[Gen-Info] Gentechnik: Ziviler Ungehorsam in neuer Gestalt: "Freiwillige Feldbefreiungen"
Klaus Schramm
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Di Sep 27 23:15:54 CEST 2005
Massenhafter ziviler Ungehorsam in neuer Gestalt
"Freiwillige Feldbefreiung" als Auftakt des öffentlichen Widerstands
Am 30./31.Juli 2005 fand in Hohenstein/ Brandenburg in der Umgebung eines
Genmaisfeldes eine Aktion zivilen Ungehorsams gegen die Gentechnik statt. Über
300 Menschen folgten dem Aufruf der Tübinger "Gendreck-weg!"-Initiative zur
"freiwilligen Feldbefreiung". Diese Aktion bildete den Abschluss eines
Wochenendes, dem ein gewaltfreies Aktionstraining, eine Podiumsdiskussion am
Abend sowie eine Messe und eine Kundgebung am Sonntag vorweg ging. Sie hatte zum
Ziel, öffentlich Zeugnis abzulegen, dass der Anbau von genveränderten Pflanzen
in der Bundesrepublik nicht hingenommen wird und sie markierte den Beginn einer
neuen Etappe der Anti-Gentech-Bewegung.
Zwar gab es hierzulande schon früher vereinzelte Zerstörungen von
Genmais-Feldern. Diese geschahen aber nachts und die Akteure blieben im
Verborgenen. Die neue Qualität der "Gendreck-weg!"-Aktion bestand darin, dass
sie öffentlich angekündigt wurde und die Beteiligten als Personen dafür
einstanden.
Die Werkstatt hat zum Gelingen der Aktion beigetragen: Ich habe an der
Vorbereitung mitgewirkt und das Aktionstraining durchgeführt. Und
Werkstatt-Mitglied Achim Schultheiß, Bioimker aus dem Markgräflerland, war mit
im Zug der Demonstranten, die versuchten, auf das Genfeld zu gelangen.
Dass dies drei Menschen tatsächlich gelang, mutet angesichts des großen
Polizeiaufgebots und des Einsatzes von Pferden, Hunden und sogar Räumpanzern
sensationell an. 600 m² Genmaisfläche wurden flachgetreten. Dies war der großen
Entschlossenheit aller Beteiligten zuzuschreiben gepaart mit einer klugen
Taktik, um die Polizeisperren zu umgehen. Damit wurde der Konflikt um die
Gentechnik erfolgreich dramatisiert und ins öffentliche Bewusstsein gerückt,
dass die Durchsetzung der Gentechnik unter massivem Polizeischutz gegen den
Willen der Bevölkerung betrieben wird. Denn über 70 Prozent der Menschen in der
Bundesrepublik lehnen den Einsatz von Gentechnik bei der Nahrungsmittelerzeugung
konstant ab, wie Umfragen seit Jahren ergeben.
Gründe gegen Gentechnik
Wie notwendig und an der Zeit es war, solche Aktionen zu starten, wird an der
Tatsache deutlich, dass in diesem Jahr erstmals auf großen Ackerbauflächen
genmanipulierter Mais in der Bundesrepublik ausgesät werden durfte
(EU-Zulassung). Bei diesem Mais handelt es sich um den sog. BT-Mais Mon810 des
US-Agro-Konzerns Monsanto. Dieser Mais ist toxisch, insofern ihm gentechnisch
die Eigenschaft eingebaut wurde, das Gift zu produzieren, das den Maiszünsler,
einen Schädling, abtöten soll.
Die große Gefahr, die dieser Anbau bedeutet, liegt darin,
- dass dadurch gentechnisch veränderte Organismen in unsere Nahrungsmittelkette
gelangen, denn dieser Mais wird zur Verfütterung z.B. an Kühe verwendet. Die
Milch dieser Kühe muss nicht deklariert werden (dies fällt nicht unter die
EU-Kennzeichnungsrichtlinie).
- dass mit der Aussaat die Kontaminierung der umliegenden Felder stattfindet.
Gentechnisch veränderte Organismen tragen ihre Geninformationen in andere
Pflanzen hinein und kreuzen sich, übertragen durch Pollenflug und z.B. Bienen,
immer weiter aus. Dieser Prozess, einmal in die Natur gesetzt, ist durch nichts
rückgängig zu machen.
- dass wir mit der Zulassung und Ausbreitung der Gentechnik auf unseren Feldern
die Wahlfreiheit entzogen bekommen, ob wir nun genfreie oder genmanipulierte
Nahrung zu uns nehmen wollen. Sind Genpflanzen erst ausgesetzt, durchmischen sie
sich mit konventionell erzeugten und verseuchen das gesamte Saatgut. Die Felder
Kanadas sind bereits fast vollständig genkontaminiert. Diese Strategie der
Schaffung vollendeter Tatsachen wird nach Ansicht vieler KritikerInnen von den
Konzernen bewusst betrieben und ist als kriminell zu bezeichnen. "Es gibt keine
Koexistenz!" war deshalb einer der am meisten gehörten Sätze während des
Wochenendes in Brandenburg.
