einsatzgebiet der Bundeswehr handelte, stellte einen Dammbruch dar.[10] Trotz zahlreicher Demonstrationen, Kundgebungen, Banneraktionen, Appelle, Petitionen und mutigem Einschreitens, wie im Falle der rund 300 Berufsschüler*innen in Nürnberg, die sich mit ihrem spontanen Protest der Abschiebung ihres damals 20-jährigen Mitschülers in den Weg stellten, laufen die Abschiebungen weiter.[11] Bereits vor Beginn der Pandemie wurden sie lediglich zeitweise verschoben bzw. ausgesetzt. Dies geschah z.B. auch mit dem Sammelabschiebungsflug, mit dem auch der besagte afghanische Berufsschüler aus Nürnberg im Jahr 2017 mitfliegen sollte. Dieser Flug vom 31. Mai 2017 musste wegen eines Anschlages in der Hauptstadt Kabul verschoben werden. An diesem Tag starben mehr als 150 Menschen bei der Explosion einer Autobombe im Diplomatenviertel Wasir Akbar Chan vor der deutschen Botschaft und mehr als 400 wurden verletzt. Das Gebäude der deutschen Botschaft wurde massiv beschädigt und ein afghanischer Sicherheitsangestellter der Botschaft wurde getötet. Aufgrund von ?organisatorischen Fragen? und aus ?Rücksicht auf Botschaftsangehörige?[12] sei die Abschiebung verschoben worden ? nicht etwa aus Sorge um die Sicherheit der Abgeschobenen. Sogar die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit flog nur wenig später fast ihr gesamtes deutsches und internationales Personal aufgrund von Sicherheitsgründen aus[13], doch die Bundesregierung hielt weiterhin daran fest, dass das kriegszerrüttete Land sicher genug für Abschiebungen sei. Wissen kann sie das eigentlich nicht, denn abgesehen davon, dass die Vorstellung, Afghanistan sei ein sicheres Herkunftsland an Absurdität kaum zu überbieten ist, heißt es in einem dem NDR vorliegenden Asyllagebericht von Dezember 2020: ?Seit dem Anschlag vom 31. Mai 2017 ist die Funktionsfähigkeit der deutschen Botschaft in Kabul massiv und anhaltend eingeschränkt.? Aus diesem Grund sei auch ?die Gewinnung korrekter Informationen [...] nach wie vor außerordentlich schwierig?. Die Botschaft kann damit keine zuverlässige Lageeinschätzung geben und ?die Bundesregierung kann nicht zuverlässig beantworten, wie sicher Afghanistan ist?.[14] Anderen scheint dies zu gelingen, wenn sie den Stimmen vor Ort zuhören. Erfahrungen abgeschobener Afghanen Recht ausführlich und aufwendig zeigt die Sozialwissenschaftlerin Friederike Stahlmann in ihrer Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen abgeschobener Afghanen mit Hilfe von Interviews mit 55 der von 2016 - 2019 bis dato insgesamt 574 abgeschobenen Menschen in Afghanistan, was sie bei einer Rückkehr erwartet. Zunächst ist die Ausgangslage in Afghanistan katastrophal: ?Schon im Jahr 2016 war das Armutsniveau mit 54,5 Prozent wieder so hoch wie zum Zeitpunkt des Sturzes der ersten Taliban-Herrschaft im Jahr 2001 und 86 Prozent der Stadtbevölkerung lebten in Slums. Die Zahl derer, die akut von humanitärer Hilfe abhängig sind, hat sich im letzten Jahr nahezu verdoppelt. Im Jahr 2018 hatten im Vergleich zum Vorjahr 6 Millionen Menschen mehr keinen ausreichenden Zugang zu Nahrung. Mehr Hungernde gibt es nur in Jemen, die Arbeitslosenrate ist die höchste weltweit und 80 Prozent der Arbeit ist nicht existenzsichernd.?[15] Die Lage hat sich Covid-19-bedingt innerhalb der letzten Monate weiter verschlechtert: Die Auswirkungen der Pandemie drohen laut dem afghanischen Wirtschaftsministerium die Arbeitslosigkeit um weitere 40 % und die Armut um 70 % zu steigern. Die National Union of Afghanistan Workers & Employees schätzte im Mai 2020, dass etwa zwei Millionen Arbeiter*innen und Beamt*innen (bei rund 32 Millionen Einwohner*innen) aufgrund der Pandemie ihre Arbeit verloren haben.[16] Ärzt*innen vom Mirwais Hospital in Kandahar berichten, dass sie allein in ihrem Krankhaus etwa jeden zweiten Tag eine Frau nach einem gescheiterten Selbstmordversuch behandelten, als die Coronavirus-Infektionen im Mai und Juni stiegen. Dies begründet Heather Barr, die Interims-Ko-Direktorin der Frauenrechtsabteilung bei Human Rights Watch, mit der Wirtschaftskrise im Land.[17] Die Nahrungsmittelpreise stiegen im Vergleich zum Vorkrisenniveau um ganze 30%,[18] wodurch sich die Situation der Hungersnot im Land zuspitzt. 90,3% der Befragten berichteten von Gewalterfahrungen. So zum Beispiel ?haben in einem Fall Taliban innerhalb einer Wochenfrist erfahren, dass der Betroffene zurückgekehrt war, haben ihn gefangen genommen und drei Tage lang misshandelt, um ihn für die Flucht zu bestrafen und zur Mitarbeit zu zwingen. Er konnte nur entkommen, weil ihm ein Bekannter half, der erst seit Kurzem bei den Taliban war. Anschließend verließ er sofort erneut das Land.?[19] 54% waren sogar von speziell gegen Rückkehrende gerichtete Gewalt betroffen, die entweder durch die Taliban oder auch durch das eigene soziale Umfeld erfolgt. Stahlmann erklärt: ?Um der Verfolgung durch die Taliban zu unterliegen, genügt die Tatsache, in Europa gewesen zu sein. [...] Vorwürfe sind nicht nur »Ungläubigkeit«, sondern auch »Spionage« und »Verrat«. In zwei Fällen wurde in den Drohschreiben explizit auf die Zufluchtsländer in Europa Bezug genommen, in denen die Rückkehrer Asylanträge gestellt hatten. Eine Familie musste Nachbarn Schutzgeld zahlen, weil man ihnen angedroht hatte, den Taliban die Rückkehr des Sohnes zu verraten.?[20] Zum Teil sind die Taliban auch in der eigenen Familie präsent: ?Ein weiterer Abgeschobener wurde durch den eigenen Vater bedroht, der auch bei den Taliban ist, und durch Informanten in der afghanischen Community in Deutschland herausgefunden hatte, dass sein Sohn in Deutschland eine Freundin hatte.? Berichtet wurden auch von acht Vorfällen, ?bei denen sie auf der Straße, in der Moschee und bei der Arbeitssuche von Fremden als »Verräter« oder »Ungläubige« bedroht, gejagt oder sogar angegriffen wurden.?[21] Abgesehen davon stellen Kriegshandlungen und Anschläge eine Gefahr dar: ?So gab es drei Vorfälle, bei denen Abgeschobene durch Anschläge so schwer verletzt wurden, dass sie im Krankenhaus auf Notfallbehandlungen angewiesen waren. Durch einen vierten Anschlag wurde die Unterkunft eines Abgeschobenen schwer beschädigt und er ist nur einer Verletzung entgangen, weil er zufällig nicht zu Hause war.?[22] Mindestens eine Person beging nach seiner Abschiebung Suizid. Vor dem Hintergrund dieser Gefahrensituation wird auch ersichtlich, warum 89.9% der Befragten angaben, versteckt zu leben. Abgesehen von der Gewalt erwartet die Abgeschobenen Obdachlosigkeit (18,4% waren davon betroffen) und Armut: ?Der einzige Befragte, der hauptsächlich von seiner Arbeit leben konnte, hat diese durch die Vermittlung eines Onkels gefunden. Der Ladenbesitzer hätte um seine Abschiebung gewusst und wäre einer der wenigen gewesen, die verstanden hätten, dass man kein Verbrecher sein müsse, um abgeschoben zu werden. Er hätte jedoch mit dem Betroffenen striktes Stillschweigen über die Flucht und Abschiebung vereinbart, um keine Gefährdung für das Geschäft zu provozieren. Nachdem er diese Arbeit verloren hatte, weil das Geschäft schließen musste, gab ihm der Onkel zu verstehen, dass er ihm nicht mehr helfen könne und er das Land verlassen solle.?[23] Sicherheitslage in Afghanistan seit 2017 Seit 2017 hat sich die Lage nicht verbessert, ganz im Gegenteil. Aus der im Dezember 2020 veröffentlichten Studie ?Afghanistan?s Rising Civilian Death Toll Due to Airstrikes, 2017-2020?[24] von Prof. Neta Crawford geht hervor, dass das Pentagon seine Einsatzregeln für Luftangriffe im Jahr 2017 lockerte und in Folge dessen die Anzahl der Luftangriffe um ganze 330% stieg und damit auch die Zahl der zivilen Todesopfer. Einen Grund dafür sieht Crawford in der Reduzierung der US-amerikanischen Bodentruppen vor Ort und einen zweiten in der jahrzehntelangen Annahme in den USA, somit eine bessere Ausgangsposition am Verhandlungstisch einnehmen zu können. Hierfür stützt sie sich auf ein Zitat des U.S. Brigadier General Lance R. Bunch aus dem Juni 2018: ?Der gesamte Zweck hinter unserer Luftkampagne ist es, die Taliban zur Versöhnung zu zwingen und ihnen zu helfen, zu erkennen, dass Friedensgespräche ihre beste Option sind.?[25] Im Jahr 2019 starben mindestens 700 Zivilist*innen bei Luftangriffen ? dies ist die höchste Zahl von getöteten Zivilist*innen seit Beginn des Krieges vor rund zwanzig Jahren. Doch diese Taktik wendet nicht nur das US-Militär an, so Crawford: ?Alle Seiten ? die afghanische Regierung, die USA und ihre Verbündeten sowie die regierungsfeindlichen militanten Gruppen ? haben ihre Angriffe in verschiedenen Verhandlungsphasen eskaliert.? So seien nach dem Friedensabkommen der USA und der Taliban (von dem die afghanische Regierung ausgeschlossen war) im Februar 2020 die NATO-Angriffe zurückgegangen, doch die weitergehenden Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und der Taliban führten nun dazu, dass die Angriffe der Afghan Air Force (AFF) zunehmen. Zwischen Juli und September 2020 kamen 70 Zivilist*innen ums Leben ? im Vergleich dazu starben 86 in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020.  Für die Ausbildung der AFF ist u.a. die Bundeswehr zuständig.[26] Im Jahr 2020 starben laut der New York Times 3.378 Sicherheitskräfte und 1.468 Zivilist*innen bei Kriegshandlungen in Afghanistan.[27] Alleine in der ersten Woche des Jahres 2021 kamen mindestens 49 weitere afghanische Sicherheitskräfte und 15 Zivilist*innen bei insgesamt 21 Angriffen ums Leben.[28]  Zwischen September 2014 und Januar 2019 seien laut dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani  45.000 afghanische Sicherheitskräfte ? d.h. Polizist*innen und Soldat*innen ? getötet worden.[29] Der staatliche Sicherheitssektor ist zusammen mit unterschiedlichen bewaffneten Gruppen zu einem der wenigen Branchen mit verfügbaren ?Arbeitsplätzen? avanciert ? jedoch hat dies offensichtlich einen hohen Preis. Wie in allen Kriegsgebieten trifft die Gewalt auch Minderjährige: Laut der UN wurden von 2005 bis 2019 mindestens 26.025 Kinder durch den Krieg in Afghanistan getötet oder verstümmelt und zudem gab es zwischen 2017 und 2019 mehr als 300 Angriffe auf Schulen.[30] Eine Verbesserung der Lage und ein kompletter Abzug der NATO-Truppen bzw. auch der Bundeswehr zeichnen sich auch mit Biden als nächsten US-Präsidenten nicht ab. Zwar soll die Truppenstärke reduziert werden, doch die Mission läuft weiter und die Wahrscheinlichkeit von verdeckten CIA-Operationen steigt.[31] Fazit Die Lage in Afghanistan ist desaströs und die Bundesregierung ist durch den anhaltenden Einsatz der Bundeswehr und durch ihre Beteiligung an der neoliberalen Umstrukturierung Afghanistans mitverantwortlich für die Gewalt und die ausufernde Armut. Die geringe Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung schien nicht zuletzt am 18. November 2020 durch, als das Bundesverfassungsgericht entschied, die BRD müsse keine Entschädigungen für die Opfer des vom damaligen Bundeswehr-Oberst Georg Valentin Klein angeforderten NATO-Luftangriff auf zwei gestohlene Tanklaster zahlen, bei dem im September 2009 mindestens 100 Menschen bei Kundus starben.[32] Geklagt hatten ein Familienvater, der bei dem Luftangriff zwei seiner Söhne verlor, und eine afghanische Frau, deren Ehemann und Vater der gemeinsamen Kinder getötet wurde. Für dieses Kriegsverbrechen erhielt Klein keine Sanktionierung und die Angehörigen keine gründliche Aufarbeitung, keine Entschädigung und damit auch keine Anerkennung. Während Oberst Klein innerhalb der Bundeswehr zunächst zum Brigadegeneral des Heeres und seit Oktober 2020 in die ?militärische Spitzenposition? als Abteilungsleiter und General Streitkräftegemeinsame Ausbildung im Streitkräfteamt in Bonn aufstieg, bleibt eine politische Aufarbeitung der begangenen Gewalttaten der Bundeswehr in Afghanistan aus und die Bundeswehr ist weiterhin vor Ort. Nach UN-Angaben flohen allein im Jahr 2020  Hunderttausende Menschen vor den Kämpfen innerhalb Afghanistans. In den provisorischen Unterkünften der Camps sind sie der Kälte ausgesetzt ? und die Temperaturen können in Teilen des Landes auf bis zu -20 Grad sinken: ?Ohne angemessene Winterkleidung und Heizung seien mehr als 300.000 Kinder von Krankheit oder sogar Tod bedroht?[33]. Besser ist Lage für die Geflüchteten aus Afghanistan und anderen Ländern, die auf den griechischen Inseln oder in Bosnien in den Lagern unter menschenunwürdigen Bedingungen festsitzen, nicht. Bei ihrem Versuch, die sogenannte ?Balkanroute? zu durchqueren, sind die Geflüchteten systematischer ? und zumeist straffreier ? Gewalttaten von ?Grenzbeamt*innen, Polizeikräften der Mitgliedsstaaten, Soldat*innen [und] sogar Wachhunden? ausgesetzt, ?die eindeutig als sadistische, gnadenlose, erniedrigende und entwürdigende Behandlung bezeichnet werden können?[34]. Innenminister Seehofer betont: ?Wir alle stecken in dieser Krise. Und wir sollten uns gemeinsam und solidarisch heraus kämpfen.?[35] Seehofers Definition von ?wir? ist sehr eng gefasst und seine Verwendung des Begriffs ?solidarisch?[36] entleert dessen Sinn, denn er ist es, der seit Monaten die Aufnahmen von Menschen aus den Lagern in der BRD blockiert, obwohl im Oktober 2020 bereits 200 Kommunen ihre Aufnahmebereitschaft verkündet haben.[37] Wenn es afghanische Staatsangehörige in die BRD schaffen, dann scheinen sie eine fast 60% Chance zu haben, eine zu Unrecht negative Asylentscheidung zu bekommen: Deutsche Verwaltungsgerichte haben in den ersten neun Monaten des Jahres 2020 ganze 5.644 ablehnende Asylentscheidungen für afghanische Geflüchtete aufgehoben ? d.h. 59,1% der insgesamt 9.557 überprüften Fälle erwiesen sich als fehlerhaft.[38] Doch selbst diejenigen, die eine ?fehlerfreie? Ablehnung erhalten haben, müssen bleiben dürfen. Weiterhin muss die Forderung erklingen: Keine Abschiebung nach Afghanistan! Anmerkungen [1]     Global Peace Index 2020, Measuring Peace in a complex world, economicsandpeace.org [2]     Weiterer Abschiebeflug in Afghanistan gelandet, saarbruecker-zeitung.de, 13.1.2021 [3]     Thomas Ruttig: 26 Menschen auf Afghanistan-Abschiebeflug Nr 35, thruttig.wordpress.com, 13.1.2021 [4]     Weiterer Abschiebeflug in Afghanistan gelandet, saarbruecker-zeitung.de, 13.1.2021 [5]     Ralf Pauli: Abschiebungen sollen beginnen, taz.de, 15.12.2020 [6]     Erste Sammelabschiebung nach Afghanistan seit März, migazin.de, 18.12.2020 [7]     Rüdiger Kronthaler: Afghanistan-Abschiebeflüge. Gewerkschaft der Polizei will Stopp, br.de, 16.12.2020 [8]     Corona-Ignoranz bei Innenministerien, fluechtlingsrat-bayern.de, 11.1.2021 [9]     Ebd. [10]   Christoph Marischka: Ein Dammbruch: Abschiebungen in Einsatzgebiete der Bundeswehr, IMI-Standpunkt 2016/42, imi-online.de, 20.12.2016 [11]   Olaf Przybilla und Max Sprick: Geplante Abschiebung löst Tumulte an Nürnberger Berufsschule aus, sueddeutsche.de, 31.5.2017 [12]   Viele Tote nach Anschlag in Kabul, dw.com, 31.5.2017 [13]   Viele Tote bei Explosionen auf Beerdigung in Kabul, tagesspiegel.de, 3.6.2017 [14]   Gabor Halasz und Reiko Pinkert: Deutschland schiebt wieder nach Afghanistan ab, tagesschau.de, 17.12.2020 [15]   Friederike Stahlmann: Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen abgeschobener Afghanen, Beitrag aus dem Asylmagazin 8?9/2019, S.276?286, ecoi.net [16]   Mir Haidar Shah Omid: Union. 2 Million Afghans Lose Jobs Amid COVID-19, tolonews.com, 1.5.2020 [17]   Sophie Cousins: A quiet crisis. As the economy fractures, violence soars for Afghan women, thenewhumanitarian.org, 16.12.2020 [18]   Aus guten Gründen: Immer wieder stoppen Gerichte Abschiebungen nach Afghanistan, proasyl.de , 7.1.2021 [19]   Friederike Stahlmann:  Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen abgeschobener Afghanen, 2019 [20]   Ebd. [21]   Ebd. [22]   Ebd. [23]   Ebd. [24]   Neta C. Crawford: Afghanistan?s Rising Civilian Death Toll Due to Airstrikes, 2017-2020, watson.brown.edu , 7.12.2020 [25]   Ebd. [26]   ?Des Weiteren berät ein Team [der Bundeswehr] (Joint Fire Support-Adviserteam ? JFS-AT) den Air-Ground-Integration-Leader (AGIL) bei Planung und Durchführung der Ausbildung. Der AGIL ist für die Weiterbildung der in Kabul am TAAC-Air ausgebildeten Afghan Tactical Air Coordinator (ATAC) verantwortlich.? Siehe: Drucksache Drucksache19/10143: Beteiligung der Bundeswehr am NATO-geführten Einsatz Resolute Support in Afghanistan, dip21.bundestag.de, 14.5.2019 [27]   Fahim Abed: Afghan War Casualty Report. December 2020, nytimes.com, 10.12.2020 [28]   Fahim Abed: Afghan War Casualty Report. January 2021, nytimes.com, 7.1.2021 [29]   Afghanistan's Ghani says 45,000 security personnel killed since 2014, bbc.com, 25.1.2019 [30]   Afghanistan war: 26,000 Afghan children killed or maimed since 2005, bbc.com, 23.11.2020 [31]   Kai Küstner: Letzte Soldaten haben Kundus verlassen, tagesschau.de, 26.11.2020 [32]   Keine Entschädigung für Kundus-Opfer, tagesschau.de, 16.12.2020 [33]   Bernd Musch-Borowska: Hunderttausende Kinder von Kälte bedroht, tagesschau.de, 1.1.2021 [34]   Border Violence Monitoring Network: The Black Book of Pushbacks, borderviolence.eu, 18.12.2020 [35]   Innenminister Seehofer: Keine Sonderrechte für Geimpfte, nordbayern.de, 27.12.2020 [36]   So definiert z.B. Aurora Levins Morales in ihrem Buch Medicine Stories ?Solidarität? aus dem Jahr 1998: ?Solidarität entsteht aus der Unfähigkeit, den Affront gegen unsere eigene Integrität zu tolerieren, der in der passiven oder aktiven Kollaboration bei der Unterdrückung anderer liegt, und aus der tiefen Erkenntnis unseres expansivsten Eigeninteresses. Aus der Erkenntnis, dass, ob es uns gefällt oder nicht, unsere Befreiung mit der jedes anderen Wesens auf dem Planeten verbunden ist, und dass wir politisch, spirituell und im Herzen unseres Herzens wissen, dass alles andere untragbar ist.? [37]   200 Sichere Häfen deutschlandweit ? Treffen mit Merkel, seebruecke.org, 20.10.2020 [38]   Gerichte heben Tausende ablehnende Asylentscheidungen für Afghanen auf, zeit.de, 3.12.2020 From imi at imi-online.de Wed Feb 10 16:06:59 2021 From: imi at imi-online.de (IMI-JW) Date: Wed, 10 Feb 2021 16:06:59 +0100 Subject: [IMI-List] [0584] IMI-Analyse: Frontex-Files & Cybervalley / Neue Texte auf der Homepage Message-ID: <1118b26f-27fc-eb70-60a7-249d728a3b78@imi-online.de> ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0584 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List findet sich 1.) Neue Texte auf der Homepage; 2.) IMI-Analyse: Frontex-Files & Cyber Valley. 1.) Neue Texte auf der IMI-Homepage Seit der letzten IMI-List sind wieder eine Reihe neuer Texte erschienen. U.a. zur Tornado-Nachfolge und der Nuklearen Teilhabe, einem ?NATO-Manifest? aus den Reihen der Böll-Stiftung, der SPD-Positionierung dem Bau einer Eurokampfdrohne zuzustimmen, über rechtsradikale Reservisten, erfolgreiche Auseinandersetzungen mit Rheinmetall in Italien sowie staatliche Klimmzüge, um Aburteilungen wegen Kriegsverbrechen ihrer SoldatInnen zu verhindern. IMI-Analyse 2021/05 Gesetzeslose Soldaten Wie Regierungen Kriegsverbrecher vor Bestrafung schützen http://www.imi-online.de/2021/02/10/gesetzeslose-soldaten/ Pablo Flock (10. Februar 2021) IMI-Standpunkt 2021/005 Ein Etappensieg gegen Rheinmetall? Italien stoppt Rüstungsexporte an Saudi Arabien und die VAE http://www.imi-online.de/2021/02/08/ein-etappensieg-gegen-rheinmetall/ Jacqueline Andres (8. Februar 2021) IMI-Analyse 2021/04 Reservisten mit Terrorplänen Der Reservistenverband als Wehrsportgruppe für Neonazis? http://www.imi-online.de/2021/02/04/reservisten-mit-terrorplaenen-2/ Luca Heyer (4. Februar 2021) IMI-Standpunkt 2021/004 Erster Schritt zu bewaffneten Drohnen http://www.imi-online.de/2021/02/04/erster-schritt-zu-bewaffneten-drohnen/ Tobias Pflüger (4. Februar 2021) IMI-Analyse 2021/03 Glutkern des Westens NATO-Manifest aus der Böll-Stiftung http://www.imi-online.de/2021/01/27/glutkern-des-westens/ Jürgen Wagner (27. Januar 2021) IMI-Analyse 2021/02 Berlin: Atomwaffen-Jet im Hauruck-Verfahren vor der Bundestagswahl? Atomwaffenverbotsvertrag, Nukleare Teilhabe und der Tornado-Nachfolger http://www.imi-online.de/2021/01/25/berlin-atomwaffen-jet-im-hauruck-verfahren-vor-der-bundestagswahl/ Jürgen Wagner (25. Januar 2021) 2.) IMI-Analyse: Frontexfiles & Cyber Valley IMI-Analyse 2021/06 Die Frontex-Files und das Cyber Valley http://www.imi-online.de/2021/02/10/die-frontex-files-und-das-cyber-valley/ Christoph Marischka (10. Februar 2021) Am 5. Februar gab Jan Böhmermann im ZDF Magazin Royale öffentlich den Startschuss zur Veröffentlichung der ?Frontexfiles?, einer Sammlung von Dokumenten der EU-Agentur für den Grenzschutz, deren Herausgabe auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes erzwungen wurde.[1] Dabei handelt es sich im Kern um Listen von Behörden- und Industrievertreter*innen, die in den vergangenen drei Jahren an Veranstaltungen von Frontex teilgenommen haben sowie um einige der dort vorgestellten Präsentationen. Als Hintergrund verwiesen sowohl das ZDF Magazin Royal als auch die NGO Corporate Europe Observatory auf das massiv anwachsende Budget der Behörde wie auch das Vorhaben, eigene Einheiten für den Grenzschutz mit insgesamt 10.000 Kräften aufzubauen und auszurüsten. Die Autor*innen und auch erste Kommentator*innen sprechen vor diesem Hintergrund von der Herausbildung eines ?grenz-industriellen? bzw. ?militärisch-grenzpolizeilichen Komplexes?.[2] Jenen Firmen, die gleich bei mehreren Treffen anwesend waren, bilden weitgehend das Who-is-Who der europäischen Rüstungsindustrie ab, darunter neben Airbus und Thales u.a. Safran (Frankreich), Leonardo (Italien) und Indra (Spanien). Auch Kleinwaffenhersteller wie Heckler & Koch und Glock waren eingeladen. Unter denjenigen Firmen, die nicht primär in der Rüstungsindustrie tätig sind, hier ihre Aktivitäten im Zuge der Digitalisierung jedoch aktuell ausweiten, finden sich ATOS und der japanische Elektronikkonzern NEC wiederholt in den Listen. In der Auswertung des Corporate Europe Observatory wird NEC auch als eines der relativ wenigen Unternehmen außerhalb Europas hervorgehoben, das in den Frontex-Dateien auftaucht. Neben NEC sind dies ein kanadisches Unternehmen für Gesichtserkennung (Face4Systems) sowie drei israelische Firmen, die im Bereich der Bilderkennung (Shilat Optronics und Seraphim Optronics) und der Drohnentechnologie (Elbit Systems) aktiv sind.[3] Die insgesamt 108 Unternehmen, die auf den betreffenden Frontex-Treffen vertreten waren, bieten zusammengenommen eine durchaus brauchbare Stichprobe einer sich modernisierenden europäischen Rüstungsindustrie, welche verstärkt auch neue Technologien und mehr oder weniger zivile Anwendungsfelder wie den Grenzschutz in den Blick nehmen. Diese Stichprobe eignet sich damit auch, um die Relevanz einiger Industrie- und Technologie-Cluster hervorzuheben: In diesem Falle das grünschwarz regierte Baden-Württemberg und das von der entsprechenden Landesregierung vorangetriebene ?Cyber Valley?. Unternehmen aus BaWü Der wesentlich unter dem Dach von Daimler aufgebaute, größte europäische Luftfahrt- und Rüstungskonzern Airbus hat seinen Hauptsitz zwar in Frankreich und zentrale Produktionsstätten u.a. in Spanien. Die (inoffizielle) Zentrale seiner Rüstungssparte jedoch befindet sich in München-Ottobrunn (auf dem Gelände der im Nationalsozialismus aufgebauten Luftfahrtforschungsanstalt München). Hauptsitz der Satelliten- und Weltraumtechnik ist Immenstaad am Bodensee ? quasi in Sichtweite zum Lenkwaffenhersteller Diehl Defence, dem v.a. auch auf militärische Antriebssysteme spezialisierten Unternehmen MTU und seinem historischen Zulieferer ZF Friedrichshafen. Tatsächlich in Wurfweite liegt direkt gegenüber dem Airbus-Weltraumzentrum in Immenstaad der explizit für militärische Aufträge zuständige Airbus/Daimler-Ableger ND Satcom GmbH. Ein weiterer zentraler Standort von Airbus befindet sich in Ulm. Hier wird v.a. Sensorik und Radartechnologie entwickelt und produziert. Diese Sparte wurde 2017 von Airbus weitgehend in die Hensoldt AG überführt, die ebenfalls in den Frontexfiles auftaucht - aber nicht als außereuropäisches Unternehmen hervorgehoben wird, obwohl es sich überwiegend im Besitz einer US-amerikanischen Holding, der KKR & Co. Inc. befindet. Neben dem Bodensee und Ulm deutet sich v.a. mit Thales ein weiterer Cluster in Baden-Württemberg an, dessen Relevanz auch angesichts der Frontexfiles unterstrichen wird. Thales ist Bahnfahrer*innen von Fahrkartenautomaten bekannt, wo es die Terminals für bargeldloses Bezahlen verantwortet. Thales ist zugleich eines der größten Rüstungsunternehmen weltweit, das Produkte von der Satellitenkommunikation über vollautonome Waffen bis hin zu Nachtsichtgeräten und ?head-mounted displays? ? also Cyber-Brillen für den militärischen Einsatz ? anbietet. Seine breit aufgestellte Position in der modernen Rüstung hat das Unternehmen unter der Führung von Thierry Breton eingenommen ? ehemaliger Wirtschaftsminister Frankreichs und heutiger EU-Kommissar für Industrie, Digitalisierung und Rüstung.[4] Der deutsche Hauptsitz von Thales befindet sich nur wenige Kilometer nördlich von Stuttgart, in einem Industriegebiet direkt an der A81 nördlich des Engelbergtunnels. Wiederum in Sichtweite befindet sich im gegenüber liegenden Industriegebiet von Weilimdorf eine Niederlassung von ATOS, an der noch heute erkennbar ist, dass sie einst zum Siemens-Konzern gehört hat. Auch ATOS wurde unter dem heutigen Industriekommissar Breton zu einem relevanten Player der Rüstungsindustrie zusammenfusioniert. 2011 hatte der Konzern die Siemens-Tochter ?IT Solutions and Services? übernommen, die explizit auf Dienstleistungen für die Bundeswehr zugeschnitten war. Kurz darauf übernahm ATOS auch den (ehemaligen) IT-Hersteller Bull, der sich zwischenzeitlich auf Cloud-Dienstleistungen für das Militär spezialisiert hatte. Heute hat ATOS gemeinsam mit Thales eine zentrale Rolle in der informationstechnischen Vernetzung der französischen Luft- und Bodenstreitkräfte und leitet das Unternehmen die Studie ?Gläsernes Gefechtsfeld? für die Bundeswehr, bei der KI einzelne Soldat*innen und autonome Systeme auf Grundlage ihrer jeweiligen Position, ihres Munitionsbestandes und ihrer körperlichen Verfassung anleiten soll.[5] Thales wiederum hatte im Februar 2020 feierlich bekannt gegeben, dass es gemeinsam mit Airbus die ?Combat Cloud? für das ?Future Combat Air System (FCAS)? bereitstellen würde.[6] Bei dem deutsch-französischen Großprojekt soll nicht nur ein (bemanntes) Kampfflugzeug der nächsten Generation entwickelt werden, sondern dieses von Anfang an in ein Gesamtsystem eingebettet sein, bei denen eine Vielzahl von autonomen Systemen zusätzliche Waffen, Sensorik und Mittel zur elektronischen Kampfführung tragen und im Verbund mit dem bemannten Flugzeug zum Einsatz bringen können. In seiner Zusammenfassung über die Frontexfiles[7] weist Matthias Monroy noch auf ein weniger bekanntes Unternehmen hin, welches offenbar den Rüstungsriesen Airbus bei der Vergabe eines Auftrags zur Grenzüberwachung mit sog. ?Aerostats? ? Zeppelinen oder Ballons ? ausstechen konnte. Der Auftrag umfasst den Einsatz eines solchen Aerostats für vier bis sechs Monate an der griechischen Außengrenze. Das Luftfahrzeug selbst stammt vom französischen Hersteller CNIM, den Betrieb der Aufklärungstechnologie übernimmt die deutsche Firma innovative navigation GmbH, die in Kornwestheim, etwa 10km von Thales und Atos entfernt, ihren Sitz hat. Zumindest in der Vergangenheit haben innovative navigation und Thales auch schon bei Grenzschutzaufträgen kooperiert. So findet sich auf der Homepage des Unternehmens eine Pressemitteilung aus dem Jahr 2013, die von der Installation eines ?lokale[n] Überwachungssystem[s] zur Sicherung der EU-Außengrenzen in Kroatien? berichtet: ?Die Firma in-innovative navigation GmbH lieferte dafür im Auftrag des Joint Ventures der Firmen THALES und PCE (Pomorski Centar Elektroniku) die gesamte Technik der Radarüberwachung (Sensoren, Signalverarbeitung) und die Software für modernste und effiziente Verarbeitung der Sensorsignale: Signalintegration, Tracking, sowie die Darstellung der Daten in der Zentrale mit inDTS, einem leistungsfähigen Displaymodul der Firma in-innovative navigation GmbH?.[8] Frontex-Partner und das Cyber Valley Beim Cyber Valley handelt es sich nach eigenen Angaben um ?Europas größtes Forschungskonsortium im Bereich der künstlichen Intelligenz mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie?.[9] Es wurde im Dezember 2016 vom Land Baden-Württemberg, der Max-Planck-Gesellschaft, den Universitäten Stuttgart und Tübingen sowie den Industriepartnern, darunter Daimler, Bosch und ZF Friedrichshafen auf den Weg gebracht ? später stieg auch das US-Plattformunternehmen Amazon ein. Im Kern besteht das Cyber Valley bislang aus einem Technologiepark in Tübingen und einem ?Ökosystem? ? einem Netzwerk von Programmen und Institutionen, die Unternehmensgründungen anregen und fördern sollen, indem sie Know-How, Räumlichkeiten, Kontakte zu Industrie und Risikokapital usw. bereitstellen. Ziel ist die schnelle Kommerzialisierung neuer Forschungsergebnisse und damit auch die Generierung privater Gewinne aus öffentlich finanzierter Forschung. Inhaltlicher Schwerpunkt ist das Maschinelle Lernen und insbesondere das Maschinelle Sehen. Angesichts der starken Beteiligung der Automobilindustrie sind Anwendungen v.a. im Bereich des autonomen Fahrens naheliegend. Die damit verbundenen Fragestellungen der Fusion und Interpretation von Sensordaten liegen nahe an jener Forschung, die andernorts im Auftrag des Militärs, der Rüstungsindustrie, Grenzschutz- und anderer Überwachungsbehörden durchgeführt wird. Die Grundlagenforschung einiger am Cyber Valley beteiligter Wissenschaftler*innen zur Bilderkennung durch Künstliche Neuronale Netze wurde in den vergangenen Jahren u.a. durch ein Projekt (MICrONs) der gemeinsamen Forschungsbehörde der US-Geheimdienste (IARPA) finanziert.[10] Eingebunden in das Projekt war auch das Unternehmen Amazon, das aktuell im Tübinger Technologiepark ein Forschungszentrum für Maschinelles Lernen erbaut und in den USA für verschiedene Militär- und Geheimdienstbehörden Cloud-Anwendungen zur Verfügung stellt. Auch wenn Technologien explizit für Militär und Grenzschutz aktuell keinen Schwerpunkt im Cyber Valley bilden, ist es doch auf verschiedene Arten an die auf Grundlage der Frontexfiles skizzierten Technologiecluster angebunden. So wurde z.B. eine frühere Ausgründung der aus der Universität Tübingen, das Tübinger Startup ?Science&Computing? zunächst von Bull und kurz vor der Gründung des Cyber Valleys von Atos unternommen. 2018 eröffnete die European Space Agency (ESA) gemeinsam mit Bosch und der Rüstungssparte von Airbus im Technologiepark Tübingen-Reutlingen (TTR) sowie am Partnerstandort in Immenstaad einen Business Incubation Centre (BIC): ?60 Startups erhalten bis Ende 2021 an den drei Standorten die Möglichkeit zur Inkubation und durchlaufen die Förderphase von bis zu 2 Jahren. Für die technische Unterstützung stehen die Unternehmen Airbus Defence and Space in Friedrichshafen und Bosch Automotive Electronics in Reutlingen zur Verfügung?, so berichtete damals die ESA.[11] Die ebenfalls beteiligte IHK ergänzt: ?Als Anschubförderung erhalten die Gründungen 50.000 Euro sowie umfassende Service-Angebote durch Firmenbetreuer vor Ort und das Partner-Netzwerk. Dazu gehören zehn Beratungs- oder Labortage bei Bosch oder Airbus. Im Anschluss an die Phase im ESA-BIC sollen die Unternehmen im örtlichen Technologiepark angesiedelt werden?.[12] Aktuell laufen im Cyber Valley Verhandlungen über die konkrete Zusammenarbeit mit dem japanischen Elektronikkonzern NEC, die im November 2020 durch ein Memorandum of Understanding auf den Weg gebracht wurde. Laut Pressemitteilung des Cyber Valleys handelt es sich bei NEC um ein ?weltweit führende[s] Unternehmen für Technologie- und Kommunikationsinfrastrukturen und -lösungen. Zu den Stärken von NEC gehören die originäre Forschung im Bereich der KI und deren angewandter Einsatz?.[13] Dass NEC in den vergangenen Jahren mehrfach in der Liste der 100 größten Rüstungsunternehmen weltweit (ohne China) aufgetaucht ist, verschweigt die Pressemitteilung dabei. Neben den Aktivitäten von NEC in der Rüstung und im Grenzschutz versucht NEC vergleichbare Technologien unter den Schlagwörtern ?öffentliche Sicherheit? und ?Smart Cities? auch in einem rein zivilen Umfeld zu etablieren. Broschüren des Unternehmens zu diesen Schlagwörtern offenbaren Visionen eines Alltags, der durch die Allgegenwärtigkeit autonomer Systeme, biometrischer Erfassung und Zugangskontrollen geprägt ist.