[Grundeinkommen-Info] SVR: Buergergeld beseitigt Armut weitgehend

Wolfgang Strengmann-Kuhn strengmann at wiwi.uni-frankfurt.de
Mi Nov 21 10:14:42 CET 2007


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Informationsdienst Wissenschaft
	
Pressemitteilung
Sachverständigenrat: Solidarisches Bürgergeld beseitigt Armut weitgehend
	
Im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung haben Prof. Dr. Michael Opielka von der Fachhochschule Jena (Fachbereich 
Sozialwesen) und PD Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Vertretungsprofessor an der Universität Frankfurt die Finanzierbarkeit 
und Umsetzbarkeit des Vorschlags "Solidarisches Bürgergeld" des Thüringer Ministerpräsidenten Althaus untersucht.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ging in seinem soeben veröffentlichten 
Jahresgutachten 2007-8 (Kapitel 4) ausführlich auf den Vorschlag und die Studie von Opielka und Strengmann-Kuhn ein. 
Angesichts der wissenschaftlichen und politischen Bedeutung der Diskussion haben beide Wissenschaftler folgende 
Stellungnahme abgegeben:

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) hat in seinem jüngsten 
Jahresgutachten die Beschäftigungs- und Verteilungseffekte des Vorschlags "Solidarisches Bürgergeld" untersucht. Der Text ist 
insgesamt von einer großen Skepsis gegenüber dem speziellen Vorschlag Solidarisches Bürgergeld sowie einem 
bedingungslosen Grundeinkommen allgemein geprägt. Dementsprechend lautet das Zwischenfazit der Zusammenfassung, die 
so auch in einigen Pressemitteilungen erschienen ist: "In der von Althaus vorgeschlagenen Version ist das bedingungslose 
Grundeinkommen nicht finanzierbar, es reißt eine Finanzierungslücke von rund 227 Mrd. EUR in die öffentlichen Haushalte." Das 
entspricht in etwa dem Ergebnis unserer Studie im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung (Opielka/Strengmann-Kuhn 2007) 
sowie der Studie von Fuest u.a. (2007) zum Solidarischen Bürgergeld. Interessanterweise geht es dann beim SVR in seinem 
Fazit folgendermaßen weiter: "Passt man die einzelnen Elemente des Konzepts so an, dass eine Finanzierbarkeit prinzipiell 
gewährleistet ist, lösen sich die vermuteten positiven ökonomischen Auswirkungen in Luft auf" (SVR 2007: 224). Am Ende des 
Textes steht dann: "Es mag unfair und beckmesserisch erscheinen, sozialpolitische Utopien an den Widrigkeiten der Realität 
oder europarechtlichen Zwängen zu messen. Aber die Steuer- und Sozialpolitik ist nun einmal kein Wunschkonzert." (SVR 2007: 
244, Hervorhebung im Original). Mit diesem Urteil, das die Auswirkungen auf Armut und Ungleichheit außer Acht lässt, sollte das 
Solidarische Bürgergeld sowie alle anderen Vorschläge für ein bedingungsloses Grundeinkommen nach der Meinung des SVR 
wohl auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.

Interessant ist aber ein genauerer Blick auf die Ergebnisse des SVR, die auch eine ganz andere Schlussfolgerung zulassen.

So berechnet der SVR zwei Varianten, von denen er sagt: "Beide Varianten sind zwar deutlich unattraktiver als die utopische 
Althaus Originalversion, aber dafür im Prinzip umsetzbar". Bemerkenswert ist, dass es sich bei diesen beiden um "Extreme der 
Gegenfinanzierungsmöglichkeiten" (SVR 2007: 244) handelt. Bei der einen gibt es einen sehr hohen Steuersatz der Nettozahler 
(Variante 1) und bei der anderen einen hohen Grenzsteuersatz der Nettoempfänger (Variante 2). Eine mittlere Variante, bei der 
die Grenzsteuersätze sowohl bei geringen als auch bei hohen Einkommen geringer sind als heute, wie wir sie in unserem 
Gutachten (Opielka/Strengmann-Kuhn 2007) vorschlagen, wird nicht untersucht, ebenso wenig wie die Alternative, die 
Krankenversicherung extern zu finanzieren (bspw. durch eine "Gesundheitssteuer", ähnlich wie in Frankreich), die wir ebenfalls 
untersuchen. Trotzdem sind die Beschäftigungseffekte gar nicht so katastrophal wie angesichts der Auswahl der beiden 
Varianten vermutet werden könnte, während die Verteilungseffekte schon fast sensationell positiv sind.

