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Gastbeitrag von Wolfgang Strengmann-Kuhn <br>
<a class="moz-txt-link-freetext" href="https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ein-soziales-europa-braucht-zusammenhalt">https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ein-soziales-europa-braucht-zusammenhalt</a><br>
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<strong>Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn</strong> ist Sprecher für
Sozialpolitik der grünen Bundestagsfraktion sowie Mitglied im
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union<br>
<h1>Europa braucht Zusammenhalt</h1>
In der Europäischen Union sind deutlich Risse zu erkennen.
Großbritannien stimmt im Juni über einen Austritt aus der
Europäischen Union ab, in der Flüchtlingsdebatte herrschen nationale
Egoismen vor, das nationalstaatliche Denken erstarkt wieder und das
mit besorgniserregenden Tendenzen. Der Zusammenhalt in der
Europäischen Union ist gefährdet, dabei ist dieser dringender denn
je: zwischen den Staaten und vor allem zwischen den Menschen in
einzelnen Staaten. Um die zu beobachtenden Risse zu kitten wäre es
gerade jetzt besonders notwendig, das Wohlfahrtsversprechen, das die
Europäische Union eigentlich ist und immer war, wieder zu erneuern
und auf eine neue Basis zu stellen. Dazu brauchen wir ein starkes
soziales Europa, als Garant Ungleichheiten abzumildern und
gesellschaftliche Teilhabe für Alle zu schaffen.
<p>Für die Jüngeren ist es völlig normal, sich frei in der
Europäischen Union bewegen zu können. Die Freizügigkeit ist
tatsächlich eine der wichtigsten Errungenschaften der Europäischen
Union und vielen wird erst jetzt angesichts der Debatten um
Grenzschließungen und den Bau von Grenzzäunen deutlich, was es
heißt, diese Freiheit wieder einzuschränken. Statt neue Barrieren
aufzubauen, ist es wichtig, die Freizügigkeit weiter zu entwickeln
und Hürden abzubauen. Damit sie in Europa real gelebt werden kann,
muss sie sozial flankiert sein. Denn wahre Bewegungsfreiheit der
Menschen gibt es nur, wenn auch das Grundrecht auf Existenz
garantiert wird. Als einen ersten Schritt ist es sinnvoll, dass
Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die in einem anderen Land
aktiv nach Arbeit suchen, dabei unterstützt werden und auch Zugang
zur jeweiligen Grundsicherung erhalten, sofern sie länger als drei
Monate in dem Land leben. <br>
Langfristig sollten wir an der Vision arbeiten, dass sich alle
Unionsbürgerinnen und Unionsbürger überall in der Europäischen
Union frei bewegen können und sozial abgesichert sind. Dahin ist
noch ein weiter Weg, für den Schritt für Schritt die
Voraussetzungen geschaffen werden müssen.</p>
<p>Eine Voraussetzung ist, dass es überall in der Europäischen Union
überhaupt angemessene Grundsicherungssysteme gibt, auch damit die
Menschen nicht nur aufgrund materieller Not in andere
Mitgliedstaaten gehen müssen. Hier hätte die Europäische Union
durchaus die Möglichkeit, auf die einzelnen Länder einzuwirken,
zum Beispiel durch eine gemeinsame Zielvereinbarung. Noch besser
wäre allerdings eine rechtlich verbindliche Festlegung von
Eckpunkten in Form einer Mindesteinkommensrichtlinie. Die konkrete
Umsetzung bliebe den Mitgliedstaaten überlassen.</p>
<p> All das ist schon heute im Rahmen und ohne Änderungen der
Europäischen Verträge möglich und wäre ein wichtiger Grundstock
für ein soziales Europa. Wir sollten aber für den sozialen
Zusammenhalt in der Europäischen Union noch einen Schritt weiter
gehen. Schon lange ist ein wichtiges Ziel der Europäischen Union,
die Armut zu verringern. Konsequent wäre eine Europäisierung der
Armutsbekämpfung. Eine Brüsseler Behörde, die in allen
Mitgliedstaaten die Einkommens- und Vermögensprüfung sowie die
Bedarfe von potentiell Bedürftigen übernimmt, wäre allerdings viel
zu bürokratisch und vermutlich eher abschreckend. Hingegen ist ein
Basiseinkommen, das an alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger in
gleicher Höhe ausgezahlt wird, einfach und unbürokratisch
umsetzbar. Dieses europäische Basiseinkommen müsste durch
nationale und am individuellen Bedarf orientierte
Grundsicherungssysteme ergänzt werden. Bereits ein geringes
Basiseinkommen von 100 bis 200 Euro kann ein Fundament darstellen,
auf das sich nationale Leistungen aufbauen ließen. In den ärmeren
Ländern der EU wäre solch ein Basiseinkommen nahezu
existenzsichernd. In reicheren Mitgliedsstaaten reduziert es
einfach bestehende Sozialleistungen und Steuerfreibeträge. Zur
Finanzierung fließt ein Teil der Steuern und/oder
Sozialversicherungsbeiträge in einen europäischen Topf, aus dem
dann das Basiseinkommen gezahlt wird. Die Menschen, die in der EU
leben, erhalten dann jeden Monat eine Geldzahlung direkt aus
Brüssel. Das dürfte zu einer anderen, deutlich positiveren
Einstellung gegenüber der EU führen, es stärkt den sozialen
Zusammenhalt und verringert außerdem den ökonomischen Druck für
Migrationsbewegungen, die aus materieller Not entwachsen.</p>
<p>Die Idee eines Basiseinkommens kann als erster Schritt auch nur
für Teilgruppen konzipiert werden. So zum Beispiel als ein
Europäisches Basis-Kindergeld, das von der Europäischen Union an
alle Kinder von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern ausgezahlt
wird. Dies nähme der aktuellen Kindergelddiskussion, die die
Briten angestoßen haben, ein Stück weit den Wind aus den Segeln.
Denkbar ist auch ein Basis-Arbeitslosengeld. Die Einführung einer
Europäischen Basis-Arbeitslosenversicherung wird zurzeit vor allem
aus ökonomischen Gründen diskutiert und gefordert. Ein gut
durchdachtes Konzept einer Europäischen
Basis-Arbeitslosenversicherung wirkt dabei als automatischer
Stabilisator, der in Krisenzeiten das wirtschaftliche
Gleichgewicht der Europäischen Union stützt. Gleichzeitig kann sie
ein sinnvoller Einstieg in eine Europäisierung der sozialen
Sicherung sein.</p>
<p>All diese Maßnahmen können das geschwächte Miteinander aller
Nationen der EU und ihrer Menschen wieder stärken, denn sie sind
lebensnah und real. Sie ermöglichen den Menschen zu erfahren, dass
die Europäische Union mehr ist als „Die in Brüssel“ und mehr als
ein lebensfernes Ungetüm, das nichts mit ihnen und ihrem Leben
gemein hat.</p>
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