[Grundeinkommen-Info] Peter Monnerjahn in der taz über FDP, Freiheit und BGE

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Di Mär 30 06:08:46 CEST 2010


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Deutscher Bundestag - Pressedokumentation

Mehr Freiheit wagen! 
Liberalismus Guido Westerwelle und der FDP fehlt ein klarer Begriff von Freiheit.
Eine wahrhaft freiheitliche Politik müsste für mehr Chancengleichheit sorgen

Wenn
Guido Westerwelle
über die Gefahren „anstrengungslosen
Wohlstands"
jammert, dann
klingt das gerade so, als seien wir Bürger
im Naturzustand faul und müssten
möglichst mit Anstrengung zur Beschäftigung
angehalten werden, um
nicht auf dumme Gedanken zu kommen.
Dabei hatte man sich von seiner
Partei eigentlich weniger Bevormundung
erhofft als mehr, nun ja, Freiheit.
Besser als ein Vorsitzender, der wenig
Verständnis von den Problemen
erkennen lässt, die er lautstark kommentiert,
stünde der FDP ein Vordenker
zu Gesicht. Schließlich läge für eine
Partei, die für eine „Stärkung der
Freiheit" stehen will, kaum etwas näher,
als sich eine klare Definition von
„Freiheit" zuzulegen.
In ihrem Parteiprogramm geht die
FDP immerhin einen kleinen Schritt in
diese Richtung. Sie nennt als ihr Ziel,
„Bürgern gleiche Chancen auf freie
Entfaltung zu eröffnen". Noch im selben
Atemzug folgt allerdings das große
Aber: Als „Partner der Mitte" versteht
sich die FDP als Anwalt für Menschen
mit Leistungsbereitschaft, Eigeninitiative
und Patriotismus. Wer
diese Eigenschaften bereits hat, soll
belohnt werden, und ein Schelm, wer
dabei denkt, dass sich am eigenen
Schopf aus dem Sumpf ziehen muss,
wer all das nicht bereits in die Wiege
gelegt bekommen hat. In dieser beinahe
calvinistischen Ethik soll jeder seines
Glückes Schmied sein. Des Staates
höchstes Anliegen sei es lediglich, diesem
Unternehmensdrang möglichst
nicht im Weg zu stehen.
Glück, im Trockenen zu sitzen
Was sich in der Theorie und mit einem
zugedrückten Auge noch halbwegs
plausibel anhört - und in der Praxis
umstandslos zu einem Instrument der
Politik für jene wird, die glücklich im
Trockenen sitzen -, fällt allerdings bereits
unter dem Gewicht eines lästigen
kleinen Faktums zusammen: Menschen
werden nicht mit gleichen
Chancen geboren, und auch ihr soziales
Umfeld trägt selten zu einem Ausgleich
bei. Der Abbau gesellschaftlicher
Hürden, die darüber noch hinaus
gehen, ist für den Staat zwar löblich,
stellt aber kaum mehr als einen ersten
zaghaften Schritt zu tatsächlicher
Chancengleichheit dar.
Wenn wir es damit ernst meinen,
müssen wir vor allem wissen, was unsere
Freiheit eigentlich ausmacht. Fangen
wir bei ein paar alltäglichen Beobachtungen
an. So würde niemand bestreiten,
dass er selbständige Entscheidungen
treffen kann. Klar ist aber
auch, dass unsere Entscheidungen von
vielen äußeren Faktoren beeinflusst
werden. Wir sind weder Zombies, die
nur ein Handlungsziel haben, noch
können wir leugnen, von guten Verkäufern
oder anderen Psychologen zu
Handlungen gebracht zu werden, bei
denen das Bewusstsein nicht das letzte
Wort hat. Kurz gesagt: Freiheit ist relativ.
Wir jagen nicht etwas Absolutem
nach, das man hat oder eben nicht,
sondern haben immer einen (höheren)
Grad an Freiheit vor Augen.
Innere und äußere Freiheiten
Zuerst ein Blick auf die innere Seite der
Freiheit. Ohne Hilfsmittel können wir
