[IMI-List] [0578] Factsheet: Polizeidrohnen / Broschüre: EU-Rüstungsexporte / Artikel: Pandemie und Rüstungsausgaben
IMI-JW
imi at imi-online.de
Mi Nov 11 13:48:24 CET 2020
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0578 .......... 23. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,
1.) die Hinweise auf das neue IMI-Factsheet „Polizei-Drohnen“ und eine
neue Broschüre über EU-Rüstungsexporte, die beide gratis bestellt werden
können;
2.) ein Artikel über die Rüstungshaushalte in Zeiten der Pandemie.
Zuvor nochmal die kurze Erinnerung an den IMI-Kongress „Politik in
Zeiten der Katastrophe“, der dieses Jahr am 21. November (ab 12h) im
Radio und Online verfolgt werden kann:
So kann man dabei sein:
– Lokal im freien Radio Wüste Welle auf 96,6 MHz und weltweit im
Livestream unter https://www.wueste-welle.de/broadcasts/livestream/type/mp3
– Online auf BigBlueButton: https://freieradios.collocall.de/chr-6bo-pxf-nyg
Alles Infos mit aktualisiertem Programm unter:
http://www.imi-online.de/uber-imi/imi-kongress2020/
1.) Factsheet: Polizei-Drohnen & Broschüre EU-Rüstungsexporte
-- Factsheet: Polizei-Drohnen:
In Zusammenarbeit mit der Roten Hilfe hat die IMI soeben ein neues
Factsheet veröffentlicht: „Polizei-Drohnen: Überwachung aus der Luft“.
Das Factsheet kann wie immer gratis hier heruntergeladen werden:
http://www.imi-online.de/download/Factsheet-Polizeidrohnen.pdf
Das Factsheet wird in Print auch der nächsten Ausgabe des IMI-Magazins
Ausdruck beiliegen (erscheint Anfang Dezember). Es kann darüber hinaus
auch gegen Porto direkt bestellt werden: imi at imi-online.de
-- Broschüre: EU-Rüstungsexporte:
IMI-Vorstand Jürgen Wagner hat soeben in der Reihe der EU-Abgeordneten
Özlem Demirel die Broschüre „Rüstung vor Richtlinien: Machtpolitik und
Rüstungsexporte der Europäischen Union“ fertig gestellt.
Die Broschüre kann hier eingesehen werden:
http://www.thegravity.de/download/Ruestungsexporte_V1g-Druck.pdf
Bevor sie nun in Druck geht, würden wir gerne schon einmal
Vorbestellungen für die Printversion einsammeln (max. 3 Exemplare, in
Ausnahmefällen auch mehr). Die Broschüre kann deshalb in Print am besten
per formloser Mail bis Sonntag (15.11.) hier vorbestellt werden:
bestellungen at oezlem-demirel.de
2.) Artikel: Rüstungsausgaben in Zeiten der Pandemie
IMI-Standpunkt 2020/055 (Update: 11.11.2020)
Rüstung in Zeiten der Pandemie
Ungeachtet der Corona-Krise schießen die Rüstungshaushalte in vielen
europäischen Ländern durch die Decke
Jürgen Wagner (2. November 2020)
Schon zu Beginn der Pandemie wurden in nahezu allen europäischen Ländern
leidenschaftliche Appelle platziert, die Rüstungsausgaben dürften jetzt
bloß nicht als Kollateralschäden der Krise enden. Nahezu überall
herumgereicht wurde beispielsweise ein in Deutschland in der FAZ unter
dem Titel „Europas Verteidigung sollte nicht Opfer des Lockdowns sein“
erschienener Beitrag, der gleich von einer ganzen Reihe prominenter
Militärpolitiker verfasst wurde:
„Mit einem Rückgang des BIP im Jahr 2020, der auf EU-Ebene zwei- bis
dreimal so hoch sein könnte wie nach der Krise von 2008, besteht die
Gefahr, dass die Verteidigung bei der wirtschaftlichen Erholung und der
Haushaltskonsolidierung bei den europäischen Staats- und Regierungschefs
nicht als Priorität wahrgenommen wird. [...] Wir müssen die Lehren aus
den Folgen der Krise im Euro-Währungsgebiet ziehen und dürfen unsere
Fehler aus der Vergangenheit jetzt nicht wiederholen.“
Heute, ziemlich genau ein halbes Jahr später, können die besorgten
Rüstungsfans aufatmen – nicht nur kamen die meisten europäischen
Militärbudgets bislang weitgehend ungeschoren davon, in einer ganzen
Reihe von Ländern schießen sie sogar ganz ungeachtet der aktuellen Krise
regelrecht durch die Decke. Zuletzt kündigten Schweden und Italien
saftige Erhöhungen an und auch die Bundesregierung will hier
augenscheinlich nicht zurückblieben. Der Mitte Oktober 2020 erschienene
Finanzplan gibt darüber hinaus auch erstmals genau darüber Aufschluss,
wieviel Corona-Hilfe in den Rüstungssektor umgeleitet werden soll. Und
schließlich rückte mit dem Kompromiss zwischen den Verhandlungsführern
von EU-Rat und EU-Parlament am 10. November 2020 die Einrichtung
diverser EU-Rüstungshaushalte einen wichtigen Schritt näher. Bei den
jährlichen Milliardenbeträgen, die Deutschland hier beisteuern soll,
wird es sich um versteckte Rüstungsausgaben handeln, da die
entsprechenden Gelder nicht dem Verteidigungshaushalt, sondern dem
allgemeinen Haushalt entnommen werden sollen.
