[Grundeinkommen-Info] [Grundeinkommensblog] Die Krankenversicherungsprämie im „Bürgergeld“-Konzept ...

Manuel Franzmann manuel.franzmann at gmail.com
Do Sep 17 21:59:32 CEST 2009


Vollständiger Titel: Die Krankenversicherungsprämie im
„Bürgergeld“-Konzept von Dieter Althaus und die Frage der Kombination
des bedingungslosen Grundeinkommens mit anderen ReformelementenDer
Thüringische CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus kombiniert in seinem
Reformentwurf eines „Solidarischen Bürgergelds“[1] den Ansatz eines
bedingungslosen Grundeinkommens mit einer einheitlichen Kranken- und
Pflegeversicherungsprämie. Diese Kombination werde ich im folgenden
analysieren[2], da aus ihr eine bemerkenswerte Problemlösung
resultiert, die außerdem aufschlussreich ist im Hinblick auf die in der
heutigen sozialpolitischen Reformdebatte verstärkt diskutierte Frage
der Kombination des Grundeinkommensansatzes mit anderen Reformelementen.
In Althaus' Modell sind 200,- Euro des monatlich gezahlten Bürgergelds
als Kranken- und Pflegeversicherungsprämie reserviert. D.h. von den
800,- Euro, die sein „großes Bürgergeld“ betragen soll und den 400,-
Euro seines „kleinen Bürgergelds“ müsste der jeweilige Empfänger 200,-
Euro als Einheitsprämie für eine gesetzliche Kranken- und
Pflegeversicherung aufbringen, so dass er effektiv nur 600,- bzw. 200,-
Euro Bürgergeld zur freien Verfügung übrig behielte. Dieser Abzug gälte
genauso für das „Kinderbürgergeld“, das 500 Euro betragen soll.
Zunächst scheint klar, dass es sich mit dieser Kranken- und
Pflegeversicherungsprämie um keinen neuen Ansatz handelt, sondern um
ein Konzept aus der vom Grundeinkommen unabhängigen Diskussion zur
Umgestaltung der Finanzierung des reformbedürftigen Gesundheitssystems
der letzten Jahre. In dieser Kontroverse stand bislang auf der einen
Seite das von der CDU favorisierte „Gesundheitsprämien“- oder
„Kopfpauschalenmodell“, in dem jeder versicherungspflichtige Bürger,
sofern er zahlungsfähig ist, den gleiche Betrag zu zahlen hätte und in
dem die paritätische Finanzierung aus Beiträgen von Arbeitgebern und
Arbeitnehmern aufgegeben würde. Auf der Gegenseite stand und steht das
von der SPD, den Grünen und der Partei „Die Linke“ bevorzugte Modell
einer weiterhin einkommensabhängigen „Bürgerversicherung“, bei der die
Versicherungspflichtgrenze aufgehoben, die Versicherung somit auf alle
Bürger ausgedehnt und zugleich die Beitragsbemessungsgrundlage vom
Arbeitseinkommen auf mehr oder weniger alle Einkommensarten ausgeweitet
würde. Wenn Althaus nun das Prämienmodell mit der Grundeinkommensidee
kombiniert, sieht dies auf den ersten Blick so aus, als gehöre er in
diesem Streit dem gleichen Lager an wie diejenigen seiner
CDU-Parteikollegen, die die gesetzliche Krankenversicherung vom
Gedanken einer einkommensabhängigen, solidarischen Verteilung der
Finanzierungslasten ablösen und stattdessen nach dem Prinzip gleicher
Betrag für gleiche Versicherungsschutzleistung organisieren möchten.