Last but not least soll darauf hingewiesen werden, dass Agro-Konzerne ein Patent
auf ihre "Gen-Erfindung" bekommen haben, das sie berechtigt, Lizenzgebühren von
den Bauern zu verlangen, und diese zwingt, jedes Jahr neues Saatgut von der
Agro-Industrie zu kaufen. Damit wird ein enormes Abhängigkeitsverhältnis
geschaffen und schon mittelfristig die Kontrolle über unsere Nahrung in die
Hände weniger überaus mächtiger Großkonzernen gelegt.
Die Zeichen für erfolgeichen Widerstand stehen gut. Ob die Implementierung der
Gentechnik national und international verhindert werden kann, hängt davon ab, ob
sich Menschen mit aller Kraft und Entschlossenheit dagegen stellen und mit
Hingabe Widerstand leisten. Wir können uns dabei nicht auf Parteien oder die
staatliche Politik verlassen, wir müssen diese herausfordern und selbst
initiativ werden.
Dabei sind die Voraussetzungen für einen erfolgreichen zivilen Ungehorsam so
günstig wie selten, denn Genfood findet auf ganzer Breite keine Akzeptanz in der
Bevölkerung. Das müssen wir verstärken und zu unseren Gunsten nutzen. Die
stärkste Wirkung, die ziviler Ungehorsam deshalb haben kann, zielt darauf ab,
der Gentech-Lobby die Legitimität zu entziehen, ja sie öffentlich zu ächten Denn
wenn Menschen ein Gesetz übertreten und bewusst missachten, dann sagen sie
damit: Dieses Gesetz, das die Interessen der Konzerne schützt, ist Unrecht (auch
wenn es im juristischen Sinne Recht ist). Mit unserem Handeln dagegen sehen wir
uns im moralischen Recht, ja in der Pflicht, weil wir ein höheres Gut
verteidigen. Wie stand es so schön und frech auf dem Transparent einer
Waldorfschule im Wendland: "Wenn ihr unser Leben missachtet, missachten wir eure
Gesetze!"
Wie weiter?
Die Diskussion über die Perspektiven des gewaltfreien Widerstands ist in vollem
Gange. Wenn diese Ausgabe von Gewaltfrei Aktiv herauskommt, hat in Berlin am
4.9. eine Gendreck-weg-Veranstaltung am Brandenburger Tor stattgefunden, bei der
die TeilnehmerInnen genmanipulierten Mais vor dem Reichstag ablegen wollen mit
der Ankündigung, im kommenden Jahr wieder Felder vom "Gendreck" zu befreien.
Darüber hinaus wird überlegt, eine Selbstbezichtigungskampagne (eingebettet in
ein breites Unterstützungskonzept) zu starten:
Menschen zerstören bewusst genmanipulierte Felder und bekennen sich offen dazu.
Stellen sich hin und sagen: Ja, das habe ich gemacht, weil... Der Gründe gibt es
viele: persönliche, ethische, politische. Das könnte viele Menschen aufrütteln,
die den Ernst der Lage noch nicht erkannt haben. So wie auch ich erst durch die
Aktion auf das Thema aufmerksam geworden bin und ein Bewusstsein dafür bekommen
habe, wie weit fortgeschritten die Entwicklung schon ist.
So wie Achim Schultheiß, den die Polizei festhielt. Sie boten ihm an, er könne
gehen, wenn er erkläre, nicht mehr auf das Genfeld zu wollen. Nein, sagte er, er
bleibe dabei, er wolle auf das Genfeld, um es zu zerstören. Daraufhin wurde er
in Gewahrsam genommen. Mit der Anti-Gentechnik-Bewegung taucht ein neuer
politischer Akteur in der sozialen Bewegungslandschaft auf,der eine große
Anziehungskraft hat:
Sie vereint die Umwelt- mit der Anti-Globalisierungsbewegung und mobilisiert
einen großen Teil von direkt Betroffenen in der Landwirtschaft. Sie fordert aber
auch alle Menschen heraus, denen das Leben lieb ist und die wahrnehmen, dass die
Gentechnik eine Perversion ist, durch die wir unsere Lebensgrundlagen zerstören.
Wer Nachfragen hat, ist gerne eingeladen sich an das Werkstatt-Büro zu wenden.
Wer Anschluss an die "Gendreck-weg!"-Initiative sucht, findet unter
www.gendreck-weg.de erste Informationen.
Bernd Sahler
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Werkstatt für Gewaltfreie Aktion
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