[Gen-Info] Kaum noch Wahlfreiheit

Klaus Schramm 078222664-0001 at t-online.de
Mo Apr 3 16:25:26 CEST 2006


Hallo Leute!

Hier ein interessanter Artikel aus der 'Jungen Welt' und ein Info zum
aktuellen Stand der Unterschriftensammlung 'Pro Gen-Moratorium'.

Ciao
   Klaus Schramm
   klaus.schramm at bund.net


30.03.06 jw
Kaum noch Wahlfreiheit

Die Bundesregierung will die »grüne Gentechnik« fördern. Verbraucher- und 
Umweltschützer schlagen Alarm.

Von Rainer Balcerowiak

Die Befürchtungen von Verbraucherschützern scheinen sich auf ganzer Linie zu 
bestätigen. Nach Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) hat nun auch
sein für Umwelt zuständiger Kabinettskollege Sigmar Gabriel (SPD) gezielte 
Fördermaßnahmen für die sogenannte grüne Gentechnik angekündigt. Dabei stünden
»Chancen für die Landwirtschaft, den Umweltschutz und die Verbraucher« im 
Mittelpunkt, sagte er am Montag im Nachrichtenmagazin Focus. Gabriel betonte, 
daß
es »eine klare Kennzeichnung vor allem für Nahrungsmittel« geben müsse, damit 
der Verbraucher selbst entscheiden könne, ob er gentechnisch veränderte
Lebensmittel konsumieren will oder nicht. Außerdem dürften Landwirte, die nicht 
mit Gentechnik arbeiten wollen, weder behindert noch beeinträchtigt werden.

Für Verbraucherschützer ist das jedoch nichts als Augenwischerei. Von der 
Glaubwürdigkeit des Wahlfreiheitsversprechen hängt allerdings die Umsetzbarkeit 
der
Regierungspläne ab. Denn laut übereinstimmenden Umfrageergebnissen verschiedener 
Meinungsforschungsinstitute lehnen rund 80 Prozent aller deutschen
Verbraucher Gentechnik auf dem Acker und im Essen strikt ab. 

EU gibt Schützenhilfe

Doch die Lobby der Landwirtschafts- und Lebensmittelindustrie hat bereits ganze 
Arbeit geleistet. Auf gesetzlicher Ebene gelten seit April 2004 die
EU-Verordnungen 1829/2003 und 1830/2003. Diese schreiben die Kennzeichnung von 
Lebensmitteln nur dann vor, wenn der Anteil an gentechnisch veränderten
Organismen (GVO) 0,9 Prozent - bezogen auf die jeweilige Zutat - überschreitet. 
Doch viele Lebensmittel werden mit Hilfe von Gentechnik erzeugt, ohne daß dies
deklariert werden muß. So müssen Milch, Fleisch, Eier und daraus gewonnene 
Produkte nicht gekennzeichnet werden, wenn die Tiere mit gentechnisch 
veränderten
Futtermitteln gefüttert wurden. Auch Lebensmittel, die mit Hilfe von 
gentechnisch veränderten Mikroorganismen oder deren Enzymen hergestellt wurden, 
müssen
nicht gekennzeichnet werden, wenn die GVO im Produkt selbst nicht mehr 
nachweisbar sind. Dazu zählen Lecithin, z. B. in der Verarbeitung von Schokolade
verwendet, sowie Eiweißstoffe, Stärke, Traubenzucker, Glukosesirup und 
Süßungsmittel, die aus GVO-Mais oder -Soja gewonnen werden und in vielen
verarbeiteten Fertig- und Instantprodukten Verwendung finden. Auch mit GVO-Hilfe 
produzierte Zusatzstoffe, Aromen und Vitamine sind deklarierungsfrei.

