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<DIV style="FONT-FAMILY: 'Calibri'; COLOR: #000000; FONT-SIZE: 12pt">
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm"><FONT face="Times New Roman"></FONT> </P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm"><B><FONT 
face="Times New Roman">                                                                                                                
Der Brunnen</FONT></B></P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm" align=center><FONT face="Times New Roman">(von 
Adrian Plass, Adventskalender 1999)</FONT></P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm"> </P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm" align=justify><FONT face="Times New Roman">Es war 
einmal ein reicher Landesitzer, der ein Dorf erbaute und Menschen einlud, zu 
kommen und darin zu wohnen. Er wies sie darauf hin, dass in der Mitte des 
Dorfplatzes ein Brunnen in den Boden eingelassen war, und da er ein guter Mensch 
war, legte er großen Wert darauf, deutlich zu machen, dass jeder Dorfbewohner, 
und sei er noch so bescheidener Herkunft, gleichermaßen das Recht hatte, 
jederzeit und in jeder beliebigen Menge Wasser zu schöpfen, insbesondere 
angesichts der Tatsache, dass eine andere Wasserquelle nicht zur Verfügung 
stand. Sodann begab er sich auf Reisen, zuversichtlich, dass er bei seiner 
Rückkehr in ferner Zukunft alles in Harmonie vorfinden würde. </FONT></P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm" align=justify><FONT face="Times New Roman">Eine 
Zeit lang benutzten die Dorfbewohner den Brunnen so, wie der Landbesitzer es 
vorgesehen hatte, aber allmählich änderten sich die Dinge. Die reicheren und 
sozial höherstehenden Bürger begannen sich darüber zu ärgern, dass die niederen 
Elemente des Dorfes ihnen das Warten in der Schlange aufzwingen konnten. Das 
konnte nicht richtig sein. Sie lösten das Problem, indem sie neue Dorfgesetze 
schufen, die den Zugang zum Brunnen regelten. Von nun an konnte nur noch zu 
bestimmten festen Zeiten und in bestimmten begrenzten Mengen Wasser geschöpft 
werden. Außerdem waren jedes Mal zwei lange Formulare auszufüllen, und das 
Schöpfen selbst musste ein Angestellter der reichen Fraktion besorgen. Damit war 
nicht nur das Problem mit dem Schlangestehen gelöst, sondern es schreckte die 
ärmeren Dorfbewohner auch davon ab, selbst zu den festgesetzten Zeiten Wasser zu 
beantragen. Die Formulare waren sehr lang und kompliziert. Da versuchte man 
lieber, mit weniger Wasser auszukommen. Die reiche Gruppe dagegen, die über eine 
bessere Bildung verfügte und mehr Geschmack am Umgang mit dem geschriebenen Wort 
fand, war mit der neuen Regelung sehr zufrieden. Die Gesetzesänderung 
rechtfertigten sie, indem sie behaupteten, es sei ein Schriftstück von der Hand 
des Landbesitzers gefunden worden, das die Anweisung enthielt, so zu verfahren. 
</FONT></P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm" align=justify><FONT face="Times New Roman">Die 
Zeit verging. Einige Jahre später verkündete ein intelligenter und sehr 
redegewandter junger Mann, er sei in allen das Wasser betreffenden Fragen zum 
Sprecher der armen Leute des Dorfes gewählt worden. Außerdem, so informierte er 
die herrschende Gruppe, habe auch er ein Schriftstück von der Hand des 
Landbesitzers entdeckt, in dem ganz unmissverständlich gesagt wurde, es sei 
völlig unnötig, Formulare auszufüllen, um Wasser zu bekommen. Stattdessen sollte 
jeder Dorfbewohner eine bestimmte Folge von Tanzschritten vollführen, wenn er 
Zugang zum Brunnen haben wollte. Die Einzelheiten über diesen Tanz, so 
behauptete er, seien in dem Schriftstück enthalten. </FONT></P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm" align=justify><FONT face="Times New Roman">Die 
anderen verlangten das Schriftstück zu sehen. Er verlangte das ihre zu sehen. 