Bei näherer Betrachtung sieht die Sache jedoch ganz anders aus und
entfaltet die Kranken- und Pflegeversicherungsprämie in seinem Ansatz
eine interessante Dialektik, die auf den universalistischen Charakter
des Grundeinkommens zurückzuführen ist.Die dabei ausschlaggebenden
Punkte sind:
- die unterschiedliche Herkunft des Geldes und
- die Ausweitung der Krankenversicherung auf alle Bürger. Beides
verändert den Charakter seiner Einheitsprämie grundlegend. Zu 1.) Beim
Kopfpauschalenmodell der Union zahlte der versicherungspflichtige
Bürger die Einheitsprämie in der Regel aus seinem persönlichen
Einkommen und Vermögen, sofern er welches hat. Auch wer gut verdient
oder über ein beachtliches Vermögen verfügt, hätte unverändert die
gleiche Prämie zu zahlen. Starke Schultern trügen hier also keine
höhere Last. Lediglich für diejenigen, die diese Einheitsprämie nicht
aus eigenen Mitteln bezahlen könnten, wäre eine solidarische
Finanzierung aus Steuermitteln vorgesehen. Für den Normalfall des
versicherungspflichtigen Bürgers gälte das Prinzip, dass wer zur
Selbstzahlung in der Lage ist, den gleichen Betrag zu zahlen hätte wie
alle anderen in diesem System.[3]

In Althaus' Modell hätte der Bürger das Geld für die Prämienzahlung
nicht aus seinem persönlichen Einkommen und Vermögen (insbesondere aus
seinem Arbeitseinkommen) aufzubringen, sondern aus dem überwiesenen
Bürgergeld, das er wie alle anderen ohne Gegenleistung und ohne zu
erfüllende Bedingungen von der politischen Gemeinschaft, der er
angehört, erhielte. Und dieses Bürgergeld finanzierte sich seinerseits
aus Steuermitteln. Darüber vermittelt würde also am Ende derjenige, der
gut verdient, über seine höhere Einkommensteuer (gegebenenfalls auch
über einen erhöhten Konsum und einen dementsprechend höheren
Mehrwertsteuerbetrag) eine größere Summe in den staatlichen Topf
einzahlen, aus dem unter anderem das Grundeinkommen für alle und
darüber vermittelt auch die Kranken- und Pflegeversicherungsprämie von
200,- Euro erfolgte. Besserverdienende würden somit zu einem größeren
Teil die Finanzierungssumme des Krankenversicherungssystems
aufzubringen haben als Geringverdiener, in deutlichem Unterschied zum
bislang von der Union favorisierten Kopfpauschalenmodell, bei dem nur
im Hinblick auf das unterschiedliche Krankheitsrisiko (vgl. dazu die
Anmerkung in Fußnote 3) und im Hinblick auf den Ausnahmefall der
Einkommensarmut eine solidarische Finanzierung zum Tragen käme.

Zu 2.) Das Kopfpauschalenmodell der Union gälte in Kontinuität zur
heutigen gesetzlichen Krankenversicherung nur für diejenigen, die der
gesetzlichen Versicherungspflicht unterliegen. Dagegen wäre Althaus’
Krankenversicherungsprämie universell von jedem Bürger zu bezahlen, und
für jeden Bürger gälte entsprechend auch der so finanzierte universelle
Versicherungsschutz. Das Problem von Selbständigen ohne
Krankenversicherung gäbe es nicht mehr.
Der zweite Punkt rückt Althaus’ Krankenversicherungsmodell in den
Bereich einer Bürgerversicherung, für die die Universalisierung des
Versicherungsschutzes und der Finanzierungsbeteiligung wesentliche
Kennzeichnen sind. Der Wirtschaftswissenschaftler und
Bundestagsabgeordnete der Grünen Wolfgang Strengmann-Kuhn gelangt daher
zur Feststellung „So sind Kopfpauschale und Bürgerversicherung
eigentlich gar keine sich ausschließenden Alternativen und ein Modell
mit einer Kopfpauschale für die gesamte Bevölkerung (‚Bürgerprämie’)
wäre ebenfalls eine Bürgerversicherung.“ (Strengmann-Kuhn 2005, S.
12)In Althaus Konzept geht die Verschmelzung der heute als Antipoden
scheinbar unversöhnlich gegenüber stehenden Ansätze noch weiter, als es
schon bei der von Strengmann-Kuhn erwähnten „Bürgerprämie“ der Fall
wäre. Denn in Althaus Ansatz kommt vermittelt über die Finanzierung der
Einheitsprämie aus dem Bürgergeld, das ja seinerseits steuerfinanziert
wäre, noch eine im Grundsatz solidarisch ansetzende Finanzierung hinzu.
