[Gen-Info] Protest-Camp und teilweise Entschärfung eines Genmais-Felds in Ostbrandenburg

Klaus Schramm 078222664-0001 at t-online.de
Di Jul 24 16:00:35 CEST 2007


23.07.2007 

                           Protest-Camp 
                   und teilweise Entschärfung 
               eines Genmais-Felds in Ostbrandenburg 

      Geringe Teilnahme stellt Frage nach Weiterentwicklung des
      Aktionsform 

      Das Wetter hatte sich am Sonntag überraschend verschlechtert - doch
      dies kann nicht der Grund für die mit 400 bis 500 recht geringe Zahl von
      TeilnehmerInnen am "gentechnikfreien Wochenende" sein. Das
      Aktionsbündnis 'Gendreck-weg' hatte für die Zeit vom 19. bis 22. Juli
      nach Ostbrandenburg in den Ort Neuwustrow in der Nähe der
      Kleinstadt Wriezen eingeladen. Zu der gestern mit mehr oder weniger
      Erfolg versuchten "freiwilligen Feldbefreiung" haben sich nach eigenen
      Angaben über 400 Menschen - nach unvoreingenommenen ZeugInnen
      250 bis 300 Menschen - auf den Weg gemacht. Nur wenige kamen auf
      die Genmais-Felder. Und von insgesamt 70 Hektar konnten - nach
      verschiedenen Angaben - zwischen einigen hundert Quadratmetern
      und eineinhalb Hektar entschärft werden. 

      "Wer Genmais sät - wird Widerstand ernten" stand als martialischer
      Spruch auf einem der Transparente zu lesen. Daß dies zwar für
      Frankreich sicherlich realistisch1, mit Blick auf den in Deutschland
      jedoch auch heute noch weit verbreiteten preußischen Untertanengeist
      ein wenig übermütig klingt, hat dieses Wochenende leider bestätigt. Der
      Protest der aus ganz Deutschland angereisten AktivistInnen zeigte sich
      gewaltfrei und entschlossen - der mit rund 570 BeamtInnen relativ
      bescheiden vertretenen Staatsmacht im Auftrag des
      Monsanto-Konzerns konnte er jedoch wenig entgegensetzen.
      Gewaltsame Aktionen hätten vermutlich noch weniger erreicht und
      zudem die Sympathie einer der Gentechnik ablehnend aber zugleich
      lethargisch gegenüberstehenden Bevölkerungsmehrheit verspielt. 

      Der Sonntag morgen begann für viele der Anti-GMO-AktivistInnen
      bereits mit einem frustrierenden Gottesdienst, dessen Predigt die vom
      Himmel herabstürzenden Regenmassen kongenial ergänzte. Das alte
      Kirchlein von Altreetz ist recht hübsch, und der evangelische Pfarrer
      Matthias Mieke zeigte zunächst viel Verständnis für "möglichen
      Gefahren", die der "Schöpfung" drohen. Doch zum Ende seiner Predigt
      war die Ablehnung von "Feldzerstörungen" ebenso klar wie das Amen
      in der Kirche. 

      Bei der Demo am Mittag konnten dann einige an der Polizei vorbei
      durch knöcheltiefen Schlamm auf die Genmais-Felder gelangen.
      Eineinhalb Hektar seien dabei "befreit" worden, teilten die InitiatorInnen
      mit. 

      In einem Rundschreiben von 'Gendreck-weg' hatte es noch am 16. Juli
      geheißen: "Die Polizei erwartet bis zu 1000 Teilnehmerinnen und
      Teilnehmer." Die 'junge welt' schreibt heute in einem wohlwollenden
      Bericht von insgesamt "über 400" TeilnehmerInnen, von denen "bis zu
      50" AktivistInnen aufs Feld gelangt seien. 

      Die Polizei nahm rund 30 AktivistInnen in Gewahrsam. Darunter befindet
      sich auch Michael Grolm, Berufsimker und einer der Initiatoren von
      'Gendreck-weg'. Ihm droht eine Geldstrafe, ersatzweise eine Haftstrafe.
      Grolm hatte bereits vor der Aktion erklärt, daß er trotz Strafandrohung
      selbst an der "Feldbefreiung" teilnehmen wolle. Die Gefährdung durch
      den Genmais wiege so schwer, "daß ich für die Abwendung dieser
      Katastrophe sogar ins Gefängnis gehen würde." 

      In den verangegangenen Wochen hatte Monsanto sogenannte
      Unterlassungserklärungen an einige AktivistInnen der Kampagne
      'Gendreck-weg' versendet. Darin wurden die Angeschriebenen
      aufgefordert, sich unter Androhung von gewaltigen Beträgen für
      Schadenersatz selbst zu verpflichten, die Genmais-Felder nicht zu
      betreten. Wie sich herausstellte, wußten die betreffenden
      LandwirtInnen, in deren Name Monsanto die Briefe schrieb, offenbar gar
      nichts von dem Vorgehen. "Wir haben letzte Woche mit den Bauern
      gesprochen, um ihnen zu sagen, daß wir sie nicht persönlich schädigen
      wollen, sondern gegen die Gentechnik an sich ein Zeichen setzen
      wollen", erklärte 'Gendreck-weg'-Initiatorin Jutta Sundermann. Dabei
      habe sich herausgestellt, daß sie die rechtlichen Schritte gar nicht
      veranlaßt und von ihnen auch nichts gewußt hatten. 

