[Gen-Info] (Fwd) [SB] Rücktritte beim britischen Gentechnik-Lenkungsauss
klausjschramm at t-online.de
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Fr Jun 11 14:17:22 CEST 2010
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Schattenblick -> INFOPOOL -> UMWELT -> REDAKTION | GENTECHNIK/285
Großbritannien
Dialog mit der Öffentlichkeit nur Feigenblatt?
Zwei Mitglieder von britischem Gentechnik-Lenkungsausschuss sind aus
Ärger über große Industrienähe des Ausschusses zurückgetreten
Die Industrialisierung der Landwirtschaft hat den weltweiten Hunger
nicht
beseitigt. Das war auch niemals ihre Funktion. Durch die
Produktivitätssteigerung erlangte zwar ein Teil der Menschheit
Ernährungssicherheit, ein anderer Teil hingegen wurde ausgegrenzt.
Die
Zahl der Hungernden nimmt weltweit zu, und es sind ausgerechnet die
Landbewohner, die häufig nicht genügend zu essen haben. Wenn nun
Lobbyisten der Biotechindustrie behaupten, dass die von ihr
eingesetzten
mikrobiologischen Zuchtverfahren, die auch als Grüne Gentechnik
bezeichnet werden, unverzichtbar bei der Bekämpfung des Hungers in
der
Welt sind, dann handelt es sich um eine Verschleierung des
Grundverhältnisses von Bauern zur übrigen Gesellschaft. Mit dem
Versprechen auf höhere Erträge wird davon abgelenkt, dass eine
Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität keineswegs mit
einer
Umverteilung der Erträge unter den Bedürftigen einhergeht. Wie in
allen
anderen Branchen des akkumulationsgetriebenen Wirtschaftssystems hebt
auch
die Agroindustrie darauf ab, den von den Landarbeitern produzierten
Mehrwert abzugreifen, und das vorgegebene politische System, das
diese
Ausbeutung absichert, steht nicht dafür gerade, dass alle Menschen
ausreichend versorgt werden. Wie sonst wäre zu erklären, dass mehr
als
eine Milliarde Menschen nicht genügend zu essen haben?
Seit eineinhalb bis zwei Jahrzehnten werden in der agroindustriellen
Züchtung sogenannte gentechnische Verfahren verwendet und ihre
Produkte
kommerziell vertrieben. Obgleich auch traditionelle Züchtungen
bereits
dem Sortenschutzgesetz unterliegen und die Bauern, die früher sehr
viel
mehr Eigenständigkeit besaßen, als sie selber züchteten, Gebühren an
die Konzerne entrichten müssen, hat die Grüne Gentechnik diese
Entwicklung zur größeren Abhängigkeit der Bauern noch forciert,
sodass
die Verfügungsgewalt über die Nahrungsproduktion weiter denn je von
den
Erzeugern auf die Konzerne übertragen wurde. Bauern sind kaum etwas
anderes als Angestellte der Agroindustrie.
Was einstmals Schwert und Lanze der Soldaten war, die der König
aussandte, damit sie die Ernte der Bauern abgriffen, bewirkt heute
ein
kompliziertes Handels- und Rechtssystem. Dass wiederum manche Bauern
von
diesem System ganz gut profitieren und die Branche mehrheitlich auch
gar
nicht zu den alten Raub- und Tributsystemen feudaler Zeiten
zurückkehren
will, versteht sich von selbst, ist aber vor allem dem Umstand
zuzuschreiben, dass die Vergesellschaftung vorangeschritten ist und
verinnerlicht wurde, sodass jedes Mitglied, sei es Bauer, Arbeiter,
Angestellter oder Unternehmer, eine Umkehr zu einem früheren Stand
als
unangenehm, ablehnenswert oder gar bedrohlich empfindet.
Diesem Empfinden soll hier keineswegs widersprochen werden. Das
bedeutet
jedoch nicht, dass die Entwicklungen, die sich durch einen Blick nach
vorn
erschließen, deshalb ungenannt und unhinterfragt bleiben müssen. Und
da
wird erkennbar, dass die Grüne Gentechnik die Speerspitze der
Innovationen im landwirtschaftlichen Anbau, durch die Konzerne ihre
Kontrolle über die Nahrungsproduktion ausbauen, bildet. Organisiert
wird
dies von den Regierungen, die es in der Hand haben zu entscheiden,
auf
welche Weise Nahrung hergestellt und verteilt wird.
