[Grundeinkommen-Info] egalitäre Sozialpolitiker

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn wolfgang at strengmann-kuhn.de
Sa Mär 22 14:10:37 CET 2008


On 27 Feb 2008 at 10:25, Dirk Jacobi wrote:

> Aus der heutigen Die Welt:
> 
> "Die Spitzenpolitikerin (Krista Sager) beobachtet mit Sorge, wie in
> ihrer Partei eine starke Fraktion „egalitärer Sozialpolitiker"
> Auftrieb habe, die „jeglichen Leistungsgedanken aus den
> Sozialtransfers heraushalten wollen", mit entsprechenden Forderungen
> nach einer bedingungslosen Grundversorgung. Das geht natürlich mit
> der Union gar nicht."
> 

Hier die Antwort von darauf. 

Rheinischer Merkur
	 
http://www.rheinischer-merkur.de/index.php?id=26984
	
Datum: 19.03.2008


GRUNDEINKOMMEN 
Eigeninitiative wird belohnt

Wie steht es um den Leistungswillen, wenn der Staat einen Sockelverdienst garantiert? Thüringens CDU-Ministerpräsident und 
ein Grünen-Politiker präsentieren ein gemeinsames Konzept

VON DIETER ALTHAUS UND WOLFGANG STRENGMANN-KUHN

Fast alle Parteien diskutieren Modelle eines bedingungslosen Grundeinkommens beziehungsweise der negativen 
Einkommenssteuer, besonders intensiv in der CDU und bei Bündnis 90/Die Grünen. Die CDU beschäftigt sich mit einem ganz 
konkreten Grundeinkommenskonzept, dem "solidarischen Bürgergeld". Dafür wurde eigens auf Bundesebene eine Kommission 
eingesetzt. In vielen Vereinigungen der Union finden Informationsveranstaltungen zum solidarischen Bürgergeld statt. Bei 
Bündnis 90/Die Grünen wurden mehrere Modelle zum bedingungslosen Grundeinkommen entwickelt. Sie sollen, so wie das 
solidarische Bürgergeld, ein transparenteres, leistungsfähigeres und effektiveres Steuer- und Transfersystem schaffen, das 
Armut verhindert. Der Sachverständigenrat hat erst vor kurzem bestätigt, dass die Einführung eines bedingungslosen 
Grundeinkommens zu einer "dramatischen Reduzierung der Armutsquote" führen würde.

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens greift in beiden Parteien um sich und findet immer mehr Zuspruch. Sie wird 
als Chance gesehen, den Dschungel an Sozialleistungen zu vereinfachen. Man erhofft sich, dass die verdeckte und verschämte 
Armut effektiv eingedämmt wird. Den Konzepten beider Parteien ist gemeinsam, dass allen Bürgerinnen und Bürgern 
unbürokratisch und ohne Bedürftigkeitsprüfung ein existenzsichernder Grundbetrag zur Verfügung gestellt wird, die Transfers 
individualisiert werden, alle Bürgerinnen und Bürger krankenversichert sind und man nicht prüft, welche Form von Arbeit, ob 
Erwerbsarbeit, Familienarbeit oder ehrenamtliche Arbeit, geleistet wird.

Wir stehen hinter dieser Idee und werben in unseren Parteien für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Wir 
freuen uns über die wachsende Zustimmung, aber wir nehmen auch die Vorbehalte ernst. In beiden Parteien gibt es 
Befürchtungen, dass mit dem Grundeinkommen Geld mit der Gießkanne ausgeschüttet, dass die Faulenzermentalität gefördert 
und der Leistungsgedanke verletzt werde. Vordergründig mag diese Kritik plausibel erscheinen, da nach unseren Konzepten alle 
Bürger ein Grundeinkommen bekommen sollen, ohne dafür eine Leistung erbringen zu müssen. Bei genauerem Hinsehen wird 
aber deutlich, dass der Leistungsgedanke eine deutlich stärkere Rolle spielt als heute und es mehr Anreize gibt - gerade wegen 
der Ausgestaltung des Grundeinkommens- beziehungsweise Bürgergeldkonzepts -, einer Erwerbsarbeit nachzugehen.

Im derzeitigen Transfersystem sind die Arbeitsanreize äußerst gering. Die Ausgestaltung zahlreicher sozialer 
Sicherungssysteme, wie das Arbeitslosengeld II (ALG II), behindert den Wechsel in Erwerbsarbeit, da den Empfängern die 
Früchte ihrer Arbeit aberkannt werden. Wer ALG II bezieht und gleichzeitig eine Beschäftigung annimmt, die den 
Lebensunterhalt nicht deckt, bekommt bis zu 90 Prozent seines Verdienstes von der Arbeitsagentur abgenommen. Die Folge ist, 
dass diese Personen durch Erwerbsarbeit nicht belohnt werden: Sie bemühen sich, nachdem ihnen bis auf ein sogenanntes 
Schonvermögen alles angerechnet wurde, aus der Misere herauszukommen. Gehen sie einer Erwerbstätigkeit nach, dürfen sie 
aber kaum etwas von ihrem Einkommen behalten.

