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<p class=MsoNormal><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:
12.0pt'><a href="http://www.taz.de/"><span style='text-decoration:none'><img
border=0 width=247 height=55 id="_x0000_i1025"
src="cid:image001.gif@01C78B25.BD7AA210" alt=www.taz.de></span></a><o:p></o:p></span></font></p>
<h3><b><font size=4 face="Times New Roman"><span style='font-size:13.5pt'>Brauchen
wir ein neues Sozialsystem?<o:p></o:p></span></font></b></h3>
<p class=korrespondent><font size=3 face="Times New Roman"><span
style='font-size:12.0pt'>VON <span class=zau>HANNES KOCH</span> UND <span
class=zau>KATHARINA KOUFEN</span><o:p></o:p></span></font></p>
<p><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>Es gibt
Menschen, die wissen alles darüber, wie wir arbeiten. Jedenfalls alles, was man
wissenschaftlich herausbekommen kann. Zu denen gehört Ulrich Walwei. Vor 20
Jahren schrieb er seine Doktorarbeit über befristete Beschäftigung, ab dem 1.
Mai 2007 amtiert er als kommissarischer Chef des Instituts für Arbeitsmarkt-
und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. In diesen 20 Jahren hat sich die
Arbeitsgesellschaft in Deutschland radikal verändert. So stark, dass der
48-jährige Walwei inzwischen zu einer Minderheit gehört - zu denjenigen, die
einen festen, unbefristeten, sozialversicherten Arbeitsplatz haben, der sie gut
ernährt.<o:p></o:p></span></font></p>
<p><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>"Das
Normalarbeitsverhältnis verliert weiter an Bedeutung", sagt Ulrich Walwei,
Deutschlands oberster öffentlicher Arbeitsmarktforscher. In den 1950er- und
1960er-Jahren, der Hochzeit des deutschen Wirtschaftswunders, arbeiteten fast
alle Beschäftigten auf Stellen, denen eine Verheißung innewohnte: "Du
kannst deine Familie ein Leben lang von dieser Arbeit ernähren." Das hat sich
geändert: Nur die Hälfte aller Beschäftigten kommen heute noch in den Genuss
des alten Standardjobs.<o:p></o:p></span></font></p>
<p><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>Das
alltägliche Risiko, zum Sozialfall zu werden, hat erheblich zugenommen. Da ist
es kein Wunder, dass ein politisches Konzept auf den Tisch kommt, das alte
Fragen ganz neu beantwortet. Katja Kipping, die Vizechefin der Linkspartei,
Drogerie-Unternehmer Götz Werner, Umweltpolitiker Reinhard Loske (Grüne), der
CDU-Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus - um nur einige zu nennen -
machen sich stark für eine visionäre Idee: das bedingungslose Grundeinkommen.
800 Euro pro Kopf und Monat solle jeder erwachsene Bundesbürger vom Staat
erhalten, schlägt Althaus vor. Die meisten bisherigen Sozialleistungen fielen
im Gegenzug weg. Der Charme der Idee: Das Grundeinkommen würde als Bürgergeld
gewährt, auf das ein jeder Anspruch hat - unabhängig von der Bereitschaft zu
arbeiten und den oft entwürdigenden Prozeduren des Hartz-IV-Systems. Das
Grundeinkommen ist gedacht als neue, verlässliche Existenzsicherung - weil man
nicht mehr unbedingt davon ausgehen kann, dass jeder seinen Lebensunterhalt mit
bezahlter Lohnarbeit finanzieren kann.<o:p></o:p></span></font></p>
<p><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>Die
Zeiten haben sich geändert. In den Aufrufen der Gewerkschaften zum 1. Mai 2007,
dem traditionellen Tag der Arbeit, spiegelt sich der Wandel freilich nicht
wider. So heißt es in der Erklärung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB):
"Jeder Mensch muss von seinem Einkommen in Würde leben können und darf
nicht in Zweit- und Drittjobs gezwungen werden." Der Zweit- und Drittjob,
die schlecht entlohnte Teilzeitstelle, der Stundenlohn von 3,80 Euro brutto,
die befristete Honorartätigkeit - lässt sich diese Realität aber noch
wegdiskutieren? Ist die Hoffnung berechtigt, dass die modernen, flexiblen,
teilweise miesen Arbeitsverhältnisse dereinst wieder Platz machen für die guten
alten Vollzeitarbeitsplätze?<o:p></o:p></span></font></p>
<p><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>Schon
seit Mitte der 1970er-Jahre ist die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses im
Gange. Auf der Basis von Zahlen, die Ulrich Walwei und das Institut für
Arbeitsmarkt und Berufsforschung veröffentlichen, kann man die folgende
Rechnung aufstellen. Von den gut 82 Millionen Einwohnern Deutschlands waren
2006 etwa 34,7 Millionen abhängig beschäftigt - sie haben Arbeitsverträge zum
Beispiel bei Unternehmen unterschrieben. Von diesen allerdings arbeiten 11,5
Millionen Menschen nur in Teilzeit. Und weitere rund 3,5 Millionen Arbeitnehmer
beziehen Niedriglöhne, von denen sie und ihre Familien oft nicht leben können.