weder fliegen noch längere Zeit unter
Wasser verbringen, und auch Hilfsmittel
lassen nicht allzu viele Freiheitsgrade
zu. Im Vergleich zu unserem Körper
ist unser Verstand dagegen viel freier
formbar - wir nennen es Bildung. Zu
einem freien Geist gehört es, Alternativen
sehen und deren Konsequenzen
einschätzen zu können. Frei ist, wer in
vergleichbaren Situationen, statt wie
ein Süchtiger reflexhaft immer dasselbe
zu tun, flexibel reagieren kann und
die Folgen seines Handelns sieht.
Der äußere Aspekt der Freiheit betrifft
den Einfluss der Situation, in der
wir eine Entscheidung treffen. Hierzu
gehören positive Anreize ebenso wie
mögliche Benachteiligung oder Bestrafung.
Wir können zwar über die rote
Ampel fahren, aber tun es aus guten
Gründen besser nicht. Auch sind manche
äußeren Anreize unproduktiv
oder geradezu freiheitshemmend. Der
soziale Preis, sich beispielsweise als
schwul, Atheist oder Bayern-Fan zu outen,
variiert zwar von Ort zu Ort, er
zeigt aber unmissverständlich, wo der
Freiheit ein mitunter böiger Wind ins
Gesicht bläst.
Hieraus folgt: Jegliche Politik, die
die Freiheit der Bürger als ihr Ziel formuliert,
hat an zwei Fronten zu kämpfen.
Deren erste ist ein Bildungsauftrag:
Wer umfassend gebildet ist und
sowohl viele als auch flexibel einsetzbare
Fähigkeiten hat, ist immerhin mit
innerer Freiheit gesegnet. Die zweite
Front liegt in der Mitte der Gesellschaft:
Hier gilt es, die Hürden abzubauen,
die den Einzelnen davon abhalten,
seine Freiheit tatsächlich auszuüben,
seien es nun gesellschaftliche
wie ökonomische Zwänge, Vorurteile
oder autoritäre Regeln. Im Zusammentreffen
beider Aspekte liegt der eigentliche
Kern freiheitlicher Politik.
Individuelle Begabung fördern
Wo wir individuelle Begabungen ausmachen
und ausbilden, um mit ihnen
persönliche Erfüllung zu finden, haben
wir eines der höchsten freiheitlichen
Bildungsideale im Blick. Freiheitliche
Politik hat aber nicht nur für
„Hochbegabte" und Besserverdienende
da zu sein, sondern für jede und jeden.
Der erste Schritt zu diesem Ziel
sind sicher nicht gleichmacherische
Bildungsstandards, die zu fordern gerade
der FDP peinlich sein sollte, sondern
das Aufspüren und Ausbilden
persönlicher Stärken, die in einen größeren
Bedeutungszusammenhang gestellt
gehören. Ersteres ist die aktive
Suche nach Freiheitspotenzial sowie
die Übung im Umgang mit ihm. Letzteres
stellt die gemeinsame Basis her,
auf der eine Gesellschaft konstruktiv
miteinander reden kann: Das ist der
einzig relevante Bildungsstandard.
Gleichzeitig können wir heute,
dank Industrialisierung und immenser
Produktivitätssteigerungen, jedem
die Freiheit der (gesellschaftlich!) produktiven
Selbstverwirklichung geben.
Niemand brauchte Angst zu haben,
ohne geregeltes Arbeitsverhältnis auf
der Straße zu sitzen oder keine Krankenversicherung
zu haben. Das Instrument
dafür heißt bedingungsloses
Grundeinkommen: die unbürokratische
Absicherung eines würdigen Lebensstandards.
Dieses einfache Prinzip
ist der natürliche Feind jeglicher
Bevormundung und könnte beachtliche
Mengen gesellschaftlicher Energie
freisetzen. Es ist längst bezahlbar und
wäre das Freiheitlichste und in der Tat
Befreiendste, was unserer Gesellschaft
seit Langem passiert ist.
PETER MONNERJAHN
die Tageszeitung, 29.03.2010



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