[Grundeinkommen-Info] Artikel Grundeinkommen Berliner Zeitung

ralf engelke ralfpeterengelke at yahoo.de
Di Apr 10 10:32:32 CEST 2007


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Wirtschaft          Existenzgeld statt Hartz IV  Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens findet immer mehr Anhänger - und Kritiker  Stephan Kaufmann
                BERLIN. Es ist die Zauberformel. Es löst das Problem der Arbeitslosigkeit, macht Mindestlöhne überflüssig und verspricht eine Welt ohne Armut und Existenzangst, ohne Prekarisierung oder Hartz IV. Linksradikale wollen es ebenso wie Unternehmer, Wirtschaftsforscher, Soziologen, CDU- oder Linkspartei-Politiker: das solidarische Bürgergeld, auch Existenzgeld oder bedingungsloses Grundeinkommen genannt. 
  Das "bedingungslos" ist ernst gemeint: Das steuerfinanzierte Grundeinkommen soll jeder erhalten - auf Lebenszeit, ob er arbeitet oder nicht. Schon ist der Streit entbrannt. "Existenzgeld ist eine Idee, deren Zeit gekommen ist", wirbt Drogeriemarkt-Unternehmer Götz W. Werner. "Es ist extrem solidarisch und schafft Jobs", meint Thomas Straubhaar vom HWWI-Institut. Hilmar Schneider vom Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) dagegen hält das Bürgergeld für einen kostspieligen "Irrweg" und SPD-Politiker sprechen von "legitimierter Arbeitslosigkeit". 
  Bereits Anfang der achtziger Jahre kamen in der Bundesrepublik Forderungen nach einem Existenzgeld auf. Damals wurde deutlich, dass Vollbeschäftigung nicht mehr erreichbar ist. Auf dem "1. Arbeitslosenkongress in Berlin" 1982 wurde daher beschlossen: "Wir sind nicht länger bereit, bei unserer Forderung nach einem menschenwürdigen Leben Rücksicht auf die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen zu nehmen. Wenn das System die Sicherung unserer Existenz nicht aushält, dann muss es verändert werden."
  Anstoß zur Grundsatzdebatte
  In jüngster Zeit tauchen nun immer neue Vorschläge zum Existenzgeld auf - die meisten allerdings nicht mehr mit dem revolutionären Anspruch von 1982. Einer der Front-Männer der Bewegung ist Götz W. Werner, Gründer und Chef der zweitgrößten deutschen Drogeriemarktkette dm, der auch gerade ein Buch zum Thema geschrieben hat: "Einkommen für alle", so der viel-versprechende Titel. FDP-Vize Rainer Brüderle nennt es einen "kräftigen Anstoß zu einer Grundsatzdebatte".
  Die Gesellschaft krankt laut Werner daran, dass durch technologischen Fortschritt einerseits immer mehr Produkte immer leichter verfügbar sind. "Eigentlich leben wir im Schlaraffenland." Andererseits führe die Rationalisierung zu Arbeitslosigkeit und häufig zu Armut. "Für mich ist es mehr als ein kleiner Schönheitsfehler im System, wenn ein größer werdender Teil der Bevölkerung auf Grund seiner finanziellen Situation vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen ist", sagt Werner. 
  Das Problem der Arbeitslosen sei die Einkommenslosigkeit und nicht die Arbeitslosigkeit, so Werner. "Die Wirtschaft ist ja keine Beschäftigungstherapie!" Die Lösung sieht er in der Entkoppelung von Arbeit und Einkommen: Jeder Mensch erhält einen bestimmten Betrag auf Lebenszeit - ob alt oder jung, reich oder arm, mit oder ohne Job. Dies mache Arbeitslosigkeit erträglich, die Menschen hätten Zeit für andere sinnvolle Tätigkeiten, und Arbeitnehmer wären in der Lage, Job-Angebote auch abzulehnen. "Es wäre die Befreiung vom sinnlosen Zwang zur Arbeit", so Werner. 
  Alle Sozialleistungen würden durch das Existenzgeld ersetzt. Auch Jobs entstünden. Denn da Erwerbstätige ihren Lohn zusätzlich zum Existenzgeld erhielten, könnte der Lohn deutlich sinken. 
  Auch Katja Kipping von der Linkspartei hält das Grundeinkommen für "ein wunderbares und realistisches Projekt". Hartz IV bedeute für Arbeitslose Entwürdigung und Gängelung. Wenn dagegen jeder 1 000 Euro im Monat sicher bekomme, würden viele Beschäftigte ihre Arbeitszeit reduzieren, Jobs werden frei und Arbeit umverteilt. 