Unter dem Strich erfreuen sich des sogenannten Standard-Arbeitsverhältnisses
damit noch 19,7 Millionen Beschäftigte. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der
abhängig Beschäftigten sind das 56 Prozent. Zieht man einen Vergleich zum
Erwerbskräftepotenzial - zur Zahl derjenigen, die arbeiten würden, wenn man sie
ließe -, fällt die Relation noch dramatischer aus. Im Verhältnis zum
Erwerbskräftepotenzial von 44,5 Millionen Menschen in Deutschland haben noch
gut 44 Prozent einen Standardjob. Damit ist klar: Aus dem ehemaligen
Mehrheitsmodell des Wirtschaftswunders ist heute ein Minderheitenmodell
geworden.<o:p></o:p></span></font></p>
<p><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>Die
Gründe dafür liegen auf der Hand. Schon in der letzten Dekade der alten
Bundesrepublik hatte sich eine Entwicklung bemerkbar gemacht, die nach der
Wiedervereinigung rasant an Tempo gewann: die Globalisierung. Eigentlich
arbeiteten die westlichen Länder seit den 1940er-Jahren daran, die Zölle
abzubauen und den Handel mit Kapital zu erleichtern. Doch erst in den
1980er-Jahren kamen die Folgen auch in den deutschen Wohnzimmern an: Die
Stereoanlage hieß nicht mehr Grundig, sondern Kenwood oder Sony. Deutsche
Arbeit war wie immer gut und teuer, aber asiatische Arbeit war plötzlich gut
und billig.<o:p></o:p></span></font></p>
<p><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>Nach dem
Fall des Eisernen Vorhangs erblühte dann im Vorgarten deutscher Unternehmen
über Nacht ein Niedriglohnparadies. Während die Ostdeutschen auf eine schnelle
Anpassung ihrer Löhne an Westniveau drängten, arbeiten Polen, Tschechen und
Rumänen für einen Bruchteil der deutschen Gehälter. Und nach der Gründung der
Welthandelsorganisation (WTO) 1994 boten zunehmend Arbeitsmärkte in Fernost
ihre Dienste an - zu einem Bruchteil der polnischen oder tschechischen Löhne.<o:p></o:p></span></font></p>
<p><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>Die
Belegschaften zu Hause in Deutschland waren von nun an mit der Drohung
kleinzukriegen: Wenn ihr euch nicht mäßigt, lagern wir eure Arbeitsplätze aus.
Die Gewerkschaften mussten zusehen, wie jahrzehntelange Errungenschaften nichts
mehr galten. Ihre Mitglieder arbeiteten länger, für weniger Geld und immer in
der Angst vor dem Jobverlust. Geradezu exemplarisch für diese Entwicklung steht
der Boom der Zeit- und Leiharbeitsbranche. Sie stieß in die Lücke zwischen dem
traditionell hohen Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer und dem Wunsch nach
flexiblem "hire and fire" der Betriebe. Angeboten werden nicht selten
Tages- oder Wochenjobs, die Bezahlung liegt oft unter Tariflohn.<o:p></o:p></span></font></p>
<p><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>Und noch
etwas hat sich verändert, seit das goldene Zeitalter der Vollbeschäftigung zu
Ende ging: Die traditionelle Alleinernährerfamilie hat sich überlebt. Frauen
wollen heute arbeiten. Moderne Paare versuchen, Kindererziehung, Haushalt und
Erwerbstätigkeit aufzuteilen. Gleichzeitig muss die nachwachsende Generation
ihre alternden Angehörigen pflegen. Damit nimmt die Nachfrage nach Teilzeitjobs
zu.<o:p></o:p></span></font></p>
<p><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>Vor
diesem Hintergrund lauten die Fragen: Ist das Normalarbeitsverhältnis
rekonstruierbar? Oder braucht Deutschland ein neues Sozialsystem, um neuen
Lebensrisiken vorzubeugen? Für die Einführung des bedingungslosen
Grundeinkommens plädiert Michael Opielka. Er ist Professor für Sozialpolitik an
der Fachhochschule Jena und hat gerade das Bürgergeld-Modell von Thüringens
Ministerpräsident Althaus analysiert. "Wir müssen die Existenzsicherung
vom Arbeitsmarkt entkoppeln", sagt Opielka. Seine Begründung: "Das
Standard-Arbeitsverhältnis lässt sich nicht wiederherstellen".<o:p></o:p></span></font></p>
<p><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>Dass es