[14] Damit ist NEC in einem ähnlichen Segment aktiv, wie Atos und in das auch Bosch mit seiner Sparte ?Security and Safety Systems? verstärkt einsteigen will. In einer Broschüre zum Produkt ?Intelligente Video Analyse? nennt Bosch selbst den Grenzschutz als mögliche Anwendung: ?Diese Lösung auf dem aktuellen Stand der Technik ist ideal für erfolgskritische Anwendungen wie dem Perimeterschutz von Flughäfen, kritischen Infrastrukturen und Regierungsgebäuden, Grenzpatrouillen und die Verkehrsüberwachung?. Das System kann demnach selbstständig u.a. das Eindringen unautorisierter Personen, das Abstellen von Gegenständen oder das unerlaubte Parken von Kraftfahrzeugen erkennen und bewegte Objekte verfolgen. Die meisten der dargestellten Beispiele beziehen sich jedoch auf die intelligente Überwachung von Lagerhallen bzw. Fabriken und damit auch der dort Arbeitenden.[15] Auch Bosch plant aktuell den Bau eines KI-Campus auf bzw. neben dem Technologiepark in Tübingen. Der Vollständigkeit halber sei hier noch erwähnt, dass noch ein weiterer Industrie-Partner des Cyber Valleys in den Frontexfiles auftaucht: Daimler. Es handelt sich dabei um eine eher kleine ? man könnte auch sagen: exklusive ? Veranstaltung am 8. Februar 2018. Frontex hatte zu einem Industry Day zum Thema ?Fahrzeuge zur Unterstützung des Migrationsmanagements? eingeladen. Neben Daimler (Mercedes-Benz Defence Project Vans) waren nur zwei weitere, kleinere Unternehmen vertreten, die auf die Umrüstung von Fahrzeugen für Spezialaufgaben wie Geldtransporte spezialisiert sind. Die Frontexfiles enthalten auch ein kurzes Dokument mit den wesentlichen Ergebnissen. Dieses enthält u.a. sichtbar die voraussichtlichen Lieferzeiten und geschwärzt die Preisspanne für die nicht näher spezifizierten Nutzfahrzeuge. Während die kleineren Unternehmen offenbar Aussagen dazu gemacht haben, welche Sicherheitsbehörden sie bereits beliefert haben ? die allerdings geschwärzt wurden ? hat Daimler demnach lediglich angegeben, bereits ?viele Aufträge für Grenzschutz und -überwachung? erhalten zu haben, dass man aber keine Angaben ?zu Kunden, Ländern oder Modellen? mache.[16] Einen Hinweis gibt allerdings das EU-Forschungsprojekt ?ROBORDER?, das nicht zufällig Assoziationen einer von Robotern überwachten Grenze weckt: Tatsächlich wird der Einsatz unbemannter Luft-, Land- und (Unter-)Wasserfahrzeugen für den Grenzschutz erprobt. Matthias Monroy schreibt hierzu auf Telepolis: ?Die Tests erfolgen unter anderem auf der griechischen Insel Kos in der Ägäis. Die Aufnahmen laufen dort in einem mobilen Lagezentrum zusammen. Das Fahrzeug stammt von dem deutschen Hersteller Elettronica aus Meckenheim in Nordrhein-Westfalen und basiert auf einem Mercedes Sprinter. Unter der Produktlinie 'Öffentliche Sicherheit' wird es als 'Multirole operations support vehicle' (MUROS) verkauft?. Solche Fahrzeuge kommen demnach auch in Deutschland bereits bei Demonstrationen zum Einsatz: ?Als 'Beweissicherungs- und Dokumentationskraftwagen' (BeDoKw) mit ausfahrbaren, vier Meter langen Masten mit Videokameras und Mikrofonen fahren die MUROS unter anderem auf Demonstrationen und übermitteln die Bilder in hoher Auflösung an die zuständige Einsatzleitung oder an mobile Greiftrupps [...] Eines der Mikrofone verfügt über Richtcharakteristik, auf diese Weise werden beispielsweise Redebeiträge in das polizeiliche Hauptquartier übertragen?.[17] Innovationspark Baden-Württemberg Das Land Baden-Württemberg hat bereits einen dreistelligen Millionenbetrag in das Cyber Valley investiert. Hinzu kommen Gelder des Bundes, u.a. für das ebenfalls auf dem Technologiepark ansässige ?Tübinger AI Center?. Im Dezember 2020 wurde bei einer Videokonferenz mit Kanzlerin Merkel, dem Ministerpräsidenten des Landes, der EU-Vizekommissarin für Digitalisierung und mehreren Vertretern des Cyber Valley (davon zwei nebenberuflich bei Amazon beschäftigt) ein ?AI Breakthrough Hub? ins Leben gerufen, in den ein weiterer dreistelliger Millionenbetrag von Bund, Land und privaten Investor*innen fließen soll.[18] Außerdem hatte das Land angekündigt, den Aufbau eines ?KI-Innovationsparks Baden-Württemberg? mit 50 Mio. Euro zu unterstützen ? falls sich die beteiligten Kommunen mit Eigenmittel in derselben Höhe einbringen. Eine entsprechende Machbarkeitsstudie war im Dezember 2019 in Auftrag gegeben worden, ist aber noch nicht abgeschlossen. Trotzdem wurde Ende November 2020 das Wettbewerbsverfahren unter den interessierten Kommunen eröffnet. Die Frist für die Bewerbung endete bereits zwei Monate später, nämlich am 29.1.2021. Das war natürlich ein knapper Zeitrahmen, um innerhalb der Kommunen zu diskutieren, ob und wie ein solcher Innovationspark überhaupt wünschenswert wäre. Dabei hat es die eilig doch noch veröffentlichte vorläufige Fassung der Machbarkeitsstudie durchaus in sich: Darin werden u.a. ?Testgelände mit regulatorischen Freiräumen zur Erprobung neuer KI-Technologien ('Large Scale') und Reallaboren (insb. Biolabor, Robotiklabor, Fahrlabor, Fluglabor) für die Datengewinnung bzw. Validierung sowie die Etablierung eines KI-Lifestyles? angestrebt. An anderer Stelle ist von ?Testfelder[n] mit integrierter Sensorik, Flugfelder[n] für Drohnen, Start- und Landeplätze für autonome Flugtaxis? die Rede.[19] Dass das Cyber Valley in diesem ?Wettbewerbsverfahren? eine gute Startposition einnimmt, war von Anfang an klar. Letztlich entschieden sich die Verwaltungen in Tübingen, Reutlingen, Stuttgart und Karlsruhe für eine gemeinsame Bewerbung, wobei Reutlingen die größte Fläche auf dem Gelände einer ehemaligen Spedition bereitstellt. Tübingen will sich mit den verbliebenen kleinen Flächen im Technologiepark beteiligen und die restlichen Eigenanteile finanziell erbringen. Auch Stuttgart und Karlsruhe werden im Zuge des Bewerbungsverfahrens weitere Flächen für die KI-Forschung reservieren. Letztlich wird es also nicht den einen KI-Innovationspark geben, sondern mehrere kleine, die an bestehende Cluster andocken. Das von den drei Regionen gemeinsam vorgelegte Eckpunkte-Papier zur Bewerbung sieht demnach vor, ?dass ein branchenübergreifender, integrierter Experimentier- und Datenraum für KI-Innovationen der neuen Generation entsteht. In vernetzten Testfeldern und Labs werden Entwicklung und Erprobung innovativer KI-Lösungen in realen Umgebungen möglich gemacht?.[20] Durch die großräumige Verteilung des ?Innovationsparks? wird letztlich ein weiterer Cluster öffentlicher Förderung und wissenschaftlich-unternehmerischer Vernetzung entstehen, der an bestehende Cluster und damit auch die in den Frontexfiles zum Vorschein gekommene militärisch-grenzpolizeiliche Industrie anknüpfen kann. Besonders spannend wird dabei die Rolle des Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB), das beispielsweise Teil des wiederum aus Bundesmitteln geförderten ?Digital Hub Karlsruhe für angewandte Künstliche Intelligenz? ist. Das Fraunhofer IOSB führt zahlreiche Forschungsprojekte für das Verteidigungsministerium durch, darunter die verbesserte Bildauswertung von Bundeswehrdrohnen und Darstellungen multisensorieller Aufklärungssysteme an einem ?digitalen Lagetisch?. Es war an mehreren Forschungsprojekten des Bundes und der EU beteiligt, die darauf abzielten, illegale Migration mithilfe von Satelliten, Drohnen und Sensorbojen zu detektieren und hat sich u.a. darum bemüht, von der Bundeswehr u.a. in Afghanistan eingesetzte Drohnenmodelle für den Schweizer Grenzschutz umzurüsten.[21] Zuletzt führt das Fraunhofer IOSB auch das Pilotprojekt zur ?intelligenten Videoüberwachung? am Mannheimer Hauptbahnhof durch. Auch hierbei handelt es sich gewissermaßen um einen ?regulatorischen Freiraum zur Erprobung neuer KI-Technologien? bzw. ?Reallabor für die Datengewinnung bzw. Validierung?. Anmerkungen [1] https://frontexfiles.eu/. [2] Matthias Monroy: Frontex Files - Der militärisch-grenzpolizeiliche Komplex, netzpolitik.org (05.02.2021). [3] https://corporateeurope.org/en/lobbying-fortress-europe [4] Christoph Marischka: EU-Kommission - (Diese) Industriepolitik ist Rüstungspolitik, Telepolis (12.11.2019). [5] Thomas Wiegold: Studie fürs ?gläserne Gefechtsfeld?, augengeradeaus.net (16.04.2019). [6] ?Airbus and Thales join forces to develop the Air Combat Cloud for Future Combat Air System?, Pressemitteilung der Thales Group (20.02.2020). [7] Matthias Monroy: Frontex Files - Der militärisch-grenzpolizeiliche Komplex, netzpolitik.org (05.02.2021). [8] ?in-innovative navigation GmbH installiert ein lokales Überwachungssystem zur Sicherung der EU-Außengrenzen in Kroatien?, Pressemitteilung der in Gmbh (29.10.2013). [9] https://cyber-valley.de/. [10] Christoph Marischka: Cyber Valley, MPG und US-Geheimdienste, IMI-Studie 3/2020. [11] https://www.esa-bic-bw.de/de/. [12] ?Reutlingen ist Start-up-Standort der ESA?, IHK Reutlingen (13.04.2018). [13] ?NEC Laboratories Europe und Cyber Valley Forschungseinrichtungen unterzeichnen MoU?, Pressemitteilung des Cyber Valley (19.11.2020). [14] NEC: Behaviour Detection Solution, Safer Cities. [15] Bosch: Creating a more secure world and new value for businesses with Video analytics. [16] Forontexfiles.eu: Main outcomes - Industry day VMM_redacted.pdf. [17] Matthias Monroy: Für jede Repression zu haben - Das MUROS aus Meckenheim, Telepolis (28.08.2019). [18] Rede von Bundeskanzlerin Merkel zum Startschuss für das "AI Breakthrough Hub" am 17. Dezember 2020 (Videokonferenz), bundeskanzlerin.de. [19] CBRE GmbH: Machbarkeitsstudie zum Innovationspark KI (Vorgezogener Ergebnisbericht für das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg, wirtschaft-digital-bw.de. [20] ?Zusammen für den Erfolg der Künstlichen Intelligenz im Land?, Pressemitteilung auf stuttgart.de (29.01.2021). [21] Christoph Marischka: Fraunhofer IOSB - Dual Use als Strategie, IMI-Studie 2017/02. From imi at imi-online.de Thu Mar 4 15:45:47 2021 From: imi at imi-online.de (IMI-JW) Date: Thu, 4 Mar 2021 15:45:47 +0100 Subject: [IMI-List] [0585] (Euro)Drohnen-Reihe / Studien Zivilklausel & China / Neue Texte Message-ID: ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0585 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List findet sich 1.) der Hinweis auf eine Drohnen-Vortragsreihe im Vorfeld der Bundestagsabstimmung über die Gelder für die Eurokampfdrohne am 24. März (und neue Texte zum Thema); 2.) Hinweise auf neue IMI-Texte (u.a. Studien zu den Themen Zivilklausel und China) 3.) Hinweise auf weitere neue IMI-Artikel (u.a. zum KSK, zur Debatte in der LINKEN, Mali?) 1.) Drohnen-Vortragsreihe / Eurodrohnen-Artikel Am 24. März steht die Entscheidung über die Bewilligung der Gelder zum Bau einer Eurokampfdrohne an. Im Vorfeld wird es u.a. eine Veranstaltungsreihe mir drei Vorträgen bzw. Diskussionen geben. Am 11. März zum türkischen Drohnenkrieg um Berg-Karabach, am 14. März zum Einsatz von Bundeswehrdrohnen in Afghanistan und am 18. März zum Luftkampfsystem FCAS. Näheres, zB alle Einwahlmodalitäten etc, unter https://drohnen-kampagne.de/ Siehe auch zum aktuellen Stand in Sachen Eurokampfdrohne: IMI-Standpunkt 2021/12 Bahn frei für die Eurokampfdrohne? Überquert die SPD am 24. März den Rubikon? http://www.imi-online.de/2021/03/04/bahn-frei-fuer-die-eurokampfdrohne/ Jürgen Wagner (4. März 2021) Dazu passend auch der folgende soeben erschienene Artikel: IMI-Standpunkt 2021/13 - in: Friedensforum 2/2021 Autonome Waffen und die Politik Die Haltung von Bundesregierung und Bundestag zum Themenkomplex Autonome Waffen http://www.imi-online.de/2021/03/04/autonome-waffen-und-die-politik/ Tobias Pflüger (4. März 2021) 2.) Neue IMI-Studien (Zivilklausel und China) Seit der IMI-List sind zwei neue IMI-Studien erschienen: IMI-Studie 2021/03 Zivilklauseln Hochschulen zwischen Vision und Realpolitik http://www.imi-online.de/2021/03/04/zivilklauseln/ Elena Bertram (4. März 2021) IMI-Studie 2021/2 China gegen den Rest der Welt? Zur Neuordnung der Weltpolitik http://www.imi-online.de/2021/02/15/china-gegen-den-rest-der-welt/ Andreas Seifert (15. Februar 2021) 3.) Neue Texte auf der IMI-Homepage Seit der letzten IMI-List sind wieder zahlreiche neue Texte zu einer ganzen Reihe brandaktueller Themen erschienen: Zum KSK, zur Debatte innerhalb der Partei die LINKE, zur Münchner Sicherheitskonferenz, über das Positionspapier zur Zukunft der Bundeswehr und die ?Vision 2032 der Reserve sowie über die Luftangriffe der französischen Armee in Mali. Außerdem erschienen ist die inzwischen 24. Ausgabe unseres Antimilitaristischen Podcasts (Themen: Abschiebungen Afghanistan - Atomwaffenverbotsvertrag ? PTBS). IMI-Standpunkt 2021/011 KSK auflösen! Rede zur Kundgebung "KSK abschaffen!" des OTKM Stuttgart am 27.2. 2021 http://www.imi-online.de/2021/03/04/ksk-aufloesen/ IMI (4. März 2021) IMI-Standpunkt 2021/010 - in: Zivilcourage 1-2021 Angriff auf linke Friedenspolitik Linke-Politiker Matthias Höhn legt Konzept vor, das dem Parteiprogramm widerspricht http://www.imi-online.de/2021/02/24/angriff-auf-linke-friedenspolitik/ Tobias Pflüger (24. Februar 2021) IMI-Standpunkt 2021/009 ?Narretei des Krieges? ? ?Oase der Ehrlichkeit? Münchner Sicherheitskonferenz gegen Russland, China und für mehr Militäreinsätze http://www.imi-online.de/2021/02/20/narretei-des-krieges-oase-der-ehrlichkeit/ Jürgen Wagner (20. Februar 2021) IMI-Standpunkt 2021/008 - in: UZ, 19.2.2021 Teure Zukunft der Bundeswehr Positionspapier fordert Outsourcing der Rüstungskosten http://www.imi-online.de/2021/02/19/teure-zukunft-der-bundeswehr/ Jürgen Wagner (19. Februar 2021) IMI-Analyse 2021/07 Vision Reserve 2032+ Zurück in die Zukunft eines neuen Kalten Krieges http://www.imi-online.de/2021/02/17/vision-reserve-2032/ Martin Kirsch (17. Februar 2021) IMI-Mitteilung Antimilitaristischer Podcast Ausgabe 24 Abschiebungen Afghanistan - Atomwaffenverbotsvertrag - PTBS http://www.imi-online.de/2021/02/17/antimilitaristischer-podcast-ausgabe-24/ (17. Februar 2021) IMI-Standpunkt 2021/007 Black Box Bounti Drohne gegen Aussage http://www.imi-online.de/2021/02/17/black-box-bounti/ Christoph Marischka (17. Februar 2021) IMI-Standpunkt 2021/006 Afghanistan: Rückzug vom Abzug ? Abschiebungen gehen weiter http://www.imi-online.de/2021/02/15/afghanistan-rueckzug-vom-abzug-abschiebungen-gehen-weiter/ Jürgen Wagner (15. Februar 2021) IMI-Standpunkt 2021/006 Kein Schattenhaushalt für die Bundeswehr http://www.imi-online.de/2021/02/10/kein-schattenhaushalt-fuer-die-bundeswehr/ Tobias Pflüger (10. Februar 2021) From imi at imi-online.de Fri Mar 12 13:17:09 2021 From: imi at imi-online.de (IMI-JW) Date: Fri, 12 Mar 2021 13:17:09 +0100 Subject: [IMI-List] [0586] AUSDRUCK: Kongressdokumentation Katastrophenpolitik / Artikel: Bundeswehr & Rechtsextremismus Message-ID: ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0586 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List findet sich 1.) die März-Ausgabe des IMI-Magazins AUSDURCK (Schwerpunkt ist die Dokumentation des IMI-Kongresse ?Politik der Katastrophe?); 2.) eine IMI-Analyse zu neuen Erkenntnissen über rechtsextreme Umtriebe in der Bundeswehr. 1.) AUSRUCK (März 2021) ? Schwerpunkt: Katastrophenpolitik Soeben ist die neue Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK erschienen. Sie dokumentiert als Schwerpunkt die Beiträge auf dem letzten IMI-Kongress ?Politik der Katastrophe?. Die Ausgabe kann wie immer vollständig hier heruntergeladen werden: https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-Maerz-2021-Web.pdf SCHWERPUNKT: KATASTROPHENPOLITIK -- Editorial (Christoph Marischka) -- Schock-Doktrin: Plündern und Rauben (Jacqueline Andres) -- Corona-Ausnahmezustand und ?neue Normalität? (Rolf Gössner) -- Die Bundeswehr als Krisenakteur im Inland (Martin Kirsch) -- Coronaprofiteur Bundeswehr (Tobias Pflüger) -- (Tech)Geopolitik in der Pandemie (Christoph Marischka) -- China gegen den Rest der Welt? (Andreas Seifert) -- Die Rohstoffe der Elektromobilität (Gertrud Falk) -- Aufstandsbekämpfung im Sahel (ffm-online) -- Chile und die aktuellen Proteste (Valeria Bustamante) MAGAZIN Deutschland und die Bundeswehr -- Der heilbare Krieg: Diskurse um Bundeswehr-Traumatisierung und PTBS (Thomas Rahmann) -- Keine Abschiebung nach Afghanistan (Jacqueline Andres) -- Glutkern des Westens: NATO-Manifest aus der Böll-Stiftung (Jürgen Wagner) -- Die Frontex-Files und das Cyber Valley (Christoph Marischka) -- Hannibal-Komplex: Kontrollgremium bestätigt Existenz rechter Netzwerke (Luca Heyer) -- Angriff auf Linke Friedenspolitik: Matthias Höhn legt problematisches Konzept vor (Tobias Pflüger) Auslandseinsätze, Kriegsverbrechen und Straffreiheit -- Allons Enfants? Umstrittene französische Luftangriffe in Mali (Christoph Marischka) -- Black Box Bounti: Drohne gegen Aussage (Christoph Marischka) -- Gesetzeslose Soldaten: Wie Regierungen Kriegsverbrecher vor Bestrafung schützen (Pablo Flock) Nato -- NATO 2030: Neuer Markenkern Großmachtkonkurrenz (Jürgen Wagner) Sonstige -- Völkerrechtswidrige Besatzungen: Palästina und West-Sahara (Pablo Flock ) -- Etappensieg gegen Rheinmetall? Italien stoppt Rüstungsexporte (Jacqueline Andres) 2.) Artikel über neue Erkenntnisse zum Hannibal-Komplex IMI-Analyse 2021/13 - in: AUSDRUCK (März 2021) Hannibal-Komplex Parlamentarisches Kontrollgremium bestätigt Existenz rechter Netzwerke http://www.imi-online.de/2021/03/09/hannibal-komplex/ Luca Heyer (9. März 2021) Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) ist für die Kontrolle der Geheimdienste des Bundes zuständig und überwacht den Bundesnachrichtendienst (BND), den Militärischen Abschirmdienst (MAD bzw. BAMAD) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Die Bundesregierung ist nach dem Kontrollgremiumgesetz dazu verpflichtet, das PKGr umfassend über die allgemeinen Tätigkeiten der Nachrichtendienste und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. Die Abgeordneten, die dem PKGr angehören, haben dadurch einen besonders privilegierten Zugang zu sensiblen Informationen, dürfen aber nicht bzw. nur bedingt über diese sprechen. Im Dezember 2020 veröffentlichte das PKGr seinen Bericht über ?Erkenntnisse, Beiträge und Maßnahmen von Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst, Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst zur Aufklärung möglicher rechtsextremistischer Netzwerke mit Bezügen zur Bundeswehr?.[1] Dieser Bericht stellt den Geheimdiensten, insbesondere dem MAD, kein gutes Zeugnis aus. Grundlage des Berichts sind die Untersuchungen eines Ständigen Bevollmächtigten des PKGr, der den Geheimdiensten ?auf die Finger schaute?. Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) hatte seit einigen Jahren immer wieder über das Problem mit Neonazis in der Bundeswehr, besonders beim Kommando Spezialkräfte (KSK), berichtet. 2019 wurden in der IMI-Studie 2019/04b ausführliche Rechercheergebnisse über das Hannibal-Netzwerk veröffentlicht. Seitens der Bundesregierung war jahrelang geleugnet worden, dass überhaupt ein Problem bestehe. Die gefährlichen rechten Netzwerke in den Sicherheitsbehörden wurden schlicht geleugnet, z.B. in der Antwort auf eine Kleine Anfrage[2] 2019: ?Dem MAD liegen keine Erkenntnisse vor, dass im Umfeld des KSK rechtsterroristische Netzwerke existieren würden oder im Entstehen begriffen wären. [...] Die Bundesregierung hat keine Erkenntnisse über das angebliche Bestehen einer derartigen Gruppe.? Im Bericht des PKGr, dem auch Vertreter*innen der Regierungsparteien angehören, wird die Existenz solcher rechtsterroristischen Netzwerke nun allerdings doch eingeräumt. So ist die Rede von einer ?besorgniserregende[n] reale[n] und digitale[n] Vernetzung?. Es gebe ?rechtsextreme organisierte Strukturen (Netzwerke) mit Bezügen zur Bundeswehr und anderen Sicherheitsbehörden?. Bei Polizei und Geheimdiensten in Bund und Ländern seien ?eine Reihe von Beschäftigten mit rechtsextremistischem ? auch gewaltorientiertem ? Gedankengut tätig?. Diese stünden ?wenn auch nicht alle mit allen, so doch in verschiedenen Kreisen in unterschiedlich intensiven Verbindungen zueinander?. Kontakte zwischen den Teilbereichen des Netzwerks bestünden vor allem über die Administratoren der rechten Chatgruppen. Die Protagonisten des Netzwerks seien wegen ihrer ausgeprägten Waffenaffinität, ihrer beruflichen Erfahrung bei Spezialkräften der Bundeswehr, der Polizei und weiteren Behörden und ihrem privilegierten Zugang zu Waffen gefährlich. Der sorglose Umgang mit Waffen und Munition bei den Behörden hätte begünstigt, ?dass Schusswaffen und Munition, die zu einem großen Teil aus den Beständen der Bundeswehr und sonstiger Spezialeinheiten der Polizeien stammen, für die Protagonisten unbemerkt zu entwenden waren.? Eine Vielzahl der handelnden Personen in dem Netzwerk stünden in Kontakt zur Identitären Bewegung, dem ?Flügel? der AfD, der Jungen Alternative und rechtsextremen Burschenschaften. Außerdem begrüßt das PKGr, dass der Verein Uniter, der ebenfalls Teil des Netzwerks ist und militärtaktische Trainings angeboten hatte, nun vom BfV als Verdachtsfall eingestuft wurde, weil tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bestehen. Der Bericht resümiert mit der Feststellung, es seien viele Fälle zutage getreten, ?in denen aktive und pensionierte Angehörige von Sicherheitsbehörden [?] im Dienst erworbene Fähigkeiten und sicherheitsrelevantes Spezialwissen in gewaltbereiten Zusammenschlüssen [?] gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland einsetzen.? Insoweit deckt sich die Einschätzung des PKGr weitgehend mit den 2019 veröffentlichten Rechercheergebnissen der IMI. Die durchaus existenten Pläne, politische Gegner*innen an einem Tag X zu ermorden, werden im Bericht des PKGr jedoch nicht erwähnt; es gebe zudem ?derzeit keine Beweise für eine ?Schattenarmee?, die einen gewaltsamen Umsturz plant.? Es ist lediglich davon die Rede, es seien ?Listen von Personen des öffentlichen Lebens zu einem nicht bekannten Zweck? angefertigt worden. Der Zweck dieser Listen ist allerdings durchaus bekannt ? z.B. aus den Vernehmungen des Nordkreuz-Mitglieds Horst S., der aussagte, die Personen auf den Listen sollten ?weg?. Dafür habe es auch konkrete Planungen gegeben. Auch die Tatsache, dass bei Nordkreuz die Bestellung von 200 Leichensäcken und Ätzkalk geplant war, spricht in diesem Zusammenhang für sich.[3] Rolle der Geheimdienste Die Bewertung der Arbeit der Geheimdienste in diesem Komplex fällt allerdings wieder ähnlich aus wie in der IMI-Studie 2019/04b. Die IMI hatte damals geschrieben: ?[?] nicht nur der MAD ist mit in das Netzwerk verstrickt; auch die Verfassungsschutzbehörden in Baden-Württemberg und Bayern [?]. Es tummeln sich also allerlei Geheimdienst-Mitarbeiter*innen um den Verein. Doch auch das könnte nur die Spitze des Eisbergs sein: UNITER bezeichnet sich selbst als Netzwerk für ?SOF and Intelligence?, also Spezialkräfte und Geheimdienste.? Die Geheimdienste waren zudem auch an der jahrelangen Leugnung rechter Netzwerke in den Behörden beteiligt. Sie sind also nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Das PKGr erkennt in seinem Bericht zumindest ein massives Versagen der Geheimdienste an: ?Im Laufe der Untersuchung wurde deutlich, dass der BAMAD seine Aufgaben in der Bekämpfung des Rechtsextremismus und bei der Spionageabwehr der Bundeswehr nicht in hinreichendem Maße wahrgenommen hat. [?] Der im Rahmen der Ermittlungen zutage getretene Informationsabfluss aus dem BAMAD an das KSK zeigt Mängel in der professionellen Distanz einzelner Beschäftigter bei der Aufgabenwahrnehmung.? Wegen mangelnder Kooperation mit anderen Diensten und Strafverfolgungsbehörden komme es zu ?Erkenntnislücken und Analysedefiziten, die auch Auswirkungen auf die Beweisführung im Strafprozess haben können.? In diesem Bereich habe auch das BfV versagt: Die Zusammenarbeit mit der Polizei und anderen Geheimdiensten sei ?nicht befriedigend und unzureichend abgestimmt? gewesen. Konsequenzen? Es bleibt die Frage, welche Konsequenzen aus dem Befund gezogen werden müssen, dass sich ein brandgefährliches rechtsterroristisches Netzwerk in Bundeswehr, Polizei und Geheimdiensten bilden konnte. Die Empfehlungen des PKGr sind in dieser Frage nicht weitgehend genug bzw. werden dem Problem nicht gerecht. So wird neben eher begrüßenswerten Maßnahmen wie einer Verschärfung des Waffenrechts auch empfohlen, die Geheimdienste weiter zu stärken und Speicherfristen zu verlängern, was das Problem nicht löst. Die Verfassungsschutzbehörden und der MAD müssen aufgelöst werden! Sie waren offensichtlich nicht in der Lage oder nicht willens, rechte Netzwerke mit Terrorplänen effizient zu bekämpfen oder die Regierung in dieser Thematik so zu beraten, dass sie die Problematik ernst nimmt. Dies zeigte sich auch schon beim Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), der jahrelang trotz zahlreicher V-Leute im direkten Umfeld ungestört morden konnte, was bis heute nur mangelhaft aufgeklärt wurde. Auch hier versagten MAD und Verfassungsschutz oder ? noch schlimmer ? sie behinderten die Aufklärung sogar. Es lassen sich in der Vergangenheit noch mehr ähnliche Fälle finden. Aus ihrem eigenen Versagen bzw. Fehlverhalten gehen die Geheimdienste immer wieder gestärkt hervor ? nur um dann wenige Jahre später erneut zu ?versagen?. Hier scheint ein strukturelles Problem vorzuherrschen. Dieses kann nur durch die Auflösung dieser Behörden gelöst werden ? Reformen ändern nichts an den Ursachen für den momentanen Zustand, wie z.B. den NS-Kontinuitäten der betreffenden Behörden. Dies betrifft im Übrigen auch die Polizei und die Bundeswehr. Wichtig ist jetzt, dass schonungslos aufgeklärt wird und rechte Netzwerke unschädlich gemacht werden. Der vollständige Bericht des Ständigen Bevollmächtigten des PKGr ist als geheime Verschlusssache eingestuft, sodass nicht einmal die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss oder Innenausschuss des Bundestags diesen lesen dürfen. Transparenz sieht anders aus. Auch von den Waffendepots des Hannibal-Netzwerks wurde nur ein Bruchteil gefunden und fast alle Beteiligten sind aktuell auf freiem Fuß ? es besteht also immer noch ein erhebliches Gefahrenpotenzial. Hier muss ? insbesondere nach den Erkenntnissen des PKGr ? endlich das gesamte Netzwerk als Ganzes in den Blick genommen und die Mär der vielen ?Einzeltäter? aufgegeben werden. Nur dann kann die Gefahr, die vom Hannibal-Netzwerk ausgeht, nachhaltig gebannt werden. Prozess gegen KSK-Soldat Dafür könnte es allerdings auch bereits zu spät sein. Momentan läuft in Leipzig der Prozess gegen den ehemaligen rechtsextremen KSK-Soldaten Philipp Sch., in dessen Garten im Sommer 2020 ein gewaltiges Waffendepot mit Waffen und Sprengstoff aus Bundeswehrbeständen ausgehoben wurde. Angeklagt ist er nur wegen dieser Verstöße gegen das Waffengesetz bzw. Sprengstoffgesetz. Der Prozess wird damit voraussichtlich leider nicht aufklären, wofür die Waffen gedacht waren. Ebenso wird die Frage ungeklärt bleiben, inwiefern Philipp Sch. sich in das Hannibal-Netzwerks einfügt. Ermittler*innen fanden auf seinem Telefon die Nummern von Polizisten, die zu Nordkreuz gehören.[4] Die meisten KSK-Soldaten, die Teil des Hannibal-Netzwerks waren, kannte Sch. aus der gemeinsamen Zeit in der 2. Einsatzkompanie des KSK. Die Indizien, die dafür sprechen, dass Sch. mit diesen Personen Tag-X-Pläne schmiedete bzw. Terroranschläge plante, sind erdrückend. Um dies aber abschließend aufzuklären, hätte jedoch nicht nur (wie bei fast allen Protagonisten des Netzwerks) wegen der Waffen und des Sprengstoffs ermittelt werden müssen, sondern wegen der Bildung bzw. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Dies scheint aber seitens des Staates so nicht gewollt, weil dann womöglich noch unangenehmere Wahrheiten ans Licht kommen könnten. Anmerkungen [1]                                             Deutscher Bundestag: Unterrichtung durch das Parlamentarische Kontrollgremium. Erkenntnisse, Beiträge und Maßnahmen von Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst, Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst zur Aufklärung möglicher rechtsextremistischer Netzwerke mit Bezügen zur Bundeswehr. Drucksache 19/25180. 11.12.2020. [2]                                             Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Tobias Pflüger, Christine Buchholz, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Drucksache 19/7513. 4.2.2019. [3]                                             Der Tagesspiegel: 200 Leichensäcke und Ätzkalk bestellt. Rechtsextremes Netzwerk plante Attentate auf politische Gegner. 28.6.2019. [4]             Taz: KSK-Soldat vor Gericht: Waffen, Hitlerbilder, Hetzschriften. 22.1.2021. From imi at imi-online.de Tue Apr 6 16:11:58 2021 From: imi at imi-online.de (IMI-JW) Date: Tue, 6 Apr 2021 16:11:58 +0200 Subject: [IMI-List] =?utf-8?q?=5B0587=5D_Bounti_/_Ostermarsch_/_Neue_Arti?= =?utf-8?q?kel_=28EU-Mosambik_/_BND=E2=80=A6=29?= Message-ID: <89b93d48-8a9f-65bd-4776-db321153015a@imi-online.de> ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0587 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, vorab möchten wir darauf hinweisen, dass die Informationsstelle Militarisierung plant, zukünftig verstärkt mit dem Projekt Migration Control zusammenzuarbeiten, in dem es darum geht, die Vorverlagerung der europäischen Grenzen auf dem Afrikanischen Kontinent zu dokumentieren. Ein erstes Ergebnis hiervon ist ein ausführlicher, lexikalischer Eintrag zur UN-Mission MINUSMA in Mali, den die IMI für das Glossar/Wiki des Projekts beigesteuert hat: https://migration-control.info/wiki/minusma-und-militaerische-operationen/ Darüber hinaus findet sich in dieser IMI-List: 1.) Der Hinweis zur Rede von Tobias Pflüger auf dem Ostermarsch in Stuttgart; 2.) Hinweise auf weitere Texte, u.a. zum geplanten EU-Einsatz in Mosambik und zum Bundesnachrichtendienst; 3.) Ein aktuellen Beitrag über die französischen Luftschläge Anfang Januar in Mali, bei denen nun auch nach Untersuchungen der UN ganz überwiegend Zivilisten getötet wurden. 1.) Rede von Tobias Pflüger auf dem Ostermarsch in Stuttgart Trotz Pandemie fanden auch in diesem Jahr an zahlreichen Orten Ostermärsche statt. IMI war u.a. in Stuttgart vertreten, wo IMI-Vorstand Tobias Pflüge eine der Reden hielt, die hier nachgelesen (und nachgehört bzw. geschaut) werden kann: IMI-Standpunkt 2021/018 ?Rüstet endlich ab!? Rede von Tobias Pflüger beim Ostermarsch in Stuttgart http://www.imi-online.de/2021/04/04/ruestet-endlich-ab/ (4. April 2021) 2.) Neue Texte auf der Homepage Neben den bereits erwähnten Artikeln zum geplanten EU-Einsatz in Mosambik und dem Bundesnachrichtendienst erschienen in letzter Zeit außerdem IMI-Texte zur neuen EU-Friedensfazilität zur Finanzierung von EU-Militäreinsätzen und Waffenlieferungen, zu Digitalisierung und KI bei der Bundeswehr, zum neuesten Stand in Sachen Eurodrohne und zu den jüngst veröffentlichten ?Eckwerten des Bundeshaushaltes?, in denen für das kommende Jahr eine nochmalige Erhöhung des Militärbudgets anvisiert wird. IMI-Analyse 2021/18 Mosambik: EU-Einsatz und Flüssiggas https://www.imi-online.de/2021/04/06/mosambik-eu-einsatz-und-fluessiggas/ Jürgen Wagner (6. April 2021) IMI-Analyse 2021/16 Legal, Illegal, Scheißegal Die Arbeitsweise des BND und ihre Opfer https://www.imi-online.de/2021/03/22/legal-illegal-scheissegal/ Nina Rupprecht (22. März 2021) IMI-Analyse 2021/17 Krieg ist Frieden EU-Friedensfazilität als Anreizsystem für Militäreinsätze und Waffenlieferungen https://www.imi-online.de/2021/03/31/krieg-ist-frieden/ Jürgen Wagner (31. März 2021) IMI-Standpunkt 2021/016 Digitalisierung und KI bei der Bundeswehr Einige Schlaglichter https://www.imi-online.de/2021/03/26/digitalisierung-und-ki-bei-der-bundeswehr/ Christoph Marischka (26. März 2021) IMI-Standpunkt 2021/015 (Update: 29.3.2021) Eurodrohne: Groschengrab mit Ansage http://www.imi-online.de/2021/03/26/eurodrohne-groschengrab-mit-ansage/ Jürgen Wagner (26. März 2021) IMI-Standpunkt 2021/014 - in: junge Welt, 24.3.2021 Rüstung trotz Pandemie Veröffentlichung der Eckwerte des Bundeshaushaltes http://www.imi-online.de/2021/03/24/ruestung-trotz-pandemie/ Jürgen Wagner (24. März 2021) 3.) Beitrag über französische Luftangriffe auf Zivilisten in Mali IMI-Standpunkt 2021/017 Mali: Bounti war ein Massaker Untersuchungsbericht bestätigt Vorwürfe gegen Frankreich https://www.imi-online.de/2021/04/01/mali-bounti-war-ein-massaker/ Christoph Marischka (1. April 2021) Französische Luftschläge in Mali Anfang Januar trafen laut der UN-Mission MINUSMA primär Zivilisten. Frankreich bleibt bei seiner Darstellung, dass nur Terroristen getötet wurden und verweist auf Drohnen-Aufnahmen, die nicht öffentlich sind. Anfang Januar 2021: Nachdem kurz zuvor die erste weibliche Angehörige der französischen Operation Barkhane in Mali getötet worden und die Zahl der französischen Gefallenen dort auf insgesamt 50 gestiegen war, führt die französische Armee nahe dem Dorf Bounti im Osten Malis Luftschläge durch. Nach Angaben des französischen Verteidigungsministeriums wurden dabei etwa 30 Menschen ?neutralisiert?, die zuvor zweifelsfrei als Angehörige einer terroristischen Gruppe (groupes armés terroristes, GAT) identifiziert worden waren. Später legte auch die französische Verteidigungsministerin dafür ihre Hand ins Feuer und setzte noch einen drauf: Wer anders lautende ?Gerüchte? verbreite, spiele den ?Terroristen? in die Hände. Auch die malische Regierung, deren Truppen in jener Zeit und in jener Region gemeinsam mit Barkhane die Operation Éclipse durchführten, machte sich die französische Darstellung zu eigen und bezeichnete abweichende Berichte als ?tendenziös?, mit dem Ziel, ?die gute Arbeit der malischen Armee und ihrer Partner? zu diskreditieren. Allerdings erschienen die Berichte, nach denen im betreffenden Ort zeitgleich eine Hochzeitsfeier stattgefunden habe und deren Gäste Opfer der Luftschläge wurden, einigen großen nationalen und internationalen Medien glaubhaft genug, um sie zu zitieren. Auch die humanitäre Organisation ?