[Gen-Info] Kanada-Katastrophe
Klaus Schramm
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Fr Apr 28 21:34:47 CEST 2006
Hallo Leute!
Hier ein aktuelles Interview mit dem kanadischen Landwirt Percy
Schmeiser. (ein früheres Interview lief bereits über diese
Mailing-Liste und ist im Archiv zu finden.) Die Gen-Kontaminierung
in Kanada ist nicht an erster Stelle eine "ökonomische Katastrophe"
- Titel der Interview-Veröffentlichung - , sondern vor allem
eine ökologische Katastrophe. Und das ist - leider - auch die
Kernaussage dieses Interviews.
Ciao
Klaus Schramm
klaus.schramm at bund.net
"Eine ökonomische Katastrophe"
In Kanada ist es nicht mehr möglich, konventionell oder biologisch gentechfreien
Raps anzubauen: Die genmanipulierte Rapssaat kontaminiert alle Felder.
Im August 1998 verklagte der Gentechnik-Konzern Monsanto den kanadischen Bauer
Percy Schmeiser, gentechnisch verändertes patentiertes Raps-Saatgut
widerrechtlich angebaut zu haben: Schmeisers konventionelle und die Bio-Felder
seiner Frau waren von genverändertem Saatgut verunreinigt. Zwei Gerichte
verurteilten ihn zu einem Schadensersatz in Höhe von 100.000 Euro. Erst das
oberste kanadische Bundesgericht stoppte den Konzern im Jahr 2004: Schmeiser
wurde von Schadensersatzforderungen an den Konzern freigesprochen. Doch
gleichzeitig befand das Gericht, dass Monsanto grundsätzlich im Recht sei und
die Patentansprüche des Konzerns auch für kontaminierte Äcker gälten. 2005 hat
Percy Schmeiser Gegenklage gegen Monsanto eingereicht, wegen Umweltverschmutzung
und Zerstörung von Schmeisers gentechnikfreier Saatgutzüchtung.
Umweltinstitut München e.V. (UIM): Mr. Schmeiser, wie sind Ihre derzeitigen
Beziehungen zu Monsanto?
Schmeiser: Ziemlich angespannt. Monsanto versuchte während der letzten Jahre,
mich als Person zu diskreditieren, sowohl in den Medien als auch in meiner
persönlichen Umgebung. Und das macht Monsanto nach wie vor. Zum anderen
versuchen sie jetzt, mich mit Hilfe einer Knebel-Anordnung, der so genannten
"Gag-Order", ruhig zu stellen. Das ist eine Art gerichtlich verhängtes
Redeverbot. Dadurch wäre mir das Recht genommen, über Monsanto zu sprechen.
Dabei ist das einzige, was ich tue, darüber zu berichten, dass Monsanto mein
gesamtes Ackerland kontaminiert hat.
UIM: Dagegen haben Sie jetzt Klage eingereicht.
Schmeiser: Ja, aber leider agiert Monsanto jetzt bösartiger als je zuvor. Der
Grund ist meiner Meinung nach, dass der Konzern allein im letzten Quartal 125
Millionen US-Dollar Verlust gemacht hat. Und zwar ausschließlich deshalb, weil
es sich, wie ein Journalist geschrieben hat, um eines der meistgehassten
Unternehmen der Welt handelt, ein Unternehmen, das zentral an der Eliminierung
der Rechte der Bäuerinnen und Bauern, und der Redefreiheit auf der ganzen Welt
beteiligt ist. Letztes Jahr wurde Monsanto für die Dauer von zwei Jahren die
Geschäftsausübung in Indonesien verboten, weil der Konzern für eine schnelle
Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen die Behörden bestochen hatte.
Auch in anderen Ländern gab es Korruption im Zusammenhang mit der Vermarktung
von Monsantos Gen-Pflanzen.
UIM: Weswegen genau klagen Sie Monsanto an?
Schmeiser: Die erste Klage bezieht sich auf die Haftung für die Verunreinigung
meiner Felder mit Genraps in den Jahren 1997 und 1998. Ich fordere
Schadensersatz für die Zerstörung meines selbstentwickelten Raps-Saatguts, in
dem 50 Jahre Forschung und Entwicklung stecken.
