[IMI-List] [0505] Spendenaufruf / Audios IMI-Kongress / Ertüchtigungsbroschüre / Militarisierung Polizei

imi imi at imi-online.de
Do Dez 14 15:38:05 CET 2017


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0505 .......... 20. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich

1.) Die Audio-Mitschnitte zum IMI-Kongress „Krieg im Informationsraum“;

2.) der Hinweis auf die neue Broschüre „EUropas ertüchtigende
Entwicklungshilfe“, die auch gratis bestellt werden kann;

3.) Ein neuer Artikel zur Militarisierung der Polizei.

Zuvor aber noch ein Hinweis in eigener Sache:

Auch früher haben wir zum Jahresende immer einen – wie wir meinen recht
dezenten – Spendenaufruf mit der letzten IMI-List verschickt.

Für das kommende Jahr klafft aber zwischen der Summe, die wir minimal
benötigen, um unsere Arbeit aufrecht zu erhalten und dem, was uns zur
Verfügung steht, doch ein erhebliches Loch.

Wir wollen und wir werden sicher auch weiter alle unsere Materialien
kostenlos zur Verfügung stellen. Aber ewig reichen auch gebildete
Rücklagen nicht und wir möchten es auch vermeiden, unsere Arbeit spürbar
zurückfahren zu müssen.

Aus diesem Grund sind wir dringend auf Unterstützung angewiesen!

Ihr könnt der IMI helfen, indem ihr entweder Mitglied werdet oder uns
eine Spende zukommen lasst. Wir sind für jede Hilfe dankbar!

Spenden und Mitgliedsbeiträge sind STEUERLICH absetzbar!

Hier geht es zu den Mitgliedsformularen:
http://www.imi-online.de/mitglied-werden/

IMI-Spendenkonto:
Kreissparkasse Tübingen:
IBAN: DE64 6415 0020 0001 6628 32
BIC: SOLADES1TUB


1.) Audios vom IMI-Kongress „Krieg im Informationsraum“

Aufgrund der vielen positiven Rückmeldungen scheint das Thema des
diesjährigen IMI-Kongresses „Krieg im Informationsraum“, der am 18. und
19. November stattfand, nicht nur uns unter den Nägeln gebrannt zu haben.

Vor einiger Zeit schon haben wir den Kongressbericht veröffentlicht
(http://www.imi-online.de/2017/11/29/krieg-im-informationsraum-3/).
Jetzt sind auch fast alle Audios geschnitten und online hier zu finden:

http://www.imi-online.de/2017/12/13/audios-vom-imi-kongress-krieg-im-informationsraum/



2.) Broschüre: „EUropas ertüchtigende Entwicklungshilfe“

Soeben ist die Broschüre „EUropas ertüchtigende Entwicklungshilfe:
Militärische Kontrollstrategie auf Kosten der Armutsbekämpfung“
(Informationen zu Politik und Gesellschaft“, Nr. 14, November 2017)
erschienen.

Sie wird in Kooperation der IMI mit der Europaabgeordneten Sabine Lösing
herausgegeben und kann gratis im Internet heruntergeladen werden:
http://www.imi-online.de/download/Broschuere-Ertuechtigung-DE-End.pdf

Durch diese Zusammenarbeit kann die Printversion – gerne auch in
größerer Stückzahl – auch kostenlos via E-Mail bestellt werden:
hannover at sabine-loesing.de
oder postalisch bei Europabüro Sabine Lösing; Goseriede 8; 30159 Hannover.


3.) Artikel: Militarisierung der Polizei

IMI-Analyse 2017/47
Neues Polizeigesetz in Baden-Württemberg
Militarisierung der Polizei und schwere Eingriffe in Grundrechte
http://www.imi-online.de/2017/12/14/neues-polizeigesetz-in-baden-wuerttemberg/
Alexander Kleiß (14. Dezember 2017)

