[Gen-Streitfall] Ein Ihnen empfohlener Artikel aus der jungen Welt vom 15.04.2004

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Fr Apr 16 00:18:48 CEST 2004


LiebeR gen-streitfall,
dieser Artikel aus der jungen Welt vom 15.04.2004 wird Ihnen empfohlen von Hanni.

Manipulierte Schokoriegel
Gen-Food-Kennzeichnung suggeriert Sicherheit, die nicht gegeben ist
                           Klaus Schramm

Am 18. April treten die Vorschriften der Europaeischen Union ueber genetisch veraenderte Lebensmittel und Futtermittel (EU-Verordnung Nr. 1829/ 2003) und ueber die Rueckverfolgbarkeit und Kennzeichnung von GVO (EU-Verordnung Nr. 1830/ 2003) in Kraft. Selbst aus den Reihen der SPD wird "mit Sorge gesehen", dass es hierzu in Deutschland noch keine Durchfuehrungsvorschriften und kein zentrales Register gibt. Dabei war das Gentechnikgesetz von Landwirtschafts- und Verbraucherministerin Renate Kuenast bereits fuer September 2003 angekuendigt.



Was haben die EU-Verordnungen mit dem Gentechnikgesetz zu tun? Mit deren Inkrafttreten sollen die Verbraucher angeblich endlich die Wahl haben zwischen gentechnikfreien Nahrungsmitteln und Gen-Food – das sie mehrheitlich gar nicht wollen. Gen-Food muss gekennzeichnet werden, und diese Kennzeichnung soll durch die Rueckverfolgbarkeit "vom Supermarktregal bis zurueck zum Acker" nachvollziehbar sein. Zweck dieses Manoevers ist allerdings nicht die Beglueckung der Verbraucher, sondern der Fall des noch zu Zeiten der Kohl-Regierung auf EU-Ebene beschlossenen Genmoratoriums, eines Anbaustopps fuer gentechnisch manipulierte Pflanzen.



Es wird damit argumentiert, muendige Buerger koennten nunmehr per "Abstimmung mit dem Einkaufskorb" selbst entscheiden, was nachgefragt – ergo: was auf dem Acker angebaut – wird. Damit koenne nun also das seit sechs Jahren bestehende Genmoratorium fallen und den Gentech-Konzernen Bayer, Monsanto oder Syngenta die Zulassungen fuer den kommerziellen Anbau ihrer Genpflanzen erteilt werden. Mit dem Gentechnikgesetz soll dabei gewaehrleistet werden, dass ein Nebeneinander von Genpflanzen auf dem einen Feld und konventionell oder biologisch angebauten Pflanzen auf dem anderen Feld, die sogenannte Koexistenz, auch in der Praxis funktioniert. 



Nun hat sich jedoch immer mehr herumgesprochen, dass diese "Koexistenz" wegen Pollenfluges und unvermeidlicher Vermischung in Erntemaschinen und bei der Lagerung nicht funktionieren kann. Wie die Beispiele  USA und Kanada zeigen, sind die gentechnischen Veraenderungen der Gen-Pflanzen in kurzer Zeit ueberall zu finden. Damit ist es dann auch nach wenigen Jahren mit der Wahlfreiheit im Supermarkt zu Ende, denn nach und nach muessten alle Nahrungsmittel mit dem Label "Enthaelt genveraenderte Bestandteile" verziert werden.



Tatsaechlich jedoch faellt das Genmoratorium am 18. April noch nicht. Da es sich bei dem Moratorium de facto um einen Anbaustop handelt, wird es erst mit der Zulassung einer Genpflanze fuer den kommerziellen Anbau aufgehoben. Worum es den Gegnern der Gentechnik also wirklich gehen muss, ist nicht die mehr oder weniger strenge Ausgestaltung des Gentechnikgesetzes, sondern der Erhalt des Genmoratoriums. 



Ebenso irrig wie die Annahme mit einem wie auch immer gearteten Gentechnikgesetz koenne eine "Koexistenz" auf den Aeckern gewaehrleistet werden, ist ein Hoffen auf positive Wirkungen der Kennzeichnung. "Das Kleingedruckte koennte den Alptraum der Gentech-Industrie wahr machen und dafuer sorgen, dass der Anbau von Gentech-Pflanzen deutlich zurueckgeht", meint Doris Tropper, stellvertretende Vorsitzende des BUND (Bund fuer Umwelt- und Naturschutz Deutschland). Tatsaechlich aber werden kuenstlich niedrig gehaltene Preise die knapp 30 Prozent der Verbraucher, denen genmanipulierte Bestandteile in ihrer Nahrung gleichgueltig sind, zum Kauf von Gen-Food verlocken. Ein heute in Europa nicht vorhandener Anbau von Genpflanzen wird also nicht "deutlich zurueckgehen", sondern im Gegenteil: Er wird beginnen und so seinen Absatzmarkt finden. 



Zudem gibt es bereits heute einen Absatzmarkt beispielsweise fuer Gensoja aus Brasilien, das in Europa als Tierfutter eingesetzt werden darf. Zu Recht weist der BUND darauf hin, dass bestimmte Gentech-Lebensmittel nicht gekennzeichnet werden muessen: Fleisch, Milch, Kaese, Joghurt, Eier und andere Produkte von Tieren, die mit genmanipulierten Futtermitteln gemaestet wurden. Faellt das Genmoratorium, koennen diese Futtermittel in Europa angebaut werden, gleichgueltig welche Schokoriegel in die Einkaufskoerbe wandern. 80 bis 90 Prozent aller weltweit angebauten Gen-Pflanzen werden als Tierfutter eingesetzt. Entsprechend gering ist der Einfluss einer "Abstimmung mit dem Einkaufskorb".



Aber es waechst der Widerstand. Und wenngleich sich die grossen Umweltverbaende wie BUND, Greenpeace, NABU oder WWF noch immer auf das  Gentechnik-Gesetz konzentrieren, statt sich fuer den Erhalt des Genmoratoriums einzusetzen, haben sich eine ganze Reihe kleinerer Verbaende zusammengeschlossen, um am Sonntag, 18. April, in Stuttgart eine Grossdemonstration auf die Beine zu stellen. Motto: "Wir bleiben sauber – Keine Gentechnik in der Landwirtschaft und in den Lebensmitteln". Und im Aufruf ist unmissverstaendlich formuliert: "Bienen, Insekten und Pollen machen an den Feldgrenzen nicht halt. Ist die Gentechnik erst einmal auf unseren Feldern, ist dieser Weg nicht mehr umkehrbar. Ein Nebeneinander in Koexistenz ist nicht moeglich!"	



* Stuttgart, 18. April:  Die Demonstration beginnt um 11 Uhr am Marienplatz, und eine Kundgebung ist fuer 13.30 Uhr am Schlossplatz vorgesehen. Weitere Infos: www.keine-gentechnik.de


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