Landwirte, die ihre Tiere gentechnikfrei füttern möchten, leiden ebenfalls unter 
den EU-Richtlinien. Futtermittel sind erst ab einem GVO-Anteil von über 0,9 
Prozent
kennzeichnungspflichtig. Die großen Futtermittelhändler und Hersteller haben 
ohnehin wenig Interesse an der Vermarktung ausdrücklich gentechnikfreier 
Futtermittel.
So kennzeichnen viele Lieferanten ihre sojahaltigen Futtermittel pauschal als 
gentechnisch verändert. Das spart ihnen Kosten für Warentrennung, Laboranalysen 
und
mögliche Strafen bei versehentlicher Vermischung. Diese Mehrkosten, die 
überhaupt erst durch GVO-Produkte entstanden sind, werden aber nicht auf die
GVO-haltigen, sondern auf die wenigen GVO-freien Produkte aufgeschlagen, so daß 
diese teurer werden, was wiederum die Nachfrage senkt. Die Folge ist die
weitere Verknappung von gentechnikfreiem Futter.

Eine Untersuchung des Schweizer Forschungsinstitutes FIBL zeigte, daß bereits 70 
bis 94 Prozent der untersuchten Futtermittelproben verunreinigt sind. Der
Raiffeisen-Verband, einer der größten Zulieferer der deutschen Landwirtschaft, 
prognostiziert, die Fleischwirtschaft müsse »realistischerweise davon ausgehen, 
daß
eine großflächige gentechnikfreie Fütterung von Nutztieren nicht mehr möglich 
sein wird«. 

Fragliche »Koexistenz«

Auch beim Saatgut ist es mit der »Wahlfreiheit« nicht weit her. Bereits im 
Februar 2002 hat die EU-Kommission einen Richtlinienvorschlag vorgelegt, der im 
Saatgut
GVO-Anteile sortenabhängig von 0,3 bis 0,7 Prozent ohne Kennzeichnungspflicht 
erlaubt. Dieser Vorschlag hat sich zwar noch nicht durchgesetzt, die Einführung
dieser oder ähnlicher Grenzwerte ist aber nach wie vor im Gespräch. 

Jeder noch so geringe Schwellenwert bedeutet, daß das Saatgut GVOs enthalten 
könnte, ohne daß Landwirte dies erkennen können. Verbrauchern bleibt dann nur
noch die Wahl zwischen mehr oder weniger mit GVO versetzten Produkten. Die in 
Pflanzen durch die Gentechnik künstlich eingebauten Eigenschaften können sich in
der Folgezeit unkontrolliert in konventionellen Sorten und auch in der Natur 
ausbreiten. Ob unter diesen Umständen die von Seehofer und Gabriel beschworene
Koexistenz von biologischer, konventioneller und auf Gentechnik basierender 
Landwirtschaft auf lange Sicht überhaupt noch möglich wäre, wird von vielen 
Experten
bezweifelt.

Noch könnte der Genfood-Durchmarsch in Deutschland gestoppt werden, doch das 
Zeitfenster ist bereits ziemlich klein, betonen Umwelt- und
Verbraucherschützer. Einflußmöglichkeiten haben die Konsumenten selbst, indem 
sie zum Beispiel auf Produkte zurückgreifen, die garantiert gentechnikfrei
produziert werden, egal ob »bio« oder »konventionell«. Eine entsprechende Liste 
ist unter anderem unter www.greenpeace.de im Internet abzurufen. Auch
Kommunen können aktiv werden, indem sie sich zu »gentechnikfreien Zonen« 
erklären. Derartige Initiativen gibt es bereits in acht EU-Staaten.


             Hinweis: 

             Seit 1998 besteht ein Gen-Moratorium in Europa,
             das aber - insbesondere durch den Druck der
             US-Regierung - in Frage gestellt ist und bereits 2003
             hätte fallen sollen. Bei der Unterschriften- Aktion zum
             Erhalt des Gen-Moratoriums in Deutschland kamen
             bisher über 2 Millionen Unterschriften zusammen. Das hat
             bereits einige Beachtung gefunden. Um den Druck zu
             erhöhen, muß die Beteiligung weiter gesteigert
             werden - Vordrucke für Unterschriften-Listen können
             von der Internet-Seite
             www.gen-moratorium.de heruntergeladen werden. 




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