Rüstungsboom in Schweden und Italien
Ein besonders schillerndes aktuelles Beispiel ist Schweden, von dem man
eigentlich meinen sollte, das Land habe derzeit andere Probleme als
einen zu niedrigen Rüstungshaushalt. Befeuert durch eine an Paranoia
grenzende Angst vor Russland hat sich das Land bereits seit einigen
Jahren einem konsequenten Aufrüstungskurs verschrieben (siehe Telepolis,
15. Mai 2019). Schon zwischen 2009 (38,751 Mrd. Kronen) und 2019 (55,969
Mrd. Kronen) stieg der schwedische Haushalt rasant um etwa 45 Prozent an
– einen ähnlichen Sprung soll das Budget nun noch einmal in einer
deutlich kürzeren Zeitspanne machen. Am 14. März 2020 wurde das Gesetz
“Totalförsvaret 2021–2025“ (Totale Verteidigung 2021-2025) vorgelegt. Es
sieht eine Vergrößerung der Armee von aktuell 60.000 auf 90.000
SoldatInnen und einen happigen weiteren Anstieg des Militärhaushaltes
vor. Das Budget soll bis 2025 um weitere 40 Prozent (27,5 Mrd. Kronen,
2,65 Mrd. Euro), was der sozialdemokratische Verteidigungsminister Peter
Hultqvist stolz mit den Worten kommentierte, es handele sich um die
„größte prozentuale Erhöhung der Militärausgaben seit den 1950er Jahren.“
Ein weiterer Kandidat, dem nahegelegt werden sollte, sein Geld für
sinnvollere Maßnahmen wie ein besseres Gesundheitssystem auszugeben, ist
Italien. Doch auch dort werden schon seit einiger Zeit recht große
Rüstungsbrötchen gebacken. Mit Großbritannien und Schweden entwickelt
das Land derzeit ein hochmodernes Kampfflugzeug („Tempest“), das dem
deutsch-französischen Großprojekt („Future Combat Air System“)
Konkurrenz machen soll (siehe Telepolis vom 17. Oktober 2019). Mit
Leonardo (früher: Finmeccanica) hat der zweitgrößte EU-Rüstungskonzern
seinen Sitz in Italien (Umsatz 2019: 111 Mrd. Dollar) und auch dahinter
verfügt das Land über einige Schwergewichte. So macht zum Beispiel
„Navaris“, ein seit November 2019 existierendes Joint Venture, das zu
gleichen Teilen der französischen Naval Group und der italienischen
Fincantieri gehört, erfolgreich ThyssenKrupp Marine Systems die
Geschäfte streitig.