Ein weiterer Schritt hin zu einer militarisierten Polizei und
Innenpolitik wurde am 15. November 2017 vom baden-württembergischen
Landtag vollzogen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte bereits
im Januar 2017 verkündet, mit dem nun verabschiedeten neuen
Polizeigesetz „an die Grenzen des verfassungsrechtlich Möglichen zu
gehen“.[1] Die Grenzen des Grundgesetzes werden durch das neue
Gesetzespaket[2] tatsächlich ausgereizt, wenn nicht gar überschritten.
Das in den Medien immer wieder fälschlicherweise als
„Anti-Terror-Gesetz“ bezeichnete Gesetzespaket enthält zahlreiche
kritische Änderungen, bei denen zum Teil keinerlei Zusammenhang mit
Terrorismus besteht. Die Bezeichnung „Überwachungs- und
Polizeistaatsgesetz“ wäre zutreffender. So sind zahlreiche
datenschutzrechtlich bedenkliche Neuerungen und eine weitere
militärische Aufrüstung der Polizei vorgesehen:

1. Die Polizei und der Landesverfassungsschutz[3] werden künftig Chats –
auch auf (mehr oder weniger gut) verschlüsselten Messenger-Diensten, wie
WhatsApp, Telegram oder Signal – mitlesen können. Dies wird bereits beim
Verdacht auf schwere Kriminalität und präventiv, also allein aufgrund
des Verdachts, eine Person könnte in der Zukunft eventuell eine schwere
Straftat[4] begehen, möglich sein. So können auch unbescholtene
Bürger_innen, die noch nie eine Straftat begangen haben, allein aufgrund
des Verdachts einer ermittelnden Behörde überwacht werden. Grundsätze
rechtsstaatlichen Handelns in der BRD, wie die Unschuldsvermutung oder
das Fernmeldegeheimnis, werden somit einfach missachtet und über Bord
geworfen. Die Ausforschung von Chats soll nicht durch eine Brechung der
Verschlüsselung der einzelnen Nachrichten erreicht werden, sondern durch
sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ). Das
heißt, dass die Nachrichten nicht unterwegs abgefangen und entschlüsselt
werden, sondern durch den Einsatz eines „Staatstrojaners“, der den
Betroffenen ohne ihr Wissen auf ihr Gerät gespielt wird, bereits auf dem
Smartphone oder Computer selbst mitgelesen werden können. Um die
Staatstrojaner auf die jeweiligen Geräte zu spielen, werden jedoch
unbedingt mittlere bis schwere Sicherheitslücken benötigt. Der Chaos
Computer Club schreibt hierzu:

„Für jeden Einsatz von Schadsoftware im Rahmen der Quellen-TKÜ oder
Online-Durchsuchung wird […] ein Angriffspunkt auf diesem System
benötigt, der zur Infektion genutzt werden kann. […] Eine Infektion
durch Dritte ist grundsätzlich nur bei fehlenden oder fehlerhaften
Zugangsbeschränkungen oder durch Ausnutzung einer Software-Schwachstelle
möglich. Da vollständig fehlende Zugangsbeschränkungen in den seltensten
Fällen vorkommen und diese darüber hinaus direkten physischen Zugriff
auf das Gerät voraussetzen würden, wären vorhandene
Software-Schwachstellen für den größeren Teil der Einsätze
Grundvoraussetzung. […] Um eine fortwährende Ausnutzung der
Schwachstelle sicherzustellen, muss diese geheim gehalten werden, da
sonst mit ihrer Beseitigung zu rechnen wäre. Dies bedeutet im
Umkehrschluss, dass die Schwachstelle ausnahmslos auf allen betroffenen
Geräten weltweit vorhanden sein muss. Damit geht zwingend das Risiko
einher, dass die Schwachstelle von anderen interessierten Gruppen,
insbesondere von Kriminellen oder anderen staatlichen Akteuren ebenfalls
entdeckt und ausgenutzt wird.“[5]