Vor zwei Monaten stellte ich zudem eine erneute Kontamination meiner Felder
fest. Ich versuchte, Monsanto dazu zu bewegen, die Genrapspflanzen von meinem
Feld zu entfernen. Monsanto war dazu nur unter der Bedingung bereit, dass ich
einen so genannten "Release" -Vertrag unterzeichne. Damit hätte ich allerdings
für alle Zeiten Grundrechte, wie das auf freie Meinungsäußerung, an Monsanto
verkauft. Der Vertrag hätte besagt, dass ich Monsanto nie wieder verklagen darf.
Zweitens hätte ich auch alle bereits eingereichten Klagen gegen Monsanto
zurückziehen müssen. Drittens hätte ich Zeit meines Lebens mit keinem Menschen
mehr über Monsanto sprechen dürfen.
Zusätzlich hätte mir der Vertrag verboten, Raps und verwandte Arten, also zum
Beispiel Senf, anzubauen. Denn Monsanto weiß, dass es dadurch erneut zu
Kontaminationen meiner Felder durch gentechnisch veränderte Rapspollen kommen
würde, der auch in verwandte Arten, wie eben Senf, auskreuzen kann. Kurzum, ich
hätte sämtliche demokratische Rechte an der Eingangstür von Monsanto abgegeben.
Ich bin Besitzer des Landes, ich zahle Steuern dafür, und alle Rechte dafür
sollen an Monsanto gehen?
Wenn ich nach St. Louis, zur Konzernzentrale von Monsanto, fahren würde, um ihre
Freilandversuche zu kontaminieren, und danach die Rechte auf diese Pflanzen
reklamieren würde, hätte ich nach spätestens 24 Stunden ein Verfahren am Hals,
das damit enden würde, dass man mich bis ans Ende meiner Tage einsperren würde.
Das Problem ist nach wie vor, dass die Menschen nicht darüber informiert sind,
was passiert. In Kanada kann aufgrund der gentechnischen Verunreinigungen keine
biologische Soja und kein biologischer Raps mehr angebaut werden. Das Grundrecht
der Wahlfreiheit der Bauern ist zerstört.
UIM: Welche ökonomischen Auswirkungen hat der Anbau von Genpflanzen in Kanada?
Schmeiser: Der Anbau ist eine ökonomische Katastrophe. Viele Länder kaufen keine
kanadischen Produkte mehr, die in irgendeinem Zusammenhang mit Raps oder Soja
stehen könnten. Das betrifft neben den Bauern natürlich auch die nachgelagerten
Industrien, also die Lebensmittelverarbeitung. Darüber hinaus kommt es zu einer
Art Dominoeffekt: Auch die Nachfrage nach anderem Getreide aus Kanada ist
zurückgegangen. Ganz konkret passiert folgendes: Die Rapserträge der kanadischen
Bauern sind zurückgegangen, die Erträge sind von geringerer Qualität, für die
Produktion müssen mehr Pestizide eingesetzt werden und das Einkommen der Bauern
ist stark zurückgegangen. Durch die flächendeckende Kontamination ist auch die
Wahlfreiheit der Bauern verloren.
UIM: Wie sieht es mit der sozialen Struktur in den ländlichen Gebieten aus? Hat
sich auch diese durch den Anbau von GVO verändert?
Schmeiser: Auch das soziale Gefüge ist entgleist. Durch die Lizenzverträge mit
Monsanto verlieren die Bauern das Grundrecht auf Redefreiheit. Die gesetzliche
Lage verstärkt ihre Rechtlosigkeit noch zusätzlich. Sie müssen sehen, dass ein
Bauer in Kanada in dem Moment schuldig gesprochen werden kann, wenn Monsantos
Genraps auf seinem Feld gefunden wird. In meinem Fall hat das Gericht geurteilt,
dass ein Bauer verpflichtet ist zu wissen, ob seine Ernte, sein Saatgut, oder
sein Land mit Monsantos Genpflanzen kontaminiert ist. Wenn er nicht gentechnisch
verändertes Saatgut aus einem Teil seiner Ernte anbaut, das mit Monsantos
Genraps verunreinigt ist, verletzt er damit automatisch Monsantos Patent und
kann von dem Konzern verklagt werden. Der einzige Ausweg besteht darin, gleich
Monsantos Raps anzubauen. Denn in dem Moment, in dem sich Monsantos Gene auf
seinem Feld befinden, kann Monsanto ihn dazu zwingen, seine gesamte Ernte zu
vernichten. Wie soll ein Bauer wissen, ob sich Monsantos Raps auf seinem Feld
befindet? Die einzige Möglichkeit, die er hat, ist sein Feld mit Roundup zu
spritzen: Wenn 98 Prozent seiner Pflanzen sterben, und zwei Prozent überleben,
weiß der Bauer, dass zwei von 100 Pflanzen kontaminiert sind. Doch es gibt
keinerlei Toleranz. Selbst eine einzige Pflanze würde genügen, um alle Rechte an
Monsanto zu verlieren. Das Gericht sprach im Urteil meines Falls davon, dass die
"bloße Anwesenheit" von Monsantos patentierten Genpflanzen auf meinem Acker
ausreichen würde, um Monsantos Ansprüche zu rechtfertigen. Der oberste
kanadische Gerichtshof urteilte auch, dass es bedeutungslos sei, wie es zu der
Verunreinigung der Felder kommt.
