[Gen-Info] Eckpunktepapier Gentechnik: Vom Ende der Koexistenz

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Fr Mär 23 21:12:43 CET 2007


Hallo Leute!

Hier ein Artikel aus der online-Zeitung 'telepolis'.

Ciao
   Klaus Schramm
   klaus.schramm at bund.net

22.03.2007

Eckpunktepapier Gentechnik: Vom Ende der Koexistenz

Albrecht Kieser 

Mit fast einjähriger Verspätung hat das Bundeskabinett Ende Februar das 
Eckpunktepapier zur Gentechnik vorgelegt, das überraschende Einsichten bereit 
hält

Die agrarische Gentechnik birgt Risiken. In [extern] Studien der britischen 
Regierung wurde nachgewiesen, dass die Artenvielfalt zurückgeht, weil 
gentechnisch manipulierte Superpflanzen sich im Wege der natürlichen Auslese 
gegen verschiedene artgleiche Konkurrenten durchsetzen. Es gibt auch Hinweise 
auf gesundheitliche Belastungen und mitunter erhöhte Todesraten von 
Kleinlebewesen bis hin zu [extern] Versuchsratten, die in Kontakt mit 
gentechnisch veränderten Organismen, sogenannten GVO, geraten oder damit 
gefüttert werden. GVO in Futter- und Lebensmitteln können auch neue allergene 
Potentiale für Tiere und Menschen [extern] enthalten. Nur ein schwacher Trost 
angesichts diverser, meist noch ungeklärter Risiken ist, dass GVO-haltige 
Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen, damit der Verbraucher selbst 
entscheiden kann, ob er da hineinbeißen möchte. 70%, so die Umfragen, wollen 
nicht.

Das [extern] Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Gentechnik, das Ende 
Februar verabschiedet wurde und die Richtung der künftigen 
Gentechnikgesetzgebung vorgeben soll, will bestimmte Schutzmaßnahmen einführen 
([local] Mangelnder Abstand). Sie sollen den gentechnisch veränderten Pflanzen 
klar umgrenzte und deshalb kontrollierbare und beherrschbare Räume bzw. Flächen 
zuweisen und verhindern, dass die Umwelt ungewollt von gentechnisch veränderten 
Organismen kontaminiert wird. Lange Monate wurde um diese Schutzmaßnahmen 
gerungen -- was jetzt herausgekommen ist, soll die sogenannte Koexistenz möglich 
zu machen, d.h., dass gleichberechtigt und unbeeinflusst gentechnisch freies und 
gentechnisch verändertes Leben nebeneinander existiert.

Ganz banal geht es bei der angestrebten Sicherung der Koexistenz um 
Abstandsflächen zwischen GVO-Äckern und dem Rest. Denn der Wind sorgt 
bekanntlich für die Bestäubung vieler Pflanzen und trägt den Pollen viele 
hundert Meter weit. Überraschend im Eckpunktepapier, dass der bisher von 
Saatgutindustrie und sonstigen Gentechnikbefürwortern für ausreichend erklärte 
Abstand von 20 Metern versiebenfacht wurde. 150 Meter Abstand zum Nachbarn soll 
ein Landwirt einhalten, der auf seinem Acker GVO-Mais aussät, die bisher einzige 
gentechnisch veränderte Pflanze, die für den gewerblichen Anbau zugelassen 
wurde. Mehr als 150 Meter könne der Wind den Maispollen nicht transportieren, 
sagt die Bundesregierung. Andere europäische Länder halten allerdings 200 Meter 
Mindestabstand für geboten, Portugal, Polen und Lettland zum Beispiel. Luxemburg 
findet, 800 Meter müssten es schon sein. Saatguthersteller [extern] empfehlen 
Landwirten, ihre Maisäcker im Abstand von drei Kilometern zu solchen Mais
feldern anzulegen, von denen ihre Pflanzen nicht fremdbestäubt werden sollen.

Ob die Bundesregierung mit ihrem Eckpunktepapier also einen ausreichenden 
Sicherheitsabstand festgelegt hat, um eine Koexistenz zu gewährleisten, darf 
bezweifelt werden. Und es darf zudem bezweifelt werden, ob das Ziel der 
Koexistenz überhaupt noch Gültigkeit hat. Das Eckpunktepapier jedenfalls fordert 
zuallererst Maßnahmen zur umfassenden Förderung der Gentechnik. Dazu will das 
federführende [extern] Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und 
Verbraucherschutz "Verfahrenserleichterungen" bei der Genehmigung von Labor- und 
Freilandforschung durchsetzen. Besonders soll die "Forschungsfreisetzung von GVO 
deutlich erleichtert" werden, vermutlich ist damit gemeint, das Einspruchsrecht 
gegen solche Freisetzungen zu erschweren, denn es sorgt immer wieder für 
öffentliche Debatten und für Antragsverzögerungen.