Aber das ist noch nicht alles. Gleichzeitig wird der aus meiner Sicht
durchaus berechtigte und anerkennenswerte Gedanke des heutigen
Kopfpauschalenmodells der Union aufgenommen und im Modell zum Ausdruck
gebracht, wonach man von einem auf eigenen Füßen stehenden, erwachsenen
Bürger im Prinzip erwarten kann, dass er für den Krankheits- und
Pflegefall eigenverantwortlich vorsorgt, sofern er dazu in der Lage
ist. Das Bürgergeld würde – und darin ist es, ob beabsichtigt oder
nicht, eine ingeniöse Konstruktion – gewährleisten, dass jeder dazu in
der Lage wäre.
Zur klassischen „Bürgerversicherung“, wie sie bislang diskutiert wurde,
bleibt jedoch eine grundlegende Differenz bestehen. Mit der
Krankenversicherungsprämie fiele auch in Althaus Modell eine
paritätische Finanzierung aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen
fort. Kritiker sehen darin eine Begünstigung von Unternehmen, die aus
der Beteiligung an der Finanzierung der Sozialversicherung entlassen
würden, obwohl sie von der Existenz der Sozialversicherung zweifellos
auch profitieren. Diese Kritik wäre tatsächlich berechtigt, wenn außer
dem Wegfall der paritätischen Finanzierung nichts weiter geschähe und
Unternehmen nicht in gleichem Umfang an anderer Stelle an der
Finanzierung beteiligt würden. Kompensierte man diesen Wegfall aber
z.B. durch äquivalente Unternehmenssteuern, erledigte sich auch diese
Kritik. Wie daraus hervorgeht, muss man den von Althaus gewählten
allgemeinen Finanzierungsansatz von dessen konkreter Ausgestaltung
analytisch klar unterscheiden. Der allgemeine Ansatz, in dem die
bisherigen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge wegfielen und
stattdessen eine Steuerfinanzierung erfolgte, bedeutet nicht per se
eine Begünstigung von Unternehmen zulasten des Gemeinwohls. Nur die
erwähnte Art der Ausgestaltung hätte diese Folge. Eine
Steuerfinanzierung ist sehr unterschiedlich auszugestalten, und alles
hängt davon ab, wie gerecht und funktional die Gesamtheit der Steuern
verteilt ist.Der Vorteil einer Steuerfinanzierung gegenüber der
bisherigen Beitragsfinanzierung ist insbesondere die Entkopplung von
Erwerbsarbeit, die als tragende Säule der Finanzierung des
Sozialversicherungssystems mehr und mehr erodiert. Diese Koppelung
macht die Beitragsfinanzierung zu einem zu partikularistischen Ansatz,
hinter dem letztlich die traditionelle Leistungsethik steht, die als
Legitimationsglauben (Max Weber) das gesamte Industriezeitalter geprägt
hat und immer noch prägt. In dieser Ethik gilt Erwerbsarbeit als
allgemeines, normatives Modell des Leistens, dem gemäß man zunächst
durch Erwerbsarbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen hat, bevor man
die Freiheit genießt, auch in anderer Form etwas beizutragen. Diese
Priorität der Erwerbsarbeit war solange kein manifestes Problem,
solange sich die Wertschöpfung extensiv auf lebendige menschliche
Arbeitskraft stützte und daher im Produktionsprozess ein beinahe
grenzenloser Bedarf an Arbeitskräften bestand. Dieser Produktionsfaktor
verliert jedoch quantitativ (nicht qualitativ) schon seit geraumer Zeit
zugunsten von Wissen und Kapital an Bedeutung. Die Folgen sind ein in
Deutschland seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (seit gut 125
Jahren!) zu beobachtendes, stetiges Sinken des Arbeitsvolumens pro Kopf
(Schildt 2006; Miegel Wahl 2002), seit Mitte der 1970er Jahre eine
stufenweise ansteigende strukturelle Massenarbeitslosigkeit, die