Das Ausnutzen von Software-Schwachstellen ist eine bisher vor allem bei
Geheimdiensten und militärischen Cyber-Kommandos vieler Staaten gängige
Praxis. Dass nun auch die deutsche Polizei so vorgeht, ist
unverantwortlich. Denn dieses Vorgehen führt keineswegs zu mehr
Sicherheit, sondern verhindert vielmehr die Schließung von
Sicherheitslücken. Noch brisanter wird dies, wenn man bedenkt, dass
nicht nur Smartphones, Computer und Tablets betroffen sind, sondern auch
andere internetfähige Geräte, wie z.B. Heizungs- und Lichtanlagen, Smart
TVs oder Smart Cars durch staatlich aufgespielte Schadsoftware
angegriffen werden können. Es ist dann möglich, diese unbemerkt zu
steuern und z.B. Kameras und Mikrofone einzuschalten und auszuwerten.[6]
Dies ist zwar im neuen Polizeigesetz nicht vorgesehen, es ist jedoch
bisher vollkommen ungeklärt, wie sichergestellt werden soll, dass durch
die Schadsoftware nur die aktuellen Nachrichten und nicht alle anderen
gespeicherten Daten, Kameras und Mikrofone überwacht werden können, da
bei einer Infektion Zugriff auf das gesamte Gerät bestünde. Dies mahnte
auch Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin und Vorsitzender der
Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V., als Gutachter zu diesem Thema im
Bundestag an.[7] Ob dieser Teil des Gesetzes einer Überprüfung durch das
Verfassungsgericht standhalten wird, bleibt abzuwarten. Allein der
Versuch ist jedoch alarmierend.

2. Die fortschreitende Militarisierung der Polizei wird durch eine
weitere Änderung vorangetrieben. Diese sieht vor, dass die
Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei[8] künftig unter bestimmten
Umständen Explosivmittel gegen Personen einsetzen dürfen. Dies umfasst
z.B. Handgranaten, Sprenggeschosse, die aus Schusswaffen verschossen
werden können, und konventionelle Sprengmittel. Diese Waffen, die
eigentlich eher an Kriegsszenarien erinnern als an Polizeiarbeit, dürfen
jedoch „nur“ eingesetzt werden, wenn andere Waffen keinen Erfolg
versprechen. Sie dürfen auch nicht gegen Menschenmengen eingesetzt
werden. Der Anwaltsverband Baden-Württemberg kritisierte diese Änderung
im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses, da die Notwendigkeit eines
polizeilichen Einsatzes von Explosivmitteln nicht gegeben sei. Die
Landesregierung teilte die Bedenken jedoch nicht und sah keinen Grund,
die Passage zu ändern oder zu streichen. Die polizeilichen SEKs agieren
somit immer ähnlicher den militärischen Kommando-Soldat_innen.

