[Grundeinkommen-Info] Aktion "Arbeitsscheu Reich" - Erinnern und Gedenken / Kontinuitäten und Brüche - eine Veranstaltungsreihe in Berlin

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So Jan 13 18:39:20 CET 2008


 









Ein Hinweis auf eine Veranstaltungsreihe in Berlin zum Erinnern und 
Gedenken an die Aktion "Arbeitsscheu Reich" im NS-Staat am 26.01.1938. 
Erinnern und Gedenken bedeutet für die VeranstalterInnen auch, die 
jüngste Vergangenheit und die Gegenwart mit ihrer Arbeitsideologie und 
dem damit verbundenen Arbeitszwang kritisch aufzuarbeiten, also 
geschichtliche Kontinuitäten und Brüche sichtbar zu machen. 
 

Ronald Blaschke 
 

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Das vollständige Programm der Veranstaltungsreihe und dieser Text unter 
http://marginalisierte.de/ 
 


Gedenken an die Opfer der Aktion "Arbeitsscheu Reich" 
 

Anliegen unserer Veranstaltungsreihe 
 

Der Arbeitskreis "Marginalisierte - gestern und heute!" plant eine 
Veranstaltungsreihe zum Erinnern und Gedenken an die Opfer der Aktion 
"Arbeitsscheu Reich" am 23.01.1938 und weitere Attacken auf sogenannte 
Asoziale während der NS-Zeit. 
 

Wer sind wir? 
 

Wir sind Erwerbslose und Freiberufler - diplomierte Philosophen, 
Ökonomen, Sozialpädagogen und Psychologen sowie Sozial- und 
Informationswissenschaftler. Ein Teil von uns hat bereits die 
Veranstaltungsreihen "Überflüssigkeit und Psyche" im November 2006, "Das 
Schwindelerregende Über Arbeiten" und "Bescheidenheit ist eine Zier, 
weiter kommt man ohne ihr" im Juni 2007 gemeinsam gestaltet und organisiert. 
 

Wie entstand die Idee? 
 

Anne Seeck hatte im Stadtteil- und Infoladen Lunte am 14. März 2007 zu 
einer Vorstellung des Buches "minderwertig" und "asozial". Stationen der 
Verfolgung gesellschaftlicher Aussenseiter eingeladen. Obwohl einige von 
uns bereits das Buch "Asoziale im Nationalsozialismus" von Wolfgang Ayaß 
kannten, waren wir erstaunt, welche Institutionen sich als besonderes 
drängende und willige Vollstrecker der Verfolgung von "Asozialen" 
erwiesen. Kurz darauf hatte Anne ihren Vorschlag zur Veranstaltungsreihe 
auf dem Papier. Hinzu kamen verschiedene Vortragsideen, Kulturprogramme 
und Vorschläge für Gedenktouren. Plötzlich - im Juni 2007 war unser 
Programm riesengroß. Kooperationspartner wurden gesucht für die 
Moderation und für die finanzielle Unterstützung. 
 

Was hieß damals "asozial"? 
 

Nach weiteren Buchrecherchen, z.B. von Ernst Klee, Wolfgang Ayaß, 
Claudia Brunner, Victor Klemperer u.a. waren wir überrascht, welche 
Menschen alles unter den Begriff "Asozial" im Nationalsozialismus 
fielen. Bettler, Wanderer, Wohnungslose, Sinti und Roma, Homosexuelle, 
Prostituierte, "Kleinkriminelle", - das hatten wir bereits gelesen. Es 
war bekannt, das sie vor und nach 1933 die Ersten gewesen sind, die in 
Arbeitslager und später in Konzentrationslager eingewiesen wurden. 
 

Das auch Alkoholkranke, Frauen mit Kindern verschiedener Väter, 
Alleinerziehende, mitunter sogar ihre Kinder, große Familien, die 
längerfristig von der Fürsorge abhängig waren, im Laufe der Zeit unter 
dem Sammelbegriff "Asozial" entweder in Kz'sdeportiert wurden oder in 
sogenannte Heil- und Pflegestätten, war weniger in der Erinnerung. 
 

Überwiegend neu war uns, dass die Nazis am 26.01.1938 einen speziellen 
Erlaß herausgaben und am 21.04.1938 in einer Gestapoaktion und am 
13.06.1938 in einer Kriminalpolizeiaktion sogenannte Asoziale massenhaft 
verhaftet und deportiert wurden. 
 

Ebenso war gar nicht genau klar, dass Menschen, die dieser Gruppe 
zugeordnet wurden, bereits bei der Verfolgung wegen der Gesinnung 
mitverhaftet wurden, weil sie ideologisch nicht zuordenbar waren oder 
sich einfach in der Öffentlichkeit falsch geäußert hatten. 
 

Weitestgehend unbekannt war auch die Sommeroffensive der Nazis 1942, als 
sogenannte Asoziale seitens derer, die die "Euthanasie" betrieben in den 
Fokus gerieten und hierunter völlig willkürlich verschiedenste den Nazis 
nicht passende Menschen ins Gas oder in die Vernichtung durch Arbeit 
getrieben wurden. 
 

Unter dem Strich stellt sich der Begriff "Asozial" als ein großer Schirm 
dar, unter den die Nazis im weitesten Sinne all jene drunterschoben, die 
ihnen nicht in den Kram passten: Kranke, Behinderte, jüdische und nicht 
deutsche Menschen, FürsorgebezieherInnen, Erwerbslose, Leute, die die 
Arbeit störten, boykottierten, zu spät kamen oder sabotierten und viele, 
viele andere. 
 

Warum machen wir die Reihe? 
 

