[Gen-Streitfall] Biotech-Visionen aus Brüssel

Sabine Altmann Sabine.Altmann at Wagner-Solartechnik.De
Mo Jun 28 10:36:49 CEST 2004


Telepolis, http://www.heise.de/tp/deutsch/special/leb/17754/1.html
Biotech-Visionen aus Brüssel

Brigitte Zarzer   28.06.2004

EU-Kommissar Busquin will Gentechnik-Forschung an Pflanzen massiv forcieren

Experten und Politiker sollen noch bis Jahresende im Rahmen eines
Technologieforums zur 
Pflanzentechnologie einen Strategieplan über die Forschungsziele bis 2025
vorlegen. Das sagte 
der für Forschung zuständige Kommissar Philippe Busquin am Donnerstag in
Brüssel. Eine 
"Vision" für die "Pflanzen der Zukunft" wurde bereits vorgestellt. Für die
Umsetzung sollen 
innerhalb der nächsten zehn Jahre 45 Milliarden Euro von privater und
öffentlicher Seite 
aufgebracht werden.

In den Pflanzenwissenschaften und der Biotechnologie hat Europa in den
letzten Jahren seine 
führende Rolle eingebüßt, da die Auswirkungen dieser Technologien in der
Öffentlichkeit 
Bedenken auslösten, die Vorteile dieser Technologien der Öffentlichkeit
nicht angemessen 
vermittelt werden konnten und strategische Forschungsprogramme fehlten. Dies
ist angesichts 
der Herausforderung, vor denen Europa steht, alarmierend: die nachhaltige
Versorgung einer 
anwachsenden Weltbevölkerungen mit gesünderen Lebensmitteln und der Ersatz
von 
Materialien fossilen Ursprungs durch neue, umweltfreundliche Biomaterialien
aus erneuerbaren 
Pflanzenressourcen.
[External Link] Philippe Busquin

Eine "Vision" wurde bereits von Vertretern aus der Forschung, der
Lebensmittel- und Biotech-
Industrie und der Landwirtschaft entwickelt und ebenfalls am Donnerstag
unter dem Titel 
[External Link] Pflanzen für die Zukunft in Brüssel vorgelegt. Unter den
zwanzig Unterzeichnern 
des 23-Seiten starken Papiers finden sich u.a. Eggert Voscherau,
Vize-Chairman von BASF, 
Jochen Wulff ehemals CEO von Bayer CropScience und der Vorstandschef der
europäischen 
Biotechnologie-Vereinigung [External Link] EuropaBio. Die deutsche
Wissenschaft war durch 
Peter Gruss, dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, vertreten ebenso
wie von der 
Biologin und Nobelpreisträgerin [External Link] Christiane Nüsslein-Volhard,
die das Max-Planck-
Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen leitet.

Die insbesondere bei Fragen der Koexistenz kritischen deutschen
Bauernvertreter scheinen 
übrigens ebenso wenig in die Gespräche eingebunden gewesen zu sein wie
kritische 
Konsumentenschutzverbände oder NGOs. Und das obwohl das Papier die
Wichtigkeit der 
Einbeziehung aller "Stakeholder" betont.

Als Prioritäten beziehungsweise Zielsetzungen der künftigen
Biotechnologieforschung wurden 
drei Punkte genannt:

 Erzeugung erschwinglicher, gesunder und qualitativ hochwertiger
Lebensmittel, Förderung von 
Umweltverträglichkeit und nachhaltiger Landwirtschaft sowie Stärkung der
Wettbewerbsfähigkeit 
der europäischen Landwirtschaft, Industrie und Forstwirtschaft.