So verwundert es auch nicht sonderlich, dass selbst während der in der
ersten Welle in Italien besonders heftig wütenden Corona-Krise der
Rüstungsindustrie weiter der rote Teppich ausgerollt wurde. Per
Regierungsdekret wurde festgelegt, dass zur Eindämmung der Pandemie nur
lebensnotwendige Güter produziert werden dürften – und dazu wurde auch
die Rüstungsindustrie gezählt. Das brachte unter anderem die Bischöfe
der Regionen Piemont und Aostatal auf die Palme, die die Entscheidung
der Regierung scharf kritisierten:
„Wir sagen Nein zur Herstellung von Waffen, besonders in dieser Zeit, in
der Werkzeuge und Ausrüstung für das Leben und nicht für den Tod
benötigt werden. [...] Wie viele Krankenhausbetten könnten mit den
Kosten eines einzigen Kampfflugzeugs beschafft werden?“
Beeindruckt hat dies Ministerpräsident Giuseppe Conte augenscheinlich
wenig: Ende Oktober wurde angekündigt, der Militärhaushalt werde 2020 um
nahezu 10 Prozent steigen. Der Haushalt für dieses Jahr hätte
ursprünglich im Frühjahr veröffentlicht werden sollen, wurde aber
coronabedingt verschoben. Natürlich wird dies auch nicht zum Schaden der
Rüstungsindustrie sein, der das Budget steigt auf 15,3 Mrd. Euro (2019:
14 Mrd.), wobei das Beschaffungsbudget mit einer Erhöhung um 26 Prozent
den Löwenanteil abbekommt.
Deutschland: Rüstungsvorbild
Augenscheinlich konnte die Coronakrise den Rüstungshaushalten bislang
zumindest noch nicht allzu viel anhaben – leider hinkt die Europäische
Verteidigungsagentur mit ihren Daten chronisch der Zeit hinterher (die
aktuellsten Zahlen liefert sie derzeit für 2018), aber die NATO hat
kürzlich ihre Schätzungen für 2020 veröffentlicht: Demzufolge geht das
Bündnis davon aus, dass die europäischen NATO-Staaten in diesem Jahr auf
Militärausgaben in Höhe von 307 Mrd. Dollar kommen werden (zum
Vergleich, 2015 waren es noch 255 Mrd. Dollar).
Noch im September 2020 warnten Sophia Becker und Torben Schütz von der
Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) aufgeregt im
Tagesspiegel, die bisherige „positive Dynamik“ in Sachen Militärausgaben
drohe „durch die Auswirkungen von Covid-19“ womöglich „zum Stillstand zu
kommen oder sogar umgekehrt zu werden.“ Besonders schwierig könnte es in
„südeuropäischen Ländern wie Italien und Spanien“ werden, dort könnten
die „Verteidigungsbudgets stark unter Druck geraten“, so die
DGAP-AutorInnen. Ihre Lösung: Deutschland solle als leuchtendes
Rüstungsvorbild vorangehen und so ein Zeichen gegen sinkende
Militärausgaben setzen:
„Deutsche Haushaltsentscheidungen haben also schon länger europäische
Konsequenzen – auch im Verteidigungsbereich. Dass der deutsche
Verteidigungshaushalt seit 2014 wächst, hat die Europäisierung erst
möglich gemacht. [...] Der Verteidigungshaushalt sollte gleich hoch
bleiben oder wachsen. Deutschland hat jetzt die Chance, seinen eigenen
Ansprüchen zu genügen und das zu tun, was seine europäischen Partner
erwarten: Führen durch Vorbild.“
Die deutschen Haushaltsentscheidungen scheinen in diesem Sinne gewirkt
zu haben – Italien erhöhte, wie beschrieben, seinen Haushalt in diesem
Jahr und auch das spanische Budget stieg von 11,2 Mrd. Dollar im Jahr
2019 auf aktuell 12,9 Mrd. Dollar an – von Kürzungen im kommenden Jahr
war bislang ebenfalls nichts zu vernehmen.
Jedenfalls kam Deutschland bislang den Erwartungen von Rüstungsindustrie
und Militärstrategen in Sachen Haushalt vollumfänglich nach: das Budget
stieg von 24,3 Mrd. Euro (2000) auf 43,2 Mrd. (2019) deutlich an. Für
2020 waren dann 45,1 Milliarden Euro eingestellt, allerdings hätte der
Haushalt dann im kommenden Jahr sinken sollen – doch dann kam das
Corona-Paket der Bundesregierung. Darin wird auch die Bundeswehr üppig
bedacht, sie profitiert von 500 Mio. Euro, die für ein
Bundeswehr-Cyberzentrum und von 3,73 Mrd. Euro, die für vorgezogene
Investitionen ausgelobt wurden. Im Mitte Oktober erschienenen Finanzplan
des Bundes sind die Auswirkungen auf den Militärhaushalt nachzulesen –
von Kürzungen ist darin trotz Corona keine Rede mehr, ganz im Gegenteil:
„Im Entwurf des Bundeshaushalts 2021 sind im Einzelplan des BMVg
Ausgaben von über 45,6 Mrd. € veranschlagt, damit liegen die für das
Jahr 2021 vorgesehenen Ausgaben rd. 1,6 Mrd. € über dem bislang
geltenden Finanzplan. [...] Hinzu kommen rd. 3,73 Mrd. € zusätzliche
Mittel aus dem Konjunktur- und Zukunftspaket bis zum Jahr 2024 (davon
rd. 1,2 Mrd. € in 2021)“.