      Den Gentech-GegnerInnen lag viel daran, mit "KollegInnen" aus der
      Landwirtschaft ins Gespräch zu kommen und die eigene Position
      verständlich zu machen. Am Samstagabend luden sie sämtliche
      AnwohnerInnen zu einem gentechnikfreien Abendessen ein. Auch die
      Tage zuvor gingen AktivistInnen mit Musik und Informationen von Haus
      zu Haus, um mit ihren "Nachbarn auf Zeit" ins Gespräch zu kommen.
      "Wir wollen keinem schaden, schon gar nicht Bauern, von denen viele
      auch Teil unserer Bewegung sind", betonte Sundermann. Daß am
      Freitag Unbekannte ein Plakat der Gentech-GegnerInnen zerstörten, sei
      eine Ausnahme gewesen - im Allgemeinen sei man auch hier vor Ort auf
      viel Verständnis für die Proteste gestoßen. 

      Bei den Lesungen und Diskussionsveranstaltungen, die zwischen dem
      19. und 22. Juli im Protest-Camp stattfanden, hatte ein Bewohner von
      von Neumädewitz großen Applaus bekommen. Er hatte angekündigt,
      einem Genmais-Anbauer, dem er Land verpachtet hat, den Pachtvertrag
      zu kündigen. Zugleich wurde allerdings sichtbar, welche Illusionen
      immer noch verbreitet sind: So forderten die "FeldbefreierInnen", daß
      "die Politik endlich handelt". Nachdem große Teile der
      Anti-Gentech-Bewegung in den letzten Jahren das Gentechnik-Gesetz
      von "Rot-Grün" als positiv eingeschätzt hatten, fällt es ihnen
      zunehmend schwer, den Nachfolger von Renate Künast, Horst
      Seehofer zu kritisieren. Seehofer schwenkte seit Beginn 2007 von
      einem offen pro Gentech orientierten Kurs auf die von Künast verfolgte
      "Koexistenz"-Strategie um und bietet so kaum mehr Angriffsfläche für
      Argumente. 

      Mit der Vergrößerung der Abstandsvorgaben gegenüber dem
      Künastschen Gentechnikgesetz kann Seehofer nun sogar damit
      werben, der Anbau von Gen-Mais sei nunmehr in Bayern und
      Baden-Württemberg mit seiner kleinteiligen Landwirtschaft praktisch
      unmöglich. Für Monsanto jedoch ist dieser Kurs Seehofers der
      vorteilshafteste: In den Bundesländern mit dem virulentesten
      Widerstand gegen Gentechnik wie Bayern und Baden-Württemberg
      können sich die Gemüter beruhigen. In Brandenburg und
      Mecklenburg-Vorpommern jedoch hat Monsanto den Fuß in der Tür.
      Das Ziel, mit Hilfe von Gen-Kontamination die gentechnik-freie
      Landwirtschaft nach und nach zu zerstören, kann Monsanto so
      erreichen. 

      Um so deutlicher wird die Notwendigkeit, einen breiten öffentlichen
      Widerstand gegen das Vorrücken der Agro-Gentechnik zu organisieren.
      Die geringe Teilnahme an der 'Gendreck-weg'-Aktion vom Wochenende
      wirft die Frage auf, wie gewaltfreie Aktionsformen weiterentwickelt
      werden können. Statt zu Aktionen an weit abgelegenen Orten
      aufzurufen, die für viele mehr als einen Tag für An- und Abreise
      erfordern, könnte beispielsweise eine Molkerei in Nordrhein-Westfalen
      besetzt werden, die Gen-Milch zu Joghurt weiterverarbeitet. Viel zu
      wenig ist bekannt, daß ein großer Teil des Joghurts, der in
      Supermärkten verkauft ist, aus Gen-Milch hergestellt wird - und nicht
      gekennzeichnet werden muß. 

      Denkbar wären auch Aktionen in Supermärkten, wo solche nicht
      gekennzeichneten Produkte verkauft werden. Wichtig wäre auch, diese
      Aktionen so zu gestalten, daß die Hemmschwelle, sich daran zu
      beteiligen, möglichst niedrig liegt. Alles, was als "Zerstörung"       
diffamiert
      werden kann, sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Blockaden
      sind bei Supermärkten sehr effektiv. Das Ausräumen von Regalen und
      die Übergabe von Produkten bei der Polizei könnte Fotos für die Medien
      liefern, die damit als unfreiwillig Werbeträger dienen. Vielfältige
      Aktionsformen bieten die Chance, herauszufinden, unter welchen
      Bedingungen der deutsche Untertanengeist am effektivsten exorziert
      werden kann. 


REGENBOGEN NACHRICHTEN        


      Anmerkungen 

      1 Siehe hierzu auch unsere Artikel: 

            Zwei neuartige gewaltfreie Mäh-Aktionen in Frankreich 
            Aktionen gegen Gen-Versuchsfelder wurden zuvor angekündigt
            (22.08.04) 

            "Koexistenz" stellt sich immer klarer als Illusion heraus 
            Gen-Moratorium gefordert (13.07.06) 




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