Dadurch wird die Eigeninitiative behindert statt gefördert. Wer sich anderweitig engagiert, zum Beispiel für die Familie, sich 
weiterbildet oder ehrenamtlich tätig ist, unterliegt sogar dem Risiko, dass die Hartz-IV-Leistungen gestrichen werden, weil er 
dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht.

Ist dieses Problem im heutigen System lösbar? Ist es möglich, die Arbeitsanreize zum Beispiel beim ALG II zu verbessern oder 
gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeit stärker zu berücksichtigen? Wir sind der Meinung, dass der Sozialstaat alter Prägung an 
seine Grenzen stößt. Man kann natürlich dafür sorgen, dass die Menschen, wenn sie Transfers erhalten und ein zusätzliches 
Einkommen erwirtschaften, einen größeren Teil des zusätzlich erwirtschafteten Einkommens behalten dürfen. Dies ändert 
jedoch nichts an dem grundsätzlichen Problem, dass viele Erwerbseinkommen aus einer Vollzeitbeschäftigung nicht mehr 
existenzsichernd sind und gerade Geringqualifizierte in Deutschland überdurchschnittliche Probleme haben, eine Beschäftigung 
zu finden.

Ohne Frage muss deutlich mehr in Bildung und Weiterbildung investiert werden. Aber damit allein lässt sich dieses Problem 
nicht lösen. Viele Menschen in unteren Einkommensbereichen werden es auch in Zukunft kaum schaffen, ohne Transferbezug 
ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Sie haben nach unserer Meinung aber ein Recht darauf, sich einbringen zu 
können, eine Beschäftigung zu bekommen und davon leben zu können.

Alle Geringverdiener, die kein ALG II beantragen, sind deutlich benachteiligt gegenüber denjenigen, die diesen bürokratischen 
Akt durchlaufen. Millionen Menschen, die einen Anspruch auf ALG II hätten, beziehen aus Unkenntnis, aufgrund des Stigmas 
des Hartz-IV-Empfängers oder aus anderen Gründen keine Leistungen. Eine Verbesserung der Zuverdienstmöglichkeiten allein 
bringt diesen Erwerbstätigen überhaupt nichts. Ihre Benachteiligung gegenüber jenen, die staatliche Transfers erhalten, würde 
sich vergrößern und die daraus resultierenden Ungerechtigkeiten sich weiter verschärfen.

Hinzu kommt, dass die Bundesagentur für Arbeit, die für die Administration des ALG II zuständig ist, schon heute aufgrund des 
hohen bürokratischen Aufwands Probleme hat, die Anträge fristgerecht und korrekt zu bearbeiten. All dies zeigt, dass Reformen 
innerhalb des bestehenden Grundsicherungssystems zwar theoretisch denkbar sind, diese aber in der Praxis kaum umsetzbar 
wären und zusätzliche Gerechtigkeitsprobleme nach sich zögen. Das Bürgergeld-System macht die meisten Steuerfreibeträge 
überflüssig und soziale Leistungen wie das ALG II, das Sozialgeld et cetera, die das Existenzminimum absichern sollen, werden 
zusammengefasst.


Zusätzliche Leistungen für besondere Lebenslagen oder eine Rente bleiben erhalten. Die Steuer- und Abgabenbelastung für 
untere und mittlere Einkommen liegt deutlich unter dem heutigen Stand. Schwarzarbeit wird unattraktiver. Leistung lohnt sich 
wieder, ohne dass die Menschen gegängelt oder unter Druck gesetzt werden. Dies sind nur einige, aber wichtige Gründe, die für 
die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens und eine Abkehr von dem System des ALG II sprechen. Sowohl bei 
der CDU als auch bei den Grünen wird im Zuge der Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen gefordert, das 
Steuer- und Sozialsystem stark zu vereinfachen und aufeinander abzustimmen.

Es kann nicht die Rede davon sein, dass sich hier "egalitäre Sozialpolitiker" bei den Grünen und der CDU durchsetzen, die 
jegliche Leistungsgedanken aus den Sozialtransfers heraushalten wollen. Im Gegenteil: Wir sind der Überzeugung, dass sich 
Leistung wieder lohnen und der Übergang vom Transfersystem in die Erwerbsarbeit durchlässiger gestaltet werden muss. Dabei 
setzen wir auf positive Anreize, ohne noch mehr Druck und bürokratische Gängelung einführen zu wollen.

Wir glauben, dass Deutschland den Mut braucht, visionäre Ideen wie das Grundeinkommen aufzugreifen. Zu Recht glauben die 
Bürgerinnen und Bürger nicht mehr daran, dass das aktuelle Sozialversicherungssystem zukunftsfähig ist. Wenn von den 
politisch Verantwortlichen keine Antworten auf die Herausforderungen durch Globalisierung und demografischen Wandel 
gegeben werden, schwindet auch das Vertrauen in die Politik und letztlich in die Demokratie insgesamt. Politik braucht den Mut 
zu neuem Denken über alte Gräben hinweg.
© Rheinischer Merkur Nr. 12, 19.03.2008







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