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<div id="Logo" style="margin-left:0"> <img
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alt="Nachrichten aus Deutschland und der Welt – Frankfurter
Rundschau"></div>
<div class="newstype"> Freiheit - 28.10.2015</div>
<h3>Grundeinkommen</h3>
<h1>„Ohne soziale Sicherheit ist Freiheit wenig wert"</h1>
<div class="ContentImage Left Medium"> <img
src="cid:part2.01030500.08090204@strengmann-kuhn.de" alt="">
<div class="imgSubline"> Mehr Chancen: Auch Schwächeren soll das
bedingungslose Grundeinkommen eine materielle Freiheitsgrundlage
bieten – und Raum für Innovationen und Kreativität. <br>
Foto: rtr</div>
</div>
<div id="article_text"> <span class="AutorName">Von Timo Reuter</span><br>
<div class="printBold" style="font-weight: bold;">
<p itemprop="text">Hartz IV abschaffen und jedem Bürger 1000
Euro im Monat zahlen: Macht das bedingungslose Grundeinkommen
frei? Oder macht es faul? Ein Streitgespräch mit dem Linken
Riexinger und dem Grünen Strengmann-Kuhn.</p>
</div>
<p itemprop="text">Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens
ist heftig umstritten – und zwar quer durch alle politischen
Lager. 1000 Euro für alle, ohne Zwang, ohne Bedingungen: Auch
innerhalb des linken Lagers gibt es Befürworter wie Gegner.
Einig sind sie sich zwar oft in ihren Zielen: Sie wollen Hartz
IV abschaffen und treten für mehr Selbstbestimmung sein. Doch
wie erreicht man das? Darüber debattiert Linken-Chef Bernd
Riexinger mit dem sozialpolitischen Sprecher der grünen
Bundestagsfraktion, Wolfgang Strengmann-Kuhn.</p>
<p itemprop="text"><strong><em>Im traditionellen europäischen
Verständnis wird Freiheit meist als Abwesenheit von Zwang
verstanden. Reicht das schon, um von echter Freiheit zu
sprechen?</em></strong><br>
<strong>Bernd Riexinger: </strong>Die Freiheit von Zwang ist
wichtig, aber es reicht nicht. Denn ohne soziale Sicherheit ist
Freiheit nur wenig wert.</p>
<p itemprop="text"><strong><em>Man muss sich Freiheit also leisten
können?</em></strong><br>
<strong>Wolfgang Strengmann-Kuhn:</strong> Wenn jemand frei
entscheiden soll, dann müssen die Mittel dazu da sein. Wir
brauchen neben gleichen Rechten einen gleichen Zugang zu
Ressourcen. Dazu gehören öffentliche Infrastruktur wie
medizinische Versorgung oder Bildungseinrichtungen genauso wie
finanzielle Ressourcen und soziale Sicherheit.<br>
<strong>Riexinger:</strong> Um frei zu sein, müssen Menschen
ihre Zukunft planen können – dafür braucht es neben einer
Demokratie vor allem eine materielle Grundversorgung. Das wäre
in der heutigen, wohlhabenden Gesellschaft ohne größere Probleme
für alle möglich. Doch es fehlt an einer gerechten Verteilung.