Nicht ein einziges Schriftstück kam zutage. </FONT></P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm" align=justify><FONT face="Times New Roman">Da sie 
die Fähigkeit des jungen Mannes fürchtete, Rebellion zu schüren, beschloss die 
reiche Fraktion, die „Tanzschritt“-Methode des Wassererwerbs für die ärmeren 
Bürger zuzulassen, während sie selbst sich weiterhin an das Ausfüllen der 
Formulare hielt. </FONT></P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm" align=justify><FONT face="Times New Roman">Von nun 
an waren am Brunnen zwei offizielle Wasserschöpfer stationiert. Der eine 
inspizierte Formulare und schöpfte zu festgesetzen Zeiten Wasser, wenn die 
Formulare korrekt ausgefüllt waren; der andere begutachtete die Ausführung der 
vorgeschriebenen Tanzschritte und verfuhr entsprechend. Neuankömmlinge im Dorf 
waren verpflichtet, eine dieser Methoden für den Erwerb von Wasser zu 
übernehmen, und eine andere Quelle gab es nicht. Gelegentlich kam es vor, dass 
ein Dorfbewohner vom Formularausfüller zum Tänzer wurde oder umgekehrt, aber 
nicht sehr oft. </FONT></P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm" align=justify><FONT face="Times New Roman">Als die 
Jahre vergingen, konnte sich allmählich niemand mehr recht an die Ursprünge 
dieser Unterschiede erinnern, doch da das System einigermaßen funktionierte, 
schien das auch keine Rolle zu spielen. Das einzige Problem war, dass es 
bisweilen doch recht viel Betrieb rund um den Brunnen gab. </FONT></P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm" align=justify><FONT 
face="Times New Roman">Schließlich kehrte der Landbesitzer unerwartet in das 
Dorf zurück. Als er den Brunnen erreichte, wurde er von den beiden offiziellen 
Wasserschöpfern begrüßt und gefragt, ob er Formulare ausfüllen oder den Tanz 
vorführen wolle. Verwirrt fragt er sie, was sie damit meinten. Sie erklärten 
ihm, so viel sie wüssten, hätte die Person, die das Dorf erbaut habe, ein Gesetz 
erlassen, dass Wasser nur an Formularausfüller oder Tänzer ausgegeben werden 
dürfe. Sie hofften, so fügten sie hinzu, dass der Landbesitzer bald zurückkehren 
werde, damit sie ihn überreden könnten einen zweiten Brunnen zu bohren. Das 
würde alles so viel klarer und praktischer machen. </FONT></P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm" align=justify><FONT face="Times New Roman">Der 
Landbesitzer weinte. </FONT></P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm" align=justify> </P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm" align=justify><FONT style="TEXT-ALIGN: left" 
face="Times New Roman">Diese Kurzgeschichte ist ein Gleichnis zu Hartz 4. Mit 
etwas Fantasie lassen sich viele Parallelen finden, - wie z.B. das Dorf als 
Lebensraum der Menschen wie die Erde, bzw. das Land (Staat) als ganzes, - die 
Schaffung künstlicher (nicht vorhandener) Knappheiten, - die 
„Knappheitsbewältigung“ mittels Formularen oder ersatzweise rituellen quasi von 
den Armen selbst vorgeschlagenen (unnötigen) Handlungen ähnlich den 
Fortbildungsmaßnahmen der Arbeitsagentur im Stile eines vorauseilenden 
Gehorsams, der jede vernünftige Lösung erst recht behindert, bzw. die Situation 
manifestiert, - die Abhaltung der Knappheitsmaßnahmen für die Reichen mittels 
deren Helfershelfer (heute Anwälte, bzw. Durchführungsbestimmungen) - die 
Rechtfertigung der gesamten Knappheitsmaßnahme ohne substantielle Begründung, - 
die Umsetzung dieser Maßnahme zur Lösung nicht vorhandener Knappheiten mittels 
eines Verwaltungsapparates, der sich durch den vorauseilenden Gehorsam der Armen 
auch noch vervielfältigt, - die vollständige Verdrängung jeglicher 
Sinnhaftigkeit mit der sich hieraus ergebenden verquasten Lösung durch noch mehr 
(im wahrsten Sinne des Wortes) überflüssige Naturausbeute, - und am Ende der 
„wahre“ Schöpfer des Dorfes, der erschüttert ist und das alles so nie wollte. 
</FONT></P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm" align=justify><FONT 
face="Times New Roman"></FONT> </P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm" align=justify><FONT 
face="Times New Roman"></FONT> </P>
<P style="MARGIN-BOTTOM: 0cm" align=justify><FONT 
face="Times New Roman"></FONT></P></DIV></DIV></BODY></HTML>