[Grundeinkommen-Info] Skandinavien als Vorbild - von öffentlichen Infrastrukturen, Bildungseinkommen und Grundeinkommen
rblaschke at aol.com
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Fr Jul 3 11:42:45 CEST 2009
Skandinavien als Vorbild - von öffentlichen Infrastrukturen,
Bildungseinkommen und Grundeinkommen heute im Neuen Deutschland
http://www.neues-deutschland.de/artikel/151531.skandinavien-als-vorbild.html
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03.07.2009
Skandinavien als Vorbild
In der Krise sucht auch die Linke nach alternativen Ansätzen in der
Bildungsfinanzierung
Von Lena Tietgen
Der ehemalige UN-Sonderberater und Schweizer Soziologe Jean Ziegler
meinte jüngst: »Jeden Tag sterben hunderttausend Menschen am Hunger
oder seinen unmittelbaren Folgen. 963 Millionen Menschen sind permanent
schwerstens unterernährt, alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter
10 Jahren. Laut Welternährungsorganisation aber könnte die derzeitige
Landwirtschaft problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren, also das
Doppelte der Menschheit. Ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird
ermordet.« Angesichts dieser erschreckenden Dimension erscheint unsere
diffizile Bildungsdiskussion geradezu dekadent. Und so wundert es
nicht, dass in Teilen der Linken Endzeitstimmung aufkommt und der Ruf
nach einem starkem Zusammenhalt, einer »schlagkräftigen Organisation«
mit eindeutigen Überzeugungen laut wird. In diesen Debatten sind
Begriffe wie »Widerstand« oder »organisierte Gegenwehr« bestimmend.
Doch es gibt auch andere Töne. Dies wurde auf einer Fachtagung der
Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik in Berlin deutlich.
Eine
der klassischen Strategien zur Überwindung kapit
alistischer Krisen ist der Einsatz neuer Technologien, also
Rationalisierung. Dabei wird die Effizienz über wenige gut ausgebildete
Arbeitskräfte und intensive Forschung erzielt. Gleichwohl wirkt Bildung
und Technologie auch als ein systematischer Zugriff zur Verbesserung
der Lebensverhältnisse. Zum Beispiel diente der Einsatz von Computern
in abgelegenen Dörfern Kolumbiens der Überwindung von Analphabetismus
oder konnte in Indien ein Dorf sich mit der Kenntnis über ökologische
Bewässerungsanlagen reorganisieren. Bildung dient folglich sowohl der
Ausbeutung als auch der Emanzipation. Die Verbundenheit beider Stränge
besteht im Verständnis von Bildung als strukturelle Grundlage von
Gesellschaft, so dass sich der Kampf um Bildung als ein Ringen um ein
Grundgut und dessen gesellschaftlicher Anwendung dreht.
Liberalisierung ist nicht gleich Neoliberalismus
Da Grundgüter einen Rechtsstatus erzwingen, liegt die Forderung nach
einem »Recht auf Bildung« als Menschenrecht auf der Hand. Solch ein
Rechtsanspruch wirft zugleich die Frage nach den jeweils individuellen
und gesellschaftlichen finanziellen Ressourcen auf. Ein Ansatz, der das
Recht und die individuellen sowie gesellschaftlichen Ressourcen
berücksichtigt, ist die Entkoppelung von Bildung und Einkommen. Der
Vizepräsident des Deutschen Studentenwerks, Christian Berg, sieht in
einem elternunabhängigen Finanzierungssys
tem zur Sicherung der
»Teilhabe an der globalen Wissensgesellschaft=C
2 die Zukunft und fordert, die »Bafög-Förderung für sämtliche
hochschulrechtlich zulässige BA-/MA-Studiengänge rechtlich
festzuschreiben«. Im ersten Schritt könnten »Transferleistungen
zusammengefasst« werden, so Berg. Um soziale Ungerechtigkeiten zu
vermeiden, sollten höhere Einkommen stärker besteuert werden.