Ärzte ohne Grenzen?, die einige der Verwundeten versorgte, deutete subtil an, dass Zweifel an der französischen Darstellung gerechtfertigt sein könnten. Die UN-Truppe MINUSMA, die mit gut 15.000 bewaffneten Kräften vor Ort ist und an sich eng mit der malischen und französischen Armee kooperiert, sah sich genötigt, die Luftschläge zu untersuchen. Am 30. März stellte deren Abteilung für Menschenrechte und den Schutz der Zivilbevölkerung ihren Bericht vor und veröffentlichte eine Zusammenfassung. Demnach waren unter den 22 Menschen, die bei den Luftschlägen getötet wurden, 19 Zivilisten gewesen, von denen die Mehrheit in Bounti lebt. Mindestens acht weitere Zivilisten seien im Zuge der Luftangriffe verletzt worden. Bei drei der Getöteten hingegen habe es sich um mutmaßliche Angehörige der Gruppe Katiba Serma gehandelt, die als djihadistisch gilt. Insgesamt seien rund einhundert Männer anwesend gewesen, von denen fünf bewaffnet gewesen seien. Anlass für die Versammlung war demnach tatsächlich eine Hochzeit, bei der Männer und Frauen getrennt voneinander zusammen kamen. Auch diesbezüglich widersprechen die Ermittlungen der UN-Mission explizit der Darstellung der französischen Verteidigungsministerin. Diese hatte sich festgelegt: ?Man hört immer wieder von einer Hochzeit, es gab aber kein festliches Beisammensein, als die Luftschläge stattfanden?. Die Zusammenfassung des UN-Berichts bleibt allerdings diplomatisch und stellt fest, dass der Vorfall in Bounti ?erhebliche Bedenken? an der Einhaltung des humanitären Kriegsvölkerrechtes aufwerfe und empfiehlt der französischen und der malischen Regierung, eine ?unabhängige Untersuchung? einzuleiten. Der Begriff selbst taucht in dem Dokument nicht auf, letztlich wirft die UN-Mission ihren Verbündeten in Mali aber ein Kriegsverbrechen vor und nach allen vorliegenden Fakten liegt ein solches auch vor. Die einzigen, die dies bestreiten, sind letztlich die französische Regierung und die von ihr gestützte malische Politik. Frankreich beruft sich dabei auf ?Aufklärungsergebnisse in Echtzeit? ? womit sie vor allem Drohnenaufnahmen meint ? die sie aber natürlich nicht öffentlich machen will. Frühere Berichte von Augenzeugen, wonach auch ein Helikopter am Angriff auf die Bewohner*innen beteiligt gewesen sei, werden durch den Bericht der MINUSMA nicht bestätigt. Bislang hält sich die internationale Berichterstattung über das Massaker bei Bounti in Grenzen. Das hat bereits Mitte Januar den Journalisten Azad Essa, der in New York für Middle East Eye schreibt, empört: ?Frankreich hat womöglich eine Hochzeitsfeier bombardiert ? und niemanden scheint das zu stören?, entrüstet er sich bereits im Titel. Besonders eklatant allerdings ist das Desinteresse in Deutschland, denn die Bundeswehr ist mit etwa 1.500 Kräften ebenfalls in Mali vor Ort, um seinen ?Partner? Frankreich zu unterstützen. Dabei wird auch auf praktischer Ebene kooperiert: Frankreich und Deutschland unterhalten im benachbarten Niger einen gemeinsamen Lufttransportstützpunkt mit gemeinsamer Kantine, sie nutzen beide den Flughafen Gao, neben dem sie jeweils ihre Feldlager errichtet haben. Deutschland hat dort in Kooperation mit Airbus Aufklärungsdrohnen vom Typ Heron-1 stationiert, die sie im Rahmen des MINUSMA-Mandats einsetzt. Neben dieser abbildenden Aufklärung ist Deutschland innerhalb der MINUSMA auch mit dem nachrichtendienstlichen Lagebild beauftragt. Es ist davon auszugehen, dass auch hierbei Informationen mit Frankreich ausgetauscht werden. Eine Antwort auf die schriftliche Frage der Bundestagsabgeordneten Christine Buchholz, ob Bounti zum Operationsgebiet der deutschen Heron-Drohne gehöre, ließ die Bundesregierung als Verschlussache deklarieren. Auf die Frage, welche Kenntnisse die Bundesregierung zu den Vorfällen in Bounti habe, verwies sie lediglich auf die Erklärung des französischen Verteidigungsministeriums und ergänzte: ?Die Bundesregierung hat keinen Anlass, an dieser Darstellung zu zweifeln?. Entweder wurde die Bundesregierung von ihrem ?Partner? Frankreich angelogen ? oder sie hat selbst gelogen. Dieser Umgang mit der Wahrheit macht den Vorfall in Bounti auch zu einem wichtigen Beispiel zum Umgang mit Nachrichten und ?Gerüchten?: Im Krieg wird gelogen und offenbar wird auch von den Verbündeten Deutschlands gelogen. Im Falle Bounti war es offenbar die Wahrheit, die von den Regierungen als Propaganda der Terroristen und Fake News gebrandmarkt wurde. Zugleich wird aktuell darum gerungen, deren Verbreitung zu kriminalisieren und Plattformen zu verpflichten, sie zu unterbinden. Ein Strategiepapier im Auftrag des EU-Parlaments z.B. träumt schon davon, über ganz Europa verteilt Zentren zur Überprüfung von Nachrichten mit insgesamt 50.000 Vollzeitstellen aufzubauen, was es ermöglichen könne, dass ?bis 2025 geschätzte 95% aller Falschnachrichten innerhalb von fünf bis sieben Minuten? nach ihrem Erscheinen bzw. dem Erreichen ?europäischer Öffentlichkeiten? entfernt werden könnten. Ob diese Zentren dann auch im Stande wären, die Lügen der eigenen Regierungen zu entlarven oder von diesen auch instrumentalisiert werden könnten, die eigene Propaganda gegen ?alternative Fakten? durchzusetzen, erscheint vor diesem Hintergrund fraglich. Denn im Falle Bounti stand durchaus auf der Kippe, ob die betroffene Bevölkerung vor Ort Gehör findet, es tatsächlich eine unabhängige Untersuchung gibt und es steht bis heute auf der Kippe, in wie weit der Wahrheit (nach aktuellem Stand) überhaupt Beachtung geschenkt wird. Auch in der Debatte um die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr könnte das Beispiel Bounti eine größere Rolle spielen. Zwar wurden nach Darstellung Frankreichs die Bomben von Kampfflugzeugen abgeworfen, die Aufklärung im Vorfeld erfolgte jedoch durch eine Reaper-Drohne, welche zuerst zwei Individuen verfolgt und anschließend jene Gruppe über 90 Minuten beobachtet hatte, die dann bombardiert wurde. Auf der Grundlage dieser Bilder wurden nach aktueller Beweislage die Hochzeitsgäste fälschlicher Weise als ?Terroristen? identifiziert. Das ist durchaus relevant für die deutsche Drohnendebatte, weil hier die Befürwortenden einer Bewaffnung immer wieder damit argumentieren, dass dies angeblich die Präzision von Luftschlägen erhöhen würde. Im Falle Bountis zeigt sich, dass dies zumindest nicht in dieser Pauschalität zutrifft. Hier hält die 90-minütige Beobachtung einer Personengruppe als Legitimation her, diese zu bombardieren. Tatsächlich ist fraglich, ob herkömmlichere Aufklärungsmittel der militärischen Führung ausreichend ?Sicherheit? geboten hätten, um eine 40-100 Menschen umfassende Personengruppe, von der offenbar nur fünf bewaffnet waren, zum Abschuss freizugeben. Jedenfalls wurde bereits an anderer Stelle (vom Autor) angedeutet, dass mit dem zunehmenden Einsatz von Drohnen Frankreich verstärkt dazu übergegangen ist, Personengruppen zu bombardieren, die Zahl der Opfer lediglich in Zehnerschritten (?etwa zwanzig?, ?etwa dreißig?) anzugeben und diese allesamt als Terroristen zu klassifizieren. Zentral bei dieser Klassifizierung scheinen Alter und v.a. das Geschlecht zu sein. Denn eine Angabe der französischen Verteidigungsministerin traf zu, als sie vehement behauptete, dass es keine zivilen Opfer und keine Hochzeit gegeben habe: Es waren keine Frauen und Kinder unter den Opfern. Damit waren das aus Sicht der französischen Regierung offenbar zweifelsfrei Terroristen. From imi at imi-online.de Mon Apr 12 13:35:54 2021 From: imi at imi-online.de (IMI-JW) Date: Mon, 12 Apr 2021 13:35:54 +0200 Subject: [IMI-List] [0588] Factsheet Klima & Krieg / Abstimmung Eurodrohne Message-ID: ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0588 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List findet sich der 1.) der Hinweis auf das kostenlos bestellbare neue IMI-Factsheet ?Klima & Krieg?; 2.) die Dokumentation von Aktionsvorschlägen des Bundesausschuss Friedensratschlag zur übermorgen anstehenden Bundestagsabstimmung über die Eurokampfdrohne. 1.) IMI-Factsheet Klima & Krieg Im neuen Factsheet ?Klima & Krieg?, haben wir uns bemüht, wichtige Daten rund um die Thematik bündig und grafisch ansehnlich aufbereitet zusammenzutragen. Es kann hier heruntergeladen werden: http://www.imi-online.de/2021/04/12/klima-krieg/ Das Factsheet geben wir zusammen mit den Naturfreunden heraus, über die das Factsheet auch (gerne auch in größeren Stückzahlen) gratis bestellt werden kann: NaturFreunde Berlin, Paretzer Str. 7, 10713 Berlin Telefon: 030 810 560 250 E-Mail: info at naturfreunde-berlin.de 2.) 14. April: Bundestagsabstimmung zur Anschaffung der Eurokampfdrohne Am Mittwoch, den 14.4.2021 wird der Bundestag gleich über zwei Projekte beraten, die im Zusammenhang mit der Anschaffung und Entwicklung bewaffneter Drohnensysteme stehen (siehe IMI-Standpunkt 2021/015). Der Bundesausschuss Friedensratschlag hat in einer Rundmail dazu aufgefordert, jetzt noch gegen die anstehenden Beschlüsse aktiv zu werden. Im Folgenden dokumentieren wir diese Mail: Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde, erst gestern Nachmittag wurde bekannt: Schon am kommenden Mittwoch, dem 14.04., werden der Verteidigungsausschuss und der Haushaltsausschuss im Bundestag über die weitere Finanzierung der Eurodrohne abstimmen und über das Future Combat Air System (FCAS) beraten, das vielleicht schon vor der parlamentarischen Sommerpause durch deutsche Steuergelder mitfinanziert werden soll: Siehe https://www.ippnw.de/presse/artikel/de/drei-milliarden-fuer-die-eurodrohne.html Es gab Gründe zu hoffen, dass die Eurodrohnen-Vorlage nicht so schnell zur Abstimmung kommen würde, weil das von Olaf Scholz geführte Finanzministerium die Vorlage am 23.03. so scharf kritisiert hatte, u. a. wegen einer ?ungewöhnlich einseitig zu Lasten der Auftraggeberseite ausgestalteten Risikoverteilung, die zu nicht prognostizierbaren Mehrkosten in der Zukunft führen könnte?. (https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/euro-drohne-101.htm) Der Haushalts- und Verteidigungspolitiker der Grünen, Tobias Lindner, teilt diese Meinung und sagte dem Handelsblatt: ?Der Vertragsentwurf zur Eurodrohne ist der schlechteste, den ich in den letzten zehn Jahren gesehen habe.? https://www.handelsblatt.com/politik/international/ruestungspolitik-scholz-bremst-kramp-karrenbauers-eurodrohnen-projekt/27045656.html Wenn die SPD die Eurodrohnen-Vorlage am 14.04. bewilligt, dann wahrscheinlich mit folgenden Maßgabebeschlüssen: a) keine Bewaffnung und b) Eingrenzung der Kostenrisiken. Jedoch würde eine Bewilligung der Eurodrohne eine zukünftige europäische Kriegsführung mit bewaffneten Drohnen im Gang setzen! WAS TUN? Im Dezember 2020 haben wir eine last-minute Briefkampagne an die SPD gerichtet, und WIR WAREN DAMIT ERFOLGREICH. Die SPD hat der Bewaffnung der Heron TP Drohnen für die Bundeswehr NICHT zugestimmt. Diese Entscheidung hat nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, die Hoffnung geweckt, dass von Deutschland aus ein Impuls kommen könnte, die dringend benötigten internationalen Kontrollen über bewaffnete Drohnen und autonome Waffensysteme zu verhandeln und diese Waffen letztendlich zu ächten. WENN WIR SCHNELL AGIEREN und die SPD-Bundestagsabgeordneten in unseren Wahlkreisen bis Montagnachmittag kontaktieren, gibt es eine Chance, dass vor der Abstimmung am 14.04. (Mittwoch) die Bedenken gegen die Eurodrohne und das FCAS  in der SPD-Bundestagsfraktion zur Debatte  stehen werden. Die ganze Fraktion und nicht nur die Verteidigungspolitiker müssen in die Debatte einbezogen werden. Hier findest Du die Kontaktinfos für die SPD-Bundestagsabgeordneten in Deinem Wahlkreis: Gehe zu https://www.bundestag.de/abgeordnete a) Wähle unter ?Fraktion? SPD. b) Wähle Deinen Wahlkreis oder gibt Deine Postleitzahl (PLZ) ein. Rufe die SPD-Bundestagsabgeordneten an, sprich auch mit ihren Mitarbeiter*innen. Oder schreibe eine kurze einfache Email mit Deinen eigenen Wörtern, z. B. ?Ich bin sehr besorgt darüber, dass die bewaffnungsfähige Eurodrohne und nun auch das FCAS, das Nuklearwaffen tragen kann, durch unsere Steuergelder finanziert werden sollen.  Was meinen Sie hierzu? Werden Sie sich dagegen einsetzen?? Wir posten bald auf unserer Webseite unseren Brief an die SPD-Führung sowie die autorisierten englisch- und deutschsprachigen Videos von unserer Online-Veranstaltungsreihe zu bewaffneten Drohnen, ?Deutschland und Europa am Scheideweg?. Siehe: http://drohnen-kampagne.de/. Elsa Rassbach, Lühr Henken, Laura von Wimmersperg, Rainer Hammerschmidt i.A. der Drohnen-Kampagne NACHTRAG: MÖGLICHE ARGUMENTE FÜR GESPRÄCHE UND BRIEFE 1) Die SPD hat lobenswerterweise eine hochrangige Arbeitsgruppe zusammengerufen, um über die SPD-Position zu den schwerwiegenden ethischen und rechtlichen Bedenken gegen bewaffnete Drohnen und autonome Waffensysteme zu beraten. Jedoch würde die Bewilligung der Eurodrohne dem Generalunternehmer Airbus in Deutschland schon jetzt grünes Licht geben, bewaffnungsfähige und bewaffnete Drohnen überall in der Welt zu vermarkten.  Dies muss verhindert werden! 2) Wegen den Entwicklungen in der Forschung im Bereich der Künstliche Intelligenz wird die Eurodrohne nachträglich durch eine einfache Software-Auswechslung zu einem autonomen Waffensystem umgewandelt werden können. 3) Auch unbewaffnet könnte die Eurodrohne der Bundeswehr für Angriffszwecke wie die Zielfindung an gemeinsamen Einsätzen mit Ländern, die bewaffnete Drohnen besitzen, teilnehmen. Vereinbarungen mit den militärischen Bündnispartnern -wie USA oder Frankreich ? zu völkerrechtskonformen Einsatzregeln solcher Waffensysteme sind noch nicht verhandelt worden. Hierdurch könnte die Bundeswehr durch den Einsatz von unbewaffneten Drohnen in völkerrechtswidrige Angriffe verwickelt werden. 4) Die schnelle weltweite Ausbreitung von bewaffneten Drohnen erregt Besorgnis, auch in der UNO. Siehe: https://thebulletin.org/2020/12/we-need-a-new-international-accord-to-control-drone-proliferation/ Vor sechs Jahren hatten nur drei Länder bewaffnete Drohnen eingesetzt: die USA, Großbritannien und Israel. In 2020 besaßen 40 Länder bewaffnete Drohnen oder befanden sich in der Anschaffung. Etwa 35 Staaten verfügen über die größten und tödlichsten dieser Drohnen, und die Tendenz ist steigend. Auch nichtstaatliche Akteure erhalten vermehrt Zugriff auf militärische Drohnen. Wegen des ?Neins? der SPD zur Bewaffnung der Heron TP Drohnen im Dezember ist Deutschland nun gut positioniert, eine führende Rolle in den dringend notwendigen internationalen Verhandlungen zu spielen. Die SPD würde diese Chance durch die Förderung der bewaffnungsfähigen Eurodrohne verspielen. 5) Kosten! Kosten! Kosten! Laut der Vorlage soll die Bundeswehr sogar 21 Exemplare der bewaffnungsfähigen ?Eurodrohne? mit Kosten in Milliardenhöhe kaufen, die in den nächsten Jahren zusätzlich zu den Pandemie-Folgekosten gezahlt werden müssten. Eine einzige dieser Drohnen würde so viel kosten wie ein Eurofighter. Wozu braucht die Bundeswehr diese vielen teuren Drohnen? From imi at imi-online.de Wed May 12 14:44:05 2021 From: imi at imi-online.de (IMI-JW) Date: Wed, 12 May 2021 14:44:05 +0200 Subject: [IMI-List] [0589] Analyse: Heimatschutztruppe / Studie FCAS / Neue Artikel Message-ID: <30b9036c-598a-4a0f-ec6a-1947cda4f08c@imi-online.de> ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0589 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List findet sich 1.) Eine Analyse zur Eurodrohne und eine neue Studie zum Kampfflugzeugsystem FCAS; 2.) eine soeben erschienene IMI-Analyse zur neuen Heimatschutztruppe der Bundeswehr; 3.) Hinweise auf zahlreiche weitere neue Artikel (Drohnen in Karabach, Tschad?). 1.) Eurodohne & FCAS Seit der letzten IMI-List ist einiges geschehen ? unter anderem hat der Bundestag leider die Gelder für den Bau der Eurokampfdrohne bewilligt, weshalb wir unsere diesbezügliche Analyse auf einen aktuellen Stand gebracht haben: IMI-Standpunkt 2021/015b (Update: 12.5.2021) Eurodrohne: Milliardengrab mit Ansage beschlossen http://www.imi-online.de/2021/04/14/berg-karabach-und-der-erste-echte-drohnenkrieg/ Jürgen Wagner (14. April 2021) Nach dem Rüstungsprojekt ist vor dem Rüstungsprojekt: Spätestens wohl am 23. Juni sollen die Gelder für die nächste Phase des derzeit wichtigsten Rüstungsprojektes Future Combat Air System durch den Bundestag bewilligt werden. Dazu wurde eine ausführliche IMi-Studie veröffentlicht: IMI-Studie 2021/4 Future Combat Air System Das größte Rüstungsprojekt Europas http://www.imi-online.de/2021/04/16/future-combat-air-system/ Jürgen Wagner (16. April 2021) INHALTSVERZEICHNIS Atomares KI-Luftkampfsystem Meilenstein: Aus Millionen werden Milliarden Schlüsselprojekt in deutsch-französischer Hand Tempest-Konkurrenz French Combat Air System? Deutschland liefert I: Freie Bahn für Rüstungsexporte Deutschland liefert II: Entwicklung von Kampfdrohnen Deutschland liefert III: Die Sache mit der Ethik Deutschland liefert IV: Outsourcing der Rüstungskosten? Ausblick: Nach der Wahl http://www.imi-online.de/2021/04/16/future-combat-air-system/ 2.) IMI-Analyse zur neuen Bundeswehr-Heimatschutztruppe IMI-Analyse 2021/22 Reserve für die Heimatfront Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz http://www.imi-online.de/2021/05/12/reserve-fuer-die-heimatfront/ Martin Kirsch (12. Mai 2021) Auf einer Pressekonferenz am 6. April 2021 verkündete Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer feierlich den Start des neuen ?Freiwilligen Wehrdienstes im Heimatschutz? mit dem zusätzlichen Werbeslogan ?Dein Jahr für Deutschland?. In diesem Kontext ließ sie verlautbaren: ?Heimat ist für mich und für viele andere Menschen in Deutschland mehr als nur ein Ort, es ist ein Gefühl, etwas was man im Herzen trägt?.[1] Die militärische Perspektive ist deutlich nüchterner. In einem nicht zufällig im selben Monat auf dem Youtube-Kanal der Bundeswehr veröffentlichten Video mit Filmausschnitten einer Heimatschutzübung der Bundeswehr von 1976 heißt es: ?Heimat, das bedeutet nicht nur Freunde, Familie, die Landschaft, in der man aufgewachsen ist. Heimat, das sind auch Fabriken, Nachrichtenanlagen, Straßen, Brücken ? kurz all das, was man mit dem neudeutschen Wort Infrastruktur bezeichnet?.[2] So soll auch die neue Heimatschutztruppe der Bundeswehr nicht primär Gefühle, Landschaften, Freund*innen und Familie, sondern eben diese kriegswichtige Produktions-, Kommunikations- und Verkehrsinfrastruktur im Kriegsfall schützen. In Skandinavien, den baltischen Staaten und in Polen wurden die Heimwehren, Nationalgarden und Territorialverteidigungseinheiten im Zuge der Aufrüstungspolitik der letzten Jahre längst reaktiviert oder aufgestockt. Reservist*innen üben die Sicherung von Infrastruktur und Verkehrswegen, um im Fall der Fälle den Kampftruppen auf ihrem Weg zur Front den Rücken freihalten zu können. Seit Anfang April 2021 sind auch bei der Bundeswehr wieder Rekrut*innen in die Kasernen eingerückt, um sich explizit für den Reservedienst im Heimatschutz ausbilden zu lassen. Vorerst als einjähriges Pilotprojekt soll mit dem Freiwilligen Wehrdienst (FWD) im Heimatschutz das Personal gewonnen werden, um eine neue Heimatschutztruppe aufzubauen. Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz Der neue Freiwillige Wehrdienst im Heimatschutz ist formal auf ein Jahr ausgelegt und besteht aus sieben Monaten Ausbildung in der aktiven Truppe und fünf Monaten Reservedienst ? die allerdings über sechs Jahre verteilt werden. Im Gegensatz zum bisherigen Freiwilligen Wehrdienst, der neun bis einundzwanzig Monate dauert, nach der Grundausbildung in der aktiven Truppe stattfindet und Auslandseinsätze mit einschließen kann, dient der Heimatschutzdienst in der ersten Phase ausschließlich als Ausbildung für den späteren Reservedienst. Zum Beginn der sieben Monate Ausbildung in der aktiven Truppe durchlaufen die Heimatschutzrekrut*innen die dreimonatige Grundausbildung gemeinsam mit angehenden Zeit- und Berufssoldat*innen. Danach trennen sich die Wege. Während die angehenden Soldat*innen in ihrer Spezialgrundausbildung auf den späteren Dienst auf einem Schiff, in einem Panzer, an einem Flugzeug oder in einem Krankenhaus vorbereitet werden, dreht sich bei den künftigen Reservist*innen alles um Heimatschutz. In drei eigens kurzfristig eingerichteten Ausbildungsstützpunkten in Wildflecken, Berlin und Delmenhorst werden die Rekrut*innen für den Objektschutz sowie in den Bereichen Sanitätsdienst, ABC-Abwehr und Brandschutz geschult.[3] Darin inbegriffen ist die Ausbildung an Infanteriewaffen wie Pistole, Sturmgewehr und Panzerfaust. In einem letzten Ausbildungsabschnitt im siebten Monat lernen die angehenden Heimatschützer*innen unter Aufsicht des zuständigen Landeskommandos die lokalen Gegebenheiten und die Heimatschutzkompanie kennen, in der sie später als Reservist*in zugeteilt werden. Nach sieben Monaten verlassen sie die Kasernen und kehren als frisch ausgebildete Reservist*innen ins Zivilleben zurück. Für die folgenden sechs Jahre haben sie sich allerdings verpflichtet, insgesamt mindestens fünf Monate für kleinere Übungen und Einsätze in der Heimatschutztruppe zur Verfügung zu stehen.[4] Bis April 2022 sollen insgesamt 1.000 angehende Heimatschützer*innen dieses Programm durchlaufen haben. Die Ergebnisse werden dann ausgewertet und für künftige Ausbildungsjahrgänge weiter angepasst. Ein Schnupperkurs bei der Bundeswehr Seit der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht 2011 kämpft die Bundeswehr mit Rekrutierungsproblemen. So sanken auch die Zahlen der freiwillig Wehrdienstleistenden über die Jahre. Während 2013 noch rund 12.000 Freiwillige ihren Wehrdienst bei der Bundeswehr ableisteten, sank diese Zahl auf rund 9.000 in 2020. Damit blieben gut ein Viertel der im Bundeshaushalt vorgesehenen und finanzierten 12.500 Stellen[5] unbesetzt. Die Einführung des neuen FWD im Heimatschutz erfüllt daher mindestens eine Doppelfunktion für die Bundeswehr. Offensichtlich geht es darum, neues Personal für die Reserve-Heimatschutztruppe zu gewinnen. Zudem gilt der FWD auch als Schnupperkurs für diejenigen, die sich aufgrund der hohen Einstiegshürden nicht gleich für Jahre und Jahrzehnte verpflichten wollen, der Idee aber nicht grundsätzlich nicht abgeneigt sind. Laut dem scheidenden Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Tauber, handelt es sich um den Versuch, eine spezifische Gruppe Jugendlicher zu erreichen, die ein generelles Interesse an der Bundeswehr haben, sich aber von längeren Verpflichtungszeiten, Dienstorten fern des Wohnortes und der Option, in Auslandseinsätze geschickt zu werden, abschrecken lassen. Eben diese Gruppe, die es wohl häufiger bis ins Karrierecenter der Bundeswehr schafft, dann aber für keine der bisherigen Optionen zu gewinnen war, soll jetzt erreicht werden.[6] Massive Kritik an eben dieser Rekrutierungspolitik kommt von den Sozialverbänden. So meldeten sich im Sommer 2020 die Vorsitzenden des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, der Caritas und der Arbeiterwohlfahrt zu Wort und bezeichneten das Missverhältnis von Finanzierung und Werbung für den Bundeswehrdienst und die zivilen Freiwilligendienste als ?große Ungerechtigkeit?.[7] Während die zivilen Freiwilligendienste mit 130 bis 411 Euro Taschengeld und kaum Ressourcen für Aus- und Fortbildung als massiv unterfinanziert gelten, wird den freiwillig Wehrdienstleistenden im Heimatschutz mit 1.550 Euro Sold und freien Bahnfahrten der Dienst vergoldet ? Budget für Werbekampagnen, Aus- und Fortbildung nicht einberechnet. ?Wo ist die Wertschätzung für die Arbeit, die unsere Freiwilligen im sozialen und ökologischen Bereich leisten?? fragt Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und veranschaulicht die ungleiche Behandlung mit einem Beispiel: ?Menschen, die freiwillig in der Pflege, Alten- oder Behindertenhilfe arbeiten, bekommen nicht mal ihr S-Bahn-Ticket ersetzt?. Grundlegende Kritik an der Verwendung der Bezeichnung als Freiwilligendienst kam von Caritas und Arbeiterwohlfahrt. So kritisierte Caritas-Chef Peter Neher: ?Die Bundeswehr sollte es als das bezeichnen, was es ist: Es ist eine Art Schnupperkurs für die Bundeswehr. Freiwilligendienste sind das Vorrecht der Zivilgesellschaft und nicht des Staates.?[8] Heimatschutz: zwischen konservativem Populismus und Rechtsterrorismus Ebenfalls bereits im Sommer 2020 wurde Kritik aus der Partei Die Linke am neuen Heimatschutzdienst laut. Neben der Ablehnung der Rekrutierung Minderjähriger ? unter den ersten 1.800 Bewerber*innen war fast ein Viertel unter 18 Jahre alt ? nahm die Kritik der Linken den Begriff Heimatschutz und dessen Implikationen in den Blick. Der damalige Vorsitzende der Partei, Riexinger, kritisierte etwa gegenüber dem Spiegel: "Faschisten verwenden ihn seit je her gern für Nazi-Kameradschaften, 'Bürgerwehren' und paramilitärische Einheiten. Ich erinnere nur an den 'Thüringer Heimatschutz', der auch die NSU-Terroristen hervorgebracht hat".[9] Der verteidigungspolitischen Sprecher der Linken, Tobias Pflüger, ging weiter darauf ein, wer von Begriffen wie Heimatschutz und Dienst für Deutschland angezogen wird: ?Mit dieser Wortwahl riskiert die Bundeswehr, speziell rechte Kreise anzuziehen. Zumal gerade für rechte Kreise eine Ausbildung an der Waffe attraktiv ist. Der neue Dienst darf nicht dazu führen, dass nun noch mehr rechtslastige Akteure an scharfen Waffen ausgebildet werden.?[10] Erst kürzlich wurde bekannt, dass der Militärgeheimdienst MAD 1.200 Reservist*innen als ?Rechtsextremisten? eingestuft hat. Dieser Gruppe wird jetzt der Dienst an der Waffe und das Tragen der Uniform und damit die Teilnahme an Reserveübungen verboten.[11] Dass auch die Reserve der Bundeswehr und die RSU-Kompanien ? die Vorgänger der künftigen Heimatschutzverbände (s.u.) ? ein deutliches Problem mit rechten bis rechtsterroristischen Strukturen haben, zeigen die Enthüllungen der letzten Jahre deutlich auf. So fiel der Fokus im Rahmen der Aufdeckung des Hannibal-Netzwerks auch auf die Gruppe Nordkreuz aus Mecklenburg-Vorpommern. Dort hatten sich Polizisten und aktive Reservisten in Chatgruppen organisiert, um an einem Tag X politische Gegner*innen massenhaft zu entführen und umzubringen. Bei Durchsuchungen wurden neben Feindeslisten, Waffen- und Munitionslagern auch Chatprotokolle gefunden, in denen sich darüber ausgetauscht wird, an besagtem Tag X Bundeswehrfahrzeuge und Uniformen zu benutzen. Den Zugang dazu hatten sie.[12] Ein Mitglied der Gruppe, Horst S., war zu diesem Zeitpunkt Kommandeur der RSU-Kompanie Mecklenburg-Vorpommern. Zudem hatten weitere Mitglieder der Gruppe über ihren Reservistenstatus Zugang zu Kriegswaffen, Schieß- und Taktiktrainings der Bundeswehr. Als Replik auf diese Kritik antwortete Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer Anfang April 2021 mit einer besonderen Spielart des konservativen Populismus. So ließ sie verlauten: ?Wir haben diesen Dienst bewusst Heimat und Heimatschutz genannt? und führte weiter aus: ?Ein Fehler war es, dass wir in der Vergangenheit den Begriff Heimat, der uns allen am Herzen liegt, einfach den Rechten in diesem Land überlassen zu haben?. ?Es wird Zeit, dass wir diesen Begriff wieder in die demokratische Mitte holen und dass wir ihn zurückerobern, wenn sie so wollen?. Zudem sei es die Bundeswehr, die sich dazu verpflichtet habe, die ?Heimat Bundesrepublik Deutschland? und die damit einhergehenden Werte ?Freiheit, Demokratie und Vielfalt? zu beschützen.[13] Dabei handelt es sich allerdings um einen durchsichtigen Versuch, sich einerseits von Rechten und Neonazis abzugrenzen, andererseits aber die konservativsten Ränder von Parteibasis und Wählerschaft anzusprechen, die sich - nicht nur im Vokabular - mit dem rechten Rand überschneiden. Diese Form der gleichzeitigen Abgrenzung und Anbiederung nach Rechts führt allerdings, abgesehen von der Option auf kurzfristige Stimmgewinne, zu einer Normalisierung des rechten Diskurses. Erschreckendes Beispiel dafür ist die Debatte um Flucht und Migration in den 1990er Jahren. Mit Pilotprojekten zur neuen Heimatschutztruppe Bereits 2012, nur fünf Jahre nach der Auflösung der letzten Einheiten des ehemaligen Territorialheers, wurde mit einem ersten Pilotprojekt begonnen, an einer neuen Heimatschutztruppe ? wenn auch unter anderem Namen ? zu arbeiten.[14] Die damals als Pilotprojekt neuen aufgestellten sogenannten Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien (RSU-Kompanien), bestehend aus Reservist*innen aus der Region, werden jetzt die Startmasse für die neuen Heimatschutzregimenter bilden. Da es die 30 RSU-Kompanien in vielen Regionen allerdings nicht schafften, genügend Reservist*innen zu rekrutieren, wurde 2017 unter Federführung des Reservistenverbandes mit der Erprobung von Kursen für Quereinsteiger*innen begonnen. Durch eine zweijährige Wochenendausbildung können berufserfahrene Interessierte, die zuvor keinen Wehrdienst geleistet hatten, seitdem mit einer Art ?Grundausbildung Light? in den aktiven Reservedienst in den RSU-Kompanien aufgenommen werden.[15] Im Dezember 2018 wurde ein weiteres Pilotprojekt ins Leben gerufen: Zwischen April 2019 und Dezember 2021 wird mit dem Landesregiment Bayern getestet, in welchen Strukturen die bisherigen RSU-Kompanien zu eigenständigen Großverbänden zusammengeführt werden können, die dann in der Lage sein sollen, unabhängig von der aktiven Truppe zu agieren.[16] Aufbauend auf den Erfahrungen und mit dem Personal aus diesen drei Pilotprojekten - aufgestockt durch die neuen Heimatschützer*innen aus dem Freiwilligen Wehrdienst - soll jetzt die neue Heimatschutztruppe der Bundeswehr entstehen. Bis 2025 ist geplant, die Einsatzbereitschaft von fünf Heimatschutzregimentern mit insgesamt 5.000 Reservist*innen herzustellen.[17] Bewähren sich die Strukturen in dieser Aufbauphase, ist davon auszugehen, dass die Heimatschutztruppe der Bundeswehr bis Anfang der 2030er Jahre auf deutlich über 10.000 Reservist*innen anwachsen wird. Regimenter an der Heimatfront Der Begriff Heimatschutz ist bei der Bundeswehr kein unbekannter und wurde nicht erst von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer für dieses Aufgabenfeld gewählt. Bereits von den 1960er bis Mitte der 2000er Jahre existierte ein Territorialheer für den Heimatschutz in der Bundeswehr. Nach der Aufbauphase standen in den 1970er Jahren bereits über 100.000 Reservisten und wenige aktive Soldaten in den Heimatschutzverbänden bereit. Größtenteils bestehend aus ehemaligen Wehrdienstleistenden wäre es der Auftrag des Territorialheeres gewesen, den Kampftruppen des Feldheeres unter NATO-Kommando den Rücken frei zu halten. Nach Ende des Kalten Krieges wurde das Territorialheer zwischen 1992 und 2007 schrittweise aufgelöst. Mit den aktuellen Beschlüssen zur Wiederherstellung einer voll funktionsfähigen Heimatschutztruppe stellt sich allerdings die Frage, welche Aufgaben aktuell für den Heimatschutz vorgesehen sind. Drei zentrale Handlungsfelder des neuen Heimatschutzes der Bundeswehr werden in einer aktuellen Broschüre des Verteidigungsministeriums zum FWD im Heimatschutz benannt.[18] Das erste Aufgabenfeld, das auch die Struktur und Ausbildung der Heimatschutzkräfte bestimmt, erinnert dabei stark an den letzten Kalten Krieg: ?In Krisenlagen müssen sich die Heimatschutzkräfte darauf einstellen, die für die Verteidigung wichtige Infrastruktur in Deutschland als rückwärtigem Raum einer möglichen Bündnisverteidigung zu sichern und zu schützen. Dazu zählen beispielsweise Häfen und Bahnanlagen, Güterumschlagplätze, die NATO-Pipeline, Marschstraßen, Brücken, Verkehrsknotenpunkte und digitale Infrastrukturen. Aufmarschierende Verbände der Bundeswehr und auch befreundeter Streitkräfte, die sich für einen Transfer in die Einsatzräume zeitlich befristet in Deutschland aufhalten, können ebenfalls geschützt werden?.