Das federführende Personenkomitee beklagt den Rückstand der Union gegenüber
den USA. 
Während Biotech-Firmen in den USA Millionen 650 Millionen Euro pro Jahr in
Forschung und 
Entwicklung investieren würden, geben ihre europäischen Pendants nur 400
Millionen Euro aus. 
"Letztes Jahr hat die amerikanische Regierung eine nationale
Pflanzengenom-Initiative auf den 
Weg gebracht, die für die Jahre 2003-2008 mit einem Gesamtbudget von 1,1
Milliarden Euro 
ausgestattet ist. In der EU-15 wurden schätzungsweise etwa 80 Millionen
jährlich hierfür zur 
Verfügung gestellt", so Busquin. Die Expertengruppe veranschlagt einen
Finanzbedarf von 45 
Milliarden EUR in den nächsten zehn Jahren, um die formulierten
strategischen Ziele in der 
Biotechnologie zu erreichen:

 Developing and implementing a pertinent long-term research agenda based on
the identification 
of the priorities of the sector and of European citizens. We estimate that
public and private 
funding - at EU, national and regional level - will have to exceed EUR45
billion over the next ten 
years if Europe is to remain competitive.

Begründet wird die Notwendigkeit von Biotechnologie respektive GVOs mit
üblichen Argumenten 
wie etwa Absicherung der Lebensmittelversorgung für die anwachsende
Weltbevölkerung. 
Interessant ist, dass auch die Klimaveränderung beziehungsweise die
Klimaerwärmung als 
Begründung herangezogen wird. Dazu soll insbesondere die Forschung zur
Entwicklung 
stressresistenter Pflanzen intensiviert werden:

 Neue stressunempfindliche Pflanzen werden die landwirtschaftliche
Produktivität trotz 
saisonaler Schwankungen und Klimaveränderungen erhöhen und dabei noch
weniger Dünger, 
Pestizide und Wasser benötigen.

Mögliche Risiken für Gesundheit und Umwelt werden in dem Papier nur kurz
angesprochen. 
Demgegenüber wird aber immer das riesige Potenzial, das die Biotechnologie
für das 
Wohlergehen der Menschheit eröffnen würde, hervorgestrichen. Immerhin ist
man sich 
zumindest des Koexistenz-Problems bewusst und sieht eine Lösung u.a. in der
Entwicklung von 
Sterilisationsmechanismen, die eine unerwünschte Ausbreitung von
gentechnisch veränderten 
Pflanzen unterbinden könnte.

 To ensure consumer and farmer choice, GM, conventional and organic crops
will need to exist 
side by side. This can be achieved in a number of ways, such as applying
appropriate 
agricultural practices and cultivating GM plants containing biological
characteristics that reduce 
gene flow. These include engineering cleistogamy (which prevents plants from
pollinating) or 
cytoplasmic male sterility into 'specialty' crops so that they retain the
purity of their special 
features without running the risk of mixing with other plants.

Überwiegend liest sich der EU-Bericht wie eine Werbebroschüre der
Biotech-Industrie und so ist 
es kaum verwunderlich, dass sich die europäische Biotechnologie-Vereinigung
EuropaBio 
postwendend zu Wort meldete und die Entscheidung der Kommission als
"wichtiges Signal" 
begrüßte. "Der Einsatz der Biotechnologie zur Herstellung von Biomasse,
Bioenergie, Bio-
Kunststoffen und Bio-Textilien aus pflanzlichen Produkten kann die
Landwirtschaft 
revolutionieren. Nicht nur Lebens- und Futtermittel werden die Bauern
herstellen. Pflanzen 
werden die Quelle für Brennstoffe, organisch verderblichen Kunststoffen,
umweltfreundliche 
Reinigungsmitteln und Arzneimittel sein", [External Link] erklärte Feike
Sijbesma, Vorstandschef 
von EuropaBio und Mitglied in dem Personenkomitee, welches diese EU-Vision
entwickelte.

Dass bei der überwiegend kritischen Haltung in der europäischen Bevölkerung
noch einiges an 
Überzeugungsarbeit zugunsten der EU-Biotech-Visionen geleistet werden muss,
scheint auch 
dem EU-Kommissar klar zu sein. Immerhin lautet ein wesentlicher Punkt auf
der Agenda: 
"Förderung des gesellschaftlichen Konsens durch gegenseitiges Verständnis
und 
Kommunikation." 
 



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