zwischen 1960 und 2007 einen "Strukturbruch" gegeben habe, bezweifelt
dagegen Dierk Hirschel. Er ist Chefvolkswirt des Deutschen Gewerkschaftsbundes,
der die Kundgebungen zum 1. Mai ausrichtet. "Hätten wir nur fünf Jahre
Aufschwung, würde niemand über das bedingungslose Grundeinkommen reden",
so Hirschel, "denn Wachstum schafft Beschäftigung."<o:p></o:p></span></font></p>
<p><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>Auch die
meisten Politiker tun so, als wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die Epoche
von Miele, Volkwagen und AEG zurückkehre. Der gegenwärtige Wirtschaftsboom
scheint ihnen recht zu geben. Anders als in den Jahren zuvor herrscht bei
vielen Ökonomen Optimismus. "Der Aufschwung müsste noch etwa vier Jahre
anhalten", sagt Gustav Horn, Direktor des gewerkschaftsnahen Institut für
Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Dann könnte die Zahl der
Arbeitslosen auf unter zwei Millionen Menschen sinken, und die
Erwerbslosenquote läge bei vier bis fünf Prozent. "Damit kann man
leben", so Horn.<o:p></o:p></span></font></p>
<p><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>Holger
Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln hält
eine Rückkehr zur Vollbeschäftigung ebenso für grundsätzlich möglich.
"Auch andere Länder wie Dänemark und Großbritannien haben das binnen zehn
Jahren erreicht", sagt Schäfer. Trotzdem ist er skeptisch, ob Deutschland
es schaffen wird, die Arbeitslosigkeit komplett abzubauen. "Je mehr Leute
eingestellt werden, umso mehr sind das Arbeitnehmer mit geringer
Qualifizierung, also mit niedriger Produktivität", so Schäfer. Solche
Menschen finden auf dem ersten Arbeitsmarkt in der Regel nur im
Niedriglohnbereich einen Job. Vollbeschäftigung sei also nur um den Preis der
Ausweitung des Niedriglohnsektors zu erreichen. Schäfer: "Es ist eine
politische Frage, ob man das will."<o:p></o:p></span></font></p>
<p><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>Dass
viele der neuen Jobs den traditionellen Anforderungen nicht genügen, räumt auch
Gewerkschaftsökonom Dierk Hirschel ein: "Mehr als 50 Prozent der Stellen,
die gegenwärtig entstehen, muss man als prekär bezeichnen." Um das zu
verhindern, fordert er eine "bessere Wirtschaftspolitik". Der
Gewerkschaftsbund würde die guten alten Arbeitsverhältnisse am liebsten per
Gesetz zurückholen und plädiert unter anderem dafür, schlecht bezahlte und
versicherte Mini- und Midijobs abzuschaffen, die geringfügige Beschäftigung per
Gesetz einzudämmen und Teilzeitbeschäftigte besser abzusichern. In diese
Richtung denkt auch Ulrich Walwei vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung
in Nürnberg. "Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses ist ein Trend.
Internationale Vergleiche zeigen jedoch, dass diese Entwicklung gestaltbar
ist."<o:p></o:p></span></font></p>
<p><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>In der
Zunahme mieser Jobs sieht Grundeinkommen-Befürworter Michael Opielka dagegen
ein zentrales Argument für sein Konzept. "Das Grundeinkommen ist die
Antwort auf die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse", so Opielka.
Möglicherweise gehe uns zwar die Arbeit nicht aus, aber die neuen Jobs, die der
Aufschwung schaffe, seien häufig von geringerer Qualität als früher,
argumentiert der Professor für Sozialpolitik. Deshalb brauchten die Menschen
eine neue Art der materiellen Existenzsicherung - und damit eine neues Gefühl
sozialer Sicherheit.<o:p></o:p></span></font></p>
<p class=klein><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>taz
Nr. 8263 vom 30.4.2007, Seite 4-5, 338 TAZ-Bericht HANNES KOCH / KATHARINA
KOUFEN<o:p></o:p></span></font></p>
<p><font size=3 face="Times New Roman"><span style='font-size:12.0pt'>©
Contrapress media GmbH<br>
Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags <o:p></o:p></span></font></p>
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