[19] Weiter heißt es: ?Angesichts heute vorstellbarer hybrider Bedrohungen gilt es hier, sich auch auf verdeckt operierende irreguläre Gruppierungen einzustellen. Die Heimatschutzkräfte werden daher mit Infanteriewaffen ausgestattet sein und z.B. über Mittel zur lokalen Aufklärung verfügen?. In besagtem Filmchen über eine Heimatschutzübung aus dem Jahr 1976, tauchen die nahezu gleichen Aufgaben, allerdings mit älterem Vokabular und damit vielleicht klarer auf: ?Im Hinterland operiert der Gegner häufig mit den Mitteln des verdeckten Kampfes. Daher ist die wichtigste Aufgabe eines Spähtrupps, feindliche Kommandos und Partisanen ausfindig zu machen und ihren Standort dem Kompaniegefechtsstand zu melden?.[20] Diese Aufgabe an der Heimatfront, im Hinterland der Kampftruppen, schlägt auch den Bogen zu den zwei weiteren Aufgabenfeldern. Kommt es in Friedenszeiten zu Naturkatastrophen oder Großunfällen wie Hochwasser, extremen Schneefällen, einem Zugunglück oder einer Pandemie, konnten bereits die alten und werden auch die neuen Heimatschutzverbände zur Unterstützung für den zivilen Katastrophenschutz eingesetzt werden können. Bei Übungen und Einsätzen mit dem zivilen Katastrophenschutz knüpfen die Kommandostrukturen der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit auf Bundes- und Länderebene und die Heimatschutz-Reserve vor Ort Kontakte und pflegen den Austausch. Diese direkte Zusammenarbeit nutzt ihnen dann nicht nur im Kriegsfall oder bei Naturkatastrophen. Auch für das dritte mögliche Einsatzspektrum, den Einsatz gegen Feinde im Inneren, sind diese Kontakte und die Normalisierung der Bundeswehr als Akteur im Inland für die Truppe von Vorteil. Bei diesen Einsatzoptionen handelt es sich um die Ausrufung des Inneren Notstandes oder die explizit vom Verteidigungsministerium erwähnte Option, die neue Heimatschutztruppe gemeinsam mit der Polizei zur Terrorabwehr im Inland einzusetzen. So wird in der besagten Broschüre auch die ?Unterstützung von Polizeikräften in Terrorlagen beim Einrichten von Kontrollpunkten und Durchführen von Absicherungsmaßnahmen? als möglicher Aufgabenbereich der Heimatschutzkräfte benannt. Zur Rechtsinterpretation heißt es weiter: ?Sind die Voraussetzungen eines katastrophischen Ausmaßes gegeben, können - unter Führung der Polizei - hoheitliche Zwangs- und Eingriffsbefugnisse wahrgenommen werden?. Damit reiht sich die Aufgabenbeschreibung der neuen Heimatschutztruppe in eine Reihe von Vorstößen aus der CDU/CSU ein, die seit Jahren versucht die Bundeswehr an den äußersten Grenzen der Verfassung aktiver in der Terrorabwehr im Inland einzubinden. Ob aus bürgerrechtlicher Perspektive mit Blick auf die Ausweitung der Fähigkeiten und Kompetenzen der Bundeswehr im Inland, aus antifaschistischer Perspektive mit Blick auf neue Zugänge zu Strukturen und Waffen der Bundeswehr für rechtes Klientel oder aus friedenspolitischer Perspektive mit Blick auf Rekrutierung und die Rückkehr zu Strukturen aus dem letzten Kalten Krieg: die Wiederbelebung des Heimatschutzes der Bundeswehr ist ein deutlicher Beleg dafür, dass autoritäre Tendenzen in der Innenpolitik und die aktuelle Aufrüstungspolitik kaum voneinander zu trennen sind. Anmerkungen [1] Bundesministerium der Verteidigung: Heimatschutz - Neuer freiwilliger Wehrdienst gestartet, 06.04.2021, bmvg.de. [2] Bundeswehr: CLASSIX - Übung der Heimatschutztruppe (1976), 30.04.2021, youtube.com. [3] Phoenix: Pressekonferenz mit Annegret Kramp-Karrenbauer zum neuen Freiwilligen Wehrdienst am 06.04.21, youtube.com. [4] Bundesministerium der Verteidigung: Heimatschutz in Deutschland - Zum Start des neuen Freiwilligen Wehrdienstes, Broschüre, März 2021, bundeswehr.de. [5] Bundesfinanzministerium: Bundeshaushaltsplan 2021 - Einzelplan 14 - Bundesministerium der Verteidigung, Seite 21, bundeshaushalt.de. [6] Phoenix: "Dein Jahr für Deutschland" - AKK stellt neuen Bundeswehr-Freiwilligendienst vor, 23. Juli 2021, youtube.com. [7] Redaktionsnetzwerk Deutschland: Wohlfahrtsverbände kritisieren Kramp-Karrenbauers neuen Wehrdienst, 23.07.2020, rnd.de. [8] Deutschlandfunk: Der neue Freiwilligendienst im Heimatschutz, 06.04.2021, deutschlandfunk.de. [9] Spiegel: Linke kritisiert "Heimatschutz"-Begriff für neuen Freiwilligendienst, 20.07.2020, spiegel.de. [10] Die Linke im Bundestag: Die Bundeswehr schwächt zivile Freiwilligendienste - Pressemitteilung von Tobias Pflüger, 06.04.2021, linksfraktion.de. [11] Focus: Bundeswehr-Geheimdienst suft 1200 Reservisten als rechtsradikal ein, 08.05.2021, focus.de. [12] Luca Heyer: Der Hannibal-Komplex, IMI-Studie 2019/04 (13.06.2019), imi-online.de. [13] Phoenix: Pressekonferenz mit Annegret Kramp-Karrenbauer, 06.04.21. [14] Martin Kirsch: Der neue Heimatschutz der Bundeswehr, AUSDRUCK 3/2013, imi-online.de. [15] Reservistenverband ? Landesgruppe Brandenburg: Ausbildung Ungedienter erfolgreich beendet, 14.02.2019, reservisten-brandenburg.de. [16] Martin Kirsch: Experiment Landesregiment Bayern - ?Nationale Reserve? als eigenständige Truppe für Inlandseinsätze?, IMI-Analyse 2019/07 (08.02.2013), imi-online.de. [17] Bundesministerium der Verteidigung: Heimatschutz in Deutschland, Broschüre, Seite 4, März 2021. [18] Ebd. [19] BMVg: Heimatschutz in Deutschland, Broschüre, Seite 5, März 2021. 3.) Neue Texte auf der IMI-Homepage IMI-Analyse 2021/21 (Update: 11.5.2021) Globale Ökonomie, Militarisierung und Nachhaltigkeit http://www.imi-online.de/2021/05/06/globale-oekonomie-militarisierung-und-nachhaltigkeit/ Karl-Heinz Peil (6. Mai 2021) IMI-Standpunkt 2021/023 Campen mit Komfort Das Beschaffungsvorhaben ?Bewegliche Unterbringung im Einsatz Streitkräfte? http://www.imi-online.de/2021/05/06/campen-mit-komfort/ Emma Fahr (6. Mai 2021) IMI-Analyse 2021/20 Tschads Langzeit-Herrscher stirbt, Sohn übernimmt, Frankreich billigt http://www.imi-online.de/2021/04/29/tschads-langzeit-herrscher-stirbt-sohn-uebernimmt-frankreich-billigt/ Pablo Flock (29. April 2021) IMI-Standpunkt 2021/022 Flucht aus Afghanistan ? Dauereinsatz im Sahel http://www.imi-online.de/2021/04/27/flucht-aus-afghanistan-dauereinsatz-im-sahel/ Christoph Marischka (27. April 2021) IMI-Standpunkt 2021/021 Tschad: Machthaber Déby ist tot http://www.imi-online.de/2021/04/20/tschad-machthaber-deby-ist-tot/ (20. April 2021) IMI-Standpunkt 2021/020 Repression gegen die Hafenarbeiter*innen in Genua http://www.imi-online.de/2021/04/20/repression-gegen-die-hafenarbeiterinnen-in-genua/ Jacqueline Andres (20. April 2021) IMI-Standpunkt 2021/019 (Update 22.4.2021) Afghanistan: Zeit der Bilanzen http://www.imi-online.de/2021/04/20/afghanistan-zeit-der-bilanzen/ Jürgen Wagner (20. April 2021) IMI-Analyse 2021/19 - in: Telepolis, 14.4.2021 Berg-Karabach und der ?erste echte Drohnenkrieg? Europas Anteil und deutsche Konsequenz http://www.imi-online.de/2021/04/14/berg-karabach-und-der-erste-echte-drohnenkrieg/ Christoph Marischka (14. April 2021) From imi at imi-online.de Wed May 26 17:14:47 2021 From: imi at imi-online.de (IMI-JW) Date: Wed, 26 May 2021 17:14:47 +0200 Subject: [IMI-List] =?utf-8?q?=5B0590=5D_Studie=3A_Bundeswehr-Eckpunkte_/?= =?utf-8?q?_Analyse=3A_R=C3=BCstungsprojekte_/_Podcast?= Message-ID: ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0590 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List findet sich 1.) Hinweise auf neue Texte sowie den neuen antimilitaristischen Podcast; 2.) den Hinweis auf eine soeben erschienene IMI-Studie zu den neuen Eckpunkten des Verteidigungsministeriums, in denen ein weitgehender Umbau der Truppen angeschoben wird; 3.) eine IMI-Analyse zum Versuch, Rüstungsgroßprojekte noch vor den Bundestagswahlen außerhalb des Verteidigungshaushaltes durchzudrücken. 1.) Neue Texte und Podcast Neue Artikel sind erschienen u.a. zu den Sahel-Leitlinien der Bundesregierung, der Privatisierung der Verwundetenevakuierung in Mali und zu Drohnen im Mittelmeer für die Festung Europa. In der mittlerweile 25. Ausgabe des Antimilitaristischen Podcasts geht es um die Themen EU-Einsatz in Mosambik, BND und Protest gegen das KSK. IMI-Standpunkt 2021/026 ?Neue? Strategische Leitlinien Sahel http://www.imi-online.de/2021/05/21/neue-strategische-leitlinien-sahel/ Christoph Marischka (21. Mai 2021) IMI-Mitteilung Antimilitaristischer Podcast Ausgabe 25 EU-Einsatz in Mosambik, BND, Protest gegen KSK http://www.imi-online.de/2021/05/20/antimilitaristischer-podcast-ausgabe-25/ (20. Mai 2021) IMI-Analyse 2021/24 Drohnen für die Festung Europa Unbemannte Überwachung des Mittelmeeres http://www.imi-online.de/2021/05/20/drohnen-fuer-die-festung-europa/ Matthias Monroy (20. Mai 2021) IMI-Standpunkt 2021/025 Laschets Welt Außen- und sicherheitspolitische Grundsatzrede http://www.imi-online.de/2021/05/20/laschets-welt/ (20. Mai 2021) IMI-Standpunkt 2021/024 Wer Wind säht, wird im Sturm nicht mehr gerettet Die Privatisierung der Verwundetenevakuierung in Mali http://www.imi-online.de/2021/05/19/wer-wind-saeht-wird-im-sturm-nicht-mehr-gerettet/ Emma Fahr (19. Mai 2021) 2.) Studie: Kalter-Krieg 2.0: Eckpunktepapier zur Zukunft der Bundeswehr IMI-Studie 2021/05 Bundeswehr der Zukunft Eckpunkte für den Kalten Krieg 2.0 http://www.imi-online.de/2021/05/26/bundeswehr-der-zukunft/ Martin Kirsch (26. Mai 2021) Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer und Generalinspekteur Zorn haben am 18. Mai 2021 ihre ?Eckpunkte für die Bundeswehr der Zukunft? veröffentlicht.[1] Dabei handelt es sich um nichts weniger als die strategische Neuausrichtung der Bundeswehr und ihrer Führungsstrukturen. Oberste Prämisse ist die Bereitschaft zur sogenannten Landes- und Bündnisverteidigung. Die Bundeswehr soll an der Spitze schlanker und in der Breite schneller, flexibler, dezentraler, eigenverantwortlicher und damit einsatzbereiter werden. In einem Wort: kriegsbereit. Als militärischer Arm ?Deutschlands als sicherheitspolitischer Macht?[2] soll die Bundeswehr die Führung im Bereich der Bündnisverteidigung in Europa übernehmen ? bereitstehen für Muskelspiele an der östlichen Bündnisgrenze und damit in der Konsequenz auch für das, was sich aktuell kaum jemand auszusprechen wagt; für die Option eines offenen Krieges der NATO mit Russland. Die Bundeswehr soll bereit gemacht werden für einen Kalten Krieg 2.0, der längst begonnen hat. Gesamte Studie hier herunterladen: http://www.imi-online.de/2021/05/26/bundeswehr-der-zukunft/ INHALTSVERZEICHNIS Einleitung ? 2 Reform? Reförmchen? Vorschläge zur strategischen Neuausrichtung! ? 2 ?Deutschland als sicherheitspolitische Macht? ? 2 ?Organisiere dich, wie du kämpfst? ? 4 Erhöhung der Einsatzbereitschaft ? 5 Truppe und Material aus einer Hand ? 5 Lauwarmer Krieg ? 6 Forderungen ans Parlament ? 7 Anmerkungen ? 9 Gesamte Studie hier herunterladen: http://www.imi-online.de/2021/05/26/bundeswehr-der-zukunft/ 3.) Analyse: Rüstungsgroßprojekte vor der Wahl, außerhalb des Militäretats? IMI-Analyse 2021/23 (Update: 26.5.21) Rüstungsgroßprojekte Milliardenpoker des Verteidigungsministeriums http://www.imi-online.de/2021/05/18/ruestungsgrossprojekte/ Jürgen Wagner (18. Mai 2021) [Links im html und PDF] Die Wunschliste von Politik und Militär ist lang, weshalb noch vor den Wahlen im September 2021 eine ganze Reihe von Rüstungsprojekten durch den Bundestag geschleust werden sollen. Hierfür übermittelte das Verteidigungsministerium (BMVg) bereits im Februar eine Liste mit 51 sogenannten 25-Millionen-Vorlagen. Dabei handelt es sich um Vorhaben, die den besagten Betrag übersteigen und denen der Verteidigungs- und Haushaltsausschuss deshalb gesondert zustimmen muss. Schon damals wurde allerdings u.a. im Handelsblatt über eine weitere Aufstellung mit Rüstungsprojekten berichtet, die auf ? vorsichtig formuliert ? wackliger Finanzgrundlage stünden: ?In einer zweiten Liste werden Vorhaben genannt, deren Finanzierung derzeit ?nicht gesichert ist?. Genannt werden 15 Projekte, darunter die Nachfolge für das Kampfflugzeug Tornado und die Beschaffung eines Schweren Transporthubschraubers.? Insofern mag es auf den ersten Blick etwas überraschen, dass am 10. Mai 2021 in zahlreichen Medien Alarm geschlagen und vor einem Scheitern diverser zentraler Rüstungsprojekte gewarnt wurde. Bei Spiegel Online hieß es beispielsweise: ?Zahlreiche Rüstungs-Großprojekte der Bundeswehr stehen auf der Kippe, weil die Finanzierung nicht gesichert ist. Das geht aus einer vertraulichen Liste des Verteidigungsministeriums hervor, die auch dem SPIEGEL vorliegt. Die Kosten für die bisher nicht sicher finanzierten Vorhaben summieren sich auf etliche Milliarden Euro.? Eine Erklärung, worin der Unterschied zwischen der Liste im Februar und der im Mai liegt, blieben aber nahezu alle Medienberichte schuldig. Er besteht vor allem darin, dass nun auch die deutsch-französischen Prestigeprojekte Kampfpanzer (Main Ground Combat System, MGCS) und Kampfflugzeug (Future Combat Air System, FCAS) den Stempel ?nicht finanzierbar? verpasst bekommen haben. Beide Vorhaben gelten aber als Schlüsselprojekte von zentraler Bedeutung auf dem Weg zu einem deutsch-französischen Rüstungskomplex und wurden mit viel politischem Kapital angeschoben, weshalb ihr Scheitern einen ziemlichen Scherbenhaufen hinterlassen würde. Dies gilt insbesondere für das FCAS, über das es in der aktuellen Ausgabe der Internationalen Politik heißt: ?Strategisch gesehen wird das Luftkampfsystem der Zukunft der Testfall schlechthin für eine europäische Sicherheitspolitik sein. [?] FCAS war von Beginn an eher ein politisches denn ein militärisches Konzept, und vielleicht liegt darin ein Geburtsfehler. [?] FCAS ist keine freiwillige Industriekooperation, sondern ein Projekt der politischen Machtzentren in Paris und Berlin.? Das Verteidigungsministerium argumentiert deshalb schon seit einiger Zeit, diese länderübergreifenden Großprojekte müssten aufgrund ihrer (industrie)politischen Bedeutung entweder über andere Haushalte finanziert oder über eine Zusicherung kontinuierlich und deutlich steigender Militärausgaben abgesichert werden. Vor diesem Hintergrund hat sich das BMVg zu einem Erpressungsversuch entschlossen, bei dem es hoch pokert. Die Abgeordneten sollen unter Druck und ihnen die sprichwörtliche Pistole auf die Brust gesetzt werden: Entweder ihr sorgt in der ein oder anderen Form für viele zusätzliche Milliarden oder wir fahren zentrale deutsch-französische Rüstungsprojekte gegen die Wand. Finanzierungsprobleme? Seit Jahren kennt der Militärhaushalt nur den Weg nach oben: von ?24,3 Mrd. (2000) über ?32,5 Mrd. (2014) und ?38,5 Mrd. (2018) auf ?46,9 Mrd. (2021). Dennoch sieht das von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn am 9. Februar 2021 veröffentlichte ?Positionspapier: Gedanken zur Bundeswehr der Zukunft? weiteren Handlungsbedarf: ?Angesichts dieser Gesamtlage stellen wir fest, dass die Bundeswehr trotz erheblicher Zuwächse im Verteidigungshaushalt in den vergangenen Jahren weiterhin unterfinanziert ist.? Für wie unterfinanziert sich das Verteidigungsministerium genau hält, ließ es vermutlich bewusst durchsickern, indem die interne Finanzbedarfsanalyse 2022 an die Medien gelangte. Darin wird von einem Bedarf von ?53,1 Mrd. für das Jahr 2022 ausgegangen, der sich schrittweise bis 2025 auf ?61,5 Mrd. erhöhen soll. Insofern hielt sich die Begeisterung auch in Grenzen, als die Eckwerte des Bundeshaushaltes vom 24. März 2021 für 2022 einen Haushalt von ?49,3 Mrd. vorsahen, obwohl es sich dabei um eine nochmalige deutliche Steigerung des Haushaltes handeln würde. Besonders erbost zeigten sich militärnahe Kreise aber über die weitergehende Finanzplanung für die Jahre 2023 (?46,32 Mrd.), 2024 (?46,16 Mrd.) und 2025 (?45,73 Mrd.). Zwar fällt der endgültige Beschluss über den Haushalt 2022 ohnehin in die Verantwortung der nächsten Bundesregierung, die auch nicht an die Vorgaben der Eckwerte für die Jahre 2023 bis 2025 gebunden sein wird. Die Sorge aber, dass die fetten Jahre unter Pandemiebedingungen und einer wahrscheinlichen Regierungsbeteiligung der Grünen nun vorbei sein könnten, dürfte die aktuelle Strategie des Verteidigungsministeriums befeuern, den eigenen budgetären Spielraum schon jetzt möglichst zu erweitern und den der kommenden Bundesregierung so weit als möglich einzuengen. Outsourcing von Rüstungsgroßprojekten? Schon November 2020 warnte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in einer Grundsatzrede: ?Das führt mich zu einem zentralen Punkt: Ich werde einer Finanzierung von Großprojekten zu Lasten der Grundausstattung und der Mittel des täglichen Betriebs nicht zustimmen. [?] Neue Großprojekte, so attraktiv sie scheinen und so schön es wäre, die damit versprochenen Fähigkeiten zu haben, können nur dann realisiert werden, wenn dafür in der Finanzplanung zusätzliches Geld bereitgestellt wird ? oder wenn andere Großprojekte dafür nicht realisiert werden.? Als Lösung für die Finanzierbarkeit der besonders teuren länderübergreifenden Großprojekte schwebt dem Verteidigungsministerium nun, wie bereits angedeutet, vor, deren Kosten einfach anderen Haushaltsposten aufs Auge zu drücken. Zunächst tat sich mit diesem Vorschlag der CSU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl hervor. Als dann aber Kramp-Karrenbauer und Zorn dieselbe Forderung ? wenn auch ein wenig verklausuliert ? in ihrem bereits erwähnten Positionspapier zur Zukunft der Bundeswehr erhoben, war klar, dass diese abstruse Idee ernst zu nehmen war. ?In diesem Zusammenhang weisen wir mit besonderem Nachdruck darauf hin, dass Verteidigung eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, die sich nicht allein im Verteidigungshaushalt niederschlagen kann. Für die Finanzierung von politisch übergeordneten Großvorhaben, vor allem in der multinationalen Rüstungskooperation, steht die Bundesregierung gemeinschaftlich in der Verantwortung. Die staatliche Kernaufgabe Sicherheit muss breit getragen werden.? Hier geht es um alles andere als Peanuts: Die wichtigsten ?politisch übergeordneten Großvorhaben? der ?multinationalen Rüstungskooperation? sind, wie erwähnt, das deutsch-französische Kampfflugzeug und der Kampfpanzer, bei denen jeweils von Entwicklungskosten von bis zu ?100 Mrd. die Rede ist. Blankoscheck für Rüstungsprojekte? In seinem Anschreiben zur Liste der finanziell nicht abgedeckten Großprojekte verweist das BMVg explizit darauf, sie sei die direkte Folge der in den Eckwerten anvisierten Mittelausstattung, mit denen die Vorhaben nicht mehr finanzierbar seien: "Die Finanzierungsprobleme ergeben sich insbesondere aus dem im Eckwertebeschluss vorgesehenen starken Rückgang der Haushaltsmittel nach dem Jahr 2022." Dennoch sollen die Vorhaben augenscheinlich dem Haushaltsausschuss vorgelegt werden, der dann vor der Wahl steht, sie abzulehnen oder eine Finanzierung ggf. auch außerhalb des BMVg-Etats zuzusichern. Der militärnahe Blog Augengeradeaus schreibt dazu: ?Das Verteidigungsministerium will dem Haushaltsausschuss des Bundestages zahlreiche Rüstungsprojekte zur Billigung vorlegen, auch wenn deren Finanzierung noch offen ist. [?] Anfang des Jahres hatte das Verteidigungsministerium den Abgeordneten von Verteidigungs- und Haushaltsausschuss bereits eine lange Liste mit den geplanten Vorhaben übergeben [?]. Ein wenig überraschend scheint, dass das Verteidigungsministerium damit auch die bislang als gesichert geltenden multinationalen Projekte infrage stellt ? und auch im Haushalt offensichtlich sichere Vorhaben doch nicht so sicher sind.? Bei den ?bislang als gesichert geltenden multinationalen Projekten? handelt es sich, wie gesagt, vor allem um die deutsch-französischen Projekte FCAS und MGCS, die nun vom Verteidigungsministerium ebenfalls infrage gestellt werden. Die BMVg-Strategie ist dabei insofern recht clever, weil auch die Eckwerte des Bundeshaushaltes nicht nur die Bedeutung dieser Großprojekte betonen, sondern sie gehen sogar so weit, eine Art finanzielle Garantieerklärung für sie vorzuschlagen: ?Es besteht Einvernehmen innerhalb der Bundesregierung, dass bestimmte Großvorhaben zum Schließen von Fähigkeitslücken gemäß dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr und damit zur Wahrnehmung bereits eingegangener internationaler Verpflichtungen finanziert werden und dem Verteidigungshaushalt ermöglicht wird, die insoweit verabredeten Fähigkeitsziele zu erreichen. Dies gilt insbesondere für Vorhaben im Rahmen der deutsch-französischen und deutsch-norwegischen Rüstungskooperationen [?].? Indem das Verteidigungsministerium nun aber unter anderem keine Finanzgarantie mehr für die deutsch-französischen Rüstungskooperationsprojekte übernimmt, spielt es den Ball den Abgeordneten und dem Finanzministerium zu, die hierdurch massiv unter Zugzwang gesetzt werden: Entweder sie entscheiden sich dafür, den Erpressungsversuchen nicht auf den Leim zu gehen und die Vorhaben zu strecken oder gar einzustampfen. Damit würden sie sich dann aber den Schwarzen Peter für das mögliche Scheitern der Prestigeprojekte einhandeln. Denn spätestens Ende Juni müssen zum Beispiel die Gelder für das FCAS freigegeben werden, ansonsten droht eine deutliche Verschiebung, was das ohnehin gespannte Verhältnis zum Kooperationspartner Frankreich endgültig überdehnen könnte. Hier geht es allein für die nächste Projektphase bis 2027 (der Erstflug ist erst für 2035 und die Auslieferung für 2040 terminiert) um immense Summen. Die Internationale Politik schreibt dazu: ?Der Druck auf die deutsche Regierung also ist immens, denn in diesem Sommer tritt FCAS in die entscheidende Planungsphase. Im April haben die beiden ausführenden Rüstungskonzerne Dassault Aviation und Airbus Defence and Space ihren Regierungen einen Plan auf den Tisch gelegt, der den Bau eines flugfähigen Prototyps bis 2027 vorsieht. Kostenpunkt: rund neun Milliarden Euro. Soll der Zeitplan eingehalten werden, müsste der Bundestag noch in dieser Legislaturperiode einen Finanzierungsplan freigeben mit dem deutlichen Hinweis: Hier wird nicht mit Millionen, sondern Milliarden gerechnet.? Vor diesem Hintergrund ist es gut möglich, dass vor allem dem FCAS vom Bundestag ein Blankoscheck ausgestellt wird, schließlich ist das Projekt, in den Worten der Stiftung Wissenschaft und Politik, "too big to fail". Womöglich hat sich Kramp-Karrenbauer aber auch verkalkuliert ? schließlich sind auf ihrer Nicht-Finanzierbar-Liste auch weitere Projekte gelandet, die bislang als abgesichert galten. Frisch in Frage gestellt wurde zum Beispiel auch der Ersatz der Flottendienstboote Oker, Alster und Oste, was wohl 2 Mrd. Euro kosten würde. Das brachte nun parteiübergreifend CDU- und SPD-Abgeordnete aus Küstenländern mächtig auf die Palme, deren Werften davon profitieren sollten. In einem gemeinsamen Brief machten die CDU-Abgeordneten Eckhardt Rehberg (Haushalt) und Henning Otte (Verteidigung) sowie die SPD-Parlamentarier Dennis Rohde (Haushalt) und Siemtje Möller (Verteidigung) keinen Hehl aus ihrem Unmut. Bei Augengeradeaus wird der Wortlaut zitiert: ?Für einen Großteil dieser 15 Vorlagen sind im Verteidigungshaushalt 2021 sowie in der aktuellen Finanzplanung bereits entsprechende Mittel veranschlagt und in den Geheimen Erläuterungen entsprechend ausgewiesen. Daher können wir nicht nachvollziehen, dass eine Finanzierung aus dem Einzelplan 14 nicht mehr leistbar ist. [?] Sowohl die mangelnde und verspätete Kommunikation als auch die nicht ausreichende Qualität der Antworten auf die Fragen aus dem parlamentarischen Raum verwundern. Abschließend weisen wir nochmals darauf hin, dass die geplanten Vertragsabschlüsse oder deren eventuell notwendige Priorisierung nicht ohne das Parlament erfolgen werden. Um noch eine Behandlung der geplanten 25 Mio. Euro-Vorlagen in dieser Legislaturperiode gewährleisten zu können, bitten wir um Rückantwort bis Freitag, den 28. Mai 2021.? Es bleibt also abzuwarten, wie das Fingerhakeln ausgehen wird. Sollte den ungedeckten Rüstungsprojekten aber im Haushaltsausschuss zugestimmt werden, würde dies den Spielraum der nächsten Bundesregierung wohl extrem einengen, was wohl auch das Ziel der Übung sein dürfte: Entweder müsste sie die diesbezüglichen Gelder durch ein weiter jährlich stark steigendes Militärbudget oder durch eine Verlagerung auf andere Haushaltstöpfe garantieren ? in beiden Fällen würde das Verteidigungsministerium damit einen milliardenschweren Coup landen. From imi at imi-online.de Wed Jun 16 12:56:29 2021 From: imi at imi-online.de (imi) Date: Wed, 16 Jun 2021 12:56:29 +0200 Subject: [IMI-List] [0591] NATO-Gipfel / Drohnendebatte / AUSDRUCK (Schwerpunkt: Mittelmeer) Message-ID: <61906333-6856-3e39-ec82-728d4875d001@imi-online.de> ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0591 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List findet sich 1.) Zwei Beiträge zur aktuellen Drohnendebatte in Deutschland und zum mutmaßlich ersten Einsatz vollständig autonomer Drohnen gegen Menschen; 2.) Die neue Ausgabe des IMI-Magazins Ausdruck (Juni 2021): Schwerpunkt Mittelmeer; 3.) IMI-Analyse: Auswertung des NATO-Gipfels. 1.) Artikel zur Drohnendebatte Mit der Entscheidung auf dem Bundesparteitag der Grünen und der anstehenden Entscheidung über das Future Combat Air System der EU hat in Deutschland die Debatte über autonome Waffensysteme wieder an Fahrt aufgenommen. Zugleich mehren sich die Hinweise, dass zwischenzeitlich in Libyen erstmals voll-autonome Drohnen zum Einsatz kamen. IMI-Standpunkt 2021/031 Drohnen-Propaganda grenzt an Fake News Medien übernehmen zweifelhafte Analyse eines Bundeswehr-Thinktanks http://www.imi-online.de/2021/06/14/drohnen-propaganda-grenzt-an-fake-news/ Christoph Marischka (14. Juni 2021) IMI-Standpunkt 2021/032 KI-Drohnen auf Menschenjagd Völkerrechtswidrige Aufrüstung von Proxys in Libyen http://www.imi-online.de/2021/06/16/ki-drohnen-auf-menschenjagd/ 16. Juni 2021 2.) AUSDRUCK (Juni 2021): Schwerpunkt: Mittelmeer Frisch erschienen ist die Juni-Ausgabe des Ausdrucks mit dem Schwerpunkt Mittelmeer. Die komplette Ausgabe kann hier heruntergeladen werden kann: https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-Juni-2021-web.pdf Die Links zu allen Einzelartikeln finden sich hier: https://www.imi-online.de/publikationen/ausdruck/ausdruck-inhaltsverzeichnisse/ SCHWERPUNKT: MITTELMEER -- Reise ans Mittelmeer (Jacqueline Andres) -- Militarisierung des Mittelmeers (Jacqueline Andres) -- Das andere Mal als Farce: Der Petersilienkrieg (Sven Wachowiak) -- Geopolitik vor Klimawandel (Pablo Flock) -- Die Waffenschiffe im Netz der Friedenshäfen (Carlo Tombola und Andrea Bottalico) -- Repression gegen die Hafenarbeiter*innen in Genua ( Jacqueline Andres) -- Sigonella: Ausgangspunkt für die Augen der NATO (Marius Pletsch) -- Überwachung für die Festung Europa (Matthias Monroy) -- Beispiel Automobil: Liefer- und Wertschöpfungsketten übers Mittelmeer (Jule Steinert) -- Klimakrise in Nordafrika: Kampf um Lebensgrundlagen (Nabil Sourani) -- Die Kriminalisierung der Seenotrettung in Italien (Judith Gleitze und Kristina Di Bella) MAGAZIN KI, DROHNEN UND KRIEG -- Berg-Karabach, Europas Anteil und deutsche Konsequenz (Christoph Marischka) -- Eurokampfdrohne: Bewaffnetes Groschengrab mit Ansage (Jürgen Wagner) -- Autonome Waffen und die Politik (Tobias Pflüger) DEUTSCHLAND UND DIE BUNDESWEHR -- Reserve für die Heimatfront - Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz (Martin Kirsch) -- Kriegsdienstverweigerung: Bundeswehr fordert immense Nachzahlungen (Alexander Kleiß) -- Zivilklauseln: Hochschulen zwischen Vision und Realpolitik (Elena Bertram) -- Legal, Illegal, Scheißegal. Die Arbeitsweise des BND und ihre Opfer (Nina Rupprecht) -- Campen mit Komfort ? ?Bewegliche Unterbringung im Einsatz Streitkräfte? (Emma Fahr) -- Rüstungsgroßprojekte: Milliardenpoker des Verteidigungsministeriums (Jürgen Wagner) EUROPA IM KRIEG IN AFRIKA -- Mosambik: EU-Einsatz und Flüssiggas (Jürgen Wagner) -- Bounti war ein Massaker (Christopher Marischka) -- Die Privatisierung der Verwundetenevakuierung in Mali (Emma Fahr) EU-MILITARISIERUNG -- Krieg ist Frieden. EU-Friedensfazilität als Anreizsystem (Özlem Demirel und Jürgen Wagner) Die komplette Ausgabe kann hier heruntergeladen werden kann: https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-Juni-2021-web.pdf 3.) IMI-Analyse: Auswertung NATO-Gipfel IMI-Analyse 2021/32 NATO-Agenda 2030 Gipfel der Systemkonkurrenz http://www.imi-online.de/2021/06/15/nato-agenda-2030/ Jürgen Wagner (15. Juni 2021) Am 14. Juni 2021 trafen sich die Staats- und Regierungschefs der NATO zu ihrem Gipfeltreffen in Brüssel. Auf der Agenda standen eine ganze Menge Dinge, wie allein schon die mit knapp achtzig Paragrafen ungewöhnlich lange Gipfelerklärung bezeugt (das Statement des 2019er Gipfels in London brachte es auf gerade einmal 9 Absätze). Während Militäreinsätze im Globalen Süden (?Krisenmanagement?) viele Jahre die Agenda des Bündnisses dominierten, rückt nun eine neue Herzensangelegenheit ganz oben auf die Agenda. Der NATO-Gipfel untermauerte einmal mehr, dass sich inzwischen fast alle Planungen auf die immer rabiater ausgetragene Großmachtkonkurrenz mit Russland und zunehmend auch China konzentrieren. Natürlich zeichnet sich diese Entwicklung schon länger ab, mit der Gipfelentscheidung, für das kommende Jahr ein neues Strategisches Konzept zu erarbeiten und dafür das Papier ?NATO 2030? als wichtige Richtschnur zu nehmen, drohen sich diese Auseinandersetzungen aber endgültig zum Dauerkonflikt zu verfestigen. Die traurige und gefährliche Botschaft des Gipfels fasste NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in seinem Pressestatement folgendermaßen zusammen: "Die Nato ist eine Allianz von Europa und Nordamerika, aber wir müssen uns an ein globales Sicherheitsumfeld, das immer kompetitiver wird, anpassen. Wir befinden uns in einem Zeitalter des globalen Systemwettbewerbs." Von Afghanistan zur Systemkonkurrenz In gewisser Weise hat es Symbolwirkung, dass die NATO beschlossen hat, in diesem Jahr ihre Truppen aus Afghanistan abzuziehen, geht damit gleichsam doch eine Phase zu Ende, in der derlei Einsätze im Zentrum der Planungen standen. Allerdings geht das NATO-Engagement, wenn auch in deutlich anderer Form, weiter, wie auch in der Gipfelerklärung betont wird: ?Der Rückzug unserer Truppen bedeutet nicht das Ende unserer Beziehungen zu Afghanistan.? (para. 19) Vor allem werde die NATO ?damit fortfahren, den Afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräften Training und finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen.? (ebd.) Darüber hinaus haben die USA laut der Military Times bereits mit Militäreinsätzen und Überwachungsmaßnahmen begonnen, die ihren Ursprung außerhalb der Landesgrenzen haben. So wird der Krieg wohl auf einem deutlich anderen Niveau fortgesetzt. Dennoch ist es sicher nicht übertrieben, im westlichen Truppenabzug eine Art Signal für den endgültigen Übergang in die Phase der Systemkonkurrenz zu erblicken. Die diesbezüglichen Konflikte nehmen unmittelbar nach den üblichen Einleitungsfloskeln in der NATO-Gipfelerklärung gleich ab Absatz zwei den meisten Raum ein. Die inzwischen vielfach bemühte ?regelbasierte internationale Ordnung?, für die sich die NATO als Garant erachtet, sei ?bedroht? (para. 2). Der ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Klaus Naumann, erklärte bereits vor einiger Zeit, was er ? und seine NATO-Kollegen ? darunter offiziell verstehen: ?Noch wichtiger ist allerdings, dass sich ein Wettstreit zwischen mindestens zwei Weltordnungsmodellen abzeichnet: Da ist einerseits das westliche Modell einer regelbasierten demokratischen Ordnung, in der die Macht der Gesetze die Macht der Mächtigen einhegt und in welcher der Einzelne jenen Schutz genießt, der in der Erklärung der Menschenrechte verankert ist. Und da ist andererseits das chinesische Modell, das Präsident Xi Jingpin auf dem letzten Parteikongress als das neue Modell der Weltordnung anpries. [?] Diese beiden Modelle werden miteinander konkurrieren, weil sie aus einem einfachen Grund nicht miteinander in Einklang gebracht werden können: Das westliche Modell verspricht individuelle Freiheit, das chinesische Modell tut dies nicht. Daher steht die Welt am Rande eines neuen globalen Wettstreits, der in erster Linie in Asien stattfinden wird.? Aus Sicht Russlands und Chinas umfasst diese ?regelbasierte Ordnung? aber vor allem Regeln und Prinzipien, die helfen sollen, die westliche Vormachtstellung zu bewahren, weshalb sie vom Westen auch mit Klauen und Zähnen verteidigt werden soll. ?Peking teilt unsere Werte nicht? verkündete beispielsweise NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg kurz vor Gipfelbeginn und begründete dies mit der Unterdrückung der Uiguren und der Proteste in Hongkong sowie mit Drohungen gegenüber Taiwan. Sicher ist vieles davon nicht von der Hand zu weisen, andererseits wäre es angebracht, wenn sich der Westen auch zuallererst einmal an die eigene Nase fassen würde, etwa