3. Die Polizei erhält darüber hinaus die Möglichkeit, Kameraaufnahmen im
öffentlichen Raum automatisch auszuwerten. In Echtzeit können durch
diese sogenannte intelligente Videoüberwachung Verhaltensmuster erkannt
werden, die „auf die Begehung einer Straftat hindeuten“.[9] Eine
biometrische Gesichtserkennung ist dabei nicht vorgesehen, sie wird im
Gesetzestext jedoch auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Wie die
eingesetzte Software Straftaten – im besten Fall schon bevor sie
begangen werden – erkennen will, bleibt im Gesetzestext ebenfalls offen.
Auffällig könnte z.B. das Abstellen eines Koffers und anschließendes
Weggehen sein; aber auch Rennen, Hinfallen, der längere Aufenthalt an
einem Bahnsteig, sich in einer Gruppe zu bewegen oder Hin- und Herlaufen
könnte künftig zu einer Alarmierung von Polizeibeamten führen, die dann
aufgrund der Überwachungssoftware entsprechende Kontrollen
durchführen.[10] Problematisch daran ist, dass die Definition dessen,
was als verdächtig oder kriminell wahrgenommen wird, den
Entwickler_innen der Analysesoftware überlassen wird. Das Internationale
Zentrum für Ethik in den Wissenschaften schreibt in einer Publikation zu
intelligenter Videoüberwachung: „Generell bedeutet die technische
Herstellung von Sicherheit, dass die Definitionsmacht darüber, was als
sicher und was als Bedrohung gilt, zumindest teilweise an die
Entwickler(innen), Hersteller(innen) und Betreiber(innen) der Technik
übergeht […]. Damit birgt die technische Herstellung von Sicherheit die
Gefahr, demokratische Prozesse, in denen der Wert von Sicherheit
ausgehandelt wird, einzuschränken.“[11] Das Wissen über die Überwachung
und die Unsicherheit darüber, wann die Analysesoftware anschlägt, könnte
dazu führen, dass die Bürger_innen unter Druck gesetzt werden, sich
möglichst unauffällig und angepasst verhalten. Außerdem könnte
intelligente Videoüberwachung zu verschiedenen Formen von
Diskriminierung führen. Es ist nicht transparent, inwiefern die Technik
Hautfarbe, Geschlecht oder Alter der Überwachten in die Bewertung einer
Situation als gefährlich oder ungefährlich miteinbezieht. Außerdem
„könnte das System Menschen mit einem besonderen Gang als ungewöhnlich
und potenziell ‚gefährlich‘ einstufen. Dies könnte dazu führen, dass
beispielsweise Menschen mit Gehbehinderungen vom technischen System als
Sicherheitsrisiko wahrgenommen werden.“[12] Nicht nur vor diesem
Hintergrund ist es gefährlich, dass die Forschung zu intelligenter
Videoauswertung extrem militarisiert ist: „Intelligente Videoauswertung
ist schon jetzt im militärischen Bereich verbreitet und es besteht eine
große Nachfrage nach einer verbesserten Technologie für den Einsatz von
Drohnen. Darüber hinaus wäre die intelligente Videoüberwachung
ausgezeichnet zur Unterdrückung demokratischer Bewegungen einzusetzen
oder generell zur Unterdrückung politisch oder religiös abweichender
Personen und Gruppierungen.“[13] Mit der Entwicklung und Implementierung
der Analysesoftware wurde das rüstungs- und militärnahe Fraunhofer
Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB)
beauftragt.[14] Das Land Baden-Württemberg und das Fraunhofer IOSB
werden gemeinsam einen „Modellversuch in einer Einkaufsstraße sowie auf
dem Bahnhofsvorplatz von Mannheim“[15] durchführen. Es ist explizit Teil
der Strategie des Fraunhofer IOSB[16], nicht nur zu militärisch
relevanten Themenfeldern zu forschen, sondern auch durch vermeintlich
zivile Dual-Use-Forschung „wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren
und zu identifizieren, die wehrtechnisch relevant sind, diese
aufzugreifen und auf mögliche militärische Nutzungen zu prüfen.“[17] Von
der Entwicklung der Technik zur intelligenten Videoüberwachung in
Baden-Württemberg profitieren letztendlich also auch Militär und
Rüstungskonzerne. Gleichzeitig war und ist es umgekehrt explizites Ziel
der Dual-Use-Strategie des Fraunhofer IOSB, „’zivile‘ Märkte für
militärische Technologien zu erschließen“.[18] Diese Strategie wurde
unter der Federführung des Verteidigungsministeriums bei der Fusion des
wehrtechnischen FGAN-Instituts FOM und des sowohl im militärischen als
auch im zivilen Bereich forschenden Fraunhofer IITB, aus der dann das
Fraunhofer IOSB entstand, erarbeitet.[19] Militärische Technologien
halten dadurch Einzug in die alltägliche Überwachung.

4. Ein weiterer strittiger Punkt im neuen Polizeigesetz
Baden-Württembergs ist die Legalisierung eines massiven Eingriffs in die
Privatsphäre: Sogenannte Gefährder_innen – also Menschen, die nicht
unbedingt strafrechtlich in Erscheinung getreten sein müssen, aber von
staatlichen Behörden (auf welcher Rechtsgrundlage auch immer) als
gefährlich eingestuft werden – können seit dem 15. November 2017 mit
Aufenthalts- und Kontaktverboten für bestimmte Orte und Personen belegt
werden. Sie können explizit auch unter Hausarrest gestellt werden. Zur
Überwachung der Einhaltung dieser Maßnahme können die Betroffenen auch
zur Anlegung einer elektronischen Fußfessel, einem technischen Gerät,
das den Aufenthaltsort der Betroffenen überwacht, gezwungen werden. Dies
stellt einen mehrfachen empfindlichen Eingriff in die Grundrechte der
Betroffenen dar. Ob dadurch Terroranschläge verhindert werden, wird von
vielen – sogar von der Gewerkschaft der Polizei[20] – bezweifelt. Vor
allem Selbstmordattentäter_innen lassen sich durch eine Fußfessel kaum
abschrecken. Seit das neue Überwachungsmittel im Sommer 2017 auf
Bundesebene legalisiert wurde, gab es nur einen islamistischen
Gefährder, der gezwungen wurde, eine elektronische Fußfessel zu tragen.
Dieser setzte sich im Oktober erfolgreich per Flugzeug (!) nach
Griechenland ab.[21]