Wir wollen unsere jüngere Vergangenheit und die Gegenwart genauer unter 
die Lupe nehmen. Wir wollen schauen, in welcher Weise "Mißliebige" und 
"Unangepasste" benannt, behandelt, ideologisch instrumentalisiert werden 
und welchen Zwecksetzungen dies folgt. Denn wir haben seit 1990 
erfahren, dass Erwerbslose und Bedürftige und Wohnungslose nicht nur in 
übelster Art beschimpft werden und ihnen Taten bzw. Unterlassungen 
unterstellt werden, die sie nicht zu verantworten haben oder die direkt 
erstunken und erlogen sind. Erinnert sei hier an "Florida-Rolf", der 
jahrelang um seine Rechte aus dem Bundessozialhilfegesetz kämpfen musste. 
 

Aufmerken ließ ein Report des Bundeswirtschaftsministeriums 2005 
"Vorrang für die Anständigen - Gegen Mißbrauch, "Abzocke" und 
Selbstbedienung im Sozialstaat". Dort wurden Erwerbslose indirekt mit 
Parasiten verglichen, Sozialberater als "Helfershelfer" und "Anstifter" 
zu Sozialleistungsmißbrauch verunglimpft, AlgII-Beziehende als Lügner 
hinsichtlich ihrer Angaben zu Bedarfsgemeinschaften und des 
Herbeiführung des Bezuges von Sozialleistungen, als 
Phantomwohnungsmieter, Vermögensverdunkler, Einkommensverschweiger, 
singende Cabriobesitzer, Abzocker und Sozialleistungsschnorrer hingestellt. 
 

Im Jahr 2007 wurde Henrico Franks Weigerung zur Annahme nicht zumutbarer 
Erwerbstätigkeiten herabwürdigend durch die Presse gezerrt. Das er zu 
den meist körperlich schweren Jobs überhaupt nicht in der Lage war, 
wurde genau einmal in einer Zeitung gesagt. Dem voraus ging ein Angebot 
des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Beck, der Henrico Frank 
zum Waschen und Rasieren aufforderte, damit dieser angeblich die Chancen 
auf einen Arbeitsplatz in Eigeninitiative vergrößere. 
 

Die Politik pflegt Klischées und stachelt den Zorn Erwerbstätiger gegen 
Leute an, bei denen nach Grundgesetzsprache "eine ausreichende 
Lebensgrundlage nichtvorhanden ist und der Allgemeinheit daraus 
besondere Lasten entstehen würden" (Art. 11 Abs. 2 GG). Damit wollen wir 
uns auseinandersetzen, damit die heutige harte Ausgrenzung nie wieder in 
Formen der Verfolgung wie im letzten Jahrhundert münden kann. 
 

Wo sehen wir Gefahren? 
 

Wir denken an die wohnungs- und obdachlosen Leute. Erschreckenderweise 
existieren gegenüber ihnen solche Vorurteile , dass sie nachts z.B. in 
Parks erschlagen werden - von ganz jungen Leuten. 
 

Offensichtlich wurden im Alltagsbewußtsein bundesdeutscher Bürgerinnen 
und Bürger eine Menge Vorbehalte, Klischées und herabwürdigende 
Redewendungen aus den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren des 
letzten Jahrhunderts konserviert, übertragen und übernommen. 
 

So kommt Unternehmern ein Begriff wie "Minderleister" ganz natürlich 
über die Lippen. Ostdeutsche sehen ein Anwachsen der Assis. Andere 
schimpfen auf "faule Erwerbslose", "Sofaplattsitzer", "süchtige 
Fernsehgucker", "durch schlechte Ernährung und zu wenig Bewegung 
fettwerdende Nichtstuer". Fern der Öffentlichkeit wird in deutschen 
Wohnzimmern über arbeits- und haltlose Trinker hergezogen, die nichts 
auf die Reihe kriegen.  Hartz IV-Beziehende werden immer stärker als 
"ungepflegt", "unmodisch" und  "schäbig bekleidet" wahrgenommen. Ihre 
"Bildungsferne" und ihre "soziale Schwachheit" werden wie im Leierkasten 
ständig wiederholt. Haben Bedürftige PCs, so werden in Armutsfilmen im 
deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen zehnjährige Kinder vor 
militärischen Schiessprogrammen präsentiert, um die Unfähigkeit armer 
Eltern anzuprangern. 
 

Das Erwerbslose und Bedürftige überwiegend wegen akuter Einkommensnot 
nicht am "normalen gesellschaftlichen Leben" teilnehmen können, wird 
außer beim Thema "Kinderarmut" eher am Rande erwähnt. Im Gegensatz dazu 
wird die "Hilfslosigkeit" Alleinerziehender gern hervorgehoben, arme 
Eltern als Rabeneltern diffamiert. Neulich wurde in einer Talkrunde 
eines Fernsehsenders sogar die Frage aufgeworfen, ob man nicht solchen 
Leuten die Kinder wegnehmen müßte. Einer solchen Überlegung widersprach 
der Geschäftsführer des DPWV Ulrich Schneider erschrocken und meinte, 
dass dies eine Bankrotterklärung an die deutsche Familienpolitik wäre. 
 

All jene Erscheinungen und noch mehr nehmen wir in den Veranstaltungen 
unserer Reihe auf, weil wir ein Neu Nachdenken anregen wollen. 
 

Wozu dient diese Internetseite? 
 

Als Ankündigung unseres Programms stellen wir Ihnen den Entwurf unseres 
in Entstehung begriffenen Werbeflyers vor. Mit der Einstellung des 
Programms ist Ende November 2007 zu rechnen. 
 

Wir nutzen diese Seite in Zukunft dazu, Neuigkeiten, organisatorische 
Änderungen, Konkretisierungen von Terminen oder weitere Veranstaltungen 
innerhalb dieser Veranstaltungsreihe einzustellen. A.A. 

    



 


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