was die Zusammenarbeit mit so lupenreinen Demokraten wie in Saudi-Arabien oder der Türkei oder mit den Putschisten in Mali wie auch mit Islamisten in Syrien anbelangt, um nur einige Beispiele zu nennen. Ganz unabhängig davon dürften ohnehin nicht irgendwelche abstrakten ?Werte? ursächlich für die sich immer weiter verschärfenden Konflikte sein, sondern unterschiedliche sehr handfeste Interessen. Jedenfalls durchzieht die gesamte Abschlusserklärung ein auffällig alarmistischer Ton, wenn es etwa ebenfalls gleich zu Beginn heißt: ?Wir sehen uns vielfacher Gefahren und systemischer Konkurrenz von energisch auftretenden Mächten gegenüber.? (para. 3) Russland: Gegner und Bedrohung Endgültig vorbei sind die Zeiten, in denen gegenüber Russland noch halbwegs freundliche Töne angeschlagen wurden: "Unser Verhältnis zu Russland ist so schlecht wie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr", machte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg schon kurz vor Gipfelbeginn klar. Und obwohl das Bündnis hierfür maßgeblich verantwortlich ist, betonte Stoltenberg selbstredend, dies liege ausschließlich an Russlands "aggressiven Handlungen". Auch in der Gipfelerklärung selbst wird Russland als Gegner identifiziert: ?Russlands aggressives Verhalten stellt eine Bedrohung für die Sicherheit der euro-atlantischen Region dar.? (para. 3) Es folgen dann Absatz um Absatz lange Aufzählungen, in welchen Bereichen Russland massiv aufgerüstet und ein aggressives Verhalten an den Tag gelegt hätte, weshalb es ein Zurück zur Normalität nicht geben könne (para. 8-12). Besonders wird auf eine Aufrüstung der russischen taktischen und strategischen Atomwaffen abgehoben ? hier gelangt man an eine ganz typische Stelle: nicht alle Kritikpunkte sind aus der Luft gegriffen, aber das, was Russland vorgeworfen wird, sieht gegenüber dem, was der Westen veranstaltet, bei näherer Betrachtung vergleichsweise harmlos aus. So verblasst alles was Russland im Atomwaffenbereich unternimmt gegenüber der laufenden ?Modernisierung? der US-Atomwaffen, durch die sie für potenzielle Erstschlagszenarien treffsicherer und durchschlagskräftiger und damit ?besser? einsetzbar werden (siehe IMI-Analyse 2019/25). Der Kostenpunkt für die nukleare US-Aufrüstung für die Jahre 2021 bis 2030 wurde jüngst vom Congressional Budget Office, einer Art US-Rechnungshof, noch einmal auf nunmehr 634 Mrd. Dollar nach oben korrigiert ? allein bei dieser Summe handelt es sich um mehr als das Zehnfache des gesamten russischen Militärhaushaltes. Viel Schatten und etwas Licht gibt es bei den landgestützten Kurz- und Mittelstreckenraketen, die seit der US-Aufkündigung des INF-Vertrages 2019 ja nicht mehr grundsätzlich verboten sind. Hier wird in der Abschlusserklärung des NATO-Gipfels Russland einmal mehr vorgeworfen, mit der Stationierung von Raketen des Typs 9M729 (SSC-8) den Vertrag bereits vor Aufkündigung verletzt zu haben und deshalb für sein Ende verantwortlich zu sein (para. 46). Das ist aber zumindest umstritten: Russland bestreitet die Vorwürfe ? Angebote zur Inspektion wurden vom Westen nicht wahrgenommen (siehe IMI-Analyse 2019/25). Das außerdem kurz vor Gipfelbeginn einmal mehr unterbreitete russische Angebot für ein Moratorium für die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa wurde in der Abschlusserklärung erneut mit den Worten, dies sei ?nicht glaubwürdig und nicht akzeptabel? abgelehnt (para. 46). Einer der wenigen Lichtblicke ist die klare Absage an die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen, für die es ?keinen Plan? gäbe (para. 26). Allerdings lässt man mit diesem schon länger verwendeten Sprachgebrauch vermutlich bewusst die Türe offen, konventionelle Mittelstreckenraketen aufzustellen. Ein letzter Punkt ist überaus auffällig, nämlich dass nun auch sogenannte Hybride Angriffe unterhalb der Schwelle klassischer Kriegshandlungen als mögliche Auslöser eines Bündnisfalles eingestuft werden (para. 31). Vor allem Russland wird häufig solcherlei hybrider Kriegsführung beschuldigt. Der Begriff selbst ist allerdings überaus schwammig und häufig dazugezählte Elemente lassen sich nur schwer bis überhaupt nicht eindeutig einem Staat zuordnen, was es umso problematischer macht, sie in den Bereich zwischenstaatlicher Kriegshandlungen zu rücken (siehe IMI-Studie 2017/13). Doch genau dies geschieht in der Abschlusserklärung des NATO-Gipfels, wie Augengeradeaus schreibt: ?Sowohl ein hybrider Angriff als auch ein massiver Angriff auf IT- und Kommunikationssysteme, also ein Cyberangriff, wird von den NATO-Mitgliedern als möglicher Bündnisfall gesehen ? der dann auch mit konventionellen Waffen beantwortet werden könnte?. Ohne dass man jede Aktion Russlands schönreden muss, der Alarmismus, den die NATO auf ihrem Gipfeltreffen an den Tag legte, ist fast schon lächerlich ? oder ein Fall für den Rechnungshof. Die kurz vor dem Gipfeltreffen noch einmal aktualisierten hauseigenen Schätzungen gehen für das Jahr 2021 von Militärausgaben der NATO-Mitgliedsstaaten von zusammengenommen 1.174 Mrd. Dollar aus ? Russland brachte es 2020 gerade einmal auf 61,7 Mrd. Dollar! China: Geografisch-technologische Systemkonkurrenz Auch China wird in der Abschlusserklärung Beachtung geschenkt ? allerdings nimmt es deutlich weniger Raum ein als Russland. Andererseits spielte das Land im bislang letzten Strategischen Konzept von 2010 noch überhaupt keine Rolle und auch in früheren Gipfelerklärungen fand es allenfalls am Rande Erwähnung ? das jedenfalls ist nun auch vorbei: ?Die selbsterklärten Ambitionen Chinas und sein bestimmtes Auftreten stellen systemische Herausforderungen der regelbasierten internationalen Ordnung und in Gegenden dar, die für die Sicherheit der Allianz wichtig sind.? (para. 55) Diese Systemkonkurrenz wird inzwischen auf allen möglichen Ebenen ausgetragen, militärisch legt die NATO vor allem Wert auf den Erhalt ihrer technologischen Vorherrschaft: ?Wir sind entschlossen, unseren technologischen Vorsprung zu bewahren? (para. 37). Hier geht es vor allem darum, Forschung in Bereichen neuer Technologien, insbesondere der Künstlichen Intelligenz, zu fördern und für das Militär nutzbar zu machen. Hierfür habe man sich auf einen NATO Innovation Fund verständigt, mit dem Start-ups, die an dual-use und disruptiven Technologien arbeiten, unterstützt werden sollen (para. 6d). Die immense Abhängigkeit neuer Technologien von Satelliten dürfte dabei mit ein Grund sein, weshalb die NATO auf dem Gipfeltreffen auch den Weltraum zum Beistandsgebiet erklärte (para. 33). Ein Beispiel dafür, wie dies in den Medien berichtet wurde, findet sich bei tagesschau.de: ?Darüber hinaus beschloss der Gipfel, dass auch Angriffe im Weltraum die Beistandsklausel nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages auslösen können. Hier ist das Bündnis schon länger besorgt, dass China und Russland, aber auch andere Länder Möglichkeiten zur Beeinträchtigung oder gar Zerstörung von Satelliten getestet haben.? Der Artikel ?versäumt? es zu erwähnen, dass es Russland und China sind, die seit Jahren den Westen vergeblich auffordern, den Vertrag zur Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum (PAROS, ?Prevention of an Arms Race in Outer Space?) zu unterzeichnen, der eine Stationierung von Waffen im All kategorisch verbieten würde (siehe IMI-Analyse 2019/22). Insofern ist dieses Beispiel tatsächlich typisch für die Einseitigkeit, mit der die erklärten Systemkonkurrenten in den deutschen Medien zumeist beschrieben werden. Geografisch liegt der Schwerpunkt auf der sogenannten indopazifischen Region. Dort haben vor allem die USA, Großbritannien und Frankreich ihre Militärpräsenz mit dem Ziel einer Eindämmung Chinas deutlich ausgebaut ? und auch Deutschland will im August eine Fregatte dorthin entsenden (siehe IMI-Analyse 2020/19). Interessanterweise wurde im Abschlussdokument des Gipfels der Begriff Indo-Pazifik vermieden, der gemeinhin im Zusammenhang westlicher Eindämmungsversuche gegen China Verwendung findet (siehe dazu etwa SWP-Studie 2020/S09). Stattdessen ist die Rede davon, man werde künftig enger mit den ?asiatisch-pazifischen Partnern? bei der ?Förderung kooperativer Sicherheit und der Unterstützung der regelbasierten Ordnung? zusammenarbeiten (para. 73). Was das genau bedeuten soll, bleibt aber im Dunkeln bzw. dürfte wohl erst im nächsten Strategischen Konzept klarer werden. Damit folgt die NATO aber in etwa einem Weg, den zum Beispiel vom ehemaligen Leiter der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Karl-Heinz Kamp, mit seiner Forderung nach einem größeren Militärengagement der NATO in Ostasien bereits vor einiger Zeit skizziert hatte. In Sirius - Zeitschrift für Strategische Analysen schrieb er: ?Will die NATO nicht einen großen Teil ihrer Existenzberechtigung verlieren, wird sie ihre geografische Orientierung ebenfalls deutlich ändern und ausweiten müssen. [?] Eine Hinwendung der Nordatlantischen Allianz in Richtung Asien könnte sich in mehreren Stufen und Intensitäten gestalten. Der erste Schritt wäre, dass die NATO mehr Interesse an der Region zeigen und auch als Allianz die Entwicklungen im asiatisch-pazifischen Raum zur Kenntnis nehmen würde. [?] Ein zweiter Schritt würde eine deutlich größere Bereitschaft Europas zu einer fairen Lastenteilung mit den USA hinsichtlich Asien erfordern. [?] Langfristig werden die großen europäischen Staaten allerdings, sofern sich der chinesisch-amerikanische Bilateralismus realisiert, nicht umhinkommen, in einem dritten Schritt ihrerseits Fähigkeiten zur weitreichenden Machtprojektion vor allem im maritimen Bereich aufzubauen. Das gilt nicht nur aus der Perspektive der NATO, sondern auch aus der Sicht der EU, wenn diese ihrem eigenen Anspruch des ?global Player? gerecht werden will.? Schritt eins ist nun mit dem Gipfeltreffen getan, die Schritte zwei und drei sind in Bearbeitung. NATO 2030: Geldagenda & Strategisches Konzept Ungeachtet der riesigen Summen, die die Einzelstaaten in ihre Haushalte pumpen, stehen der NATO selber nur vergleichsweise überschaubare Beträge zur Verfügung: 1,55 Mrd. Euro (Militärhaushalt 2020) und 211 Mio. Euro (Zivilhaushalt 2020). Schon im Vorfeld des Gipfels hieß es, man habe sich auf eine Aufstockung der Eigenmittel verständigt, was dann auch in der Abschlusserklärung bestätigt wurde. Allerdings ist unklar, um welche Beträge es hier gehen soll, das soll erst 2022 festgelegt werden und ab 2023 in Kraft treten (para. 7). Um riesige Summen dürfte es dabei aber ohnehin nicht gehen, wirklich an die Substanz geht es nämlich nicht bei den Eigenmitteln, sondern bei den Ausgaben der Mitgliedsstaaten. Zankapfel ist hier seit Jahren das sog. ?Verteidigungsinvestitionsversprechen? (Defence Invstment Pledge) aus dem Jahr 2014. Aus US-Sicht haben sich die Verbündeten darin darauf verpflichtet, ihre Ausgaben bis 2024 auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes anzuheben. Zufrieden notiert hier die Abschlusserklärung des NATO-Gipfels, seit 2014 seien die Militärausgaben der US-Verbündeten jedes Jahr real angestiegen, 10 Staaten würden bereits in diesem Jahr über dem 2%-Ziel liegen, voraussichtlich zwei Drittel dürften es 2024 sein (para. 35). Deutschland liegt mit Ausgaben von 1,53 Prozent (nach NATO-Kriterien) aktuell auf Platz 19, wie interessierte Kreise vor und nach dem Gipfeltreffen nicht müde wurden zu betonen. Um die Auswirkungen zu verdeutlichen: der offizielle Haushalt belief sich im Jahr 2020 auf 45,2 Mrd. Euro, bei Umsetzung des 2%-Ziels wären es 66,8 Mrd. Euro gewesen. Obwohl dieses Geld dringend für allerlei andere Dinge benötigt wird, schmiss sich nun auch CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet kurz vor dem Gipfel hinter das 2%-Ziel. Bei tagesschau.de hieß es dazu: ?Laschet bekräftigte zudem seine Unterstützung für das Zwei-Prozent-Ziel, mit dem sich die NATO-Staaten verpflichtet haben, darauf hinzuarbeiten, dass sie zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. ?Wenn wir international etwas verabredet haben, sollte man sich auch daran halten?.? Eine letzte wichtige Entscheidung auf dem Gipfeltreffen betrifft das Strategische Konzept der NATO, mit dessen Aktualisierung der Generalsekretär beauftragt wurde. Es soll auf dem nächsten NATO-Gipfel voraussichtlich 2022 angenommen werden und dürfte viele Aspekte der Systemkonkurrenz vertiefen und verschärfen. Das zumindest steht zu befürchten, nachdem auf dem Gipfeltreffen zugestimmt wurde, dass das Papier ?NATO 2030: United for a New Era? hierfür als Vorlage dienen soll, in dem der erklärten Systemkonkurrenz große Bedeutung beigemessen wird (para. 5). Dabei handelt es sich um ein von einer vom NATO-Generalsekretär handverlesenen ExpertInnengruppe verfasstes Dokument, an dem unter anderem auch Ex-Verteidigungsminister Thomas de Maizière federführend beteiligt war (siehe IMI-Analyse 2020/44). Schon bei seiner Erstellung war es als Vorlage für eine künftige NATO-Strategie gedacht, da das alte Konzept von 2010 noch unter dem Eindruck halbwegs freundschaftlicher Beziehungen zu Russland und ganz ohne Erwähnung Chinas abgefasst worden war. Indem das NATO-2030-Papier zur Richtschnur erklärt wurde, dürfte sichergestellt sein, dass sich dies in der Neuauflage ändern dürfte: ?Die Welt der NATO wird in den nächsten 10 Jahren anders sein als die, die sie sowohl während des Kalten Krieges als auch in den Jahrzehnten unmittelbar danach bewohnte. Sie wird eine Welt konkurrierender Großmächte sein, in der aggressive autoritäre Staaten mit revisionistischen außenpolitischen Agenden darauf abzielen, ihre Macht und ihren Einfluss auszuweiten.? From imi at imi-online.de Tue Jul 13 16:29:17 2021 From: imi at imi-online.de (IMI-JW) Date: Tue, 13 Jul 2021 16:29:17 +0200 Subject: [IMI-List] =?utf-8?q?=5B0592=5D_Studie_Polizeidrohnen_/_Analysen?= =?utf-8?q?_Ungarn=2C_Mali=2C_R=C3=BCstungsprojekte?= Message-ID: ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0592 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List findet sich 1.) Hinweise auf neue Artikel u.a. zu Ungarn, Mali, Rüstungsprojekten? 2) die neue IMI-Studie ?Der Blick von Oben: Polizei-Drohnen in Deutschland?. 1.) Neue Artikel: Ungarn, Mali, Rüstungsprojekte Recht typisch war wieder einmal die öffentlich zur Schau gestellte Empörung über Ungarn während der Fußball-Europameisterschaft, die aber augenscheinlich kein Hinderungsgrund für die fortgesetzte maßgeblich von Deutschland betriebene Aufrüstung des Landes darstellt, die in einer neuen IMI-Analyse ausführlich beschrieben wird. Ein weiteres wichtiges Thema der letzten Zeit waren die Angriffe auf Bundeswehr-SoldatInnen in Mali, zu denen ebenfalls zwei Artikel auf der IMI-Seite erschienen sind. Und schließlich winkte der Haushaltsausschuss in seiner allerletzten Sitzung vor Ende der Legislatur noch eine ganze Reihe von Rüstungsprojekten mit einem Gesamtvolumen von ca. 20 Mrd. Euro durch. Dazu gehörte leider auch die nächste Projektphase des hochumstrittenen ?Future Combat Air Systems? (FCAS). Als ?Krönung? handelte das Verteidigungsministerium auch noch eine Erhöhung seines Etats um etliche Milliarden heraus, um den Großteil dieser Projekte zu finanzieren. Die ausführliche IMI-Studie zum FCAS wurde nun um die neuesten Entwicklungen aktualisiert. IMI-Studie 2021/4b Future Combat Air System Das größte Rüstungsprojekt Europas http://www.imi-online.de/2021/07/13/future-combat-air-system-2/ Jürgen Wagner (13. Juli 2021) IMI-Analyse 2021/33 Ungarische Aufrüstungspolitik Deutschland als zentraler Partner http://www.imi-online.de/2021/07/09/ungarische-aufruestungspolitik/ Martin Kirsch (9. Juli 2021) IMI-Standpunkt 2021/042 - in: Telepolis (30.6.2021) Verwundete in Mali: Informations- und Wahrnehmungsblockade http://www.imi-online.de/2021/06/30/verwundete-in-mali-informations-und-wahrnehmungsblockade/ Christoph Marischka (30. Juni 2021) IMI-Standpunkt 2021/041 Kritik an Rüstungsprojekten http://www.imi-online.de/2021/06/28/kritik-an-ruestungsprojekten/ Tobias Pflüger (28. Juni 2021) IMI-Standpunkt 2021/040 - in: Telepolis (26.6.2021) Verletzte in Mali ? wofür? http://www.imi-online.de/2021/06/28/verletzte-in-mali-wofuer/ Christoph Marischka (28. Juni 2021) IMI-Standpunkt 2021/037; in: junge Welt, 19.6.2021 ?Das KSK muss aufgelöst werden? Neonazis in der Bundeswehr http://www.imi-online.de/2021/06/23/das-ksk-muss-aufgeloest-werden/ Luca Heyer (23. Juni 2021) IMI-Standpunkt 2021/036 Verteidigungsministerium: Hoch gepokert und Milliarden gewonnen http://www.imi-online.de/2021/06/23/verteidigungsministerium-hoch-gepokert-und-milliarden-gewonnen/ Jürgen Wagner (23. Juni 2021) IMI-Standpunkt 2021/032 KI-Drohnen auf Menschenjagd Völkerrechtswidrige Aufrüstung von Proxys in Libyen http://www.imi-online.de/2021/06/16/ki-drohnen-auf-menschenjagd/ Pablo Flock (16. Juni 2021) 2.) IMI-Studie: Polizeidrohnen IMI-Studie 2021/6 Der Blick von Oben Polizei-Drohnen in Deutschland http://www.imi-online.de/2021/07/13/der-blick-von-oben/ Sam Rivera (13. Juli 2021) Seit Mitte der 2000er haben Polizeibehörden begonnen, Luft-Drohnen, auch UAV (Unmanned Aerial Vehicle) genannt, anzuschaffen. Es fehlte in Deutschland und in Europa allgemein noch an Rechtsgrundlagen, dies wurde aber nun größtenteils aufgeholt - unter anderem in den vielen Polizeigesetz-Novellen der letzten Jahre. 2008 titelte der Stern noch ?Science-Fiction-Vision wird Realität?.  Die Skepsis war allgemein recht groß.  Mittlerweile werden Drohnen von der Polizei flächendeckend eingesetzt, eine Einordnung dieser Entwicklung in Bezug auf Grundrechtseingriffe, Erweiterung polizeilicher Befugnisse und allgemein auf einer politischen Ebene blieb bislang jedoch größtenteils aus. Daher soll diese Studie einen groben Überblick über die Entwicklungen bei Beschaffung und Einsatz von Luftdrohnen durch die Polizei in Deutschland bieten und eine Einordnung der Auswirkungen dieser Einsätze versuchen. Darüber hinaus soll ein Blick auf nationale und internationale Kooperationen im Bereich Drohnen-Technologie zeigen, wie diese direkt mit Tendenzen zur Militarisierung und Technologisierung der polizeilichen Arbeit zusammen hängen und durch einen Blick auf die Drohnen-Einsatzpraxis anderer Länder und aktuelle Forschungsprojekte mögliche Zukunftsperspektiven aufzeichnen. 1 Einführung  2 Akteure  2.1 Drohnen bei den Polizeibehörden  2.2 Drohnen-Hersteller im Überblick  3 Polizeidrohnen im Einsatz  3.1 Beispiel Freiburg im Breisgau  3.2 Beispiel staatliche Corona-Maßnahmen  4 Auswirkungen von Polizeidrohnen in der Praxis  4.1 Einschränkungen der Grundrechte  4.2 Schlechte Technik ? Untergraben des Datenschutzes  4.3 Drohnen als Teil der polizeilichen Militarisierung  5 Zukunftsperspektive  5.1 ROBORDER ? im Schwarm vernetzt, autonom agierend  5.2 Automatisierung und KI  5.3 Drohnen als Teil des technologischen Angriffs  6 Fazit  7 Anhang  7.1 Anlage 1: Polizeidrohnen in Deutschland: Übersicht  7.2 Quellen Die gesamt Studie zum herunterladen: https://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2021-6-Polizeidrohnen.pdf From imi at imi-online.de Mon Aug 2 13:39:53 2021 From: imi at imi-online.de (imi) Date: Mon, 2 Aug 2021 13:39:53 +0200 Subject: [IMI-List] [0593] Fregatte Indo-Pazifik / Artikel: Polizeidrohnen und FCAS Message-ID: ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0593 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List findet sich 1.) Hinweise auf neue Artikel u.a. zum FCAS und zu Polizeidrohnen; 2.) eine IMI-Analyse zu Fregatte Bayern, die heute in Richtung Indo-Pazifik in See sticht, um Flagge in den Großmachtkonflikten in der Region zu zeigen. 1.) Neue Artikel: FAS, Polizeidrohnen Auf die in der letzten IMI-List vorgestellte Studie zu Polizeidrohnen gab es erfreulich viel Resonanz. Die Studie findet sich hier (http://www.imi-online.de/2021/07/13/der-blick-von-oben/), eine stark gekürzte Fassung ist in der UZ erschienen. Außerdem neu auf der Homepage auch ein Artikel zum aktuellen Stand in Sachen Eurodrohne und FCAS. IMI-Standpunkt 2021/044 - in: Unsere Zeit, 30.7.2021 Staatsgewalt rüstet auf Polizeidrohnen sind eine Gefahr für unsere Grundrechte http://www.imi-online.de/2021/08/02/staatsgewalt-ruestet-auf/ Sam Rivera (2. August 2021) Pressebericht - in: Netzpolitik, 14.7.2021; junge Welt, 15.7.2021 Presseberichte zur Polizeidrohnen-Studie http://www.imi-online.de/2021/07/19/presseberichte-zur-polizeidrohnen-studie/ (19. Juli 2021) IMI-Standpunkt 2021/043 Eurodrohne und zukünftiges Kampfflugzeug im FCAS http://www.imi-online.de/2021/07/14/eurodrohne-und-zukuenftiges-kampfflugzeug-im-fcas/ Marius Pletsch (14. Juli 2021) 2.) IMI-Analyse: Deutsche Fregatte nimmt Kurs auf den Indo-Pazifik IMI-Analyse 2021/34 Flagge zeigen! Mit der Fregatte ?Bayern? reiht sich Deutschland in den US-Aufmarsch im Indo-Pazifik ein http://www.imi-online.de/2021/08/02/flagge-zeigen/ https://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2021-34-Indo-Pazifik.pdf Özlem Alev Demirel und Jürgen Wagner (2. August 2021) Heute nimmt die Fregatte ?Bayern? von Wilhelmshaven aus mit der Begründung Kurs in Richtung Indo-Pazifik, man müsse dort ?Flagge zeigen? (Annegret Kramp-Karrenbauer). Tatsächlich handelt es sich dabei nicht um irgendeine beliebige Rundreise, sondern um ein bewusstes Zeichen, dass auch Deutschland in der sich verschärfenden Großmachtkonkurrenz mit China mitmischen will. Diese Konflikte haben ihre Wurzeln in unterschiedlichen kapitalistischen Ordnungsvorstellungen und knallharten Auseinandersetzungen um Macht und Einflusssphären, die aktuell im Indo-Pazifik am intensivsten ausgetragen werden. Tonangebend sind dabei aber weiter vor allem die USA, die eine gezielte Strategie verfolgen, um China innerhalb der sogenannten ersten Inselkette militärisch blockieren zu können. Schon vor einiger Zeit rief Ursula von der Leyen, damals noch als Verteidigungsministerin, die ?Ära der Konkurrenz großer Mächte? aus, in der sich Deutschland nicht ?neutral? verhalten könne, sondern fest an der Seite der USA stehen müsse.[1] Nachdem sie den Stab an ihre Nachfolgerin übergeben musste, die ganz auf dieser Linie weiter operierte und den Kurs sogar eher noch verschärfte, ergriff von der Leyen als heutige Kommissionspräsidentin die Gelegenheit und holte mit einer neuen Indo-Pazifik-Strategie nun auch die Europäische Union mit ins Boot der neuen Großmachtkonkurrenz. Vom Kalten Krieg zur Neuen Großmachkonkurrenz Lange sonnten sich die USA und in ihrem Gefolge auch ihre Verbündeten recht unangefochten an der Spitze der internationalen Machthierarchie. Allerdings bröckelt diese Vorherrschaft inzwischen erheblich und es ist vor allem China, das ein beachtliches Wirtschaftswachstum vorweisen kann: Während der kaufkraftbereinigte Anteil des Landes am globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) laut Statista von 2,27% (1980) auf 18,56% (2020) in die Höhe schnellte, schrumpfte der US-Anteil am BIP-Kuchen von 21,41% (1980) auf 15,98% (2020). Noch ausgeprägter fiel der Rückgang bei der Europäischen Union aus, die von 26,02% (1980) auf 14,90% (2020) abstürzte. Spätestens seit der Wirtschafts- und Finanzkrise ab etwa 2008 ist der westliche Abstieg unübersehbar geworden und es dürfte deshalb kein Zufall sein, dass seither immer prominenter eine neue Systemkonkurrenz vor allem mit China beschworen wird. Mit dem kurz danach erfolgten Amtsantritt von US-Präsident Barack Obama wurden daraus auch konkrete militärpolitische Konsequenzen gezogen. Im November 2011 rief die damalige US-Verteidigungsministerin Hillary Clinton in der ?Foreign Policy? in einem viel beachteten Artikel ?Amerikas pazifisches Jahrhundert? (?America's Pacific Century?) aus, der die ein Jahr später von Obama als Chefsache eingeleitete militärische Schwerpunktverlagerung (?pivot?) Richtung Asien vorwegnahm. Im Zuge dessen wurde unter anderem die bis dato hälftig im Pazifik und im Atlantik stationierte US-Marine auf etwa 60% zu 40% zugunsten Ostasiens verschoben. Unter Präsident Donald Trump war dann eine nochmalige Verschärfung zu verzeichnen, als es etwa in der Nationalen Sicherheitsstrategie von Dezember 2017 hieß: ?China und Russland fordern Amerikas Macht, seinen Einfluss und seine Interessen heraus und versuchen Amerikas Sicherheit und Wohlstand zu untergraben. [?] China zielt darauf ab, die USA aus der indopazifischen Region zu drängen, die Reichweite seines staatsbasierten Wirtschaftsmodells zu vergrößern und die Region nach seinen Vorstellungen neu zu ordnen. [?] Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass die militärische Überlegenheit der USA weiterbesteht.?[2] Auch unter dem neuen US-Präsidenten Joseph Biden ist kein Kurswechsel zu erwarten ? im Gegenteil. Bei seinem ersten großen außenpolitischen Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2021 nannte er die ?langfristige strategische Auseinandersetzung mit China? als oberste Priorität.[3] Schon zuvor schuf er den Posten des ?Indo-Pazifik-Koordinators? im Nationalen Sicherheitsrat, den er mit Kurt Campbell besetzte, dem Architekten von Obamas militärischer Schwerpunktverlagerung Richtung China. Und auch der neue Verteidigungsminister Lloyd Austin ließ gleich in seinem ersten Memo an die Streitkräfte im März 2021 verlauten: ?Das Verteidigungsministerium wird den Fokus auf China als vorrangiger treibender Kraft legen und die entsprechenden operativen Konzepte, Fähigkeiten und Pläne entwickeln, um die Abschreckung zu stärken und unsere Wettbewerbsvorteile zu erhalten.?[4] Dieser mit zunehmend härteren Bandagen ausgetragene Konkurrenzkampf erstreckt sich zwar auf eine ganze Reihe von Bereichen, am erbittertsten wird er derzeit allerdings im sogenannten Indo-Pazifik ausgetragen. Epizentrum Indopazifik Allein schon der Begriff ?Indo-Pazifik? ist ein Politikum: Er unterstreicht die immer weiter steigende Bedeutung dieses als militärisch-strategische Einheit begriffenen Raums, über den ein Großteil des weltweiten maritimen Außenhandels abgewickelt wird. Der Westen reklamiert für sich das Recht, dort für die ?Freiheit? dieser Schifffahrtrouten zu garantieren ? was dem Anspruch auf deren Kontrolle ziemlich nahe kommt. Für China ist dies alles andere als unproblematisch, beinhaltet es doch die westliche Fähigkeit, im Konfliktfall jederzeit mit einer Blockade der für sein exportbasiertes Entwicklungsmodell überlebenswichtigen Handelsrouten drohen zu können. Das US-Konzept des ?Freien und Offenen Indo-Pazifik? wird in China deshalb argwöhnisch vor allem als Versuch zur Eindämmung und Einkreisung des Landes wahrgenommen: ?Ein Szenario, in dem die mächtige US-Marine und ihre Verbündeten die Handelswege durch südostasiatische Gewässer blockieren und China damit wirtschaftlich strangulieren könnten, ist im strategischen Diskurs Chinas ebenfalls allgegenwärtig.?[5] Dass dieser Verdacht alles andere als aus der Luft gegriffen ist, bestätigt das ?U.S. Strategic Framework for the Indo-Pacific?, das vom Nationalen Sicherheitsrat 2018 angefertigt wurde und im Januar 2021 an die Öffentlichkeit gelangte: ?Die strategischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und China werden von Dauer sein?, heißt es darin. ?Der Verlust der US-Vorherrschaft im Indo-Pazifik würde auch die Fähigkeit der USA schwächen, ihre Interessen global umsetzen zu können.? Als vorrangige Aufgabe definiert dieses Dokument deshalb ?die Aufrechterhaltung der strategischen Vorherrschaft der USA in der indopazifischen Region und die Förderung einer liberalen Wirtschaftsordnung.? Dies werde gelingen, indem China eine ?dauerhafte Luft- oder Seedominanz innerhalb der ?ersten Inselkette? verwehrt? werde und die USA zugleich ?alle Bereiche außerhalb der ersten Inselkette beherrschen.?[6] Mit der ersten Inselkette ist der Riegel gemeint, den Japan, Taiwan, die Philippinen und Indonesien bilden. Der klar artikulierte US-Anspruch, China im Konfliktfall jederzeit innerhalb dieses Riegels einschnüren zu können, wurde von Peking u.a. durch recht weitreichende ? und aus Sicht vieler Anrainer durchaus nachvollziehbar beunruhigende ? Ansprüche auf dahinterliegende Inseln gekontert, über die es versucht, den USA den Zugang in die Region erheblich zu erschweren. In diesem Zusammenhang wurden unter Donald Trump die sogenannten ?Manöver für die Freiheit der Schifffahrt? (FONOPS) massiv ausgeweitet, die Washingtons Ansprüche auf eine uneingeschränkte militärische Präsenz untermauern und die Chinas unterminieren sollen. Leider deutet wenig darauf hin, dass die Biden-Administration von dieser waghalsigen Strategie Abstand nehmen will. So dürfte das Indopazifik-Kommando im März 2021 die $27 Mrd. für die ?Pazifische Abschreckungsinitiative? wohl kaum ohne Absprache mit der neuen Regierung beantragt haben. Diese Gelder sollen zwischen 2022 und 2027 in zusätzliche Kampfkraft im indopazifischen Raum investiert werden (unter Trump wurden für 2021 bis 2026 noch $18,5 Mrd. gefordert). Während das Regionalkommando für 2022 ?nur? $4,6 Mrd. wollte, erhöhte die Biden-Regierung diesen Betrag in ihrem Haushaltsantrag kurzerhand auf $5,1 Mrd.. Neben der weiteren Aufrüstung des US-Stützpunktes auf Guam soll davon unter anderem auch die Aufstellung von Raketen mit einer Reichweite von über 500km auf verschiedenen Inseln im indopazifischen Raum finanziert werden, was bis zur US-Aufkündigung des INF-Vertrags 2019 noch verboten gewesen wäre. Als Begründung gab das Indopazifik-Kommando an, die USA ?benötigen entlang der ersten Inselkette hochgradig überlebensfähige Netzwerke für Präzisionsschläge.?[7] Ganz generell trägt Bidens neuer Haushaltsantrag über $752,9 Mrd. für nationale Verteidigung ($715 Mrd. davon für das Pentagon), der Ende Mai dem Kongress zugeleitet wurde, die Handschrift der neuen Systemkonkurrenz: ?Die Biden-Administration in den USA legt einen Schwerpunkt auf die technologische Modernisierung der Streitkräfte. [Dabei] geht es um die Aufstellung der Streitkräfte mit Blick auf einen potenziellen Konflikt mit Russland oder China.?[8] Deutschland: Kanonenbootdiplomatie! Als ehemalige Kolonialmächte spielen Frankreich und Großbritannien bis heute auch militärisch eine wichtige Rolle in der Region. Auch Deutschland ist historisch alles andere als unvorbelastet ? zum Beispiel durch seine Rolle im Boxeraufstand Anfang des vorigen Jahrhunderts, um nur ein Stichwort zu nennen.[9] Lange hielt man sich aber in der Region dann ziemlich zurück, doch seit einiger Zeit dreht sich der Wind wieder. Eine wesentliche Akteurin ist in diesem Zusammenhang Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die am 17. November 2020 in einer Grundsatzrede die Entsendung einer Fregatte in die Region ankündigte und Bezug auf das erste Strategiepapier der Bundesregierung für den indopazifischen Raum nahm: ?Ich freue mich, dass die Bundesregierung umfassende Leitlinien zum Indo-Pazifik beschlossen hat, die auch die Sicherheits- und Verteidigungspolitik umfasst. Die strategische Bedeutung der Region wird damit voll anerkannt. [?] Deutschland wird präsenter, etwa durch mehr Verbindungsoffiziere und im kommenden Jahr [?] durch ein Schiff der Deutschen Marine. [?] Wir werden Flagge zeigen für unsere Werte, Interessen und Partner.?[10] Die besagten ?Leitlinien zum Indo-Pazifik? wurden von der Bundesregierung im September 2020 veröffentlicht und betonten, im Indo-Pazifik sei für Deutschland die ?maritime Sicherheit von vitaler Bedeutung?. Auch vom Ausbau der militärischen Präsenz ist in dem Dokument die Rede: ?Die Bundesregierung beabsichtigt, sich in Zukunft noch aktiver an Maßnahmen zu [sic] Schutz und Si­cherung der regelbasierten Ordnung im Indo-Pazifik [?] zu beteiligen. Ferner beabsichtigt sie, die sicherheits- und verteidigungspolitische Koopera­tion mit Partnern in der Region weiter auszubauen. Diese umfasst [?] einen Ausbau der verteidigungspolitischen Kontakte in der Region selbst. Dies schließt Verbindungsoffiziere, Militärattachéstäbe, Hafenbesuche und die Teilnahme an Übungen sowie weitere Formen maritimer Präsenz im indo-pazifischen Raum ein.?[11] Obwohl diese Passagen reichlich vage daherkommen, ist doch klar, dass eine der ?Formen? maritimer Präsenz augenscheinlich das heute in See gestochene Kriegsschiff ?Bayern? darstellt. Wie teils bemängelt wurde, wird dabei entgegen ursprünglicher Planungen des Verteidigungsministeriums auf die direkte Teilnahme an Manövern oder Durchfahrten durch von China beanspruchte Gebiete verzichtet, dennoch sollte der Symbolwert der Aktion nicht unterschätzt werden. Schließlich schickt Deutschland damit erstmals im Kontext der neuen Systemkonkurrenz mit einer Fregatte seine größte maritime Gewichtsklasse in die Region: ?Die Fahrt nach Fernost soll Botschaften an drei Adressaten richten. Sie ist: eine Warnung an China; eine Beistandsbekundung für die Verbündeten in der Region; eine Solidaritätsadresse an die USA: Im Systemwettbewerb mit China ist Deutschland an der Seite der Amerikaner.?