[Gen-Info] Feldbefreiungs-Aktion Gießen
Klaus Schramm
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Fr Jun 9 12:03:54 CEST 2006
Straftatbestand "Feldbefreiung"
Thorsten Stegemann 08.06.2006
Der Streit um gentechnisch veränderte Pflanzen beschäftigt in Hessen
nicht nur Wissenschaftler und Öko-Aktivisten, sondern auch die Polizei.
Weitere Konflikte sind vorprogrammiert
Wenn Mitarbeiter eines Instituts für Phytopathologie und Angewandte
Zoologie (1) plötzlich im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, muss
Außergewöhnliches geschehen sein. So auch in Gießen, wo die renommierte
Justus-Liebig-Universität eigentlich nur für wissenschaftliches
Aufsehen sorgen wollte und nun im Zentrum einer annähernd
philosophischen Diskussion mit möglicherweise strafrechtlichen Folgen
steht.
Selbige drohen allerdings nicht der Universität, denn deren Aussetzung
von 5.000 gentechnisch veränderten Gerstenpflanzen auf einer zehn
Quadratmeter großen Versuchsfläche war als bundesweites Pilotprojekt
nicht nur legal, sondern überdies Teil des noch von der rot-grünen
Bundesregierung beschlossenen Programms Biologische Sicherheit
gentechnisch veränderter Pflanzen (2). Hierbei sollte die Auswirkung
der transgenen, gegen einen schädlichen Bodenpilz resistenten Pflanzen
auf nützliche Mikroorganismen wie die Mykorrhiza-Pilze studiert und
außerdem untersucht werden, inwieweit sich die Qualität von Bier und
Hühnerfutter durch Eingriffe in das Erbgut verbessern lässt. Ob das
Vorhaben jemals die gewünschten Ergebnisse zeitigt, ist derzeit
allerdings offen.
Am Pfingstwochenende wurde die Versuchsstation des Instituts Ziel einer
sogenannten "Feldbefreiung", die der erboste Uni-Präsident Stefan
Hormuth nicht mehr als "spontane Übergriffe von Gentechnik-Gegnern"
durchgehen lassen wollte, sondern umgehend als "geplante und gezielte
Angriffe auf ein unabhängiges Forschungsprojekt" klassifizierte.
Während der Aktion wurden sechs Personen verhaftet, etwa 20% des
Versuchsfeldes sollen beschädigt worden sein.
In einer offiziellen Pressemitteilung der Universität (3) werden
Polizeibeamte zitiert, die am vergangenen Freitag offenbar beobachten
konnten, "wie die vier Haupttäter Pflanzen herausrissen, nachdem sie
einen Drahtzaun zerschnitten und ein Insektennetz beiseite geräumt
hatten". Anschließend setzt die Universität zu einer mal ziellosen, mal
überaus konkreten Medienschelte an. Schon Wochen vorher sei auf
Flugblättern und im Internet für die Aktion geworben worden, außerdem
habe der Hessische Rundfunk bereits am 31. Mai 2006 einen Beitrag für
den 2. Juni mit dem bemerkenswerten Titel "Gentechnikgegner verwüsten
Felder in Gießen" angekündigt.
Biologische Sicherheitsforschung und Misstrauen in Selbstbestäuber
Der Institutsleiter Karl-Heinz Kogel, der am Gießener Institut eine
Professur für Pflanzenkrankheiten und Pflanzenschutz innehat und das
Projekt seit Monaten als "biologische Sicherheitsforschung" verteidigt,
befürchtet nun "schwere Schäden" für die Aussagekraft seiner
Untersuchung, weil wichtige Fragestellungen nicht mehr bearbeitet
werden könnten. Auf Nachfrage von Telepolis weist Kogel, der sich
selbst ausdrücklich nicht als bedingungslosen Verfechter der
Gentechnologie sieht, darauf hin, dass zu viele Pflanzen zerstört oder
beschädigt worden seien, um die Ertragserhebungen noch im vorgesehen
Umfang durchführen zu können.
--Es fehlt uns jetzt natürlich eine Vergleichsbasis. Wir können die
betroffenen Parzellen nicht mit unbeschädigten vergleichen, aber
immerhin noch Teilziele erreichen. Der Versuch wird fortgesetzt, damit
sich beispielsweise Aussagen zum Bodenökosystem treffen lassen.--
Karl-Heinz Kogel
Da die Aktion möglicherweise als Landfriedensbruch und Sachbeschädigung
gewertet werden kann, hat die Universität Gießen mittlerweile
Strafantrag gegen die Feldbefreier gestellt. Sie versichert - wie schon
vor der Aussaat der transgenen Pflanzen -, dass die Gefahr einer
Auskreuzung gegen Null tendiert. Bei der Gerste sei nicht nur die
Samen-, sondern auch die Pollenausbreitung stark reduziert, da es sich
um einen Selbstbestäuber mit einer Selbstbefruchtungsrate von rund 99%
handele.
Die Öko-Aktivisten sehen das anders. Auf mehreren Internetseiten
sammeln sie Gegenargumente (4), rufen aber auch unmissverständlich zum
zivilen Ungehorsam (5) auf. Die Selbstbestäuber-Theorie hat hier aus
mathematisch-ideologischen Gründen wenig Anhänger.
--Gerste sei zu 99% Selbstbestäuber. Das sagte Versuchsleiter Kogel am
30.5. Ein Prozent der Blüten entlässt also den Pollen in die Umwelt.
Pro Korn eine Blüte, die viele Pollen entlässt. Pro Ähre viele Körner.