Dafür bedarf es Rahmenbedingungen, die den Schwächeren gleiche
Chancen ermöglichen.<br>
<strong>Strengmann-Kuhn:</strong> Der Wohlstand ist heute
tatsächlich so groß, da müsste es möglich sein, für alle
Menschen eine materielle Freiheitsgrundlage herzustellen.</p>
<p itemprop="text"><strong><em>Wäre das bedingungslose
Grundeinkommen, also die Idee, allen ein garantiertes
Einkommen zu gewähren, nicht eine gute Möglichkeit, eine
solche Grundlage zu schaffen?</em></strong><br>
<strong>Riexinger: </strong>Die dahinterstehenden Gedanken sind
richtig: Wir wollen nicht, dass Menschen ihre Arbeitskraft um
jeden Preis verkaufen müssen. Wir wollen auch nicht, dass die
Arbeitenden keine Verfügung über die Arbeit haben. Und wir
wollen auf keinen Fall die unwürdigen Sanktionen von Hartz IV,
die die Menschen unter das Existenzminimum drücken.<br>
<strong>Strengmann-Kuhn: </strong>Die Möglichkeit von
Sanktionen unter das Existenzminimum war ein Fehler, der
korrigiert werden muss. Wenn man die Existenzsicherung als
Grundrecht ernst nimmt, wäre es das Einfachste, jedem dieses
Existenzminimum in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens
zuzugestehen.<br>
<strong>Riexinger:</strong> Die Frage ist doch, welchen Weg zu
gerechteren und freieren Verhältnissen man beschreiten kann. Und
da gibt es bessere Möglichkeiten als das bedingungslose
Grundeinkommen.</p>
<p itemprop="text"><strong><em>Welche denn?</em></strong><br>
<strong>Riexinger: </strong>Es müssen flächendeckend
existenzsichernde Löhne ausgezahlt werden. Und auch eine
deutliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich wäre
durch den produktiven Fortschritt möglich. Wir könnten zudem
eine existenzsichernde, aber bedarfsorientierte Mindestsicherung
einführen …<br>
<strong>Strengmann-Kuhn:</strong> … das funktioniert nicht. Bei
Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich besteht die
Gefahr von noch größerer Arbeitsverdichtung und bei Teilzeit
reicht oft auch ein höherer Lohn nicht zur Existenzsicherung.
Mit einem Grundeinkommen hingegen ist Erwerbstätigkeit immer
existenzsichernd. Und materielle Anreize zu arbeiten wären
automatisch da, weil nicht wie in den Mindestsicherungssystemen
ein Großteil des zusätzlich verdienten Geldes wieder weggenommen
wird. Es gibt noch ein weiteres Problem der
bedürftigkeitsgeprüften Grundsicherung: Viele Leute rutschen
durch dieses System durch, sei es aus Unwissenheit oder aus
Scham.</p>
<p itemprop="text"><strong><em>Experten gehen davon aus, dass 40
Prozent der Bedürftigen in verdeckter Armut leben und keine
oder zu wenige Leistungen in Anspruch nehmen. Herr
Riexinger, ließe sich durch das bedingungslose
Grundeinkommen die Stigmatisierung der Bedürftigen nicht
verhindern?</em></strong><br>
<strong>Riexinger: </strong>Man kann auch eine Mindestsicherung
einführen ohne den bürokratischen Aufwand – und ohne Sanktionen,
denn die drangsalieren die Menschen und führen indirekt einen
Arbeitszwang ein.<br>
<strong>Strengmann-Kuhn: </strong>Wir kommen bei einer
Grundsicherung nicht aus der Logik von Leistung und
Gegenleistung heraus. Das schränkt die Freiheit ein und eine
Bedürftigkeitsprüfung führt fast automatisch zu Stigmatisierung.</p>
<p itemprop="text"><strong><em>Aber ganz ohne Zwang, sozusagen in
totaler Freiheit, würden viele Menschen da nicht aufhören zu
arbeiten?</em></strong><br>
<strong>Strengmann-Kuhn: </strong>Die meisten Menschen wollen
arbeiten, Arbeit gehört in unserer Gesellschaft zur
Selbstverwirklichung und zur sozialen Teilhabe.<br>
<strong>Riexinger: </strong>Arbeit konstituiert ja unser
menschliches Leben …</p>
<p itemprop="text"><strong><em>… wenn Menschen also auch ohne
Druck arbeiten, dann könnte man doch bedenkenlos ein
Grundeinkommen einführen?</em></strong><br>