[12] Ein weiterer Aspekt kommt noch hinzu: Ohne Deutschlands neu erwachtes Interesse wäre es wohl auch kaum möglich gewesen, die gesamte Europäische Union hinter einer Indo-Pazifik-Strategie zum Ausbau des militärischen Profils zu versammeln. Bereits in den Leitlinien zum Indo-Pazifik wurde angekündigt: ?Die Bundesregierung wird sich gemeinsam mit Frankreich für die Erarbeitung einer europäischen Strategie zum Umgang mit dem Indo-Pazifik einsetzen.? Dauerpräsenz als EU-Strategie Ein erstes Signal für eine Verhärtung der Fronten wurde bereits in einer gemeinsamen Mitteilung der EU-Kommission und der EU-Außenbeauftragten im März 2019 gesendet. Darin hieß es zwar, China sei in ?verschiedenen Politikbereichen ein Kooperationspartner?, andererseits aber nicht zuletzt auch ?ein wirtschaftlicher Konkurrent in Bezug auf technologische Führung und ein Systemrivale, der alternative Governance-Modelle propagiert.?[13] Vor allem Frankreich, das bereits beträchtliche Kräfte in der Region stationiert hat, aber auch die Niederlande und Deutschland waren es dann, die auf eine gemeinsame EU-Indo-Pazifik-Strategie hinarbeiteten, die der EU-Rat im April 2021 verabschiedete. Die EU-Strategie beklagt die ?Dynamik? und den ?intensiven geopolitischen Wettbewerb? im Indo-Pazifik, durch den die ?regelbasierte internationale Ordnung? und ?freie und offene Seeschifffahrtsversorgungswege? bedroht seien. Deshalb sei der Rat der ?Auffassung, dass die EU ihre strategische Ausrichtung, ihre Präsenz und ihre Maßnahmen im indopazifischen Raum verstärken sollte?.[14] Ins Auge sticht dabei besonders die offizielle Übernahme des Indo-Pazifik-Begriffs, die eine deutliche Annäherung an die USA und ihre Ambitionen zur militärischen Eindämmung Pekings nahelegt. Ferner wird eine buchstäblich ausufernde Definition vorgelegt, da sich der ?indopazifische Raum?, laut dem Dokument auf das ?geografische ?Gebiet von der Ostküste Afrikas bis zu den Pazifik-Inselstaaten erstreckt?. Augenscheinlich wird hier zumindest perspektivisch eine militärische Dauerpräsenz entlang der gesamten Schifffahrtsrouten von Ostasien bis nach Europa ins Auge gefasst. Als zentrales Mittel hierfür soll das neue Instrument einer ?koordinierten maritimen Präsenz? dienen. Es sieht vor, dass in Regionen, die von der EU als Gebiete vorrangigen Interesses gebrandmarkt wurden, die maritime Präsenz der Einzelstaaten fortan unter dem offiziellen Dach der EU koordiniert und systematisiert wird. Als Pilotprojekt wurde hierfür im Januar 2021 der Golf von Guinea auserkoren und es zeichnet sich jetzt schon ab, dass der Indo-Pazifik hier bald folgen wird. In der EU-Indo-Pazifik-Strategie heißt es dazu: ?Die EU wird prüfen, ob es zweckmäßig ist, Meeresgebiete von Interesse im indopazifischen Raum zu schaffen?. Unterhalb der Schwelle eines offiziellen Militäreinsatzes soll dies dennoch eine dauerhafte Militärpräsenz unter EU-Flagge in der Region ermöglichen: ?Das Konzept unterscheidet sich zwar von GSVP-Missionen und -Operationen, könnte aber zur Bewältigung der bestehenden sicherheitspolitischen Herausforderungen in der Region beitragen. Die Mitgliedstaaten erkennen an, wie wichtig eine bedeutende europäische Marinepräsenz im indopazifischen Raum ist.? Dunkle Wolken Auch die NATO hat inzwischen China als Systemrivalen für sich entdeckt, wie zuletzt auf dem Gipfeltreffen in Brüssel im Juni 2021 mehr als deutlich wurde. Allerdings ist unklar, inwieweit sich das Bündnis auch geographisch bis nach Ostasien vorwagen wird. Wahrscheinlicher ist derzeit, dass es sich eher auf Fragen wie die High-Tech-Rüstung konzentrieren und den Indio-Pazifik den Einzelstaaten und nun auch der EU überlassen wird. Klar ist aber jetzt schon, dass dunkle Wolken über dem Indo-Pazifik aufziehen, wo sich die Großmachtkonflikte immer weiter hochschaukeln: ?Ich bin mir sicher, dass wir innerhalb der nächsten fünf Jahre in eine kriegerische Auseinandersetzung mit China geraten [?]. Es ist einfach unvermeidbar?, so etwa die Einschätzung von Ben Hodges, der bis 2017 NATO-Oberkommandeur in Europa war.[15] Doch anstatt dieser Entwicklung mit deeskalierenden Maßnahmen und Vorschlägen entgegenzuwirken, haben sich die Bundesregierung und auch die Europäische Union augenscheinlich dazu entschieden - ungeachtet durchaus auch vorhandener Interessensunterschiede auf verschiedenen anderen Ebenen -, an der Seite der USA auch militärisch in die Auseinandersetzungen im Indo-Pazifik einzutreten. Bei diesem Artikel handelt es sich um eine erweiterte Fassung eines Beitrages, der zuerst unter dem Titel ?Kanonenbootdiplomatie? in der jungen Welt vom 29. Juli 2021 erschien. Anmerkungen [1] Leyen, Ursula von der: Rede bei der 55. Münchner Sicherheitskonferenz, 15.02.2019. [2] National Security Strategy, December 2017. [3] Biden, Joseph: Remarks at the Munich Security Conference, 19.02.2021. [4] Austin, Lloyd: Memorandum for all DoD Employees, 04.03.2021. [5] Wirth, Christian: "Lawfare" im Südchinesischen Meer, GIGA Focus Asien, 08/2020. [6] U.S. Strategic Framework for the Indo-Pacific, veröffentlicht am 05.01.2021. [7] Eyeing China, Indo-Pacific Command seeks $27 billion deterrence fund, defensenews.com, 01.03.2021. [8] Umstrittener Pentagon-Etatantrag vorgelegt, Europäische Sicherheit und Technik, 20.07.2021. [9] Siehe zur historischen Rolle Deutschlands ausführlich Die deutsche Marine auf großer Fahrt gegen China 2.0, in: Arbeiterstimme, Nr. 212/2021, S. 1-9. [10] Zweite Grundsatzrede der Verteidigungsministerin, bmvg.de, 17.11.2020. Die Entsendung einer Fregatte wurde erstmals bereits im März 2020 für dasselbe Jahr angekündigt, musste aber aufgrund der Pandemie verschoben werden. Kurz darauf begründete Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in einer Rede bei der Deutschen Maritimen Akademie am 12. März 2020 die kurz zuvor verkündete Entscheidung zur Entsendung einer Fregatte mit den Worten: ?Die Aufgaben unserer Marine gehen über die Landes- und Bündnisverteidigung hinaus. Denn Seewege sind Lebensadern. Und so ist die Freiheit der Seewege für Deutschland und unseren Wohlstand von großer strategischer Bedeutung. [?] Es wird deutlich: Wir haben ein vitales Interesse an verlässlichen Regeln, an der liberalen internationalen Ordnung. Und die wird auch zu Wasser verteidigt. Viel genutzte strategische Engpässe, wie die Straßen von Hormus und Malakka, sind besonders bedeutsam und in hohem Maße von Regionalkonflikten bedroht, aber auch von Terrorismus und Piraterie. [?] In der zweiten Jahreshälfte, während Deutschlands EU-Ratspräsidentschaft, wollen wir außerdem eine Fregatte in den Indischen Ozean entsenden. Als wichtiges Zeichen: Auch in diesem Teil der Welt haben wir Interessen, auch dort setzen wir uns für internationales Recht ein, auch dort stehen wir unseren Partnern zur Seite.? (Rede der Bundesministerin der Verteidigung Annegret Kramp-Karrenbauer anlässlich des Parlamentarischen Frühstücks der Deutschen Maritimen Akademie am 12. März 2020) [11] Leitlinien zum Indo-Pazifik, September 2020. [12] Auf maritimer Mission in Fernost, The Pioneer, 21.07.2021. [13] EU-China ? Strategische Perspektiven, JOIN (2019) 5, 12.03.2019. [14] EU-Strategie für die Zusammenarbeit im indopazifischen Raum ? Schlussfolgerungen des Rates, 16.04.2021. [15] White House: US-China war over Taiwan 'would broaden quickly', msn.com, 05.05.2021. From imi at imi-online.de Tue Aug 17 16:13:10 2021 From: imi at imi-online.de (imi) Date: Tue, 17 Aug 2021 16:13:10 +0200 Subject: [IMI-List] =?utf-8?q?=5B0594=5D_Factsheet_R=C3=BCstung_/_Afghani?= =?utf-8?q?stan_/_Border_Business?= Message-ID: <8c76ad88-a624-163a-727c-5347abdba469@imi-online.de> ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0594 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List findet sich 1) der Hinweis und die kostenlose Bestellmöglichkeit des neuen IMI-Factsheets ?Rüstung? (mitsamt A2-Rüstungsatlaskarte); 2) der Hinweis auf das Projekt ?Border Business?, an dem die IMI beteiligt ist; 3) eine erste vorläufige Einschätzung zur sich überschlagenden Lage in Afghanistan. 1.) Factsheet Rüstung (mit A2-Karte) Das IMI-Factsheet Rüstung wurde grundsätzlich überabreitet und mit vielen neuen Informationen angereichert. ?Prunkstück? ist jetzt eine ausfaltbare A2-Karte im Innenteil, die einen Überblick über die wichtigsten Rüstungsstandorte in Deutschland geben soll. Rechtzeitig zum Antikriegstag können die Factsheets gratis (gegen Porto) im Materialshop der DFG-VK bestellt werden: https://shop.dfg-vk.de/?product=fact-sheet-ruestung (dort lässt sich das Factsheet auch vorab anschauen) Bald werden wir auch das PDF des Factsheets einstellen und wir haben für das Ende des Jahres dann auch die Veröffentlichung des zur Karte zugehörigen Verzeichnisses der Rüstungsunternehmen in Form einer Online-Broschüre geplant. Die Erstellung des Factsheets war sehr aufwändig, alle die uns dabei und bei künftigen Projekten unterstützen wollen, sind dazu herzlich eingeladen: http://www.imi-online.de/mitglied-werden/ 2.) Projekt ?Border Business? IMI-Mitteilung Die Profiteure der Hochrüstung der Grenzen http://www.imi-online.de/2021/08/15/die-profiteure-der-hochruestung-der-grenzen/ IMI (15. August 2021) Das Projekt ?Migration Control? und die Informationsstelle Militarisierung haben sich vorgenommen, eine umfassende Liste von Institutionen und v.a. Unternehmen zu erstellen, die von der (technologischen) Hochrüstung der Grenzen profitieren. Eine erste Version mit gut 70 Unternehmen und Forschungseinrichtungen haben wir bereits online veröffentlicht: https://migration-control.info/bobusi/ Dabei handelt es sich weder um eine systematische noch erschöpfende Auswahl. Wir hoffen allerdings, diese Liste mit Eurer Hilfe beständig zu erweitern und zu aktualisieren. Falls Ihr uns dabei helfen wollt, bestehen unterschiedliche Möglichkeiten. Mehr dazu hier: http://www.imi-online.de/2021/08/15/die-profiteure-der-hochruestung-der-grenzen/ 3.) Lage in Kabul IMI-Standpunkt 2021/045 Flucht aus Kabul und Deutschlands ?Verantwortung? http://www.imi-online.de/2021/08/16/flucht-aus-kabul-und-deutschlands-verantwortung/ Bernhard Klaus (16. August 2021) Seit Sonntag, dem 15. August 2021, spielen sich auf dem Flughafen von Kabul dramatische Szenen ab. Das NATO-Militär hat den zivilen Luftverkehr eingestellt und setzt die oberste Priorität auf die Evakuierung der eigenen Botschaftsangehörigen. Davon, dass die US-Streitkräfte die ?Kontrolle? übernommen hätten, kann aber eigentlich keine Rede sein. Menschengruppen rennen über die Start- und Landebahn und werden von US-Kampfhubschraubern im Tiefflug vertrieben, Einzelne klammern sich verzweifelt an abhebenden Maschinen fest. Auch aus Deutschland wurden Militärtransporter auf den Weg nach Kabul geschickt, um Angehörige der deutschen Botschaft, anderer Ministerien und von NGOs zu evakuieren. Abgesichert werden soll das durch Fallschirmjäger der Division Schnelle Kräfte und Feldjäger der Bundeswehr. Es ist davon auszugehen, dass auch Angehörige des Kommandos Spezialkräfte nach Kabul verlegt werden oder bereits vor Ort sind. Die deutschen Militärs werden kaum umhin kommen, mitzuentscheiden und womöglich auch mit Waffengewalt durchzusetzen, wer mitfliegen darf und wer nicht. Auf anderer Ebene geschieht dies bereits durch die Sperrung des Luftraums für den zivilen Luftverkehr, weshalb alle Linienflüge vorerst ausgesetzt sind bzw. umgeleitet werden. Wer jetzt noch aus Kabul raus will, muss an Bord eines NATO-Militärflugzeuges gelassen werden. Auf Twitter finden sich Videos von Menschen, die sich auf der Gangway des vorerst letzten Flugzeuges drängen, das Kabul nach Indien verlassen sollte. Stefan Recker, Leiter Afghanistan-Büro Caritas International, gab sich im Interview mit tagesschau.de demgegenüber relativ entspannt, was seine persönliche Sicherheit angeht. Angesichts der dramatischen Szenen am Flughafen sah er sich am Abend des 15. Augusts noch wenig motiviert, sich dorthin zu begeben. Wann er genau ausgeflogen werde, wisse er noch nicht, er sei aber auf einer entsprechenden Liste vermerkt. Mehr Sorgen macht er sich um die afghanischen Mitarbeiter*innen der Organisation, für die (zumindest zu diesem Zeitpunkt) von deutscher Seite keine Evakuierung geplant war. Was die weitere Versorgung der Binnenflüchtlinge angeht, zeigte er sich eher zuversichtlich, bezeichnete die Taliban sogar ?momentan? als ?extrem kooperativ?. Das verweist darauf, dass zwar völlig nachvollziehbar Panik in Kabul und auf dem dortigen Flughafen ausgebrochen ist, aber eben nicht Alle erfasst. Die russische Botschaft verkündete am 16. August in sachlichem Ton, dass man das Personal in den nächsten Tagen reduzieren werde und dazu am folgenden Tag Verhandlungen mit Vertretern der Taliban geplant seien. China hat seinerseits angekündigt, friedliche Beziehungen zu den Taliban aufnehmen zu wollen. Bei denjenigen, die nun teilweise mit Waffengewalt zugunsten des westlichen Botschaftspersonals davon abgehalten werden, Kabul in den Militärmaschinen der NATO-Staaten zu verlassen, dürfte es sich also v.a. um Angehörige jener Zivilgesellschaft handeln, deren Aufbau v.a. in Deutschland immer wieder als großer Erfolg des NATO-Einsatzes hervorgehoben wurde. So sprach Winfried Nachtwei, entschiedener Befürworter der Afghanistan-Mission während der Regierungsbeteiligung der Grünen kürzlich von ?einer vitalen Zivilgesellschaft?, die sich in den Städten gebildet habe. Auch in den Debatten im Bundestag zur Verlängerung der Bundeswehr-Mandate wurde stets die Verantwortung für diese Zivilgesellschaft hervorgehoben, so etwa von Aydan Özo?uz (SPD) in ihrem Plädoyer für die Mandatsverlängerung im Februar 2020: ?Es gibt unglaublich starke und mutige Frauen in Afghanistan, die jeder Unterdrückung trotzen und trotz ständiger Drohung zu den Versammlungen gehen, um dort deutlich zu machen, dass ihnen ihre Rechte zustehen. Immer wieder bitten sie uns um Unterstützung. Wir dürfen sie hierbei nicht alleine lassen?. Wie Deutschland nun mit dieser Verantwortung umgeht, zeigt sich am Flughafen von Kabul. Da war ihr Fraktions-Kollege Fritz Felgentreu (SPD) in seiner anschließenden Rede schon ehrlicher, als er die tatsächlichen Handlungsparameter des Bundeswehr-Einsatzes benannte: ?Der Grundsatz ?Zusammen rein, zusammen raus? gilt, sowohl aus politischen wie aus militärischen Gründen und aus Gründen der Sicherheit?. Überhaupt war in den letzten Jahren zu bemerken, dass der Begriff der ?Verantwortung? in den Afghanistan-Debatten sich immer weiter weg von Afghanistan hin zu den NATO-Verbündeten bewegte. Dies war z.B. wiederholt das Hauptargument von Johann David Wadephul (CDU/CSU), zuletzt im März 2021: ? Die CDU/CSU-Fraktion wird dem Antrag zustimmen, weil uns das die Vernunft gebietet, weil wir Verlässlichkeit zeigen und weil wir Verantwortung übernehmen ? Wir sind verlässlich. Die Amerikaner haben uns in der Tat gebeten, der neuen Administration von Joe Biden zur Seite zu stehen und es ihr zu ermöglichen, einen Friedensschluss herbeizuführen, der sich an konkreten Bedingungen orientiert? Wir brauchen die Amerikaner, und wir brauchen den Erfolg der Biden-Administration. Alle NATO-Partner wollen den Einsatz fortsetzen. Deswegen sage ich an Bündnis 90/Die Grünen: Es reicht nicht, ins Wahlprogramm hineinzuschreiben, dass man zu den Verpflichtungen in der NATO steht. Wenn die NATO an dieser Stelle den Einsatz fortsetzen will, dann muss man im Rahmen der NATO solidarisch handeln?. Als Vertreter dieser Biden-Administration hat Außenminister Antony J. Blinken am 15. August ? während sich die Lage am Flughafen Kabul zuspitzte ? noch einmal die offiziellen Ziele der USA in Afghanistan auf den Punkt gebracht: ?We went to Afghanistan 20 years ago with one mission in mind, and that was to deal the people who attacked us on 9/11?. Nach offizieller Darstellung wurde die Leiche Osama bin Ladens am 2. Mai 2011 vom US-Militär im Arabischen Meer versenkt, nachdem er zuvor aufgegriffen und erschossen wurde ? in Abbottabad in Pakistan, einem mit den USA verbündeten Nachbarstaat Afghanistans, wo er vermutlich bereits seit 2006 gelebt hatte. Caritas International und allen anderen Hilfsorganisationen, die eine Distanz zur NATO wahren konnten und (auch deshalb) weiterhin in Afghanistan aktiv bleiben können, ist für die kommenden Monate und Jahre alles Gute und alle erdenkliche Unterstützung zu wünschen. From imi at imi-online.de Wed Sep 15 14:56:11 2021 From: imi at imi-online.de (IMI-JW) Date: Wed, 15 Sep 2021 14:56:11 +0200 Subject: [IMI-List] =?utf-8?q?=5B0595=5D_AUSDRUCK_=28September_2021=29_?= =?utf-8?q?=E2=80=93_Schwerpunkt=3A_Nasse_Nordflanke?= Message-ID: <62a9c6ba-d335-75fd-50a2-15e0ba9165b5@imi-online.de> ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0595 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List findet sich die neue Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK 1.) AUSDRUCK (Juni 2021): Schwerpunkt: Nasse Nordflanke Frisch erschienen ist die September-Ausgabe des IMI-Magazins Ausdruck. Im Schwerpunktteil beschäftigen wir uns mit der ?Nassen Nordflanke?, also der maritimen Aufrüstung von Nord- und Ostsee, der Arktis usw. Das Magazin widmet sich dem Umbau der Bundeswehr, dem Neuen Kalten Krieg (u.a. mit einer Analyse zum Indo-Pazifik) und einer Debatte, wie eine linke Position gegenüber China aussehen könnte. Außerdem finden sich erste Einschätzungen zur Lage in Afghanistan, die den Schwerpunkt der nächsten Ausgabe darstellen wird. Die komplette Ausgabe kann hier heruntergeladen werden kann: https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-September-web.pdf INHALSTSVERZEICHNIS SCHWERPUNKT: NASSE NORDFLANKE -- Editorial (Andreas Seifert) https://www.imi-online.de/download/Editorial-Ausdruck-September.pdf -- Strategischer Raum Meer (Andreas Seifert) https://www.imi-online.de/download/AS-Meer.pdf -- Volle Kraft voraus auf fremde Küsten: Marinerüstung in Deutschland (Lühr Henken) https://www.imi-online.de/download/LH-Marineruestung.pdf -- Warmes Klima, Kalter Krieg: Entwicklungen in der Arktis (Ben Müller) https://www.imi-online.de/download/BM-Arktis.pdf -- GIUK-Lücke: Wiederaufrüstung im Atlantik (Christina Boger) https://www.imi-online.de/download/CB-GIUK.pdf -- Kalte Krieger am Ärmelkanal (Merle Weber) https://www.imi-online.de/download/MW-Kanal.pdf -- ?Verteidiger des Baltikums?: NATO-Szenarien für einen Krieg in der Ostsee (Horst Leps) https://www.imi-online.de/download/HL-Ostsee.pdf -- Der Blick geht Richtung Osten: Ein deutsches NATO-Kommando für die Ostsee (Martin Kirsch) https://www.imi-online.de/download/MK-Ostsee.pdf -- Von Minen und Walen (Emma Fahr) https://www.imi-online.de/download/EF-Wale.pdf MAGAZIN DEUTSCHLAND UND DIE BUNDESWEHR -- Bundeswehr der Zukunft: Eckpunkte für den Kalten Krieg 2.0 (Martin Kirsch) https://www.imi-online.de/download/MK-Bundeswehr.pdf  -- Digitalisierung und KI bei der Bundeswehr (Christoph Marischka) https://www.imi-online.de/download/CM-Digitalsierung.pdf RÜSTUNG & RÜSTUNGSPROFITEURE -- Geldregen für die Bundeswehr: Hoch gepokert und Milliarden gewonnen (Jürgen Wagner) https://www.imi-online.de/download/JW-Geldregen.pdf -- Eurodrohne und zukünftiges Kampfflugzeug im FCAS (Marius Pletsch) https://www.imi-online.de/download/MP-FCAS.pdf -- Ungarische Aufrüstungspolitik: Deutschland als zentraler Partner (Martin Kirsch) https://www.imi-online.de/download/MK-Ungarn.pdf -- Die Profiteure der Hochrüstung der Grenzen (Christoph Marischka) https://www.imi-online.de/download/CM-Profiteure.pdf -- Südafrika und Griechenland: EU-Rüstungskonzerne kaufen Politiker (Pablo Flock) https://www.imi-online.de/download/PF-Korrupt.pdf NEUER KALTER KRIEG -- NATO-Agenda 2030: Gipfel der Systemkonkurrenz (Jürgen Wagner) https://www.imi-online.de/download/JW-NATO-Gipfel.pdf -- Flagge zeigen! Aufmarsch im Indopazifik (Özlem Alev Demirel und Jürgen Wagner) https://www.imi-online.de/download/OD-Indopazifik.pdf -- China und der Westen ? wer bedroht wen? ? Ein Gespräch (Jörg Lang und Andreas Seifert) https://www.imi-online.de/download/AS-JL-China.pdf AFGHANISTAN UND MALI -- Afghanistan: Zur dramatischen Lage und Deutschlands Verantwortung (Tobias Pflüger) https://www.imi-online.de/download/TP-Afghanistan.pdf -- Inszenierung militärischer Evakuierung (Christoph Marischka) https://www.imi-online.de/download/CM-Afghanistan.pdf -- Externer Staatsaufbau: In Afghanistan gescheitert, in Mali auch nicht vielversprechend (Christoph Marischka) https://www.imi-online.de/download/CM-Mali.pdf From imi at imi-online.de Fri Oct 1 14:09:26 2021 From: imi at imi-online.de (imi) Date: Fri, 1 Oct 2021 14:09:26 +0200 Subject: [IMI-List] =?utf-8?q?=5B0596=5D_IMI-Kongress=3A_Man=C3=B6ver_als?= =?utf-8?q?_Bandbeschleuniger_=2820=2E11=2E2021=29?= Message-ID: ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0596 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, da wir uns sehr bemühen, beim diesjährigen IMI-Kongress auch eine Präsenz zu ermöglichen, haben die Planungen diesmal etwas länger gedauert. Nachdem es schon eine Reihe Nachfragen zum IMI-Kongress gab, freuen wir uns mit dieser IMI-List die Einladung und das Programm verschicken zu können. IMI-Kongress 2021 Manöver als Brandbeschleuniger: Kriegsspiele, Manöver und Konfrontation Datum: 20. November 2021 Ort: Sudhaus (Peripherie), Hechingerstr. 203, 72072 Tübingen Baltops, Zapad, Defender ? militärische Manöver machen zunehmend wieder Schlagzeilen. Die global wachsenden Spannungen werden begleitet und vertieft durch verstärkte Manöveraktivitäten auf allen Seiten, denen ein beträchtliches Eskalationspotenzial innewohnt. Manöver geben zudem einen Einblick in unterschiedlichste Bereiche: Sie zeigen die militärpolitische Bedeutung von Bündnisstrukturen (NATO, EU, multi- und bilateral) aber auch, welche rein nationalen Ambitionen verfolgt werden. Die Szenarien der Manöver geben Auskunft über geplante militärische Einsatzoptionen (Häuserkampf, geostrategische Präsenz, Zusammenspiel von Militär und anderen Akteuren wie Polizei). Kriegsübungen sind immer auch Waffenschauen, die für die Auftragsbücher der Rüstungsindustrie von großem Interesse sind. Zunehmend agiert die Rüstungsindustrie auch als Dienstleister zur Manöverunterstützung. Der ökologische Fußabdruck von Manövern ist enorm, teils werden zehntausende von Soldaten und schweres Militärgerät über lange Strecken transportiert und kommen vor Ort intensiv zum Einsatz. Kriegsspiel und Umweltzerstörung rufen Protest hervor, der sich sowohl gegen den Transport als auch gegen die damit verbundenen Kriegsvorbereitungen richtet. Der IMI-Kongress soll sowohl diesem Protest seine Aufmerksamkeit widmen als auch einen Einblick in die Bedeutung und Entwicklung der Militärmanöver im Kontext wachsender globaler Konfrontationen liefern. PROGRAMM: Samstag, 20. November 2021 12h15-13h15 Manöver als gefährliche Machtdemonstrationen (Tobias Pflüger) 13h30-14h30 Logistik für Übung und Ernstfall ? Militärische Mobilität (Victoria Kropp) ? Das NATO-Logistikkommando in Ulm (Alexander Kleiß) 15h-16h NATO-Manöver im Cyberraum (Aaron Lye) 16h15-17h45 Säbelrasseln gegen Russland ? Das Großmanöver Defender Europe 2022 (Claudia Haydt) ? Die Bundeswehr: Vom Szenario zur Rüstung (Martin Kirsch) 18h-19h Manöver, Umwelt und der Sprit (Jacqueline Andres) 19h15-20h Militärtransporte blockieren: Ein historischer Rückblick (Jan Meyer) Der Kongress wird unterstützt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg Anmeldung etc.: Der Kongress selbst wird in der ?Peripherie? im Sudhaus stattfinden, die auch mit Rollstuhl zu erreichen ist. Für eine Teilnahme in der Peripherie ist eine Anmeldung per Email (imi at imi-online.de, Betreff ?Anmeldung?) oder telefonisch (07071/49154 ? auch AB) nötig ? wir erfassen dabei nur die Namen und die Emailadresse oder den Namen und Telefonnummer. Bitte deswegen auch beim Sprechen auf den AB die entsprechenden Angaben hinterlassen. Ohne Anmeldung kann man den Kongress auch im Theatersaal im Sudhaus mitverfolgen, wo er live übertragen wird. Als Audio wird der gesamte Kongress auch vom Freien Radio Wüste Welle im Sendegebiet unter 96,6 Mhz und weltweit per Livestream (https://www.wueste-welle.de/broadcasts/livestream) übertragen. Zutritt zur Peripherie und zum Theatersaal besteht nach heutigem Stand für auf Corona getestete, geimpfte und genesene Personen (3G). Bitte beachten: Wenn sich das Pandemiegeschehen im Vorfeld des Kongresses zuspitzen sollte, ergeben sich gegebenenfalls Änderungen entsprechend der Coronaverordnung. Hierüber und über alles andere wissenswerte zum Kongress informieren wir www.imi-online.de/uber-imi/imi-kongress-2021 Anfahrt: Das Sudhaus ist gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ? die Linie 3 fährt Samstags ab 9:04 halbstündig Richtung ?Gartenstadt? mit 15 Minuten Fahrzeit zur Haltestelle ?Fuchsstraße?. Von dort sieht man das Sozikulturelle Zentrum bereits in Fahrtrichtung und erreicht es in zwei Minuten durch die Unterführung und über den großen Parkplatz. Der Fußweg vom Bahnhof entlang der Steinlach dauert eine gute halbe Stunde. From imi at imi-online.de Thu Oct 14 11:40:06 2021 From: imi at imi-online.de (imi) Date: Thu, 14 Oct 2021 11:40:06 +0200 Subject: [IMI-List] =?utf-8?q?=5B0597=5D_Brosch=C3=BCre_Grenzprofiteure_/?= =?utf-8?q?_Studie_Zentralafrika_/_Analysen=3A_Afghanistan?= Message-ID: <85d7fe0d-c16b-33c2-bd9b-75704bb95096@imi-online.de> ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0597 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List finden sich Hinweise auf 1.) eine neue Broschüre zu den Profiteuren des EU-Grenzregimes; 2.) die neue IMI-Studie ?Wettstreit um Zentralafrika?; und 3.) neue Analysen und ein Podcast mit verschiedenen Beiträgen zu Afghanistan. Zuvor aber noch der obligatorische Hinweis auf den IMI-Kongress ?Manöver als Brandbeschleuniger? am 20. November 2021. Alle Informationen finden sich hier: https://www.imi-online.de/uber-imi/imi-kongress-2021/ 1.) Broschüre zu den Profiteuren des EU-Grenzregimes Die Broschüre ?EU-Grenzregime: Profiteure der Entmenschlichung und mythologisierter Technologien? wird in Kooperation der IMI mit der Europaabgeordneten Özlem Demirel herausgegeben. Sie kann gratis im Internet hier heruntergeladen werden: IMI-Studie 2021/7 EU-Grenzregime Profiteure der Entmenschlichung und mythologisierter Technologien https://www.imi-online.de/2021/10/04/eu-grenzregime Jacqueline Andres (4. Oktober 2021) Durch diese Zusammenarbeit kann die Printversion demnächst ? gerne auch in größerer Stückzahl ? kostenlos via E-Mail bestellt werden: bestellungen at oezlem-demirel.de. Inhaltsverzeichnis 1. Das EU-Grenzregime 2. Sicherheitsindustrie macht Grenzen 3. Finanzierung des EU-Grenzregimes 4. Technologien und ihre Versprechen 5. Die Profiteure 6. Proteste und Widerstand Zur Broschüre: https://www.imi-online.de/2021/10/04/eu-grenzregime 2.) Studie: Der Wettstreit um Zentralafrika IMI-Studie 2021/8 Der Wettstreit um Zentralafrika Französische und russische Präsenz in der Zentralafrikanischen Republik https://www.imi-online.de/2021/10/11/der-wettstreit-um-zentralafrika/ Milena Düstersiek (11. Oktober 2021) Einleitung Seit beinahe zehn Jahren befindet sich die Zentralafrikanische Republik (ZAR) in einem andauernden Bürgerkrieg. In dem schon seit der Unabhängigkeit von gewaltsamen Auseinandersetzungen und Putschen geprägten Land geht es um mehr als um einen Konflikt basierend auf Ideologie, Religion oder Ethnie. Mit wachsender Präsenz und Einmischung anderer Staaten geht es in der ZAR auch um die Vormachtstellung und Einfluss in Zentralafrika, zwischen dem Westen auf der einen Seite und Russland, China und der Türkei auf der anderen Seite. Besonders die Spannung zwischen Frankreich und Russland kann man in der ZAR beobachten. The Sentry, ein journalistisches Rechercheteam, das zu Menschenrechtsverletzungen und Kriegsgewinnlern in verschiedenen Konflikten Zentralafrikas ermittelt, bewertet die Lage in der ZAR so, dass dort ausländische Mächte einen Stellvertreterkrieg führen, ?indem sie regionale und lokale Akteure ausnutzen, um ihre politischen, wirtschaftlichen und geostrategischen Ziele durchzusetzen.? Demnach sollen Russland und Frankreich auf entweder pro-russische oder pro-französische Akteure zurückgreifen, um dort ihre eigenen geostrategischen und geopolitischen Interessen durchzusetzen.[1] Diese Akteure bestehen einerseits aus der Zentralafrikanischen Armee, die von Russland unterstützt wird (FACA), und aus einer neu geformten pro-französischen Rebellenkoalition (Coalition des patriotes pour le changement, CPC). Warum sind Russland und Frankreich in der ZAR aktiv? Was sind ihre Einflussräume und ihre dahinterstehenden Interessen? Diese Studie soll diese Fragen beantworten. Sie wird im Folgenden die geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen Frankreichs und diejenigen Russlands darlegen, um einen ersten Überblick der internationalen Verflechtung dieses sehr komplexen Konflikts zu schaffen. Zur Studie: https://www.imi-online.de/2021/10/11/der-wettstreit-um-zentralafrika/ Inhaltsverzeichnis Kurze Darstellung des Hintergrunds ? 2 Die Problematik der Beschaffung unvoreingenommener Informationen ? 4 Russland ? 4 Russische Waffen für die ZAR ? 5 Wagner-Gruppe als Militärausbilder in der ZAR ? 5 Russlands Wirtschaftsinteressen in der ZAR ? 6 Frankreich -7 Frankreichs wirtschaftlicher Einfluss in der ZAR ? 7 Frankreichs militärischer Einfluss in der ZAR ? 9 Fazit ? 10 Zur Studie: https://www.imi-online.de/2021/10/11/der-wettstreit-um-zentralafrika/ 3.) Afghanistan: Analysen und Podcast Der nächste Schwerpunkt des IMI-Magazins Ausdruck wird sich mit Afghanistan beschäftigen (erscheint Anfang Dezember). In der Zwischenzeit haben wir kürzlich auch einen Podcast mit verschiedenen Beiträgen zum Thema veröffentlicht. Auch eine neue Analyse ist erschienen, anschließend findet sich auch nochmal eine Auswahl einiger Afghanistan-Texte, die dieses Jahr veröffentlicht wurden. IMI-Mitteilung Antimilitaristischer Podcast ? Schwerpunktausgabe Afghanistan https://www.imi-online.de/2021/10/05/antimilitaristischer-podcast-schwerpunktausgabe-afghanistan/ (5. Oktober 2021) IMI-Standpunkt 2021/054 - in: Graswurzelrevolution 462 (Oktober 2021) Realitätsverweigerung ? 20 Jahre Militärinvasion in Afghanistan https://www.imi-online.de/2021/10/11/realitaetsverweigerung-20-jahre-militaerinvasion-in-afghanistan/ Christoph Marischka (11. Oktober 2021) IMI-Standpunkt 2021/047 Externer Staatsaufbau In Afghanistan gescheitert, in Mali auch nicht vielversprechend https://www.imi-online.de/2021/08/19/externer-staatsaufbau/ Christoph Marischka (19. August 2021) IMI-Standpunkt 2021/019 (Update 22.4.2021) Afghanistan: Zeit der Bilanzen https://www.imi-online.de/2021/04/20/afghanistan-zeit-der-bilanzen/ Jürgen Wagner (20. April 2021) IMI-Analyse 2021/01 Keine Abschiebung nach Afghanistan Ein Blick auf die aktuelle Lage im Einsatzgebiet der Bundeswehr https://www.imi-online.de/2021/01/15/keine-abschiebung-nach-afghanistan/ Jacqueline Andres (15. Januar 2021) From imi at imi-online.de Thu Oct 28 12:40:19 2021 From: imi at imi-online.de (imi) Date: Thu, 28 Oct 2021 12:40:19 +0200 Subject: [IMI-List] [0598] Analyse: SPD-Kampfdrohnen / weitere neue IMI-Texte Message-ID: <1d6f00fb-eb33-c145-baf2-099d6430eb8e@imi-online.de> ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0598 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List finden sich Hinweise auf 1.) eine Analyse des Papiers der SPD-Arbeitsgruppe zur Bewaffnung von Drohnen; 2.) neue Texte auf der IMI-Homepage. Vorher noch der Hinweis auf den anstehenden IMI-Kongress ?Manöver als Brandbeschleuniger?, der am 21. November in Tübingen (und auch im Radio und ggf. Internet) stattfinden wird. Alle Informationen finden sich hier: https://www.imi-online.de/uber-imi/imi-kongress-2021/ 1.) Neue Texte auf der IMI-Homepage Zuletzt erschienen sind u.a. eine Auswertung der neuen EU-Arktis-Strategie und der deutschen Initiative zum Aufbau von EU-Eingreiftruppen. Weiter erschien ein Text zur Frage von Endverbleibverklärungen, zum Afghanistan-Zapfenstreich und zu den militärischen Teilen der Sondierungsgespräche. IMI-Analyse 2021/43 Die neue Arktis-Strategie der EU Die Europäische Union verspricht Frieden und sucht Streit https://www.imi-online.de/2021/10/26/die-neue-arktis-strategie-der-eu/ Ben Müller (26. Oktober 2021) IMI-Standpunkt 2021/058 Plug & Fight Deutschland initiiert neuen Anlauf für eine EU-Interventionstruppe https://www.imi-online.de/2021/10/25/plug-fight/ Jürgen Wagner (25. Oktober 2021) IMI-Standpunkt 2021/057 Es bleibt bei Endverbleibverklärungen https://www.imi-online.de/2021/10/21/es-bleibt-bei-endverbleibverklaerungen/ Pablo Flock (21. Oktober 2021) IMI-Standpunkt 2021/056 Zapfenstreich: Ruhm und Ehre für Befehl und Gehorsam https://www.imi-online.de/2021/10/20/zapfenstreich-ruhm-und-ehre-fuer-befehl-und-gehorsam/ Nabil Sourani (20. Oktober 2021) IMI-Standpunkt 2021/055 Ampel: Wertebasiert aufrüsten Ein kurzer Kommentar zum außenpolitischen Teil des Ampel-Sondierungs-Papiers vom 15.10.2021 https://www.imi-online.de/2021/10/16/ampel-wertebasiert-aufruesten/ Tobias Pflüger (16. Oktober 2021) 2.) Analyse: SPD-Arbeitsgruppe Drohnenbewaffnung Vorgestern tauchte das bereits vom 12. Oktober stammende Papier der SPD-Arbeitsgruppe zur Frage der Bewaffnung von Drohnen im Internet auf. Hier die zeitnahe Auswertung des leider nicht sonderlich erbaulichen Papiers: IMI-Analyse 2021/44 SPD offen für Drohnenbewaffnung https://www.imi-online.de/2021/10/27/spd-offen-fuer-drohnenbewaffnung/ Marius Pletsch (27. Oktober 2021) Die SPD war lange auf der Suche nach einer Position zur Bewaffnung von Drohnen. Im Dezember 2020 wurde mit dem Verweis auf eine nicht ausreichende Diskussion über das Thema eine Abstimmung über die Bewaffnung der geleasten Heron TP Drohnen verhindert. Um einer Klärung der SPD-Position näher zu kommen, wurde am 15. März 2021 eine Projektgruppe vom Parteivorstand eingesetzt, die das Für-und-Wider bewaffneter Drohnen diskutieren und am Ende eine Empfehlung abgeben sollte. Unter dem Vorsitz der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin wurde seitdem in insgesamt fünf Sitzungen und einer öffentlichen Anhörung diskutiert. Nun, passend zu den beginnenden Koalitionsgesprächen mit den Grünen und der FDP, hat die Projektgruppe am 12. Oktober 2021 einen Abschlussbericht vorgelegt, in dem sich generell für die Bewaffnung von Drohnen geöffnet wird. In dem längeren Papier werden drei Hauptargumente von Kritiker*innen einer Drohnenbewaffnung aufgegriffen: dass es effektivere Waffensysteme zum Schutz der Soldat*innen gebe und denen durch die Ausgabe in Drohnen die Mittel entzogen würden, dass Drohnen die Zivilbevölkerung ?entfremden?