gewissermaßen an die Stelle der bis dahin praktizierten, nun aber ein
Ende findenden pauschalen Arbeitszeitverkürzung tritt, schließlich auch
ein deutliches Zurückfallen der Lohnentwicklung hinter das
Wirtschaftswachstum, manchmal sogar eine Reallohnstagnation oder ein
Reallohnverlust, vor allem bei im Prinzip rationalisierbaren
Arbeitstätigkeiten, die angesichts des technologischen Fortschritts
ökonomisch nicht mehr viel Wert sind. Trotzdem hält der öffentliche
Diskurs und die Politik an Erwerbsarbeit als Normalmodell eisern fest
und behandelt diese mittlerweile als Selbstzweck, quasi als ein
tabubesetztes religiöses Heiligtum, so als ob die prioritätenmäßige
Beschränkung der Leistungserbringung auf die Form der Erwerbsarbeit
nicht ihrerseits legitimationsbedürftig wäre: Die Schröder-SPD titelte
im Bundestagswahlkampf 1998 „Es gibt viele schöne Plätze in
Deutschland. Die schönsten sind für uns Arbeitsplätze“, worin Arbeit –
die in der Regel Mühsal und Selbstüberwindung im Dienste einer
sinnvollen Aufgabe bedeutet, aus der heraus die Anstrengung ihre
Begründung erfährt – unter der Hand zu einem knappen, hedonistischen
Gut pervertiert wurde, das es seinerseits gerecht zu verteilen gälte,
was schon früher die Gewerkschaften propagierten. Im
Bundestagswahlkampf 2002 zogen die anderen Parteien nach: Die CDU/CSU
formulierte definitorisch und die bitteren Pillen und dominante Markt-
und Unternehmensorientierung ihrer entworfenen Reformpolitik
vorausschickend legitimierend „Sozial ist, was Arbeit schafft“,
bezeichnenderweise ohne zu bemerken, dass sich dieser Spruch nur
marginal von dem Wahlkampfslogan aus dem Jahre 1933 „Sozial ist, wer
Arbeit schafft“ der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ Alfred Hugenbergs
unterscheidet, die Hitlers Machtergreifung und Totalitarismus
unterstützte.[4] Die Grünen plakatierten, sich in eine
kollektivistische Denktradition stellend, „Brüder, durch Sonne zur
Arbeit“ und die PDS „Arbeit soll das Land regieren“ –
bezeichnenderweise nicht den Menschen in den Mittelpunkt stellend. Die
FDP nannte 2005 konsequenterweise gleich ihr ganzes Wahlprogramm
„Arbeit hat Vorfahrt“. Der sich in dieser säkularen „Arbeitsreligion“
dokumentierende Mangel an Säkularisierung, bei dem den einzelnen
Bürgern von ihrem Gemeinwesen entgegen der ökonomischen Notwendigkeit
ein spezifischer Inhalt als allgemeingültiger für ihre Lebensführung
autoritativ vorgeschrieben wird, schränkt die Entfaltungsmöglichkeiten
und Spielräume, etwas Sinnvolles zum Gemeinwesen beizutragen, erheblich
ein (vgl. Oevermann 2001).
Dagegen ist die Steuerfinanzierung – wie das von Erwerbsarbeit als
Normalmodell befreiende bedingungslose Grundeinkommen – vom Ansatz her
universalistisch. Das zeigt sich nicht zuletzt im folgenden.
Gegenwärtig verhält es sich so, dass die paritätisch gezahlten
Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung aufgrund ihrer Bindung an
Erwerbsarbeit in ihrem Gesamtvolumen mit der Zahl der Arbeitsplätze
sinken. Wenn ein Unternehmen Arbeitsplätze rationalisiert, dann
entledigt es sich nicht nur von Arbeitskräften, die dann kein
Erwerbseinkommen mehr haben und der Arbeitslosenversicherung zur Last
fallen, sondern auch noch im gleichen Umfang von der finanziellen Last
der Mitfinanzierung des Sozialversicherungssystems, und dies, obwohl es
dabei in der Regel ökonomisch stärker wird und somit eher mehr als
weniger zum Gemeinwohl beisteuern könnte. So folgt auf die Ankündigung