UIM: Hat sich auch das Verhältnis der Landwirte untereinander verändert?
Schmeiser: Natürlich. Es ist ein starkes Misstrauen gegeneinander entstanden.
Der Grund ist, dass Monsanto Bauern oder andere Leute dafür belohnt, wenn sie
z.B. einen Nachbarn anzeigen. Zudem besitzt Monsanto eigene "Polizei"-Kräfte,
welche die Menschen auf dem Land aushorchen. Ich erzähle ihnen ein Beispiel aus
meinem Dorf: An Tankstellen in Kanada werden auch Pestizide verkauft. Monsantos
Leute gingen also zu einer Tankstelle in meinem Dorf und sagten dem Besitzer:
"Sprich mit den Bauern, frag sie ob sie Raps gepflanzt haben. Falls sie Raps
anbauen, frag sie, wie viele Hektar. Dann gib uns diese Informationen weiter."
Im Gegenzug bekam der Tankstellenbesitzer gute Konditionen und Rabatte beim
Einkauf der Pestizide von Monsanto. Das ist ein Weg, wie Monsanto an
Informationen kommt. Seit diese Geschichte bei mir im Dorf herauskam, tanke ich
natürlich woanders.
UIM: Können Sie noch von weiteren Fällen berichten?
Schmeiser: Es gibt viele bekannte Fälle. Einem befreundeten Geschäftsmann, der
auch Bauer ist, passierte folgendes: Er baute 200 acre (80 ha) von Monsantos
Genraps an und schloss mit dem Unternehmen einen so genannten
Technologie-Vertrag über diese Fläche ab. Dieser sieht vor, dass ein Bauer pro
acre 15 kanadische Dollar Patentgebühren an Monsanto zahlen muss. Bei seiner
Versicherung waren die entsprechenden Flächen jedoch mit 208 acre veranschlagt.
Monsantos Spitzel müssen auf irgendeine Weise Zugang zu diesen Unterlagen
bekommen haben. Es fehlten also acht acre, und laut dem Technologie-Vertrag
hatte er damit eine Lizenzgebühr von 15 Dollar pro acre unterschlagen, was einem
"Gesamtschaden" von 120 Dollar entspricht. Monsanto wollte jedoch eine
Strafgebühr von 200 Dollar pro acre kassieren, die mein Bekannter natürlich
nicht zahlen konnte. Monsanto verlangte nun für einen Verzicht auf ein
Strafverfahren, dass mein Bekannter ebenfalls Spitzeldienste übernehmen sollte
und Nachbarn melden, die von Kontaminationen wussten, diese aber aus Angst vor
den finanziellen Forderungen Monsantos nicht melden wollten. Er ist darauf
eingegangen, hat aber nie jemanden gemeldet.
Ich erzähle Ihnen noch von einem dritten Fall: Wenn Sie in Kanada Getreide
verkaufen, müssen Sie Aufzeichnungen darüber in einem Buch dokumentieren. Dieses
Buch ist Privatbesitz des Bauern. Da diese Aufzeichnungen von großer Wichtigkeit
sind, hinterlegen es viele Bauern im Safe des örtlichen Getreidehändlers.
Monsanto lädt nun diese Getreidehändler zu Wochendausflügen oder zum Essen ein
und kommt so schließlich in den Besitz der Aufzeichnungen. Ich brauche Ihnen
nicht zu erklären, was diese Vorfälle mit dem sozialen Netz auf dem Land
anrichten.
UIM: Der Presse kann man entnehmen, dass sich kanadische Bauern, vor allem
Biobauern inzwischen wehren. Sie haben Genkonzerne wie Monsanto und Bayer
verklagt. Wie beurteilen Sie die Aussichten, dass die Konzerne schuldig
gesprochen werden?