In der Variante 1 bleibt die Transferentzugsrate bei den von Althaus vorgeschlagenen 50%. Nach Berechnung des 
Sachverständigenrates, muss dann der Steuersatz für die Nettozahler auf 61% steigen, wobei darin jeweils die 
Krankenversicherung schon enthalten ist. Trotz dieses hohen Spitzensteuersatzes steigt die Arbeitslosenquote gerade einmal 
um 0,24%, die Anzahl der Beschäftigten sinkt um nicht einmal 120.000. Interessant ist, dass die Beschäftigung der Personen 
ohne Berufsabschluss sogar um 13.500 Personen steigt. Die negativen Effekte kommen in dieser Variante also durch den 
hohen Spitzensteuersatz zustande, während im unteren Einkommensbereich die Effekte eher positiv sind. Insgesamt sind die 
ermittelten Gesamtbeschäftigungseffekte vermutlich aber nicht einmal statistisch signifikant. Schlussfolgerung des SVR: "Die 
ökonomischen Effekte lösen sich also in Luft auf" (siehe oben). Aber: Gleichzeitig sinkt die Anzahl der Menschen mit einem 
Einkommen unter der EU-Armutsrisikogrenze um 8 Millionen! "Mit einer Armutsquote von nur noch 2,85% ist die relative Armut 
weitgehend beseitigt" (SVR 2007: 241) Auch die Gesamtverteilung verbessert sich drastisch. Der Gini-Koeffizient sinkt auf 0,214 
und liegt damit noch unter skandinavischem Niveau. Damit erreicht das solidarische Bürgergeld in dieser Variante sensationelle 
Verteilungswirkungen, und zwar nahezu ohne negative ökonomische Effekte. Interessant ist, dass dieser 
Finanzierungsvorschlag von den Steuersätzen her in etwa dem innerhalb der Grünen diskutierten Vorschlags eines partiellen 
Grundeinkommens entspricht. Diese schlagen einen Steuersatz von 35% vor, zu dem noch Sozialversicherungsbeiträge in Höhe 
von 20% bzw. mittelfristig (nach Umstellung der Sozialversicherungen auf Bürgerversicherungen von 15%) hinzukommen.

In der Variante 2 wird der Grenzsteuersatz im unteren Einkommensbereich auf 80% erhöht und liegt damit zum Teil sogar etwas 
schlechter als beim Arbeitslosengeld II; der Steuersatz, der nötig ist, um diese Variante zu finanzieren, liegt bei 35% - wieder 
inklusive Krankenversicherung. Diesmal gibt es negative Beschäftigungseffekte vor allem im unteren Einkommensbereich. Die 
Beschäftigung sinkt insgesamt um 700.000 Personen bzw. 3%, ohne Berufsabschluss um 5,5%. Hierbei zeigt sich die 
Bedeutung des Anrechnungssatzes im unteren Einkommensbereich. Bei 50% ist der Beschäftigungseffekt der 
Geringqualifizierten positiv, während sie bei einem Grenzsteuersatz von 80% stark sinkt. Interessanterweise wird dieser negative 
Beschäftigungseffekt durch eine Ausdehnung der Arbeitszeit bereits berufstätiger Menschen in etwa ausgeglichen, so dass die 
Beschäftigung, gemessen in Stunden, sogar leicht um 100.000 "Vollzeitäquivalente" oder 0,5% steigt. Vermutlich ist aber auch 
dieser Effekt wieder statistisch nicht signifikant. Auch in dieser Variante sinkt die Armutsquote, allerdings "nur" um die Hälfte auf 
6,6%. Gleichzeitig steigt aber im Gegensatz zur Variante 1 die Ungleichheit, was an der Entlastung der oberen Einkommen liegt.