<strong>Riexinger:</strong> Ich gehe wie meine Parteikollegin
Katja Kipping, die das Grundeinkommen befürwortet, davon aus,
dass die allermeisten Menschen an gesellschaftlicher Arbeit
teilnehmen wollen – wenn diese vernünftig ausgestaltet ist. Aber
das ist mit einem Grundeinkommen nicht garantiert. Nur in einem
System, in dem demokratisch festgelegt wird, was wie produziert
wird und wie das Verhältnis zwischen Arbeit und Leben
ausgestaltet ist, nur in solchen Verhältnissen können und wollen
alle an gesellschaftlicher Arbeitsorganisation teilnehmen. Und
nur so würden alle möglichst wenig Lohnarbeit machen müssen und
wären freier.<br>
<strong>Strengmann-Kuhn: </strong>Es ist ein häufiges
Missverständnis, dass ein Grundeinkommen dazu dient, nicht zu
arbeiten. Es geht nicht darum Faulheit, sondern Arbeit zu
ermöglichen, aber selbst entscheiden zu können, was und wie man
arbeitet. Und es geht um die Freiheit, auch mal weniger zu
arbeiten oder sich auf Erziehungs- oder Ehrenamtsarbeit zu
konzentrieren.</p>
<p itemprop="text"><strong><em>Trägt das Grundeinkommen so zu
einer Stärkung der Verhandlungsposition von Arbeitnehmern
bei?</em></strong><br>
<strong>Strengmann-Kuhn:</strong> Ja, die Gewerkschaften werden
durch das Grundeinkommen gestärkt, weil die Menschen nicht mehr
so leicht erpressbar sind und auch sagen können, für so wenig
Lohn arbeite ich nicht …<br>
<strong>Riexinger:</strong> … die meisten Gewerkschaften sehen
das aber anders. Sie sagen: Wenn jemand schon 1000 Euro bekommt
und nur noch 500 oder 800 Euro dazuverdienen muss, um das
Gleiche zu haben wie jetzt, dann sinkt die Motivation, für
bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Das nutzt dann den
Unternehmen.</p>
<p itemprop="text"><strong><em>Das Grundeinkommen als Kombilohn?</em></strong><br>
<strong>Strengmann-Kuhn:</strong> Um das zu verhindern, braucht
es einen Mindestlohn …<br>
<strong>Riexinger: </strong>… das reicht nicht. Man braucht
eine sinnvolle Tarifpolitik, die höhere Löhne oder
Arbeitszeitverkürzungen durchsetzt. Außerdem gibt es
unterschiedlich produktive Sektoren, deswegen muss man neben der
tariflichen auch eine gesellschaftliche Arbeitszeitpolitik
machen.<br>
<strong>Strengmann-Kuhn: </strong>Die Löhne für unangenehme
Jobs würden durch ein Grundeinkommen aber steigen, weil sonst
niemand mehr diese Jobs machen würde.<br>
<strong>Riexinger: </strong>Für das Grundeinkommen müsste man
aber extrem viel Geld umverteilen, nur damit alle dieses
bekommen, also auch Millionäre.</p>
<p itemprop="text"><strong><em>Herr Strengmann-Kuhn, Millionäre
bekommen ein Grundeinkommen. Ist das nicht absurd?</em></strong><br>
<strong>Strengmann-Kuhn:</strong> Zunächst hat jeder einen
Anspruch auf dieses Grundrecht. Aber am Ende zahlen Gutverdiener
und Reiche natürlich mehr Steuern als sie an Grundeinkommen
erhalten, sonst wäre es ja nicht finanzierbar.<br>
<strong>Riexinger: </strong>Wenn Erwachsene 1050 Euro und
Kinder die Hälfte bekommen, das sind fortschrittlichere
Konzepte, dann müsste man etwa 800 Milliarden Euro umverteilen –
das ist mehr als die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen
zusammen. Wenn man zudem noch ein gutes Sozialsystem, eine
angemessene Infrastruktur und kommunale Daseinsvorsorge haben
will, dann wären wir bei einer Staatsquote von 70 bis 80
Prozent! Für eine bedarfsorientierte Mindestsicherung in
gleicher Höhe müsste weit weniger Geld aufgebracht und
umverteilt werden. Dafür könnten wir deutlich mehr Geld in
gebührenfreie Erziehung, Bildung, Pflege und ÖPNV investieren
sowie die öffentliche Infrastruktur ausbauen.<br>
<strong>Strengmann-Kuhn: </strong>Das ist so nicht richtig. Das
Grundeinkommen ersetzt Steuerfreibeträge und einen Teil der
staatlichen Leistungen wie die Sozialhilfe oder das Kindergeld.