5. Teil des Gesetzespakets ist auch eine neue Regelung, die es
Ortspolizeibehörden erlaubt, per Verordnung den Konsum und das Mitführen
alkoholischer Getränke auf bestimmten öffentlichen Plätzen zeitlich
begrenzt zu verbieten. Im Gegenzug wird das nächtliche
Alkoholverkaufsverbot ab 22 Uhr aufgehoben.[22] Dies hat keinerlei Bezug
mehr zur Bekämpfung von Terrorismus und zeigt besonders eindrücklich,
dass das Gesetzespaket auch nicht vorrangig dieses Ziel verfolgt.
Vielmehr geht es der „grün-schwarzen“ Landesregierung darum, die
Bürger_innen, welche z.T. allesamt unter Generalverdacht gestellt
werden, auszuspionieren und zu überwachen, unliebsame Bürger_innen aus
dem öffentlichen Raum zu verbannen, die Polizei massiv zu
militarisieren, ihre Befugnisse in verfassungswidriger Weise zu
erweitern und einem Teil der Bürger_innen dabei gleichzeitig noch ein
subjektives Gefühl von vermeintlicher Sicherheit zu vermitteln.

Das Gesetzespaket wurde von den Regierungsparteien in Baden-Württemberg
– den „Grünen“ und der CDU – erarbeitet. Hans-Ulrich Sckerl von den
„Grünen“ spricht von einer gelungenen „Balance zwischen Freiheit und
Sicherheit“.[23] Wo er den freiheitlichen Teil des Gesetzes wähnt,
bleibt wohl sein Geheimnis. Ohne dass dies nötig gewesen wäre, stimmte
nach minimalen Nachbesserungen auch die oppositionelle SPD dem Gesetz
zu. Das autoritäre Gesetzespaket wurde somit von einer besonders großen
Koalition der Überwachenden (Grüne, CDU und SPD) im Ländle angenommen.
Von den im Landtag vertretenen Parteien sprachen sich nur FDP und AfD
gegen das Gesetz aus. Auch der Landesdatenschutzbeauftragte kritisierte
das Gesetz: Es führe zu einer „realen Einbuße an Freiheit“,[24] wobei
gleichzeitig offen bleibe, ob das Gesetz zu einer tatsächlichen
Verbesserung der Sicherheitslage beitrage. Außerdem kritisierte er, dass
Teile des Gesetzes möglicherweise verfassungswidrig seien und: „Wer an
die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen geht, provoziert zwei
Konsequenzen: Er überantwortet die Letztentscheidung zu
sicherheitspolitischen Fragen dem Verfassungsgericht und er läuft
Gefahr, Anlass und Zweck der Sicherheitsnovelle aus den Augen zu
verlieren.“[25]

Angesichts der zahlreichen Eingriffe in die Grundrechte und die
Privatsphäre der Bürger_innen hätten die Medien die Aufgabe gehabt, über
das Thema ausgiebig zu berichten und eine gesellschaftliche Debatte
anzustoßen. Leider war die mediale Aufarbeitung – vielleicht auch
mangels wirklicher Opposition im Landtag – sehr unkritisch und vielen
Zeitungen nur eine Randnotiz wert.

Wirklich neu sind die meisten baden-württembergischen Änderungen am
Polizeigesetz nicht. Vieles findet sich wortgleich für das
Bundeskriminalamt im von der Großen Koalition in der vergangenen
Legislaturperiode verabschiedeten BKA-Gesetz. Dieses Gesetz war auch
genauso gedacht: Als Vorlage für entsprechende Gesetze auf Landesebene.
Bayern hat z.B. die elektronische Fußfessel für Gefährder_innen bereits
ebenfalls eingeführt. Baden-Württemberg hat nun eines der schärftsten
Polizeigesetze überhaupt. Andere Bundesländer könnten folgen.


Anmerkungen

[1] Merkur: Kretschmann: Notfalls verfassungsrechtliche Grenzen
ausreizen. 14.1.2017.