Horst Seehofer, dessen bayerischer Wahlkreis sich zur [extern] gentechnikfreien 
Region erklärt hat, will außerdem europarechtliche Regelungen zur Kennzeichnung 
kontaminierter Ernte außer Kraft setzen: Wenn die Ernte von Landwirten, deren 
Äcker neben gentechnischen Versuchsfeldern liegen, verunreinigt wird, soll diese 
Ernte trotzdem nicht gekennzeichnet werden, wie es die EU-Richtlinien verlangen. 
Die kontaminierte Ernte soll von der Versuchsanstalt aufgekauft und der 
thermischen Verwertung oder der industriellen Verarbeitung, z.B. der Erzeugung 
von Biosprit, zugeführt werden. Verbrannte Ernte, befindet Seehofer, gerate ja 
nicht in den Ernährungskreislauf und sei auch nicht mehr "vermehrungsfähig".

So will man auch beim gewerblichen Anbau verfahren. Leider, so das 
Eckpunktepapier, verweigere ja die Versicherungswirtschaft bis heute den 
Versicherungsschutz für Bauern, die gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen und 
für Auskreuzungen, Verunreinigungen und Schäden beim Nachbarn haften sollen. Das 
Risiko, so referiert das Eckpunktepapier die Position der Versicherer, sei 
bislang nicht kalkulierbar. Daraus zieht die Regierung nicht den Schluss, dass 
die Kontaminierung anderer Ernte verhindert werden müsse, sie soll hingegen 
einfach vom GVO-Saatguthersteller aufgekauft werden. Der könne dann damit 
machen, was er wolle, sie z.B. als GVO-Mais deklarieren und verfüttern lassen 
oder ebenfalls verbrennen: jedenfalls sei der GVO-frei produzierende Landwirt 
durch den Aufkauf seiner Ernte hinreichend abgefunden. Auf diese Weise, so die 
Idee, wird nicht nur der GVO-Bauer vom Haftungsrisiko entbunden, sondern 
vielleicht sogar der Widerstand unter den Landwirten gegen die agrarische Ge
ntechnik unterlaufen. Denn von denen sind auch 70% dagegen.

Was wird unter dem Druck umfassender Freisetzungen von GVO-Saaten und mit dem 
Ankauf kontaminierter Ernte aus dem Konzept der Koexistenz?

Das Eckpunktepapier arbeitet sich zu einer überraschend ehrlichen Antwort vor - 
zu der es über die Bienen gelangt. Denn Bienen bestäuben auch. Allerdings nicht 
nur innerhalb von 150 Metern "ausreichender Abstandsfläche". Der Flugradius 
einer Biene beträgt mindestens drei Kilometer, das Zwanzigfache von 150 Metern. 
Ihr Wirkungskreis führt über Abstandsflächen, Hecken und sonstige Barrieren und 
umfasst um die 30 Quadratkilometer.

Auf diesem Weg kann die Biene allerlei Pflanzen "kontaminieren". Das ist ja 
eigentlich auch ihr Job. Sie trägt Pollen von Pflanze A auf Pflanze B. Zum 
Beispiel vom genveränderten Mais auf den biologisch angebauten, von Raps A auf 
Raps B, von GVO-Obstbäumen auf konventionell gezüchtete. Die Imker haben Sorge, 
dass sie für derartige Kontaminationen haftbar gemacht werden könnten. Denn 
gentechnikfrei arbeitende Landwirte können ihre Ernte nicht mehr verkaufen, wenn 
die Bienen als "Kontaminierer" ganze Arbeit leisten. Das Ministerium hat hier 
Klarheit geschaffen und legt fest:

Imker haften nicht für Einträge von gentechnisch veränderten Pollen in 
konventionelle oder ökologische Kulturen, da sich der Flug der Honigbienen nicht 
kontrollieren lässt.

Das entlastet die Imker. Aber der Satz enthält eben auch das Eingeständnis, dass 
Koexistenz angesichts der Insektenbestäubung (Bienen allein sind für die 
Bestäubung von 80.000 Pflanzen zuständig) eine Unmöglichkeit ist. So wenig wie 
sich der Flug der bestäubenden Honigbienen oder anderer Insekten kontrollieren 
lässt, lässt sich die Ausbreitung von genveränderten Organismen kontrollieren, 
wenn sie erst einmal in der Welt sind. 

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24897/1.html





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