von Rationalisierungsmaßnahmen durch ein Unternehmen typischerweise ein
Anstieg seines Aktienkurses bzw. seines Marktwertes.Eine
Unternehmensbesteuerung (ebenso eine Konsumbesteuerung) wäre von der
Zahl der Arbeitsplätze unabhängig. Sie würde Unternehmen universell zur
Finanzierung von Gemeinwohlaufgaben heranziehen, sofern Gewinne erzielt
worden sind. Dabei gilt natürlich, dass Rationalisierungsprozesse für
sich genommen selbstverständlich im Grundsatz etwas Positives sind und
einen Fortschritt bedeuten. Wer auf die Möglichkeit der Einsparung
unnötiger Arbeit verzichtet, um Arbeitsplätze zu erhalten, bezahlt
daher unweigerlich einen Preis. Er verschleudert nicht nur die kostbare
Lebenszeit der arbeitenden Menschen. Er verwandelt auch deren Arbeit
tendenziell in eine sinnentleerte, pervertierte Beschäftigung um ihrer
selbst willen. Das bleibt normalerweise auch denjenigen nicht
verborgen, die eine Arbeit ausüben, welche eigentlich rationalisiert
werden könnte, aber nicht eingespart wurde wegen des
Beschäftigungseffekts. Wer solch eine „subventionierte“ Arbeit leisten
muss, kann nicht mehr in dem Selbstbewusstsein leben, durch seine
Arbeit dem Gemeinwesen etwas zu geben. Er muss vielmehr paradoxerweise
auch noch der Allgemeinheit dankbar dafür sein, dass man ihn arbeiten
lässt und er sich zumindest dem äußeren Schein nach sein Einkommen
verdient. Das machen sich diejenigen, die Erwerbsarbeit allem anderen
überordnen, wohl meist nicht klar. Indem sie an Erwerbsarbeit als
Normalmodell festhalten, tragen sie dazu bei, das zu zerstören, in
dessen Namen sie in der Regel an diesem Modell festhalten: die
sinnstiftende Bedeutung von Arbeit, die Stolz, Selbstbewusstsein,
Anerkennung, „Teilhabe“ usw. verschafft.
Eine letzte Besonderheit von Althaus’ Konzept bleibt noch zu erwähnen.
Sein Ansatz unterscheidet sich wesentlich von einer
quasi-sozialistischen Staatskrankenversicherung, die allen Bürgern den
Versicherungsschutz beitragsfrei stellte. In finanzieller Hinsicht wäre
der Unterschied gar nicht einmal so groß, denn nach Althaus würde ja
jeder Bürger mit seinem Bürgergeld den Betrag für die
Krankenversicherungsprämie zuvor bedingungslos über den Staat erhalten
und wäre gesetzlich verpflichtet, ihn für eine Krankenversicherung mit
gesetzlich garantierten Mindestleistungen auszugeben. Warum, so könnte
man sich daher fragen, nicht direkt allen Bürgern einen staatlichen
Versicherungsschutz gewähren? Der Unterschied besteht nicht nur in der
Beibehaltung des berechtigten und anerkennenswerten Gedankens der
Kopfpauschale, wonach man von einem erwachsenen Bürger im Prinzip
erwarten kann, dass er für den Krankheitsfall selbst vorsorgt, wenn er
dazu in der Lage ist. Er besteht auch noch im Folgenden: Indem die
Bürger das Geld für ihren Krankenversicherungsschutz ausgezahlt
bekommen und eigenverantwortlich für einen gesetzlich garantierten
Mindestversicherungsschutz ausgeben müssen, eröffnet sich auch noch
eine Möglichkeit zum Wettbewerb zwischen Krankenkassen bzw.
Versicherungsunternehmen. Es bestünde somit die Chance, dass aufgrund
des Wettbewerbs Wahlmöglichkeiten und Kostenvorteile entstehen, die es
ansonsten bei einer Staatskrankenversicherung nicht gäbe.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus Althaus’ Verbindung des
bedingungslosen Grundeinkommens mit einer Krankenversicherungsprämie im
Hinblick auf die allgemeine Frage nach der Kombination des
Grundeinkommens mit anderen Reformelementen ziehen?