[2] Landtag von Baden-Württemberg: Gesetz zur Änderung des
Polizeigesetzes. Drucksache 16/3011. 15.11.2017; Landtag von
Baden-Württemberg: Gesetz zur Änderung des
Landesverfassungsschutzgesetzes und des Ausführungsgesetzes zum Artikel
10-Gesetz. Drucksache 16/3010. 15.11.2017; Landtag von
Baden-Württemberg: Gesetz zur Abwehr alkoholbedingter Störungen der
öffentlichen Sicherheit. Drucksache 16/3012. 15.11.2017.

[3] Die selben Befugnisse zum Einsatz eines „Staatstrojaners“ wurden
neben der Polizei auch dem Landesverfassungsschutz zugesprochen. Vgl.
Landtag von Baden-Württemberg: Gesetz zur Änderung des
Landesverfassungsschutzgesetzes und des Ausführungsgesetzes zum Artikel
10-Gesetz. Drucksache 16/3010. 15.11.2017.

[4] Eine besonders schwere Straftat liegt dem Gesetz zufolge vor, wenn
„Leib, Leben oder Freiheit einer Person, [der] Bestand oder die
Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder […] wesentliche
Infrastruktureinrichtungen oder sonstige Anlagen mit unmittelbarer
Bedeutung für das Gemeinwesen“, gefährdet sind.
Vgl. Landtag von Baden-Württemberg: Gesetz zur Änderung des
Polizeigesetzes. Drucksache 16/3011. 15.11.2017.

[5] Chaos Computer Club: Risiken für die innere Sicherheit beim Einsatz
von Schadsoftware in der Strafverfolgung. 31.5.2017.

[6] KONTEXT:Wochenzeitung: Sicherheitslücken für mehr Sicherheit. 1.11.2017.

[7] Ulf Buermeyer: Gutachterliche Stellungnahme zur Öffentlichen
Anhörung zur „Formulierungshilfe“ des BMJV zur Einführung von
Rechtsgrundlagen für Online-Durchsuchung und Quellen-TKÜ im
Strafprozess. Ausschuss-Drucksache 18(6)334. 31.5.2017.

[8] … und theoretisch auch andere Einheiten; dies wird im Gesetzestext
offen gelassen.

[9] Landtag von Baden-Württemberg: Gesetz zur Änderung des
Polizeigesetzes. Drucksache 16/3011. 15.11.2017.

[10] Vgl. Netzpolitik: Intelligente Videoüberwachung: Regierung will
Folgen der Grundrechtseingriffe später reflektieren – vielleicht.
27.10.2016; Südwest Presse: Sicherheit: Die neuen Befugnisse der
Behörden. 16.11.2017.

[11] Regina Ammicht Quinn: Intelligente Videoüberwachung: eine
Handreichung. 2015, S. 30.

[12] Ebd., S. 25.

[13] Ebd., S. 24.

[14] Südwest Presse: Sicherheit: Die neuen Befugnisse der Behörden.
16.11.2017.

[15] Südwest Presse: Überwachungskameras im Test: Beginnt jetzt der
große Scan? 1.8.2017.

[16] Für ausführlichere Informationen zum Fraunhofer IOSB: vgl.
IMI-Studie 2017/2. Christoph Marischka: Fraunhofer IOSB: Dual Use als
Strategie.

[17] Wissenschaftsrat: Stellungnahme zur Neustrukturierung der
Forschungsgemeinschaft für Angewandte Naturwissenschaften e.V. (FGAN). 2007.

[18] IMI-Studie 2017/2. Christoph Marischka: Fraunhofer IOSB: Dual Use
als Strategie.

[19] Ebd.

[20] Süddeutsche Zeitung: Fußfessel für Extremisten: Selbst Polizei
kritisiert CSU-Pläne. 23.4.2017.

[21] Süddeutsche Zeitung: Islamist fliegt trotz Fußfessel nach
Griechenland. 16.11.2017.

[22] Landtag von Baden-Württemberg: Gesetz zur Abwehr alkoholbedingter
Störungen der öffentlichen Sicherheit. Drucksache 16/3012. 15.11.2017.

[23] Landtag von Baden-Württemberg: Plenarprotokoll 16. Wahlperiode, 47.
Sitzung. 15.11.2017.

[24] Netzpolitik: Überwachung. Baden-Württemberg:
Datenschutzbeauftragter kritisiert grün-schwarzes Anti-Terror-Paket.
10.10.2017.

[25] Ebd.



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