[1] ? eine sehr zahme Formulierung, wenn man Schilderungen von Betroffenen liest ? und so die Akzeptanz von ?stabilisierenden Einsätzen unterminieren?[2] könnten; und letztlich, dass Drohnen eine Gefahr hin zur Weiterentwicklung zu ?vollautomatisierten Waffensystemen?[3] bergen könnten. Letztlich überwiege aber das Schutzargument und die ?vertrauensvolle Zusammenarbeit in Bündnissen?[4]. Da die Arbeitsgruppe anscheinend kein weiteres Proargument erdenken konnte, aber trotzdem ein ?Gleichgewicht? mit den drei Contra-Punkten zaubern wollte, steht im Abschlussbericht stattdessen: ?Die grundsätzlichen Einwände der Kritikerinnen und Kritiker sind gewichtig und sollten bei der weiteren Begleitung des Einsatzes bewaffneter Drohnen mitbedacht werden?.[5] Der Empfehlung für die Öffnung der Drohnenbewaffnung konnten sich von 13 Mitgliedern der Projektgruppe nur zwei nicht anschließen.[6] Die FDP dringt schon lange auf die Drohnenbewaffnung. Und auch die Grünen haben sich erst an ihrem Programmparteitag für die Bundestagswahlen vom 11 bis 13 Juni 2021 mit folgendem Passus der Drohnenbewaffnung offen gegenüber gezeigt: ?Bewaffnete Drohnen wurden und werden vielfach auch von unseren Bündnispartnern für extralegale Tötungen und andere völkerrechtswidrige Taten eingesetzt. Ein solcher Einsatz ist für uns GRÜNE undenkbar und mit dem deutschen Verfassungs- und Wehrrecht nicht vereinbar. Gleichzeitig erkennen wir an, dass diese Systeme Soldat*innen in gewissen Situationen besser schützen können. Deshalb muss klargemacht werden, für welche Einsatzszenarien der Bundeswehr die bewaffneten Drohnen überhaupt eingesetzt werden sollen, bevor über ihre Beschaffung entschieden werden kann. Auch technische Herausforderungen wie mögliche Hackability müssen in der Gesamtabwägung eine wichtige Rolle spielen?.[7] Die (Weiter-)Entwicklung der SPD-Kriterien [für Hervorhebungen siehe das PDF] Das Bundesverteidigungsministerium kommt in dem Bericht der SPD-Arbeitsgruppe nicht gut weg: Durch ?die jahrelange Blockade?[8] des BMVg sei ein transparenter und ausführlicher Debattenprozess ?versäumt worden?[9], trotz zweier Koalitionsverträge und einem Maßgabe-Beschluss des Bundestages. Auch der Zeitpunkt und die schnelle Beendigung der durch das BMVg durchgeführten Drohnendebatte bekommt sein Fett weg.[10] In dem Papier wird folgende Empfehlung ausgesprochen: ?Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen kommt die Projektgruppe zu der Empfehlung, dass eine Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten bei mit dem Völkerrecht und den Bündnisverpflichtungen Deutschlands in Einklang stehenden Auslandseinsätzen und unter klarer Berücksichtigung unserer Grundsätze und der Einhaltung der nachfolgenden Bedingungen in Erwägung gezogen werden kann?.[11] Folgende ?harte und verbindliche Kriterien?[12] werden durch die Projektgruppe nochmal wiederholt, teils auch leicht verändert und konkretisiert. Die Punkte sind so auch bereits in dem Liebe-Freunde-Brief vom 2. Juli 2020 zu finden, den die zu dem Zeitpunkt stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gabriela Heinrich, der Verteidigungspolitische Sprecher Fritz Felgentreu und der Abrüstungspolitische Sprecher Karl-Heinz Brunner zusammen verfasst hatten. Im Folgenden wird nur auf die Abweichungen aufmerksam gemacht: · Beim Punkt ?Ausdrückliches Verbot von extralegalen Tötungen?[13] wird nun nicht nur länger Bezug auf das Völkerrecht, sondern auch auf das Grundgesetz genommen. · Beim Punkt zu autonomen Waffensystemen gibt es eine Veränderung: Im Brief hieß es: ?Kategorische Ablehnung von vollautomatisierten Drohnen und anderen Waffensystemen?.[14] Nun heißt der Punkt: ?Kategorische Ablehnung von vollautomatisierten Drohnen und anderen letalen autonomen Waffensystemen?.[15] Warum die Projektgruppe hier die Formulierung ?letalen autonomen Waffensystemen? nutzt, bleibt unklar. Das Kriterium der Letalität ist in den Gesprächen der Regierungsexpert*innen bei der UN Konvention über bestimmte konventionelle Waffen (CCW) in Genf, wo seit 2013 über das Thema gesprochen wird, umstritten und es gibt Bewegung, auch solche autonomen Waffensysteme in einem möglichen normativen und operativen Rahmen mit einzubeziehen, die weniger tödlich wären, also z.B. mit Elektroschockwaffen oder Gummigeschossen ausgerüstet wären. Auch der weiterführende Text zu dem Punkt ist komplett überarbeitet und stellt die Entscheidung zum Gewalteinsatz eines sich vor Ort im Einsatzland befindenden Menschen deutlicher ins Zentrum. · Weiter wird die ?Erstellung und Offenlegung eines verbindlichen Einsatzkonzeptes für bewaffnete Drohnen? eingefordert, nun explizit ?durch die Bundesregierung?. [16] Transparenz und Öffentlichkeit gegenüber dem Parlament soll nicht länger ?erzeugt?[17] werden, sondern ist ?sicherzustellen?.[18] Wenn Änderungen erfolgen sollten, soll der Bundestag nun ?unverzüglich?[19] darüber informiert werden. · Der Einsatz von bewaffneten Drohnen soll nur dann erfolgen, wenn dieser ?einschließlich der hier aufgeführten Konditionen [kursiv durch Autor] explizit im vorgelegten Bundestagsmandat für den jeweiligen Auslandseinsatz der Bundeswehr vorgesehen ist?.[20] Die kursiv gesetzte Passage ist neu. · Im Liebe-Freunde-Brief wurde die ?Verortung des operativen Hauptquartiers mit den Kontroll- und Steuereinheiten für Drohnen im Einsatzland? gefordert, da man sonst ?mögliche völkerrechtliche Verwerfungen? [21] befürchtete. Der Punkt hat zwar einen abgespeckten ersten Satz, jedoch wird es darauf nochmal konkreter: ?Verortung des operativ Entscheidenden im Einsatzgebiet. Die Entscheidungs-, Kontroll- und Steuereinheiten für Drohnen und deren Einsatz müssen im mandatierten Einsatzgebiet stationiert sein; es darf also keine Entscheidung aus der Ferne geben?.[22] Es folgt noch die Begründung, dass so die Lage realistischer eingeschätzt werden könne und der erneute Verweis auf die möglichen völkerrechtlichen Verwerfungen.[23] Somit ist der Punkt hinsichtlich der vor Ort zu stationierenden Infrastruktur und der Personen konkretisiert und statt Einsatzland wird Einsatzgebiet verwendet, was einen größeren Spielraum lässt. · Statt ?[g]rößtmögliche Fürsorge und psychologische Begleitung für das Bediener- und Kontrollpersonal, um mögliche psychische Belastungen auszugleichen?[24] heißt es nun: ?Bestmögliche Ausbildung, Fürsorge, Betreuung und Nachsorge für die Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatzgebiet die unmittelbaren Entscheidungen zu treffen haben?.[25] Die von den Einsätzen betroffene Zivilbevölkerung war beim Liebe-Freunde-Brief komplett ausgeblendet worden, nun wird ihr immerhin ein nachgeschobener Satz, wohlgemerkt kein eigener Punkt, zugestanden: ?Zu diesem Forderungskatalog gehört auch die Folgen eines Einsatzes von Drohnen auf die betroffene Zivilbevölkerung zu berücksichtigen, einschließlich etwaiger Betreuung und Fürsorge?.[26] Jedoch ist diese Formulierung doch sehr schwach und unkonkret. Weitere (blumige) Forderungen Also viel Neues gibt es bei den nur leicht veränderten Empfehlungen bzw. Bedingungen nicht. Da sind die weitergehenden Empfehlungen des Papiers der SPD-Arbeitsgruppe fast schon interessanter, aber größtenteils dafür auch noch unkonkreter. Eine weitere Beobachtung ist, dass die Projektgruppe in vier von sechs Punkten die SPD auffordert etwas zu unternehmen und in zwei Fällen im Namen der Partei spricht: · Die SPD wird aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass die nächste Bundesregierung ein ?internationales Regime zur Kontrolle bewaffneter Drohnen? initiieren und die ?Durchsetzung bestmöglich?[27] fördern solle. In einem solchen Kontrollinstrument könnten Einsatzprinzipien festgeschrieben und der Export von Drohnen auf jene Staaten beschränkt werden, die diese Prinzipien achten. In welchem Forum dies passieren soll, lässt die Gruppe so offen wie die Form. Die Formulierung der ?bestmöglichen? Durchsetzung lässt keine hohen Erwartungen aufkommen. · Die Projektgruppe fordert die SPD außerdem auf, in einer ?künftigen Bundesregierung ihre bisherigen Bemühungen zur Ächtung von LAWS im Rahmen der Genfer ?UN Konvention über bestimmte konventionelle Waffen? (Convention on Certain Conventional Weapons, CCW) nachdrücklich zu intensivieren. Die künftige Bundesregierung solle aufzunehmende Verhandlungen für ein rechtsverbindliches CCW-Protokoll zum Verbot von LAWS unterstützen. [?] Bis zum Abschluss verbindlicher völkerrechtlicher Regelungen soll die Bundesregierung zeitgleich die Ächtung von Erforschung, Entwicklung und Anwendung von LAWS durch eine Normentwicklung jenseits rechtsverbindlicher Instrumente vorantreiben?.[28] Die Gespräche in Genf laufen aber schleppend und ob ein Mandat für den Eintritt in Verhandlungen über ein neues Protokoll im Rahmen der CCW erreicht werden kann, ist durch das Konsensprinzip, sehr unwahrscheinlich. Man kann den Absatz als einen Seitenhieb auf Heiko Maas lesen, der als Außenminister mitverantwortlich für die Linie der Diplomat*innen in Genf zeichnet, die sich lediglich für eine unverbindliche politische Erklärung in Partnerschaft mit Frankreich aussprachen, aber trotz der Sonntagsreden des Außenministers nie ein rechtsverbindliches Verbot gefordert haben. · Die Projektgruppe fordert die SPD weiter auf, in einer künftigen Bundesregierung ein Rüstungsexportgesetz vorzulegen, womit Exporte auch von Drohnen in Länder der EU, der NATO und gleichgestellten Ländern sowie ?im begründeten Einzelfall und bei Ratifizierung und konsequenter Umsetzung des Vertrags über Waffenhandel (ATT) möglich?[29] sein soll. Hier geht es generell um Rüstungsexporte, die Forderung wäre ein willkommener Schritt. Ein Rüstungsexportkontrollgesetz wurde erst am 14. Oktober 2021 von 43 Organisationen der Zivilgesellschaft gefordert.[30] Zu dem Thema steht im Sondierungspapier: ?Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik brauchen wir verbindlichere Regeln und wollen daher mit unseren europäischen Partnern eine entsprechende EU-Rüstungsexportverordnung abstimmen?.[31] Das liest sich je nach Lesart wie ein großer Bremsklotz, da eine Einigung auf EU-Ebene dauern könnte und wenig aussichtsreich wäre und selbst falls zu einer Einigung kommen würde, das Ergebnis der kleinste gemeinsame Nenner wäre. Agnieszka Brugger, die für die Grünen in der Gruppe ?Sicherheit, Verteidigung, Entwicklung, Außen, Menschenrechte? verhandelt, schreibt zwar auf Twitter, dass mit verbindlichen Regeln ein nationales Gesetz gemeint sei,[32] ob sich dafür aber vorher die Staaten in der EU auf eine gemeinsame Linie einigen müssten, bleibt offen. · Bei der Entwicklung des gemeinsamen Rüstungsprojekts mit Frankreich und Spanien, dem Next Generation Weapon System im Future Combat Air System, soll das Prinzip der ?bedeutsamen menschlichen Kontrolle? als ?verbindlich berücksichtigt? und ?menschliche Kontrolle [?] beim Einsatz und bei der praktischen Anwendung durchgehend gewährleistet?[33] sein. Warum beim Einsatz und bei der praktischen Anwendung das ?bedeutsamen? vor der ?menschlichen Kontrolle? weggefallen ist, bleibt das Geheimnis der Projektgruppe und macht stutzig. · Ferner soll geprüft werden, ob für eine Stärkung der Beteiligungsrechte des Bundestages z.B. das Parlamentsbeteiligungsgesetz weiterentwickelt werden sollte.[34] Schade, dass es hier nur einen Prüfauftrag gibt und nicht eine klare Forderung nach einer Stärkung der parlamentarischen Kontrollrechte. · Zu einer Fortentwicklung der Friedenspolitik von Willy Brandt wird nachdrücklich aufgefordert, wobei hier auch ?Aspekte der künftigen Bewaffnung und Ausrüstung der Bundeswehr berücksichtigt werden?[35] müssten. Hier lässt sich viel reininterpretieren. Eine Möglichkeit der Interpretation wäre eine nicht explizit geforderte Überprüfung von Rüstungsprojekten und ob diese mit den Zielen einer Friedenspolitik nach Willy Brandt kompatibel wären. Fazit Als endgültig ist der Abschlussbericht noch nicht anzusehen. Er ging zunächst an die beiden Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sowie an den Generalsekretär Lars Klingbeil. Die haben ihn laut einem Bericht der Tageschau ?zustimmend zur Kenntnis genommen?.[36] Der nun vorliegende Bericht soll als ?Grundlage für die weitere Diskussion in der Partei? dienen. Wie lange jetzt noch debattiert werden soll und in welchem Format das passieren soll, ist unklar. Rolf Mützenich hat angekündigt, dass auch die SPD-Fraktion nochmal darüber diskutieren wird.[37] Nach einer wie auch immer gearteten Diskussion in der Partei soll das SPD-Präsidium dann dem Parteivorstand eine Beschlussempfehlung vorlegen.[38] Ob die weitere Debatte auch im kommenden Koalitionsvertrag festgehalten wird oder ob durch die Verhandler*innen schon durch die klaren Signale, die durch den Abschlussbericht ausgesendet werden, in den Koalitionsverhandlungen Fakten geschaffen wurden, bleibt abzuwarten. Aber der Weg Richtung einer Entscheidung für eine Bewaffnung von Drohnen in der nächsten Legislaturperiode ist nun leider vorgezeichnet. Anmerkungen [1] Abschlussbericht der SPD-Projektgruppe zur Frage der Bewaffnung von Drohnen, 12.10.2021, S. 4. Online unter: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Sonstiges/20211012_Bericht_PG_Drohnen.pdf. [2] Ebd. [3] Ebd. [4] Ebd. [5] Ebd, S. 5. [6] Vgl. Ebd. [7] Bündnis 90/Die Grünen (2021): Deutschland. Alles ist drin. Bundestagswahlprogramm 2021, S. 253. Online unter: https://cms.gruene.de/uploads/documents/Wahlprogramm-DIE-GRUENEN-Bundestagswahl-2021_barrierefrei.pdf [8] Abschlussbericht der SPD-Projektgruppe zur Frage der Bewaffnung von Drohnen, 12.10.2021, S. 1. [9] Ebd. [10] Vgl. Ebd. [11] Ebd., S.5. [12] Ebd. [13] Ebd. [14] Heinrich, Gabriela/Felgentreu, Fritz/Brunner, Karl-Heinz (2.7.2020): Liebe-Freunde-Brief zum Thema ?Bewaffnung von Drohnen?, S. 2. Online unter: https://www.dbwv.de/fileadmin/user_upload/Mediabilder/DBwV_Info_Portal/Blickpunkt/2020/07_Juli/Brief_SPD_Drohnen.pdf. [15] Abschlussbericht der SPD-Projektgruppe zur Frage der Bewaffnung von Drohnen, 12.10.2021, S. 5. [16] Ebd. [17] Heinrich, Gabriela/Felgentreu, Fritz/Brunner, Karl-Heinz (2.7.2020): Liebe-Freunde-Brief zum Thema ?Bewaffnung von Drohnen?, S. 2. [18] Abschlussbericht der SPD-Projektgruppe zur Frage der Bewaffnung von Drohnen, 12.10.2021, S. 5. [19] Ebd. [20] Ebd., S. 6. [21] Heinrich, Gabriela/Felgentreu, Fritz/Brunner, Karl-Heinz (2.7.2020): Liebe-Freunde-Brief zum Thema ?Bewaffnung von Drohnen?, S. 2. [22] Abschlussbericht der SPD-Projektgruppe zur Frage der Bewaffnung von Drohnen, 12.10.2021, S. 6. [23] Vgl. Ebd. [24] Heinrich, Gabriela/Felgentreu, Fritz/Brunner, Karl-Heinz (2.7.2020): Liebe-Freunde-Brief zum Thema ?Bewaffnung von Drohnen?, S. 2. [25] Abschlussbericht der SPD-Projektgruppe zur Frage der Bewaffnung von Drohnen, 12.10.2021, S. 6. [26] Ebd. [27] Ebd., S. 7. [28] Ebd. [29] Ebd. [30] Vgl. Appell für mehr Rüstungskontrolle 26.10.2021. Online unter: https://dfg-vk.de/appell-fuer-mehr-ruestungskontrolle/. [31] Ergebnis der Sondierungen zwischen SPD; BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP (15.10.2021), S. 12. Online unter: https://www.tagesschau.de/sondierungen-153.pdf. [32] Brugger, Agnieszka (16.10.2021): Tweet online unter: https://twitter.com/dfgvk_bv/status/1449285559692763137. [33] Abschlussbericht der SPD-Projektgruppe zur Frage der Bewaffnung von Drohnen, 12.10.2021, S. 7. [34] Vgl. Ebd. [35] Vgl., S. 8. [36] Küstner, Kai (26.10.2021): Der Drohnen-Widerstand der SPD schwindet. In: Tagesschau.de. Online unter: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/drohne-spd-101.html. [37] Vgl. ebd. [38] Vgl. Abschlussbericht der SPD-Projektgruppe zur Frage der Bewaffnung von Drohnen, 12.10.2021, S. 9. From imi at imi-online.de Mon Nov 8 15:40:07 2021 From: imi at imi-online.de (IMI-JW) Date: Mon, 8 Nov 2021 15:40:07 +0100 Subject: [IMI-List] =?utf-8?q?=5B0599=5D_IMI-Kongress=3A_Man=C3=B6ver_als?= =?utf-8?q?_Brandbeschleuniger_=2820=2E11=29_Aktuelle_Infos?= Message-ID: ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0599 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, der IMI-Kongress ?Manöver als Brandbeschleuniger? rückt näher. Er wird am Samstag den 20. November in Tübingen (Sudhaus, Werkstatt, Hechingerstr. 203) stattfinden. Wir planen den Kongress weiter auch in Präsenz abzuhalten. Wer teilnehmen möchte, bitten wir um eine Mail an die IMI (Betreff: ?Anmeldung?), ansonsten können wir keinen Platz garantieren: imi at imi-online.de Bitte beachtet, dass bis dahin wahrscheinlich 2G-Regeln gelten werden, wir also nur Geimpfte und Genesene einlassen können. Der Kongress wird auch live im Radio (https://www.wueste-welle.de/broadcasts/livestream) und vermutlich auch im Internet (Link dann unter https://www.imi-online.de/uber-imi/imi-kongress-2021) übertragen. Inzwischen gibt?s auch Plakat und Flyer zum Kongress: Plakat: https://www.imi-online.de/download/IMI_Kongress_Plakat_2021_web.pdf Flyer: https://www.imi-online.de/download/IMI_Flyer_2021_komplett-web.pdf Und hier auch nochmal das Programm: IMI-Kongress 2021: Manöver als Brandbeschleuniger: Kriegsspiele, Manöver und Konfrontation Datum: 20. November 2021 Ort: Sudhaus (Werkstatt), Hechingerstr. 203, 72072 Tübingen PROGRAMM: Samstag, 20. November 2021 12h15-13h15 Manöver als gefährliche Machtdemonstrationen (Tobias Pflüger) 13h30-14h30 Logistik für Übung und Ernstfall ? Militärische Mobilität (Victoria Kropp) ? Das NATO-Logistikkommando in Ulm (Alexander Kleiß) 15h-16h NATO-Manöver im Cyberraum (Aaron Lye) 16h15-17h45 Säbelrasseln gegen Russland ? Das Großmanöver Defender Europe 2022 (Claudia Haydt) ? Die Bundeswehr: Vom Szenario zur Rüstung (Martin Kirsch) 18h-19h Manöver, Umwelt und der Sprit (Jacqueline Andres) 19h15-20h Militärtransporte blockieren: Ein historischer Rückblick (Jan Meyer) Der Kongress wird unterstützt von: attac Tübingen, DGB Kreisverband Tübingen, DFG-VK Tübingen, Friedensplenum/Antikriegsbündnis Tübingen, Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg, ver.di Ortsverein Tübingen im Fachbereich 8. Weitere Infos, u.a. auch zur Anfahrt, finden sich  hier: https://www.imi-online.de/uber-imi/imi-kongress-2021/ From imi at imi-online.de Thu Nov 18 15:27:00 2021 From: imi at imi-online.de (imi) Date: Thu, 18 Nov 2021 15:27:00 +0100 Subject: [IMI-List] =?utf-8?q?=5B0600=5D_IMI-Kongress=3A_Man=C3=B6ver_=28?= =?utf-8?q?Samstag=2C_20=2E11=2E=29=3A_Letzte_Infos=2C_u=2Ea=2E_Online-Tei?= =?utf-8?q?lnahme?= Message-ID: ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0600 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, am kommenden Samstag den 20. November ab 12h wird der IMI-Kongress ?Manöver als Brandbeschleuniger? im Radio, im Internet, aber auch in Tübingen (Sudhaus, Werkstatt, Hechingerstr. 203) stattfinden. Obwohl wir es lange zu vermeiden versucht haben, muss der Kongress jetzt unter 2G-Bedingungen (geimpft oder genesen) stattfinden. Die gute Nachricht: Alle, die aus welchen Gründen auch immer nicht teilnehmen können, können den Kongress sowohl im Radio-Livestream (https://www.wueste-welle.de/broadcasts/livestream) als auch im Internet mitverfolgen: https://ultramarin.collocall.de/inf-t4g-dl1-9bu. Dort kann man sich über die Chat-Funktion auch an der Diskussion beteiligen. Die Teilnahme im Hauptraum erfordert weiter eine Anmeldung (per Mail an: imi at imi-online.de), die Plätze werden aber allmählich knapp, seid also nicht böse, wenn es doch nicht klappen sollte. Wir melden uns in jedem Fall zurück, auch wenn eine Teilnahme nur noch in unserem Nebenraum möglich sein sollte, in den der Kongress ebenfalls übertragen wird. Einlass vor Ort wird ab 11:15 Uhr sein. Kommt gerne rechtzeitig und zusätzlich frisch getestet. Am Ende dieser Mail findet sich noch ein Link mit Tipps zur Anreise und den jeweils letzten Informationen. Und hier auch nochmal das Programm: IMI-Kongress 2021: Manöver als Brandbeschleuniger: Kriegsspiele, Manöver und Konfrontation Datum: 20. November 2021 Ort: Sudhaus (Werkstatt), Hechingerstr. 203, 72072 Tübingen PROGRAMM: Samstag, 20. November 2021 12h15-13h15 Manöver als gefährliche Machtdemonstrationen (Tobias Pflüger) 13h30-14h30 Logistik für Übung und Ernstfall ? Militärische Mobilität (Victoria Kropp) ? Das NATO-Logistikkommando in Ulm (Alexander Kleiß) 15h-16h NATO-Manöver im Cyberraum (Aaron Lye) 16h15-17h45 Säbelrasseln gegen Russland ? Das Großmanöver Defender Europe 2022 (Claudia Haydt) ? Die Bundeswehr: Vom Szenario zur Rüstung (Martin Kirsch) 18h-19h Manöver, Umwelt und der Sprit (Jacqueline Andres) 19h15-20h Militärtransporte blockieren: Ein historischer Rückblick (Jan Meyer) Der Kongress wird unterstützt von: attac Tübingen, DGB Kreisverband Tübingen, DFG-VK Tübingen, Friedensplenum/Antikriegsbündnis Tübingen, Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg, ver.di Ortsverein Tübingen im Fachbereich 8. Weitere Infos, u.a. auch zur Anfahrt, finden sich hier: https://www.imi-online.de/uber-imi/imi-kongress-2021/ From imi at imi-online.de Fri Nov 26 13:47:36 2021 From: imi at imi-online.de (imi) Date: Fri, 26 Nov 2021 13:47:36 +0100 Subject: [IMI-List] =?utf-8?q?=5B0601=5D_Koalitionsvertrag_/_Bericht_IMI-?= =?utf-8?q?Kongress=3A_Man=C3=B6ver_als_Brandbeschleuniger?= Message-ID: <60f3856c-b7ac-4be6-05cd-47453710e0f1@imi-online.de> ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0601 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List findet sich 1.) der Hinweis auf eine erste Auswertung des gestern veröffentlichten Koalitionsvertrages; 2.) der Bericht vom IMI-Kongress ?Manöver als Brandbeschleuniger? am vergangenen Samstag. 1.) Koalitionsvertrag ? erste Kurzeinschätzung Über die friedenspolitischen Passagen des leider nicht sonderlich erbaulichen gestern vorgelegten Koalitionsvertrages liegt eine erste Kurzeinschätzung vor: IMI-Standpunkt 2021/061 Friedenspolitik per Koalitionsvertrag abgeräumt Die Ampel spricht sich für die Bewaffnung von Drohnen und die Nukleare Teilhabe aus https://www.imi-online.de/2021/11/25/friedenspolitik-per-koalitionsvertrag-abgeraeumt/ Jürgen Wagner (25. November 2021) 2.) Manöver als Brandbeschleuniger: Bericht vom IMI-Kongress IMI-Mitteilung Manöver als Brandbeschleuniger Bericht vom Kongress der Informationsstelle Militarisierung https://www.imi-online.de/2021/11/25/manoever-als-brandbeschleuniger-2/ IMI (25. November 2021) Zum inzwischen 25. Mal fand am Samstag, den 20. November 2021, der alljährliche Kongress der Informationsstelle Militarisierung statt. Pandemiebedingt auf mehreren Ebenen ? in Präsenz, im Radiolivestream und im Internet ? beschäftigten sich dabei durchgängig über 150 Interessierte mit dem Thema ?Manöver als Brandbeschleuniger?. Durchgehend wurde dabei in den Beiträgen der Panels wie auch aus dem Publikum auf die von den zunehmenden Manövertätigkeiten ausgehenden Gefahren verwiesen, die aus diesem Grund verstärkt in den Fokus der Friedens- und Antikriegsbewegung rücken sollten. Den Auftakt bestritt IMI-Vorstand Tobias Pflüger, der einen Einstieg in ?Manöver als gefährliche Machtdemonstrationen? bot. Er ging dabei auf verschiedene Manöverformen ? vom Planspiel bis zur konkreten Gefechtsübung ? ein, die auch im Umfang stark variieren würden: von wenigen SoldatInnen bis hin zu hohen fünfstelligen Zahlen. Geprobt würden dabei von der NATO u.a. Einsätze zur Rohstoffsicherung, aber auch Angriffsszenarien im Zusammenhang von Großmachtkriegen, die nichts mit Landesverteidigung zu tun hätten. Im Zuge dieser Manöver komme es immer häufiger zu Beinahe-Zusammenstößen zwischen westlichen und russischen Truppen. Dies sei besonders gefährlich, weil gleichzeitig viele der Kommunikationskanäle, die im Kalten Krieg eine Eskalation vermeiden helfen sollten ? ?rotes Telefon?, ?heißer Draht? usw. ? heute nicht mehr existieren. Im Rahmen des Panels ?Logistik für Übung und Ernstfall? zeigten Victoria Kropp (Friedensforscherin) und Alexander Kleiß (IMI-Beirat) aktuelle Schritte der EU und der NATO auf, die zusammen an einem Ausbau der logistischen Infra- und Kommandostrukturen arbeiten. Victoria Kropp erklärte, dass Militärische Mobilität den ungehinderten Transport von Truppen und Material über EUropäische Landesgrenzen hinweg ermöglichen solle. Auf EU-Ebene sei die Militärische Mobilität eine der Verpflichtungen von PESCO und es bestehe ein EU-Aktionsplan für Militärische Mobilität. Skandalös sei die Finanzierung des Ausbaus der Militärischen Mobilität in der EU, die u.a. durch den EU-Wiederaufbaufonds erfolge, der zur Bewältigung der Pandemie eingerichtet wurde. Die EU arbeite mit der NATO zusammen, die die Fähigkeit anstrebe, Truppen innerhalb von 48 bis 72 Stunden im gesamten Bündnisgebiet verlegen zu können. Die Verlegungen sollten provozieren, abschrecken oder die Kriegsbereitschaft demonstrieren. Alexander Kleiß stellte das Multinationale Kommando Operative Führung und das Joint Support and Enabling Command (JSEC) in Ulm vor. Ersteres sei für multinationale Einsätze der EU und der NATO zuständig. Das seit September 2021 voll einsatzfähige JSEC, im Grunde ein Mobilmachungszentrum für NATO-Einsätze und Manöver, sei u.a. für die Koordinierung der Truppenbewegungen in Europa, die Transportlogistik und im Rahmen des PESCO-Projekts Militärische Mobilität für die Planung wichtiger Doppelnutzungs-Infrastruktur zuständig. Proteste gegen das JSEC habe es bereits in Ulm gegeben, weitere seien wahrscheinlich. Aaron Lye, Informatiker und Mitglied im Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIFF) stellte in seinem Vortrag ?NATO-Manöver im Cyberraum? zunächst kursorisch Akteure, Ziele und Methoden von Cyberangriffen vor. Dabei spielten als Akteure Staaten und als Ziel die Unterstützung militärischer Operationen eine wachsende Rolle. Ein Angriff erfolge immer in zwei Phasen: Die erste bestehe in der Analyse der anzugreifenden Systeme und der Ausspähung von Sicherheitslücken, die zweite dann in deren Nutzung. Anschließend stellte er drei Cyber-Übungen vor, die regelmäßig und in wechselnder Zusammensetzung von der NATO durchgeführt würden. Bei der Übung ?Cyber Coalition? würden v.a. Entscheidungsstrukturen eingeübt, bei ?Locked Shields? hingegen versuchen mehrere Teams mit insgesamt ca. 1.000 Teilnehmenden, Cyber-Angriffe abzuwehren. Sehr wenig sei hingegen über den Übungszyklus ?Crossed Swords? bekannt, wo auch offensive Cyber-Operationen zur Unterstützung von Spezialkräften eingeübt würden. Insgesamt wurde deutlich, dass Cyber-Operationen in großem Maßstab vorbereitet und seit 2008 systematisch im Manöver geübt werden. Besonders Phase 1 ? das Ausspähen von Sicherheitslücken ? ist bereits im Vorfeld militärischer Auseinandersetzungen längst Alltag. Das ?Säbelrasseln gegen Russland? war Gegenstand des folgenden Panels. Claudia Haydt vom IMI-Vorstand ging dabei besonders auf das ?Großmanöver Defender Europe 2022? ein, bei dem es sich um eines der zentralen gegen Russland gerichteten Manöver handele. Im Jahr 2020 sei es dabei vor allem darum gegangen, die Logistik für die Verlegung einer US-Division (20.000 SoldatInnen) von den USA an die europäische Westküste und von dort quer durch Europa an die Grenze zu Russland zu trainieren. In diesem Jahr habe der Aufmarsch im Schwarzen Meer im Zentrum gestanden. Über das kommende Manöver Defender 2022 sei noch nicht alles bekannt ? wahrscheinlich würden wohl 13.500 SoldatInnen teilnehmen, stattfinden werde es sich voraussichtlich zwischen Februar und Mai 2022. Klar ist aber schon jetzt, dass systematische Experimente zur Integration neuer Waffentechnologien in herkömmliche Manöver geben wird. Wie Planspiele zu Rüstungsprojekten werden, war das Thema in dem Beitrag ?Bundeswehr: Vom Szenario zur Rüstung? von Martin Kirsch (IMI-Vorstand). Wichtig seien hier vor allem drei Papiere des Heereskommandos aus dem Jahr 2017, insbesondere das unter Ägide von General Frank Leidenberger erstellte Dokument ?Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig?. In dem ins Internet gelangten Papier werde recht detailliert eine kriegerische Auseinandersetzung mit Russland durchgespielt und Defizite identifiziert, die für eine ?siegreiche? Absolvierung des Szenarios behoben werden müssten. Die Ergebnisse seien dann direkt in die ?Konzeption der Bundeswehr? (2018) und die ?Eckpunkte für die Bundeswehr der Zukunft? (2021) eingeflossen, die unter anderem die Aufstellung eines gegen Russland gerichteten Großverbandes bis 2027 vorsähen. Im fünften Panel ?Manöver, Umwelt und der Sprit? sprach Jacqueline Andres (IMI-Vorständin) zu den ökologischen Folgen von Militärmanövern. Sie zeigte die drastischen Umwelteinwirkungen militärischer Übungen durch verschiedene Formen von Emissionen, durch Unfälle, Explosionen, Brände und vieles mehr auf. Die Referentin griff zur Veranschaulichung mehrere Manöver weltweit heraus. Sie schloss den Vortrag mit Beispielen für erfolgreichen Widerstand gegen Militärübungen und Übungsplätze. Um nicht den gesamten Kongress über bei der grauen (und trüben) Theorie zu verbleiben, bildete Jan Meyer mit seinem Beitrag ?Militärtransporte blockieren: Ein Bericht aus der Praxis? einen erfrischenden Abschluss. Manöver würden sich ideal für Protestaktionen eignen und zwar weniger in Form von Großdemonstrationen, sondern durch kleine Aktionen, die extrem effektiv sein könnten. Er beschrieb dabei beispielhaft eine Aktion gegen eine Militärübung in Husum, die auch dazu geführt habe, dass den AktivistInnen in der lokalen Presse breiter Raum für ihre Kritik gegeben wurde. Wichtig sei es ebenfalls, sich darüber im Klaren zu sein, dass Aktionen gegen Manöver schnell zu Repressionen führen können, diesen aber dann wiederum mit kreativen Aktionen am besten begegnet werden könnte. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gäbe es in Deutschland wenig direkte Proteste gegen Manöver, weshalb er seinen Beitrag mit einem Plädoyer beendete, diesen Umstand zu ändern. From imi at imi-online.de Fri Dec 3 15:31:46 2021 From: imi at imi-online.de (imi) Date: Fri, 3 Dec 2021 15:31:46 +0100 Subject: [IMI-List] [0602] General Krisenstab / Studie: EU-Verteidigungsfonds Message-ID: <14c981cc-b57f-49e1-0a9d-80564235d26f@imi-online.de> ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0602 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List findet sich 1.) der Hinweis auf eine neue IMI-Studie zum ersten offiziellen Rüstungshaushalt der Europäischen Union; 2.) eine Kommentar zur Ernennung eines Bundeswehr-Generals zum Leiter des Corona-Krisenstabes. 