Fazit: Der Sachverständigenrat bescheinigt dem Solidarischen Bürgergeld, dass es prinzipiell umsetzbar und finanzierbar ist. In 
beiden vom SVR durchgerechneten finanzierbaren Varianten sinkt die Armutsquote deutlich. In der Variante mit einem geringen 
Grenzsteuersatz im unteren Einkommensbereich und einem hohen Spitzensteuersatz wird relative Einkommensarmut nach 
Aussagen der SVR weitgehend beseitigt und die Ungleichheit sinkt noch unter skandinavisches Niveau - und das alles bei 
marginalen negativen ökonomischen Effekten.

Die Auswahl der Extremvarianten mit einem (ungünstigen) hohen Spitzensteuersatz auf der einen Seite und einem 
(ungünstigen) hohen Grenzsteuersatz im unteren Einkommensbereich lässt darüber hinaus vermuten, dass auch Varianten 
ohne Finanzierungslücken möglich sind, bei denen es positive Beschäftigungs- und Verteilungswirkungen gibt. Hinzu kommt, 
dass der SVR bei der Berechnung der Originalversion ohne Arbeitsmarktwirkungen eine deutlich höhere Finanzierungslücke von 
246 Mrd. als Opielka/Strengmann-Kuhn (189,0 Mrd. EUR) und Fuest u.a. (187,9 Mrd. EUR) ermitteln, was darauf hindeutet, dass eine 
Finanzierung mit niedrigeren Steuersätzen möglich ist wie diejenige, die der SVR für seine Simulation verwendete. Möglich wäre 
zudem, nach einer Körperschaftssteuerreform das "Volkseinkommen" der Volkswirt¬schaft¬lichen Gesamtrechnung (VGR) als 
Bemessungsgrundlage des "Solidarischen Bürger¬gel¬des" heranzuziehen, das im Jahr 2004 mit 1.650,6 Mrd. Euro um 22,6 
Prozent höher lag als unsere Bezugsgröße. Dies würde zu erheblichen Mehreinnahmen führen, die eine Senkung der Sätze für 
die Einkommensteuer möglich machen.

Schließlich kommen weitere Simulationsstudien zu den Arbeitsmarktwirkungen des "Solidarisches Bürgergeldes" bislang zu 
widersprüchlichen Ergebnissen. Während Straubhaar/Hohenleitner (2007) 1,17 Mio. zusätzliche Arbeitsplätze errechnen, 
nehmen Fuest u.a. (2007) an, dass das Arbeitsangebot um bis zu 2,15 Mio. bisherige Vollzeitstellen sinkt, wobei offen bleibt, ob 
diese "freiwillige" Arbeitslosigkeit mit der heutigen unfreiwilligen Arbeitslosigkeit verrechnet werden kann und damit faktisch die 
Arbeitslosigkeit reduziert.

Jena/Frankfurt, 20.11.2007
Wolfgang Strengmann-Kuhn und Michael Opielka

Quellen:
Clemens Fuest/Andreas Peichl/Thilo Schaefer, Beschäftigungs- und Finanzierungswirkungen des Bürgergeldkonzepts von 
Dieter Althaus, in: ifo Schnelldienst, 60 (2007) 10, S. 36-40
Michael Opielka/Wolfgang, Strengmann-Kuhn, Das Solidarische Bürgergeld. Finanz- und sozialpolitische Analyse eines 
Reformkonzepts - Studie im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung, in: Michael Borchard (Hrsg.), Das Solidarische Bürgergeld. 
Analysen einer Reformidee, Stuttgart: Lucius & Lucius 2007, S. 13-141
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR), Das Erreichte nicht verspielen. 
Jahresgutachten 2007/8, Wiesbaden: Statistisches Bundesamt
Thomas Straubhaar/Ingrid Hohenleitner, Bedingungsloses Grundeinkommen und Solidarisches Bürgergeld - mehr als 
sozialutopische Konzepte, Hamburg 2007

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