Nun sind Regierungen aus sich heraus genauso wie Unternehmen an einer
Qualifizierung der Verfügungsgewalt interessiert, da dies ihre
Position
stärkt. Politik und Wirtschaft gehen zwar nicht überall und zu jeder
Zeit konform, es besteht aber in vielen Bereichen eine
Interessenähnlichkeit. Die kann so weit gehen, dass Unternehmen ihnen
zum
Vorteil gereichende Konzepte erarbeiten, die von den Regierungen ohne
Abstriche übernommen und in Gesetze gegossen werden.
Ein aktueller Vorgang aus Großbritannien zeigt, wie etwas sehr
Ähnliches
im Bereich der Grünen Gentechnik praktiziert wurde. Die britische
Sonntagszeitung "The Observer" [1] berichtete unter Berufung auf von
ihr
eingesehene Emails, dass der Industrieinteressen repräsentierende
Agricultural Biotechnology Council (ABC) Ideen und Textpassagen in
den
Bericht "Food Standards Agency work on changes in the market and the
GM
regulatory system" der FSA (Food Standards Agency) eingebracht hat.
Eigentlich ist es Aufgabe dieser britischen Behörde, die Wirtschaft
zu
beaufsichtigen, sodass sich der Verdacht aufdrängt, dass zumindest
partiell die Wirtschaft (ABC vertritt unter anderem Monsanto und
Bayer)
die Politik bestimmt. Das ist insofern besonders brisant, als dass
sich zu
einem gewissen Ausmaß die Geschichte wiederholt. Bereits in den
neunziger
Jahren war aufgeflogen, dass Großbritannien bzw. die Labour-
Regierung,
von der mehrere Mitglieder mit der Biotechindustrie finanziell
verbunden
war, dem US-Agrokonzern Monsanto als Brückenkopf für die heimliche
Einführung der umstrittenen Grünen Gentechnik in die Europäische
Union
dienen sollte. Als ein Schreiben, aus dem dies hervorging, an die
Öffentlichkeit gelangte, verlieh das der Anti-Gentechnik-Bewegung
einen
kräftigen Schub. Der trug nicht unwesentlich dazu bei, dass sich die
Europäische Union zunächst vollständig gegen die Gentechnik in der
Landwirtschaft ausgesprochen und inzwischen relativ strenge Auflagen
bzw.
Verbote im Umgang mit GVO (gentechnisch veränderten Organismen)
erlassen
hat.
Wegen der nun bekanntgewordenen Zusammenarbeit zwischen
Industrieverband
und FSA haben binnen kurzer Zeit zwei Berater ihren Rücktritt
eingereicht. Der Report der FSA, die von dem früheren Labour-
Arbeitsminister Lord Rooker - ein strammer Gentechnikbefürworter -
geleitet wird, handelt unter anderem davon, wie gentechnisch
veränderte
Pflanzen, die in Großbritannien nicht angebaut werden dürfen, über
Futtermittel ins Land gelangen könnten. Die Autoren des Reports
warnen,
dass die Lebensmittelpreise steigen würden, sollten GM-Produkte
weiterhin
ausgeschlossen werden.
Der laut dem "Observer" rege Emailverkehr fand im Zeitraum 2008 bis
zur
Veröffentlichung des Reports im August 2009 zwischen dem
Industrieverband
und Dr. Clair Baynton statt. Sie war damals bei der FSA für Novel
Foods
verantwortlich und ist eine ehemalige Angestellte des Biotechkonzerns
Syngenta. Am 19. November 2008 schickte Baynton einen Entwurf des
Reports
an ABC und schrieb, dass sie ihn gern diskutieren würde, wenn es
nützlich sei. In der Antwort darauf schlugen die Vertreter der
Agroindustrie eine Reihe von Korrekturen vor, mit denen pauschal die
zunehmende Bedeutung von GM-Nahrung für die weltweite Landwirtschaft
und
für die Senkung der Lebensmittelpreise betont wurde. Einige
Vorschläge
wurden von der FSA nicht angenommen, andere hingegen schon.
Beispielsweise
das Argument, dass die Europäische Union GM-Nahrung auf Dauer nicht
werde
vermeiden können, weil es sie überall in der Welt gibt. Händler
sorgten
sich, da sie ihre heutigen gentechnikfreien Versorgungsschiene nicht
beibehalten könnten, da die GM-Technologie weltweit angenommen werde.