1.) Studie: EU-Verteidigungsfonds zur EU-Aufrüstung Seit diesem Jahr verfügt die Europäische Union erstmals auch offiziell über eine Art Rüstungshaushalt, den EU-Verteidigungsfonds (EVF), über den die Erforschung und Entwicklung von Rüstungsgütern mit 8 Mrd. Euro gefördert werden soll. Am 9. Dezember endet die erste EVF-Ausschreibungsrunde, die Entscheidung, welche Unternehmen in welchem Umfang profitieren sollen, soll aber erst im Juni 2022 verkündet werden. Die frisch erschienene IMI-Studie ?Europäische Aufrüstung und Europäischer Verteidigungsfonds ? eine erste Bilanz? analysiert den EVF und seine Vorläufer, woraus sich auch Rückschlüsse über die künftigen Schwerpunkte und die Ausrichtung des neuen EU-Rüstungstopfes ableiten lassen. IMI-Studie 2021/9 Europäische Aufrüstung und Europäischer Verteidigungsfonds ? eine erste Bilanz https://www.imi-online.de/2021/12/02/europaeische-aufruestung-und-europaeischer-verteidigungsfonds-eine-erste-bilanz/ Catrin Lasch (2. Dezember 2021) Inhaltsverzeichnis Einleitung Säulen der Rüstungsunion Der Weg zum Europäischen Verteidigungsfonds -- EDIDP und PADR ? Auswertung -- Militärische Fähigkeitslücken und Kapazitäten -- Technologien und Cluster -- Profiteure: Länder -- Profiteure: Unternehmen -- Kleine Staaten: Anreize und Einbindung EVF: Auswertung und Ausblick -- Überblick und erste Ausschreibung -- Fehlende Kontrollmechanismen Fazit Anmerkungen Zur Studie: https://www.imi-online.de/2021/12/02/europaeische-aufruestung-und-europaeischer-verteidigungsfonds-eine-erste-bilanz/ 2.) IMI-Standpunkt: Ein General für den Corona-Krisenstab IMI-Standpunkt 2021/062 Impfkampagne mit General Die Bundeswehr als Krisenmanager im zivilen Katastrophenschutz Martin Kirsch (3. Dezember 2021) Die neue Ampelkoalition ist im Regierungsmodus angekommen. Mit ihren Beschlüssen zur Reaktion auf die vierte Welle der Corona Pandemie zeichnet sich langsam ab, wie künftig mit Krisen umgegangen werden soll. Als Zwischenziel bis Weihnachten wurde die Durchführung von 30 Millionen weiteren Impfungen ausgegeben. Um dieses Ziel durch- und umsetzen zu können, zieht der designierte Kanzler Scholz Kompetenzen an sich. Verortet im Bundeskanzleramt entsteht ein neuer Bund-Länder-Krisenstab, der die zunehmend zentralisierte Impfkampagne steuern soll. Als Leiter dieses Krisenstabes hat Carsten Breuer bereits seine Arbeit aufgenommen. Breuer ist allerdings kein Politiker, kein Beamter, kein Unternehmensberater und auch kein Wissenschaftler, sondern Zweisternegeneral der Bundeswehr. Vom der Kaserne ins Kanzleramt Begleitet von Lobpreisungen aus SPD und FDP hat Generalmajor Carsten Breuer sein Büro im Kanzleramt bereits bezogen. Breuers Karriere bei der Bundeswehr führte ihn bisher als Truppenkommandeur in den KFOR-Einsatz im Kosovo und auf den Posten des Direktors für Laufende Operationen (Current Ops) im ISAF Hauptquartier in Kabul. Zudem hat der studierte Pädagoge im Generalsrang sowohl im Verteidigungsministerium in Berlin als auch in Brüssel bei der NATO bereits Posten mit engem Kontakt zur Politik besetzt. Seit 2018 war er Kommandeur des Kommandos Territoriale Aufgaben (KTA) der Bundeswehr in Berlin. Dort war Breuer für die Koordination aller Inlandseinsätze der Bundeswehr zuständig. In engem Kontakt mit Bundes- und Landesregierungen koordinierte er Bundeswehreinsätze nach extremen Schneefällen in Süddeutschland, gegen die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest in Ostdeutschland und die Hilfsmaßnahmen der Bundeswehr nach den Überschwemmungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Zudem spielt das Lagezentrum des KTA seit Frühjahr 2020 eine zentrale Rolle in der Leitung der Maßnahmen der Bundeswehr im Rahmen der Covid-19-Pandemie. Neben Hilfsmaßnahmen der Bundeswehr in Katastrophenfällen ist das KTA aber auch für weitere Einsätze im Inland zuständig. Erst im Oktober besuchte Breuer eine gemeinsame Anti-Terror-Übung der Polizei Bayern und der Bundeswehr im oberfränkischen Hof. In einem Bericht der Bundeswehr aus dem Januar 2020 wurde das Kommando Territoriale Aufgaben zudem als ?Spinne im Netz? der deutschen Unterstützungsleistungen für das US-Großmanöver Defender 2020 bezeichnet. Dort laufen die Fäden für zivile und militärische Unterstützung des Transits von NATO-Truppen durch Deutschland, im Rahmen des sogenannten Host Nation Support, zusammen. Breuer ist nicht der Erste Generalmajor Breuer ist allerdings nicht der erste General der Bundeswehr, der im Rahmen der Corona-Pandemie auf einen zivilen Spitzenposten versetzt wurde. Bereits im März 2021 wurde im Bundesgesundheitsministerium unter Minister Spahn der neue Posten des Abteilungsleiters für Gesundheitsschutz, Gesundheitssicherheit und Nachhaltigkeit geschaffen. Besetzt wurde er mit Generalarzt Hans-Ulrich Holtherm. Holtherm war bereits in zwölf Auslandseinsätzen auf drei Kontinenten aktiv. Im Zuge der H1N1-Pandemie (Schweinegrippe) 2009 und 2014 während des Ebola-Ausbruchs in Westafrika wurde der Bundeswehrmediziner als Krisenmanager ans Gesundheitsministerium ausgeliehen. Auf seinem neuen Posten leitete er seit letztem Frühjahr den allwöchentlich tagenden gemeinsamen Krisenstab von Bundesgesundheits- und Innenministerium. Dort werden keine Maßnahmen umgesetzt, sondern strategische Diskussionen zur Vorbereitung von politischen Entscheidungen geführt. Zwischen der Berufung von Generalarzt Holtherm im März 2020 und der Berufung von Breuer Ende November 2021 gibt es allerdings einen zentralen Unterschied. Als Holtherm ins Gesundheitsministerium wechselte, war davon in der Öffentlichkeit kaum etwas zu hören. Der Generalarzt arbeitet seitdem als Abteilungsleiter und Experte für Pandemien weitestgehend hinter den Kulissen. Die Berufung von Generalmajor Breuer ins Kanzleramt hingegen ist ein mediales Großereignis. Seit dem Wochenende kursierten Berichte über seine Berufung und Jubelrufe aus der FDP. Am Dienstag nach der Bund-Länder-Krisensitzung stellte Kanzler in spe Scholz die Berufung von Breuer dann als die zentrale Maßnahme zur Beschleunigung der Impfkampagne vor. Beiden Berufungen ist allerdings gemein, dass Politiker*innen unterschiedlicher Couleur in brenzligen Situationen, in denen es um effiziente Entscheidungsfindung und Durchsetzung in der Pandemie geht, dem Charme der Generalsuniformen erliegen. Der Griff zum General Was genau die Ampelkoalitionäre dazu bewogen hat, einen General an die Spitze der Impfkampagne und damit auch an die politisch heikle Schnittstelle im föderalen Geflecht zwischen den Zuständigkeiten von Kommunen, Ländern und Bund zu stellen, beantworten die Koalitionäre nicht. In den Medien werden diverse Optionen diskutiert. Die Rede ist vom Vorbild der erfolgreichen Impfkampagne in Italien und Portugal, deren Leitung ebenfalls von Spitzenmilitärs übernommen wurde. Von der Effizienz der Generäle, die als ?talentierte Führer? ausgebildet werden, ist die Rede. Andere sprechen von einer symbolischen Personalie oder von Symbolpolitik. Aber was symbolisiert ein General in einer zivilen Führungsposition, von der vermeintlich Wohlergehen und die Gesundheit der gesamten Bevölkerung abhängt? Ist es ein autoritäres Symbol der Handlungsbereitschaft und des Durchsetzungswillens? Nach außen lautet das Signal wohl: ?Wir packen es jetzt an? ? oder, wie Olaf Scholz sich gern zitieren lässt: ?Wer Führung bestellt, bekommt sie auch.? Innerhalb des Apparats wird Militärs in politischen Funktionen nachgesagt, dass sie auch unkonventionelle Wege gehen, um an ihr Ziel zu kommen. Auch ein Imagegewinn für die Bundeswehr dürfte bei diesem Einsatz von Breuer herausspringen. Bisher profitierte die Bundeswehr in der Gunst der Bevölkerung immer von Hilfseinsätzen in Deutschland, ob bei der Sturmflut 1963 in Norddeutschland, dem Hochwasser in Ostdeutschland 2002 und 2013, dem extremen Schnee 2019 in Bayern oder den Überschwemmungen in diesem Sommer in Westdeutschland. In einem Podcast der ZEIT wird sogar spekuliert, ob es sich um ein Angebot an konservative und rechte Impfskeptiker*innen handelt, die sich von einem schneidigen General eher überzeugen lassen, als von Politiker*innen und Wissenschaftler*innen. Anteile von all diesen Erklärungen dürften bei Teilen der Ampelkoalitionäre eine Rolle gespielt haben. Offensichtlich wird dadurch allerdings das politisch Versagen. Wenn es nicht möglich zu sein scheint, politische Grabenkämpfe und Zerrereien um Kompetenzen durch Politiker*innen oder politische Beamt*innen soweit zu befrieden, dass eine brauchbare Impfstrategie dabei herauskommt, sondern erst ein vermeintlich ?neutraler? General dazu benötigt wird, stellen sich die Entscheidungsträger*innen des gesamten politischen Apparats selbst in Frage. Krisenstäbe als Dauerzustand Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass zeitnah weitere zivile Spitzenposten mit Generälen besetzt werden, ist die Einrichtung des neuen Bund-Länder-Krisenstabes im Kanzleramt mit Beteiligung der Bundeswehr nur ein Vorzeichen für die Dinge, die in den nächsten Monaten und Jahren noch kommen werden. Auf der aktuell noch laufenden Innenministerkonferenz in Stuttgart wird diskutiert, einen dauerhaften Bund-Länder-Krisenstab im Kanzleramt zu installieren, der bei Bedarf aktiviert werden kann. Zudem soll der Bund laut Ampel-Koaltionsvertrag ?mehr Verantwortung für den Bevölkerungsschutz übernehmen.? Ein zentrales Element ist der Ausbau des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zu einer bundesweiten Zentralstelle mit einem dort entstehenden Kompetenzzentrum, in dem alle Fäden für den Katastrophenschutz zusammenlaufen sollen. Am Tisch sitzen dann neben Vertreter*innen von Bund, Ländern, dem THW, diverser Hilfsorganisationen und der Polizei auch Soldat*innen der Bundeswehr. Bundeswehr baut ihr Netzwerk in Inland aus Die Bundeswehr ist parallel mit dem Umbau ihrer eigenen Strukturen für Inlandseinsätze beschäftigt. Laut dem Eckpunktepapier für die Zukunft der Bundeswehr vom Mai diesen Jahres ist ein eigenes Territorialkommando der Bundeswehr auf höchster Ebene geplant. Mit zwei Lagezentren in Bonn und Berlin sollen von dort aus künftig alle Bundeswehreinsätze in Deutschland, von der Katastrophenhilfe über Terrorabwehr und Manöverunterstützung bis zur Sicherung von Kasernen und Infrastruktur im Kriegsfall geplant werden. In die aktuellen Umbaupläne ist die Reflexion der spontan aufgestellten Führungsstrukturen für den Corona-Einsatz der Bundeswerhr im Verlauf 2020 bereits eingeflossen. Um die Kommunikation zwischen Bundeswehr und zivilen Katastrophenschutzkräften zu vereinfachen und zugleich zu digitalisieren, arbeitet die Bundeswehr aktuell an einem IT-Vernetzungsprojekt namens Territorial Hub. In der neuen Softwareumgebung sollen alle Akteure, von THW, Feuerwehren und Rettungsdiensten über Polizei, Bundeswehr und andere in Deutschland stationierte Streitkräfte bis zu NGOs vernetzt werden. Trotz unterschiedlicher Computersysteme in den einzelnen Organisationen sollen diese mit einer Art Cloud auch geheime Daten austauschen können und soll eine gemeinsame Einsatzführungssoftware zur Verfügung stehen. Erst 2019 war die Bundeswehr für Aufgaben im Inland in das Digitalfunknetz der zivilen Sicherheitsbehörden mit eingestiegen. Alles in allem stellt die Bundeswehr mit diesem neuen Projekt das gesamte System des Föderalismus mit der politischen Hoheit der Länder im Katastrophenschutz sowie das Prinzip der Subsidiarität (das besagt, dass die Bundeswehr nur dann im Inland zum Einsatz kommt, wenn der zivile Katastrophenschutz an seine Grenzen kommt) völlig auf den Kopf. Mit dem Territorial Hub schafft die Bundeswehr eine digitale Infrastruktur, die das Militär dauerhaft und fest in der zivilen Krisenbewältigung verankern soll. Das Ziel dieser Vernetzung ist es allerdings nicht, immer mehr Soldat*innen in Katastrophenschutzeinsätze zu schicken. Das Gegenteil ist der Fall. Die Bundeswehr versucht bereits jetzt, mehr Einfluss auf den zivilen Katastrophenschutz zu gewinnen, damit diese Strukturen im Ernstfall, im Falle eines Krieges, gut aufgestellt und mit der Bundeswehr vernetzt sind. Nur dann könnten die Zivilen der Bundeswehr und den Armeen der NATO bei ihrem Aufmarsch Richtung Osten den Rücken freihalten. Aber auch für das, was gern als hybrider Krieg bezeichnet wird ? die Kriegsführung mit vermeintlich zivilen Mitteln ? und die Abwehr entsprechender Angriffe ist eine enge Vernetzung mit den zivilen Sicherheits- und Rettungskräften für die Streitkräfte von großem Vorteil. Einen General als Leiter eines Bund-Länder-Krisenstabes im Kanzleramt zu haben, der im Rahmen der Impfkampagne Kontakte in alle beteiligten Bundesbehörden, Bundesländer und Kommunen knüpft (wenn diese nicht schon aus seine vorherigen Job bestanden), ist für die Bundeswehr ein gefundenes Fressen. Die Armee wird so noch selbstverständlicher mit der Bewältigung von eigentlich zivilen Krisen verknüpft, gewinnt dabei noch an Image und kann die Militarisierung des Katastrophenschutzes in aller Ruhe fortsetzen oder sogar beschleunigen. From imi at imi-online.de Mon Dec 13 14:39:25 2021 From: imi at imi-online.de (imi) Date: Mon, 13 Dec 2021 14:39:25 +0100 Subject: [IMI-List] =?utf-8?q?=5B0603=5D_Ausblick_=26_Spenden_2022_/_Schw?= =?utf-8?q?erpunkt_Afghanistan_/_IMI-Kongress=3A_Audios_/_Analyse=3A_Neue_?= =?utf-8?q?Nachr=C3=BCstung?= Message-ID: <78493554-0096-9963-4661-ce2c39e80587@imi-online.de> ---------------------------------------------------------- Online-Zeitschrift "IMI-List" Nummer 0603 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563 Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/ ---------------------------------------------------------- Liebe Freundinnen und Freunde, in dieser IMI-List findet sich 1.) Ein Spendenaufruf & ein kurzer Ausblick auf 2022; 2.) Die Dezember-Ausgabe des IMI-Magazins (Schwerpunkt Afghanistan); 3.) IMI-Kongress: Audios zum Nachhören; 4.) Eine Analyse zur geplanten Stationierung von US-Hyperschall- und Mittelstreckenraketen in Europa. 1.) Spendenaufruf & Ausblick 2022 Auch wenn die Corona-Pandemie uns allen die Arbeit gegen Militarismus und Krieg nicht gerade vereinfacht hat, ist sie doch notwendig wie selten zuvor. Mit dieser vermutlich letzten IMI-List dieses Jahres möchten wir Euch unter anderem auf unseren neuen Afghanistan-Schwerpunkt in unserem Magazin aufmerksam machen, in dem wir aus verschiedenen Blickwinkeln eine vorläufige kritische Bilanz ziehen. Ebenfalls in dieser IMI-List findet sich ein Beitrag zur vermutlich für 2023 geplanten Stationierung von US-Hyperschall- und Mittelstreckenraketen. Und auch sonst: Von der nuklearen Teilhabe über die Anschaffung von Kampfdrohnen bis hin zu jüngsten Aussage von Kanzler Olaf Scholz, den Militärhaushalt noch weiter steigern zu wollen, deutet alles darauf hin, dass uns die neue Ampel-Regierung nicht gerade im Positiven beschäftigt halten wird. Für das neue Jahr (das IMI-Büro schließt Ende dieser Woche und ist am 10. Januar wieder am Start) haben uns schon deshalb einiges vorgenommen: Für den Anfang des kommenden Jahres planen wir zum Beispiel die Broschüre ?Braunzone Bundeswehr?, die einen Überblick über die rechten Umtriebe der Truppe geben soll. Wahrscheinlich sogar noch im Januar wird die Broschüre ?Aufmarsch im Indo-Pazifik? erscheinen, in der ausführlich die brisante Lage in der Region vor dem Hintergrund der sich verschärfenden sino-westlichen Großmachtkonflikte analysiert wird. Im März steht dann die Dokumentation des IMI-Kongresses ?Manöver als Brandbeschleuniger? an (die Audios finden sich schon in dieser IMI-List) und ebenfalls noch für dieses Jahr hoffen wir außerdem, den schon länger in Arbeit befindlichen Rüstungsatlas Deutschland veröffentlichen zu können. Dies sind nur einige der Dinge, die wir im kommenden Jahr angehen wollen. Für jede Hilfe dabei sind wir sehr dankbar ? Spenden und Mitgliedsbeiträge sind weiter steuerlich absetzbar! Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. IMI-Spendenkonto: IBAN: DE64 6415 0020 0001 6628 32 BIC: SOLADES1TUB Alle Informationen, um IMI-Mitglied zu werden, finden sich hier: https://www.imi-online.de/mitglied-werden/ 2.) Ausdruck (Dezember 2021): Schwerpunkt Afghanistan IMI-Mitteilung AUSDRUCK (Dezember 2021) Schwerpunkt: Afghanistan https://www.imi-online.de/2021/12/13/ausdruck-dezember-2021/ 13. Dezember 2021 SCHWERPUNKT: AFGHANISTAN -- Editorial (Christoph Marischka) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-Editorial.pdf -- Der Afghanistankrieg und die Friedensbewegung (Christine Schweitzer) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-CS-FB.pdf -- Perspektiven der afghanischen Frauenbewegungen (Mechthild Exo) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-ME-FB.pdf -- Afghanistan und das Recht auf Bewegungsfreiheit (Jacqueline Andres) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-JA-Bewegung.pdf -- Alltag ?Kampfeinsatz?: Afghanistan und die deutsche Außenpolitik (Martin Kirsch) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-MK-Deutschland.pdf -- Lehren aus Afghanistan: Lernen für künftige Kriege (Nabil Sourani) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-NS-Lehren.pdf -- Sehenden Auges: Die Offenbarungen der Afghanistan Papers (Dominik Wetzel) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-DW-Papers.pdf -- Die ?Wunderwaffe? des Afghanistan Krieges (Elsa Rassbach) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-ER-Drohnen.pdf -- Fünf Empfehlungen zum Weiterlesen (Jacqueline Andres) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-JA-Literatur.pdf Magazin Rüstung -- SPD offen für Drohnenbewaffnung: Einigung im Ampel-Koalitionsvertrag (Marius Pletsch) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-MP-SPD.pdf -- Schlechte Nachrichten für Rheinmetall (Jacqueline Andres) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-JA-Rheinmetall.pdf -- Elektromobilität als rüstungsindustrielles Programm? (Christoph Marischka) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-CM-Elektro.pdf EU-Militarisierung -- Krieg per Enthaltung: EU-Interventionstruppe als Koalition der Willigen? (Jürgen Wagner) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-JW-EU-Truppe.pdf -- Die neue Arktis-Strategie der EU (Ben Müller) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-BM-Arktis.pdf -- Asiatische NATO? Die Geopolitik des AUKUS-Paktes (Jürgen Wagner) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-JW-Aukus.pdf Klima & Krieg -- Benzin löscht kein Feuer (Jacqueline Andres) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-JA-Klima.pdf Afrika -- Der Wettstreit um Zentralafrika: Französische und russische Präsenz in der ZAR (Milena Düstersiek) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-MD-ZAR.pdf -- EU-Sahel: Machtansprüche und Externalisierung (Christoph Marischka) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-CM-Sahel.pdf Kongressbericht Manöver als Brandbeschleuniger: Bericht vom 25. Kongress der Informationsstelle Militarisierung (IMI) https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-2021-107-Kongressbericht.pdf 3.) IMI-Kongress: Audios zum Nachhören Es gab eine Reihe von Nachfragen, ob die Beiträge des diesjährigen IMI-Kongresses auch nochmal als Audio zum Nachhören bereits stehen werden. Das ist jetzt der Fall ? ein großes Dankeschön an unseren Medienpartner, die Wüste Welle! Alle Beiträge des IMI-Kongresses finden sich zum Nachhören hier: https://www.imi-online.de/2021/12/10/audio-aufnahmen-vom-imi-kongress-2021/ 4.) IMI-Analyse: Neue Nachrüstung IMI-Analyse 2021/46 (Update: 13.12.21) Die neue Nachrüstung Für das reaktivierte 56. Artilleriekommando in Mainz-Kastel sollen wohl Hyperschall- und andere Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa stationiert werden https://www.imi-online.de/2021/12/10/die-neue-nachruestung/ Jürgen Wagner (10. Dezember 2021) Vor etwa vier Jahrzehnten lösten die von der deutschen Regierung unterstützten US-Pläne zur ?Nachrüstung? (oder treffender: ?Aufrüstung?) atomarer Pershing-II-Mittelstreckenraketen Massenproteste aus. Dies konnte die Stationierung dieser Waffen aber leider nicht verhindern, sodass das 56. Artilleriekommando, damals noch mit Hauptsitz in Schwäbisch Gmünd, die Befehlsgewalt über die Pershing-Flotte in Europa übernahm. Die Proteste waren aber sicher zumindest dahingehend erfolgreich, dass sie zum Abschluss des INF-Vertrages im Dezember 1987 beitrugen, in dem sich die USA und Russland auf ein Verbot nuklear bestückbarer landgestützter Kurz- und Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 500km und 5.500km verständigten. Nachdem dadurch auch das 56. Artilleriekommando seines Zwecks beraubt worden war, wurde es schlussendlich im Jahr 1991 außer Dienst gestellt. Die Hoffnung, damit sei diese gefährliche Waffengattung ein für alle Mal vom europäischen Kontinent verbannt, hielt bis zum Jahr 2019. Mit Verweis auf die ? zumindest reichlich fragwürdige ? Anschuldigung, Russland habe sich zuerst einer Vertragsverletzung schuldig gemacht, kündigte die US-Regierung von Donald Trump den INF-Vertrag einseitig auf und machte damit den Weg für eine Renaissance dieser Waffengattung frei. Auch der seit diesem Jahr amtierende neue US-Präsident Joseph Biden macht keinerlei Anstalten, den Vertrag reaktivieren zu wollen ? im Gegenteil. So hält er augenscheinlich an den Plänen im Rahmen der ?Pazifischen Abschreckungsinitiative? fest, konventionelle (aber nuklear bestückbare) Mittelstreckenraketen in Ostasien stationieren zu wollen. Und auch auf dem europäischen Schauplatz sieht es keinen Deut besser aus: Auch hier bahnt sich eine Stationierung konventioneller Kurz- und Mittelstreckenraketen mit Siebenmeilenstiefel an, die eine wichtige Rolle in dem neuen operativen Einsatzkonzept der ?Multi Domain Operations? (MDOs) spielen. Über die daraus abgeleiteten ?Multi Domain Task Forces? (MDTFs) will die US-Armee die Dominanz gegenüber Russland und China wiedererlangen, die für Europa vorgesehene Einsatzgruppe mit Sitz in Wiesbaden wurde am 16. September 2021 aktiviert. Für die für notwendig erachtete Feuerunterstützung sollen künftig wohl neue Hyperschall- sowie weitere Kurz- und Mittelstreckenraketen sorgen, die erneut dem 56. Artilleriekommando unterstellt sein werden, das am 8. November 2021 mit Sitz in Mainz-Kastel reaktiviert wurde. Auch wenn eine Reihe von Details noch unklar sind, scheinen damit die Weichen für eine zweite Nachrüstung in Form einer Stationierung konventioneller, aber atomar bestückbarer Raketen gestellt zu sein. Großmachtkonkurrenz und Mehrebenen-Einsätze Spätestens mit der ?Nationalen Sicherheitsstrategie? vom Dezember 2017 wurden die Auseinandersetzungen mit Russland und China auch in einem offiziellen Regierungsdokument zur wichtigsten Aufgabe der US-Politik auserkoren. Darauf folgte im Januar 2018 die ?Nationale Verteidigungsstrategie?, in der es hieß: ?Der langfristige strategische Konkurrenzkampf mit China und Russland ist die wichtigste Priorität für das Verteidigungsministerium.? Explizit wird in der Verteidigungsstrategie auf die Bedeutung eines auf allen Ebenen vernetzten Vorgehens abgehoben ? auch mittels Raketen: ?Der Schutz von US-Interessen gegen China und Russland wird zusätzliche Investitionen erfordern, in die U-Boot-Flotte; in Fähigkeiten zur Informationsgewinnung, Überwachung und Aufklärung; Luftverteidigung; Plattformen für Langstreckenangriffe [long-range strike platforms]; und landgestützte Langstreckenfeuerkraft [long-range ground-based fires].? Direkt aus der Nationalen Verteidigungsstrategie abgeleitet wurde dann im Dezember 2018 ein neues Einsatzkonzept mit dem Dokument ?The U.S. Army in Multi-Domain. Operations 2028? eingeführt. Es ist explizit als Antwort auf die sich verschärfenden Großmachtkonflikte gedacht und soll den USA die für verloren erklärte militärische Dominanz über seine erklärten Gegner wiederverschaffen. Der Wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses schrieb dazu: ?Im Dezember 2018 führte die Armee ihr operatives Konzept der Mehrebenen-Operationen (MDOs) ein. Laut der Armee wurden MDOs als Antwort auf die Nationale Verteidigungsstrategie aus dem Jahr 2018 entwickelt, die den bisherigen sicherheitspolitischen Fokus der USA von der weltweiten Bekämpfung gewalttätiger Extremisten hin zur Konfrontation mit revisionistischen Mächten verschob ? vor allem mit Russland und China.? Auch wenn insgesamt viel Aufhebens um die MDOs gemacht wird, im Prinzip läuft das Konzept recht simpel darauf hinaus, dass eine optimale Schlagkraft dann entfaltet werden kann, wenn teilstreitkräfteübergreifend alle Fähigkeiten ? Land, Luft, Maritim, Cyber und Weltraum ? vernetzt und mit hohem Tempo zum Einsatz gebracht werden können. Dementsprechend sollen auch vernetzte Einheiten ? Multi-Domain Task Forces ? aufgestellt werden, die jeweils einem der US-Regionalkommandos zugeordnet und im Detail auf den dortigen ?Bedarf? zugeschnitten werden sollen. Bei Soldat und Technik heißt es dazu: ?Jede MDTF wird so konzipiert und zugeschnitten, dass sie auf der erforderlichen Ebene operieren kann, um die Anforderungen des Befehlshabers der unterstützten Streitkräfte zu erfüllen. Jede MDTF wird von Anfang an einem Kommandobereich zugewiesen oder zugeordnet und dann im Rahmen der Vorgaben des Kommandobereichs aufgebaut, ausgebildet und beübt.? Ein erster MDTF-Testverband wurde bereits vor einiger Zeit aufgestellt, insgesamt soll es fünf geben: zwei für den Indo-Pazifik, einen für die Arktis, einen für globale Interventionseinsätze und einen für Europa. Der MDTF-Einsatzverband Europa wurde, wie eingangs erwähnt, am 16. September 2021 mit Hauptquartier in Wiesbaden aktiviert. Zum spezifischen Zuschnitt dieses Verbandes heißt es ebenfalls bei Soldat und Technik: ?Den Angaben der U.S. Army nach wird sich die Multi-Domain Task Force Europe aus Kräften des elektronischen Kampfes, der Feldartillerie, der Flug- und Raketenabwehr sowie Spezialisten für Cyberwarfare und Aufklärung zusammensetzen.? Neue Raketensysteme in Europa? Auch wenn jede MDTF für ihren Bereich spezifisch zusammengeschustert wird, lässt beispielsweise ein Papier der RAND-Corporation keine Zweifel aufkommen, dass Raketensysteme unterschiedlicher Reichweiten in allen Szenarien eine zentrale Rolle spielen sollen. Auch bei der Stiftung Wissenschaft und Politik lässt sich nachlesen: ?Diese Task-Forces werden sich nach den Plänen des Heeres aus mehreren Bataillonen zusammensetzen, darunter einem mit weitreichender Artillerie, Raketen oder Marschflugkörpern.? Bis kürzlich handelte es sich beim Army Tactical Missile System (ATACMS) noch um das Boden-Boden-Raketensystem der US-Armee, das mit 165km (in späteren Versionen 300km) über die größte Reichweite verfügte. Nach dem Ende des INF-Vertrages, der die Entwicklung von Systemen größerer Reichweite effektiv verhindert hatte, setzte unmittelbar eine (vermutlich schon länger unter der Hand vorbereitete) rege Geschäftigkeit ein, die dazu führen soll, dass in Kürze eine Reihe neuer Waffensysteme zur Verfügung stehen sollen. Mindestens drei dieser Programme sind in diesem Zusammenhang von Interesse, da sie sich auch dem Schema der ersten ?Test-MDTF? zuordnen lassen: HIMARS, MRC und LRHW (siehe Schaubild). Für das Raketen-Abschusssystem HIMARS (High Mobility Artillery Rocket System) befindet sich aktuell eine Boden-Boden-Rakete (Precision Strike Missile, PrSM) mit einer Reichweite über 500km in Entwicklung, deren vorläufige Einsatzbereitschaft 2025 erreicht werden soll. Für Entwicklungskosten von 895 Mio. Dollar sollen knapp 2.500 Raketen zum Preis von nochmaligen 2,038 Mrd. Dollar beschafft werden. Ob dieses Waffensystem auch der EU-MDTF zugeordnet werden soll, ist unklar, wahrscheinlicher sind zwei andere Waffensysteme: Typhoon und Dark Eagle. Bei Typhoon handelt es sich um ein Abschusssystem, das unterschiedliche Raketen mittlerer Reichweite wie Tomahawk-Marschflugkörper abfeuern kann. In Entwicklung befindet sich hierfür auch die Standard Missile (SM)-6, für die Lockheed Martin bislang 339 Mio. Dollar erhielt, um bis 2023 einen Prototypen mit einer Reichweite zwischen 500km und 1.500km fertig zu stellen. Für rund 700 Mio. wurde außerdem Dynetics und wiederum Lockheed Martin mit der Entwicklung einer Überschallwaffe (LRHW) beauftragt. Die Dark Eagle genannte Waffe soll ebenfalls als Prototyp 2023 zur Verfügung stehen und könnte mit bis zu fünffacher Schallgeschwindigkeit von Europa aus Moskau in rund 20 Minuten erreichen, wie die britische Sun zwar reichlich reißerisch, aber dennoch nicht falsch berichtete. Die gewöhnlich gut informierte regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik geht augenscheinlich davon aus, dass diese beiden Systeme Teil der EU-MDTF sein werden und damit in Europa stationiert werden dürften: ?Die Größe und der Zuschnitt der MDTF in Europa scheinen noch nicht festzustehen; die Entsendung von nur einigen Hundert Soldatinnen und Soldaten deutet darauf hin, dass es zunächst nur um Führungs- und Planungsfähigkeiten geht. Durchaus von Belang ist allerdings, dass vorgesehen ist, diese Task-Forces mit zwei neuen landgestützten, nicht­atomaren Waffensystemen auszustatten. Die sogenannte Mid-Range Capability (MRC) soll auf Grundlage der bestehenden Standard Missile 6 (SM?6) und des Tomahawk-Marschflugkörpers entwickelt werden und eine Reichweite zwischen 500 und 1.500 km haben. Zur weiteren Ausstattung der MDTF soll eine neue landgestützte Hyperschallrakete ? die Long-Range Hypersonic Weapon (LRHW) ? gehören, die eine Reichweite von mehr als 2.700 km hätte. Für beide Waffensysteme wird angestrebt, dass bis spätestens 2023 ein einsatzbereiter Prototyp zur Verfügung steht.? Reaktiviertes Artilleriekommando Ein deutliches Signal, dass der EU-MDTF bislang vom INF-Vertrag verbotene Raketen unterstellt werden sollen, stellt die am 8. November 2021 erfolgte Reaktivierung des 56. Artilleriekommandos dar. Seither hat das Kommando seinen Sitz in Mainz-Kastel und es soll laut Stiftung Wissenschaft und Politik als ?Theater Fires Command? (Gefechtsfeldfeuerkommando) fungieren, als ?ein Hauptquartier, das im Kriegsfall den Einsatz von Raketen unterschiedlicher Reichweite zwischen den Teilstreitkräften der USA sowie zwischen den Nato-Verbündeten koordinieren würde (Theatre Fires Command). Das US-Heer hat dafür im November das 56. Artilleriekommando reaktiviert. Dessen Vorläufer bestand von 1986 bis 1991 als europäisches Kommando der US-amerikanischen Pershing-Raketen.? Unklar ist allerdings, ob die augenscheinlich angedachten Raketensysteme auch in Mainz-Kastel oder anderswo in Deutschland stationiert werden sollen. Auf Nachfrage des Wiesbadener Lokalportals Merkurist wurde dies dementiert: ?Fragt man die Stadt Wiesbaden dazu, teilt die Pressestelle mit, dass ?keine Auskünfte erteilt? werden können. Das amerikanische Militär indes verneint die Frage, dass sich Waffen wie die Hyperschallrakete ?Dark Eagle? in Mainz-Kastel befinden. Auf Merkurist-Anfrage meldet eine Pressesprecherin, dass das Artilleriekommando für die Koordination, Integration und Synchronisation der Einheiten in Europa und Afrika zuständig sei. ?Im Gegensatz zum 56. Feldartilleriekommando während des Kalten Kriegs ist das aktuelle Headquarter kein Raketenkommando?, so Public Affairs Officer Aimee J. Valles. Es gebe derzeit auch keine Pläne, Waffensysteme in Mainz-Kastel zu stationieren. Alle Entscheidungen, die künftig über die Stationierung getroffen würden, würden üblicherweise mit dem Gastgeberland koordiniert.? Es ist allerdings überhaupt nicht zwingend erforderlich, die entsprechenden Raketensysteme ebenfalls in Mainz-Kastel oder an einem anderen Standort in Deutschland zu stationieren ? aus einem Papier der airforcenahen Rand-Corporation lässt sich zum Beispiel herauslesen, dass dessen Autoren Polen als den wahrscheinlicheren Standort betrachten. Dass aber solche Waffen entweder hierzulande oder irgendwo sonst in Europa stationiert werden sollen, davon ist mit hoher Sicherheit auszugehen, ist auch die Stiftung Wissenschaft und Politik der Ansicht: ?Die US-Streitkräfte, insbesondere das Heer, setzen bei ihren Modernisierungsanstrengungen auf weitreichende Abstandswaffen - sogenannte Long-Range Precision Fires (LRPF). Dazu zählen auch die oben erwähnte Mid-Range Capability sowie die neue Hyperschallwaffe. Stationierungsentscheidungen auf amerikanischer Seite stehen noch aus. Doch würde es aus der Perspektive der USA wenig Sinn ergeben, solche Waffen zu entwickeln, ohne sie später in Europa stationieren zu wollen.? Gerade bei der Reaktivierung des ehemaligen Pershing-Kommandos handelt es sich um einen symbolträchtigen Schritt, der nicht ohne Folgen bleiben und den ohnehin bereits vom Zaun gebrochenen Rüstungswettlauf weiter befeuern wird. Zwar redet aktuell (noch) niemand davon, diese Systeme auch mit Atomwaffen auszustatten, fähig dazu wären sie aber, wie etwa der ehemalige Waffeninspekteur Scott Ritter kritisiert: ?Zwar behaupten die USA, die Dark Eagle werde mit konventionellen Sprengköpfen ausgerüstet, das Potential dieser Waffen und der bodenbasierten Tomahawk, Atomsprengköpfe zu tragen, ist aber vorhanden und das kann von den militärischen und politischen Führern Russlands nicht ignoriert werden, von denen erwartet werden kann, dass sie dementsprechend reagieren werden.?