Wie aus den obigen Ausführungen deutlich geworden sein sollte, führt
die Kombination des bedingungslosen Grundeinkommens mit einer
Kopfpauschale, wie sie von Althaus vorgenommen wird, zur
Universalisierung der Kopfpauschale und dadurch zur Synthese mit den
universalistischen Aspekten des Bürgerversicherungskonzepts von SPD,
Grünen und der Partei „Die Linke“. Diese Universalisierung ist
maßgeblich dem universalistischen Charakter des bedingungslosen
Grundeinkommens geschuldet, der sich in der Kombination mit dem
Kopfpauschalenmodell quasi auf letzteres überträgt. Im Hinblick auf die
allgemeine Diskussion zur Frage der Kombination des Grundeinkommens mit
anderen Reformelementen lässt sich aus diesem gelungenen Beispiel einer
Kombination abschließend meines Erachtens folgende Lehre ziehen: Ob ein
anderes Reformelement zum Grundeinkommen passt oder nicht hängt
insbesondere vor der Frage ab, ob das universalistische,
autonomieförderliche Potential des bedingungslosen Grundeinkommens
durch die Kombination „gehoben“ wird oder vielmehr umgekehrt eine
Beschränkung erfährt. Diese Frage könnte aus meiner Sicht als roter
Faden einer neuen Reformpolitik dienen, in der das steuerfinanzierte,
in zum Leben ausreichender Höhe gezahlte bedingungslose Grundeinkommen
das Kernelement bildet.
[Dieser Text steht unter folgender Internetadresse als pdf-Datei mit
zitierfähiger Internetadresse zur Verfügung:
http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-56340 ]

Literatur:Miegel, Meinhard Stefanie Wahl (2002): Arbeitsmarkt und
Arbeitslosigkeit. Probleme und Perspektiven. München: Olzog.Oevermann,
Ulrich (2001): Die Krise der Arbeitsgesellschaft und das
Bewährungsproblem des modernen Subjekts. In: Eigeninteresse und
Gemeinwohlbindung. Kulturspezifische Ausformungen in den USA und
Deutschland. hg. v. Roland Becker, Andreas Franzmann, Axel Jansen
Sascha Liebermann. (Analyse und Forschung, Band 25). Konstanz:
UVK.Schildt, Gerhard (2006): Das Sinken des Arbeitsvolumens im
Industriezeitalter. Geschichte und Gesellschaft 32: S.
119-148.Strengmann-Kuhn, Wolfgang (2005): Das Prinzip
Bürgerversicherung: die Zukunft im Sozialstaat. Wiesbaden: VS-Verlag.
[1] Siehe etwa http://www.thueringen.de/de/buergergeld/konzept/[2]
Andere Gesichtspunkte von Althaus’ Grundeinkommenskonzept bleiben in
dieser ohne Zweifel sehr selektiven Betrachtungsweise außer Acht. Es
geht mir in diesem Text auch nicht um die politische Bewertung seines
Gesamtkonzepts sondern bloß um die Analyse eines in
modellsystematischer Hinsicht interessanten Aspekts. Ich werde hier
daher auch nicht weiter auf die viel kritisierte geringe Höhe des
Bürgergelds, die auch in meinen Augen zu niedrig angesetzt ist,
eingehen, genauso wenig wie auf die eigentümliche, fragwürdige
Unterscheidung eines „kleinen“ und „großen Bürgergelds“, mit der zwei
unterschiedliche, scheinbar dadurch legitimierte Einheitssteuersätze
verbunden sind und die Bedingungslosigkeit des Bürgergelds nicht
prägnant zur Darstellung kommt, und anderes mehr.[3] Darin
unterscheidet sich ein solcher Ansatz auch vom privaten
Versicherungsmarkt, bei dem die zu zahlenden Versicherungsprämien nicht
einheitlich sondern in der Regel risikoabhängig sind. Die Idee einer
Einheitsprämie impliziert daher zumindest insofern auch einen
Solidargedanken, als Personen mit niedrigem Krankheitsrisiko durch die
Einheitsprämie mehr zu zahlen hätten, als sie auf dem
Versicherungsmarkt für einen Versicherungsschutz individuell zahlen
müssten, im Gegensatz zu Personen mit hohem Krankheitsrisiko, die
relativ gesehen weniger zu zahlen hätten. Wie daraus hervorgeht, lässt
sich das Kopfpauschalenmodell der Union nicht unumwunden einem
„neoliberalen“ Marktdenken subsumieren, was einer der Gründe sein
könnte, warum die FDP dieses Modell bislang ablehnt.[4] Bezeichnend ist
dies, weil die forcierte, quasi-religiöse Ausrichtung der gesamten
Politik am Vollbeschäftigungsziel als oberster Priorität zumindest eine
totalitäre Tendenz hat.

--
Von Manuel Franzmann am 3/07/2009 12:53:00 PM unter Grundeinkommensblog
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