Die Politologin Cornelia Heintze macht deutlich, dass Liberalisierung
nicht automatisch mit dem Verdikt des Neoliberalismus belegt werden
muss. Sie hat in ihrer Studie »Der aufhaltbare Abstieg in die
polarisierte Ungleichgesellschaft« von 2007 festgestellt, dass die
Neoliberalisierung in Skandinavien nicht in dem »Dreiklang von
Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung« erfolgte, sondern es
»ging die Liberalisierung von Märkten Hand in Hand mit dem Aufbau
staatlicher, meist regierungsunabhängiger Regulierungssysteme. Zweitens
wurde und wird eine differenzierte Privatisierungsstrategie verfolgt.
Drittens beteiligen sich auf den liberalisierten Märkten
diskriminierungsfrei auch öffentliche Unternehmen am Wettbewerb.« Damit
konnte Skandinavien seinen Sozialstandard auf relativ hohem Niveau
halten. Hingegen weigere sich Deutschland »massiv in Bildung für alle
als öffentliches Gut zu investieren«. Stattdessen werde »der bessere
Outcome durch Leistungsverdichtung, durch ein Mehr an Prüfungen, durch
eher mehr
als weniger Selektion (Exzellenzinitiative u.a.) erzwungen«.
Als Gegenbeispiel schilde
rte Heintze die Entwicklung in Finnland. Dort stellt der Staat neben
einem elternunabhängigen Einkommen bei der Erstausbildung auch alle
fünf Jahre ein Unterhaltsgeld für berufsferne Weiterbildung in Höhe von
300 Euro monatlich zur Verfügung. Berufsnahe Weiterbildung muss vom
Arbeitgeber finanziert werden.
Garantiertes Grundeinkommen
Geht man davon aus, dass die strukturelle Arbeitslosigkeit durch
weitere Rationalisierungen zunimmt, wird die Frage nach
Transferleistungen an Brisanz zunehmen. Im »Standpunkte Papier« der
Rosa Luxemburg Stiftung von August 2008 nennt Roland Blaschke,
Mitarbeiter von Katja Kipping (Linkspartei), vier Kriterien eines
bedingungslosen Grundeinkommens (BGE): »Das BGE ist ein dem Individuum
vom politischen Gemeinwesen garantierter Transferanspruch. Es wird
jedem einzelnen Menschen ohne eine sozialadministrative
Bedürftigkeitsprüfung und ohne einen Arbeitszwang bzw. Verpflichtung
zur Gegenleistung in einer die Existenz sichernden und die
gesellschaftliche Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichenden Höhe
garantiert.« Dieser Ansatz zeigt in eine ähnliche Richtung wie die
Entkoppelung von Bildung und Einkommen, geht es doch um eine
Grundversorgung, die eine gesellschaftliche Teilhabe gewährleistet. Das
Geld würde durch die Rationalisierungsmaßnahmen erwirtschaftet werden.
Allein die Frage der Umverteilung
gilt es zu lösen. Öffentliche
Steuerungselemente, Entkoppelung von Einkommen, Bildung und Arbeit k=C
3nnten so in die Richtung weisen, die Krise nicht nur abzumildern
sondern auch systemisch zu überwinden.
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Serie: Mit Bildung aus der Krise?
Bildung ist der sicherste Schutz vor Arbeitslosigkeit – die derzeitige
Weltwirtschaftskrise scheint dieses Diktum zu betätigen. Bildung ist
nicht mehr nur der Schlüssel für Wohlstand, sondern zunehmend eine Art
»Lebensversicherung« gegen den sozialen Abstieg. Der Druck auf dem
Arbeitsmarkt und im Bildungssystem nimmt längst auch innerhalb der
Mittelschicht zu. Wer profitiert von solchen Entwicklungen, welche
Personengruppen bleiben ausgeschlossen und wie verändert sich unser
Verständnis von Bildung? In einer neuen Reihe beschäftigt sich ND mit
diesen Fragen.
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