EU-Rüstungsgelder: Kompromiss
Zum deutschen Militärhaushalt hinzugerechnet werden müssen künftig u.a.
auch noch die Gelder, die über die Europäische Union verausgabt werden
sollen. Am 10. November 2020 einigten sich die Verhandlungsführer von
EU-Parlament und Rat auf einen Kompromiss für den EU-Haushalt 2021 bis
2027. Damit wurde eine der letzten Hürden für die erstmalige Einrichtung
diverser offizieller EU-Rüstungstöpfe genommen (Parlament und Rat müssen
dem Kompromiss zwar noch formal zustimmen, das gilt allerdings als
wahrscheinlich). Dem Kompromiss zufolge dürfte es, was die
militärrelevanten Haushaltslinien anbelangt, bei den Zahlen bleiben, auf
die sich der Rat bereits im Juli 2020 geeinigt hatte. Konkret bedeutet
das, dass für einen „Europäischen Verteidigungsfonds“ (EVF) zur
Erforschung und Entwicklung von Rüstungsgütern im nächsten EU-Haushalt
2021 bis 2027 knapp 8 Mrd. Euro vorgesehen sein dürften. Für die
„Militärische Mobilität“ zur „Verbesserung“ der schnellen Truppen- und
Kriegsgüterverlegung nach Osteuropa sollen etwa 1,7 Mrd. Euro
eingestellt werden. Eine „Europäische Friedensfazilität“ für die
Finanzierung von EU-Militäreinsätzen und die Lieferung von Militärgerät
an „befreundete“ Akteure soll 5,65 Mrd. erhalten. Den dicksten Brocken
machen weiter die militärisch hochgradig relevanten EU-Weltraumprogramme
Galileo und Copernicus aus, die mit 14,9 Mrd. Euro bedacht werden sollen.
Der deutsche Anteil an diesen Töpfen wird etwa 25 Prozent betragen, wie
die Bundesregierung auf eine Linken-Anfrage einräumte. Und dieses Geld
wird nicht etwa dem Verteidigungshaushalt entnommen, wie man eigentlich
denken sollte. Denn auf die Frage, woher die Gelder für den
Verteidigungsfonds stammen werden, antwortete die Bundesregierung:
„Beiträge für den EU-Haushalt werden im Einzelplan 60 (Allgemeine
Finanzverwaltung) etatisiert.“ Rechnet man dies alles zusammen, so
ergibt sich allein über die EU-Töpfe eine Summe von 4,3 Mrd. Euro im
Jahr, die überhaupt nicht im Militärhaushalt ausgewiesen wird, obwohl
sie eigentlich dort hingehört.
Mit den Geldern des EU-Verteidigungsfonds soll nicht zuletzt die
Entwicklung der deutsch-französischen Großprojekte Eurodrohne (MALE
RPAS), Kampfflugzeug (FCAS) und Kampfpanzer (MGCS) massiv subventioniert
werden. Mit federführend an der MGCS-Entwicklung beteiligt ist der
Panzerbauer Rheinmetall, der sich u.a. deshalb ungeachtet der
Coronakrise vor „rosigen“ Zeiten wähnt. So hieß es noch Anfang März 2020
in der Welt: „Die Rüstungsindustrie boomt wie selten zuvor. Auch
Deutschlands größter Militärausrüster Rheinmetall profitiert vom
dringenden Nachholbedarf der nationalen Armeen. Sogar das Sorgenkind
Bundeswehr verspricht lukrative Aufträge. [...] Der seit 2013 amtierende
Rheinmetall-Chef Armin Papperger hat dafür eine Erklärung. Der Konzern
profitiere als international tätiger Systemanbieter ‚vom ‚Super-Zyklus‘
im wehrtechnischen Geschäft‘.“ Dementsprechend berichtete die
Europäische Sicherheit und Technik am 7. November 2020 über den
Rheinmetall-Geschäftsausblick für das Jahr 2020: „Für den
Unternehmensbereich Defence erwartet Rheinmetall keine Auswirkungen der
Corona-Krise auf die Geschäftsentwicklung. Daher wird für den
Defence-Bereich ein Umsatzwachstum von rund 6% erwartet.“
Generell scheint die deutsche Rüstungsindustrie von der Corona-Krise
kaum betroffen worden zu sein, wie eine ausführliche Untersuchung der
„Foundation pur la recherche strategique“ ergab. Weder seien im großen
Stil Schließungen aufgrund umfassender Infizierungen noch wegen
Nachfrageeinbrüchen erforderlich gewesen.