Was man volkswirtschaftlich finanzieren muss, ist immer der
Unterschied zwischen dem Bruttoeinkommen und dem, was die
Menschen letztlich zur Verfügung haben. Da unterscheidet sich
das Grundeinkommen nicht von einer Mindestsicherung. Man kann
das auch sofort verrechnen. Für Besserverdiener wäre das
Grundeinkommen dann nur noch eine Art Steuerfreibetrag und für
Geringverdiener würde eine Unterstützung vom Finanzamt
ausgezahlt. Das heißt dann negative Einkommenssteuer.<br>
<strong>Riexinger: </strong>Gerade die negative
Einkommenssteuer wird hauptsächlich von Neoliberalen vertreten.
Ich sehe da eine große Gefahr: Jede gesellschaftliche
Entwicklung muss hart erkämpft werden, es hat alleine 15 Jahre
gedauert, bis der Mindestlohn eingeführt wurde. Der Kampf um ein
echtes Grundeinkommen dürfte da fast aussichtslos sein – und am
Ende womöglich dazu führen, dass dieses zu einem neoliberalen
Projekt wird, das dazu benutzt wird, den Sozialstaat weiter zu
schleifen.</p>
<p itemprop="text"><strong><em>Manch linker
Grundeinkommensbefürworter verbindet damit auch die
Hoffnung, den Kapitalismus zu überwinden.</em></strong><br>
<strong>Strengmann-Kuhn: </strong>Um den Kapitalismus zu
überwinden, bräuchte es schon mehr.<br>
<strong>Riexinger: </strong>Ein nichtkapitalistisches,
sozialistisches System heißt, dass es eine gemeinschaftliche
Verfügung über die Produktionsmittel und die gesellschaftliche
Organisation gibt. Das würde ermöglichen, dass die Menschen
tatsächlich gesellschaftlich bestimmen, wie lange sie arbeiten
wollen und wie sie die Früchte ihrer Arbeit verteilen. Das geht
nicht mit dem Grundeinkommen, das setzt ja, um sich zu
finanzieren, weiterhin auf Lohnarbeit. Aber zumindest
ermöglichen linke Grundeinkommensmodelle im Gegensatz zu
neoliberalen, dass linke Befürworter und Gegner des
Grundeinkommens gemeinsame Zwischenziele anstreben können wie
eine Mindestsicherung ohne Sanktionen.</p>
<p itemprop="text"><strong><em>Herr Strengmann-Kuhn, Sie setzen
sich seit Jahren auch im Bundestag für die Einführung eines
Grundeinkommens ein. Wie realistisch ist das?</em></strong><br>
<strong>Strengmann-Kuhn: </strong>Es wird keinen großen Knall
geben, dass ein Land plötzlich das Grundeinkommen einführt,
schon gar kein großes und entwickeltes Land wie Deutschland.
Eher wird ein Entwicklungs- oder Schwellenland, in dem es noch
kein gewachsenes Sozialsystem gibt, ein Grundeinkommen
einführen. Aber auch in Europa gibt es wieder stärkere Debatten,
zum Beispiel in Finnland, da soll es ein Experiment zum
Grundeinkommen geben, wobei die Bedingungen noch unklar sind.
Für Deutschland ist es realistischer, wenn das Grundeinkommen
schrittweise eingeführt wird, zum Beispiel in Höhe des
Hartz-IV-Regelsatzes oder zuerst für bestimmte Gruppen wie
Kinder, Rentner, Erwerbstätige oder auch für Selbstständige,
denen es besonders nutzen würde. So könnte man zwar nicht alle
mit dem Grundeinkommen verknüpften Freiheitsideale direkt
verwirklichen, aber es würden schon mehr Möglichkeiten
geschaffen, die auch zu mehr Innovationen und Kreativität
führen.</p>
<p itemprop="text"><strong>Moderation: Timo Reuter</strong></p>
</div>
<div class="fr_green" style="margin-top:20px">Artikel URL: <a
href="http://www.fr-online.de/freiheit/grundeinkommen--ohne-soziale-sicherheit-ist-freiheit-wenig-wert-,31839204,32280520.html"
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