Außerdem sandte der Biotechindustrieverband der FSA eine Liste mit
Personen zu, die er gern in einem Lenkungsausschuss für die
(Pseudo-)Beteiligung der Öffentlichkeit an der Gentechnikdebatte im
Rahmen der Initiative "public engagement exercise" sähe. Der
"Observer"
schreibt allerdings nichts darüber, ob die FSA die Vorschläge
übernommen hat oder nicht. Die Zeitung erklärt, dass diese
Dialog-Initiative den Steuerzahler in diesem Monat 500.000 brit.
Pfund
(605.201 Euro) kostet und als ziemlich herabgewirtschaftet angesehen
wird.
So hat die FSA nach dem Rücktritt zweier Mitglieder des elfköpfigen
Lenkungsausschusses bei der Regierung angefragt, ob sie mit den
öffentlichen Anhörungen fortfahren solle oder nicht. Außerdem wurde
die
FSA von der Labour-Partei gegründet, die unterdessen von einer
konservativ-liberalen Koalition abgelöst wurde. Auch das wirft die
Frage
nach der Fortsetzung auf. Bleibt der Lenkungsausschuss erhalten, soll
er
nach einer Organisation suchen, die den Dialog mit der Öffentlichkeit
über die Grüne Gentechnik führt, und dem FSA-Vorstand einen
entsprechenden Vorschlag unterbreiten. Dieser wird dann bei der
Regierung
anfragen, ob der Dialog fortgesetzt werden soll. Ein komplizierter
Vorgang, um den Anschein von Bürgerbeteiligung an der Gesetzgebung zu
erwecken ...
Im vergangenen Monat waren Dr. Helen Wallace, Direktorin der
wissenschaftlich orientierten Anti-Gentech-Gruppe Genewatch UK, und
der
stellvertretende Vorsitzende des Lenkungsausschusses, Professor Brian
Wynne, zurückgetreten. Letzterer begründete seinen Schritt damit,
dass
die FSA eine "dogmatisch festgefahrene" Pro-GM-Haltung eingenommen
habe.
Und laut Wallace handelt die FSA als Marionette der GM-Industrie, um
den
Zugang zur Versorgung mit gentechnikfreier Nahrung in Großbritannien
zu
unterminieren. [2]
Die Biotechnologie ist ein typisches Beispiel für den sogenannten
Drehtüreffekt: Personen aus der Wirtschaft wechseln in die Regierung
und
umgekehrt. Manchmal mehrmals hintereinander. Das gilt unter anderem
für
Deutschland, die USA und Großbritannien. Der Drehtüreffekt per se
muss
nicht zwangsläufig bedeuten, dass sich eine Regierung den
Wirtschaftsinteressen verschreibt, aber der Verdacht liegt nahe, dass
das
nicht vermieden werden kann. Aus der Sicht eines Politikers oder
wissenschaftlichen Regierungsberaters erscheint es womöglich
vernünftig,
sich an die Kolleginnen oder Kollegen von früher zu wenden. Aus der
Sicht
großer gesellschaftlicher Bereiche hingegen, die gentechnisch
veränderte
Lebensmittel ablehnen und keinen direkten Draht zur Regierung haben,
muss
dies wie der Versuch einer unzulässigen Einflussnahme wirken.
Wie eingangs dargelegt, reicht die Einflussnahme viel weiter.
Wirtschaft
und Politik arbeiten in vielen Fällen Hand in Hand und positionieren
sich
somit den Konsumenten gegenüber. Wer die Nahrung kontrolliert,
kontrolliert die Menschen - diese uralte Herrschaftsweisheit findet
in der
Grünen Gentechnik ein wirksames Instrument. Jahrtausende haben Bauern
ihre Saat weitergezüchtet, heute könnten sie dafür ins Gefängnis
geworfen werden. Denn beim GM-Anbau werden sie einem strengen
Lizenzsystem
unterworfen und sind gezwungen, Jahr für Jahr Abgaben an die
Agrokonzerne
zu entrichten. Schwert und Lanze von einst wurden durch den
Paragraphenschlüssel und die Drohung mit dem Zellenschlüssel ersetzt.
*
Anmerkungen:
[1] "GM lobby helped draw up crucial report on Britain's food
supplies",
The Observer, 6. Juni 2010
www.guardian.co.uk/environment/2010/jun/06/gm-crops-biotech-lobbyists-
fsa
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[2] "Academic resigns from UK food watchdog over 'GM propaganda'",
The
Guardian, 2. Juni 2010
www.guardian.co.uk/environment/2010/jun/02/gm-food-public-dialogue
9. Juni 2010
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