Verantwortungslose Subventionen
In einer Krise derartigen Ausmaßes, wie wir sie aktuell erleben, der
Rüstungsindustrie den roten Teppich auszurollen, ist unverantwortlich.
Friedenspolitisch hat das militärische Säbelrasseln der letzten Jahre
lediglich die Konflikte mit Russland (und zunehmend mit China) weiter
verschärft. Auch die „Erfolge“ der westlichen Militärinterventionen im
Globalen Süden sollten nahelegen, von derlei Unterfangen künftig weit
Abstand zu nehmen. Ein erfrischend kritischer Kommentar in der taz gab
dazu kürzlich an:
„Wer heutzutage nach Argumenten gegen eine militärische Einmischung in
die inneren Angelegenheiten anderer Länder sucht, muss sich nicht mehr
auf Pazifismus berufen. Die Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte
liefern allen Grund, Interventionen mit höchster Skepsis zu betrachten
[...]. Wären Fakten von Bedeutung, müsste es heute leichter sein, gegen
Waffengänge zu plädieren. Dennoch ist das Nein geächtet.“
Doch auch wer andere Gründe für hohe Rüstungsausgaben heranzieht,
befindet sich auf dem Holzweg. So sind die gerne auch von Teilen der
Gewerkschaften immer wieder mal bemühten Bilder der „Jobmaschine
Rüstungsindustrie“ ebenso falsch wie das Gerede von der
volkswirtschaftlichen Bedeutung der Branche. Das Costs-of-War-Project
der Brown University errechnete beispielsweise, dass mit einer Milliarde
Dollar Staatsausgaben in keinem gesellschaftlichen Bereich weniger
Stellen geschaffen würden wie in der Rüstungsindustrie: Dort wären es
11.200, während im Bildungsbereich 26.700 oder etwa im Gesundheitswesen
17.200 Arbeitsplätze geschaffen würden. Und auch die
volkswirtschaftliche Bedeutung der Branche ist überschaubar: Die gesamte
europäische Rüstungsindustrie setzte nach Eigenangaben im Jahr 2019
gerade einmal 107 Mrd. Euro um – deutlich weniger als beispielsweise die
Allianz (2019: 130 Mrd. Euro).
Wie man es dreht und wendet, Rüstungsausgaben sind unnötig wie ein Kropf
– und in Zeiten einer globalen Pandemie sogar über die Maßen
unverantwortlich. Dass sie dennoch immer neue Rekordwerte erreichen, hat
primär machtpolitische Gründe. Aktuell ist geplant, in der Woche ab dem
7.12.2020 den Bundeshaushalt für 2021 mitsamt den mit ihm geplanten
Erhöhungen des Militärhaushaltes auf 46,8 Mrd. Euro zu verabschieden –
trotz Corona scheint eine wilde Entschlossenheit zu herrschen, mit dem
Rüstungswahnsinn unbeirrt fortzufahren. Dass der Rüstungshaushalt nahezu
doppelt so hoch ausfallen soll, wie das Gesundheitsbudget (24,3 Mrd.
Euro), sprich Bände über die falschen Prioritäten der Bundesregierung.
Die Internationalen Ärzte zur Verhinderung eines Atomkrieges rechneten
vor einiger Zeit vor, was allein mit den Geldern, die für die anvisierte
Anschaffung von für Atomwaffen „geeigneten“ Kampfflugzeugen vorgesehenen
sind, alles beschafft werden könnte:
„Würde man also diese angenommenen 7,46 Mrd. Euro ins deutsche
Gesundheitssystem investieren, könnte man damit in einem Jahr 100.000
Intensivbetten, 30.000 Beatmungsgeräte sowie die Gehälter von 60.000
Krankenpfleger*innen und 25.000 Ärzt*innen finanzieren.“
Bei diesem Text handelt es sich um einen aktualisierten und erweiterten
Artikel, der zuerst bei Telepolis am 1.11.2020 erschien.
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