Schmeiser: Die Vereinigung der Biobauern aus Saskatchewan (das Saskatchewan
Organic Directorate) hat Monsanto und Bayer wegen der Kontaminationen auf
Schadensersatz verklagt. Die Klage bezieht sich auf die Haftung für entstandene
ökonomische Schäden, vor allem den Verlust von Exportmöglichkeiten, da kein
biologischer Raps mehr angebaut werden kann. In erster Instanz haben die Bauern
den Prozess verloren. Im Moment droht er bereits an der Frage zu scheitern, ob
die Bio-Bauern als Vereinigung überhaupt das Recht haben, diese Klage
einzureichen. Monsanto versucht den Prozess zu verschleppen. Schon jetzt hat er
die Bio-Bauern 300.000 Dollar gekostet. Allein für die Frage nach der
Zulässigkeit der Klage sind drei Jahre ins Land gegangen.
UIM: Welche Rolle spielt eigentlich die kanadische Regierung?
Schmeiser: Die kanadische Regierung unterstützt die Gentechnikindustrie
bedingungslos. Monsanto arbeitet mit den zuständigen Behörden, z.B. der
Lebensmittel- oder der Umweltbehörde, Hand in Hand. Ein Beispiel vom April 2004
mag Ihnen zeigen, wie eng die Verbindung ist. Monsanto stand damals kurz vor der
Zulassung von gentechnisch verändertem Weizen. Dann kam heraus, dass die
Regierung mit Monsanto ein Abkommen geschlossen hatte: In dem Vertrag stand,
dass die Regierung für jedes Kilo Genweizen einen bestimmten Prozentsatz des
Gewinns erhalten sollte.
Derzeit stehen wir in Kanada auch vor einer Überarbeitung der
Saatgut-Gesetzgebung, dem Seed Sector Review. Die Vorschläge der
Gentechnikindustrie für dieses Gesetz wurden bislang nur noch nicht umgesetzt,
weil Wahlen bevorstanden. Mit diesem Gesetz würde die Saatgutindustrie die
totale Kontrolle über die Landwirtschaft übernehmen. Denn der zentrale Punkt des
Gesetzes ist, dass es den Nachbau von gekauftem Saatgut schlichtweg verbietet.
Dieser Passus bezieht sich nicht nur auf Getreide, sondern auch auf Gartenblumen
oder Bäume. Damit würden nicht nur Bauern, sondern auch Gärtner und Forstwirte
total entrechtet. Die Industrie versucht, dieses Gesetz ohne öffentliches
Aufsehen durchzubekommen. Die Situation ist sehr ernst.
Und dennoch: Seit einigen Jahren stockt die Zulassung neuer Gentechnikpflanzen.
Bis heute gibt es nur sehr wenige kommerzialisierte Arten, vor allem Raps, Mais,
Soja und Baumwolle. Was die Einführung weiterer GVO verhindert hat, war nicht
die Umweltproblematik und nicht die gesundheitlichen Effekte, sondern der
grandiose ökonomische Misserfolg. Die Bauern merken langsam, dass sie betrogen
wurden.
UIM: Warum wächst die Anbaufläche in Kanada dann nach wie vor? Warum bauen die
Bauern überhaupt noch gentechnisch verändertes Saatgut an?
Schmeiser: Viele haben Angst. Sie wissen, dass sie von Monsanto jederzeit
verklagt werden können, denn ihre Felder sind genauso kontaminiert wie meine.
Der einzige Ausweg sich vor Klagen zu schützen ist gleich Monsantos Genpflanzen
anzubauen.
Das Interview führte unser Mitarbeiter Andreas Bauer
Erschienen in unserer Mitgliederzeitschrift Umweltnachrichten, Ausgabe 102 /
Dez. 2005
Technologievertrag in Originalfassung und übersetzt als PDF-Datei zum
Herunterladen
http://www.umweltinstitut.org/download/technologievertrag_monsanto.pdf
"Was damit geschaffen wird, ist eine Kultur der Angst"
Am 28. Oktober 2005 hielt Percy Schmeiser in Zürich den Vortrag, denn Sie hier
als PDF-Datei herunterladen können.
http://www.umweltinstitut.org/download/vortrag_schmeiser_zuerich_okt2005.pdf
Percy Schmeiser
http://www.umweltinstitut.org/images/gen/percy_schmeiser.jpg
Foto: Bauer
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