  Das halten viele für zu schön um wahr zu sein. Die Gewerkschaften halten sich in der Frage meist bedeckt. Spitzenpolitiker der SPD plädieren eher für eine Grundsicherung, ein "humanisiertes" Hartz-IV. Ein relativ hohes garantiertes Einkommen ohne Arbeit halten sie dagegen für ungerecht. "Erwerbsarbeit muss zentral bleiben für die Organisation unseres Sozialstaates", so Andrea Nahles (SPD). Kein Mensch dürfe auf Dauer in die Sozialhilfe abgeschoben werden.
  Ihren Einwand, dass bei Zahlung eines Bürgergeldes niemand mehr arbeiten ginge, lassen die Befürworter jedoch nicht gelten. "Mit dem Grundeinkommen wäre ja kein Luxusleben möglich", so Professor Günter Voß, Arbeitssoziologe an der TU Chemnitz. Menschen mit Job wären immer finanziell privilegiert und hätten Aufstiegsmöglichkeiten. Zudem sei er sich sicher, dass die Menschen auch ohne Druck etwas "Sinnvolles" tun wollten. 
  Im Zentrum der Diskussion steht vor allem ein Punkt: die Höhe des Existenzgeldes. Kipping und Werner plädieren für Beträge zwischen 1 000 und 1 500 Euro monatlich. Sehr viel sparsamer ist der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU): Er plädiert für ein staatlich garantiertes, gegenleistungsfreies monatliches Mindesteinkommen von 800 Euro Euro für jeden, dessen sonstiges Einkommen 1 600 Euro nicht übersteigt. Wer darüber liegt, erhält 400 Euro Bürgergeld. Für Kinder gibt es 500 Euro. Im Gegenzug sollen die Gesetzliche Renten- und Arbeitslosenversicherung abgeschafft werden und das Arbeitslosengeld II (ALG II) entfallen. Von dem Betrag wird allerdings noch eine Gesundheitsprämie von 200 Euro abgezogen. Viel bliebe damit nicht übrig. Denn mit 600 Euro läge der Bürgergeld-Beschenkte noch unterhalb des heutigen Einkommensniveaus alleinstehender ALG-II-Bezieher. Das Modell des HWWI-Chefs Thomas Straubhaar sieht sogar vor, jedem Bürger steuerfrei ein monatliches
 Grundeinkommen von nur 600 Euro zu zahlen - abzüglich 200 Euro Pauschale für Kranken und Pflegeversicherung.
  In diesen Vorschlägen sehen andere Existenzgeldbefürworter jedoch eine Gefahr. "Niedrige Grundeinkommen bewirken einen Sog in den Niedriglohnarbeitsmarkt, zwingen die Menschen, auch zu miesen Bedingungen ihre Haut zu Markte zu tragen", so die Linkspartei. Zudem wirkten diese Modelle wie ein flächendeckender Kombi-Lohn: Da jeder vom Staat 600 Euro erhalte, könnten die Löhne drastisch sinken. Genau das will Straubhaar auch: "Der Einzelne wird eher bereit sein, zu einem geringeren Lohn zu arbeiten, weil sein Existenzminimum schon durch den Staat gesichert ist." Im linken Spektrum werden die Vorschläge von Althaus und Straubhaar daher abgelehnt. Mit ihnen drohe mehr Armut an Stelle von mehr Freiheit. Sie fordern neben dem Grundeinkommen Arbeitszeitverkürzung und Mindestlöhne, um neue Armut zu vermeiden.
  Doch wer soll das bezahlen? Laut Institut IZA ist bereits der Althaus-Vorschlag zu teuer. Die 600 Euro wirkten als "großzügig bemessener Kombilohn", der mindestens 220 Milliarden Euro pro Jahr kosten würde. Die dadurch entstehenden Jobs seien "teuer bezahlt". Statt Existenzsicherung fordert das IZA daher "eine konsequente Umsetzung des Prinzips von Leistung und Gegenleistung".
  Ungeklärte Finanzierung
  Unternehmer Werner verweist zur Finanzierung des Grundeinkommens auf die Milliarden-Einsparungen durch die Streichung anderer Sozialleistungen und auf den Abbau der Bürokratie. Prinzipiell ist er in der Finanzierungsfrage jedoch vorsichtig: "Meine Erfahrung ist: Wenn man etwas wirklich will, findet man auch Wege", sagt er. "Und wenn man es nicht will, findet man Gründe."
  Die Diskussion um das Grundeinkommen im Internet:
  www.grundeinkommen.de
  www.labournet.de/diskussion/arbeit/existenz/index.html 
  www.die-linke-bag-grundeinkommen.de
  www.unternimm-die-zukunft.de
            Berliner Zeitung, 10.04.2007
     
   
 
       
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