Pro Quadratmeter viele Ähren. 9,6 Quadratmeter transgene Gerste stehen
hier. Wieviel Millionen Pollen gelangen da wohl in die Umwelt, wenn ein
Prozent in die Außenluft entstäubt? Der Versuch diene der
Sicherheitsforschung - sagt der Versuchsleiter. Aber neben der
genannten Genmanipulation, deren Wirkung auf Bodenpilze untersucht
wird, sind drei weitere Genveränderungen in den Pflanzen dieses Feldes.
Eines zur Ertragsveränderung. Eines zur Anpassung auf das
BAYER-Spritzmittel Basta. Und ein Marker-Gen. Ist das ehrlich?--
projektwerkstatt.de
Die nächsten Versuchsfelder sind schon bestellt
Neben gesundheitsschädlichen Folgen und der Gefahr der Auskreuzung
transgener Pflanzen mit unabsehbaren ökologischen Folgen befürchten die
Gegner gentechnisch veränderter Lebensmittel auch die Entstehung
unkalkulierbarer Antibiotika-Resistenzen, Monopol- und Kartellbildungen
auf dem Agrarsektor oder die Vernichtung von Arbeitsplätzen durch
weitere Rationalisierungsmaßnahmen.
Die Befürworter berufen sich dagegen auf eine Jahrhunderte lange
Tradition der Manipulation von Nutzpflanzen und hoffen im übrigen auf
wissenschaftlich-technische Fortschritte sowie eine verbesserte
Nahrungsmittelqualität. Eine Vermittlung zwischen beiden Positionen,
wie sie im neuen Gentechnikgesetz (6) angestrebt wird, scheint so gut
wie ausgeschlossen.
Die Umweltschutzorganisation "Greenpeace" hat vor wenigen Tagen ein
Dokument (7) veröffentlicht, das Teil eines vom
Bundeslandwirtschaftsministerium vorbereiteten Grundsatzpapiers zur
Gentechnik in der Landwirtschaft sein soll. Demnach plant das
Ministerium, die von der EU vorgeschriebenen Sicherheitsabstände
zwischen Gen-Pflanzenfeldern und Feldern von Bio-Bauern auf 150 Meter
zu reduzieren und "Auskreuzungsprodukte gesetzlich vom Bedürfnis einer
Inverkehrbringensgenehmigung auszunehmen". Im Ernstfall könnten
natürliche Pflanzen, die mit gentechnisch veränderten in Kontakt
gekommen sind, dann ohne größere Umstände in Tierfutter oder
Lebensmitteln verwertet werden.
Neue Auseinandersetzungen sind unter diesen Umständen vorprogrammiert,
und manchmal stehen sogar schon die Termine fest. Die Deutsche
Landwirtschaftsgesellschaft hat für ihre Feldtage (8), zu denen vom
20. bis 22. Juli 2006 rund 20.000 Besucher aus aller Welt erwartet
werden, die nächste Genoffensive angekündigt. Zu diesem Zweck wurde den
Firmen KWS, Monsanto und Pioneer auf ihren Ausstellungsflächen die
Aussaat transgener Maissorten gestattet, die gegen den "Maiszünsler"
resistent sein sollen und seit 1998 von der EU zugelassen sind. Auf der
Staatsdomäne Baiersröderhof ist der gentechnisch veränderte Mais
"MON810" bereits auf einer Fläche von 133 Quadratmeter ausgesät worden.
Die hessische Landtagsfaktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat deshalb für
heute eine Beratung im Umweltausschuss durchgesetzt und verweist auf
eine Untersuchung aus Italien, derzufolge Schweine, die mit MON810
gefüttert wurden, veränderte Blut-, Leber- und Nierenwerte aufweisen
sollen ( Was macht synthetische DNA im Blut? (9)). Die Parteifreunde im
Deutschen Bundestag sind außerdem davon überzeugt (10), dass den in
Deutschland verwendeten und seit vielen Jahren heftig umstrittenen
MON810-Sorten, denen ein insektenschädliches Gen des Bodenbakteriums
Bacillus thuringiensis übertragen wurde, die erforderliche
gentechnikrechtliche Genehmigung fehlt und der Mais deshalb hierzulande
weder vertrieben noch angebaut werden darf.
De facto wird er es aber schon. Seit Horst Seehofer das MON810-Verbot
von Amtsvorgängerin Renate Künast kassiert hat, wurden bundesweit 1.700
Hektar Anbauflächen registriert, die meisten davon in Brandenburg,
Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Sachsen ( Grüne Gentechnik:
Volle Kraft voraus? (11)). Die Kontroversen um gentechnisch veränderte
Pflanzen stehen also wohl gerade erst am Anfang.
LINKS
(1) http://www.uni-giessen.de/fbr09/ipaz/home.htm
(2)
(http://www.bmbf.de/pub/projektliste_biologische_sicherheit_gvp.pdf#sear
ch='Biologische%20Sicherheit%20gentechnisch%20ver%C3%A4nderter%20Pflanze
n'
(3) http://idw-online.de/pages/de/news162713
(4) http://www.projektwerkstatt.de/gen/ausstellung.html
(5) http://www.gendreck-weg.de
(6)
http://www.bmelv.de/cln_044/nn_750598/SharedDocs/downloads/04-Landwirtsc
haft/Gentechnik/Das_20neue_20Gentechnikgesetz,templateId=raw,property=pu
blicationFile.pdf/Das%20neue%20Gentechnikgesetz.pdf
(7)
http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/gentechnik/gen
technik.pdf
(8) http://www.dlg.org/de/landwirtschaft/feldtage/index.html
(9) http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21517/1.html
(10) http://www.gruene-bundestag.de/cms/gentechnik/dokbin/124/124683.pdf
(11) http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21629/1.html
Telepolis Artikel-URL:
http://www.telepolis.de/r4/artikel/22/22843/1.html
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