[Gen-Info] Widerstand in der Schweiz

Klaus Schramm 078222664-0001 at t-online.de
Sa Feb 26 00:50:37 CET 2005


Hallo Leute!

Hier ein interessanter Artikel aus der Schweiz. Insbesondere zum
Stand der Scheizer Volksabstimmung über das dortige Gen-Moratorium
ist hier in Deutschland kaum je etwas zu erfahren. Voraussichtlich
sollen die SchweizerInnen nun am 27. November über dessen Fortbestand
entscheiden.

Ciao
   Klaus Schramm
   klaus.schramm at bund.net


http://www.woz.ch/artikel/2005/nr08/schweiz/11447.html

Gentechnologie und Landwirtschaft

Ein Leben für gutes Mehl

Von Sacha Batthyany

Seit einem halben Jahrhundert kämpft Werner Schüpbach gegen den Einsatz 
chemischer Düngemittel und die Marktmächtigen in der Landwirtschaft. Früher als 
Biobauer, jetzt als Aktivist. Sein aktueller Feind ist die Gentechnologie. 

In der Küche des achtzigjährigen Werner Schüpbach steht eine Getreidemühle aus 
hellem Holz. Jeden Morgen leert er Getreidekörner oben in die Öffnung, dreht an 
der Kurbel und fängt die Flocken und das Mehl mit einer Schüssel auf. Die 
Flocken sind zäh, etwas trocken, aber gesund. So wie Biobauer Schüpbach auch. 

Schüpbach ist ein Besessener. Für gesunde Nahrung kämpft er schon mehr als ein 
halbes Jahrhundert. Zurzeit steckt er mitten in den Vorbereitungen für den 
Abstimmungskampf zum Gentech-Anbau-Moratorium, über das voraussichtlich im 
Herbst abgestimmt wird. 

Vor achtzig Jahren wurde Werner Schüpbach auf einem Bauernhof bei Fehrenberg im 
Kanton Bern geboren; mit 22 besuchte er die Landwirtschaftsschule in Münsingen, 
die er mit Bestnoten abschloss. Damals sei er richtig stolz gewesen auf sich, 
seinen Abschluss und sein Wissen. Doch er blieb es nicht lange. 

Fünf Jahre später begleitete er einen benachbarten Bauern, den Stättler Rudolf, 
nach Bern an einen Vortrag über biologischen Landbau. «Ich erkannte, dass die 
Kunstdüngerlehre, die vor 140 Jahren vom Chemiker Justus Liebig entwickelt 
worden war und seitdem bei uns an den Schulen gelehrt wird, ein Irrtum ist. Am 
Ende dieses Vortrages hiess es, dass die chemischen Düngemittel durch die Böden 
sickern und das gesamte Quellwasser verseuchen werden. Daran hatte ich nicht 
gedacht. Das hatte uns aber auch niemand gesagt.» Schüpbach verstummt zum ersten 
Mal an diesem Morgen und schüttelt den Kopf. «Der Vortrag in Bern war ein 
Schlüsselerlebnis für mich.» Das war 1954, Schüpbach feierte seinen 27. 
Geburtstag, und sein Leben hatte seine erste Zäsur. 

Er fing an, den Hof der Eltern nach biologischen Kriterien zu bewirtschaften. 
Statt Chemie mehr Handarbeit, statt unnatürlicher Zusätze nur lebendiger 
biologischer Abfall. Und wieder kam alles anders: Schüpbach musste die Arbeit 
wegen Herzrhythmusstörungen und Gelenkentzündungen nach vier Jahren beenden. Für 
Schüpbach ist der Zusammenhang eindeutig. «Meine Gesundheitsprobleme kamen von 
der ungesunden Ernährung. Ich ass damals, ohne darüber nachzudenken, was ich 
ass.» Und dann sagt er etwas leiser: «Ich ass nur tote Nahrung. Alles tote 
Nahrung.» Diesen letzten Satz wird Schüpbach im Verlaufe des Gesprächs noch 
einige Male vor sich hersagen. Alles tote Nahrung. 

«Das Mehl wird tot gemacht»

Bei allem, was Schüpbach später tat, blieb er der biologischen Landwirtschaft 
treu. Er versuchte - meist vergeblich - befreundete Bauern zu bekehren und 
Medien auf Missstände aufmerksam zu machen. Er las Bücher und Broschüren, 
besuchte Vorträge, trat Organisationen bei. Schüpbach rüstete auf. Mit der Zeit 
beschränkte sich seine Kritik nicht mehr nur auf den Einsatz chemischer 
Düngemittel. Schüpbach ging es um eine ganzheitliche Betrachtung, um 
übergeordnete Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft, Ernährung und Gesundheit. 
Der biologische Landbau war nur der Auslöser, war nur eine Schlacht unter 
vielen. «Die meisten Konsumenten meinen, dass Lebensmittel, auf denen 'Bio' 
draufsteht, automatisch gesund seien. Ein Irrtum.» Bei der industriellen 
Herstellung von Brot beispielsweise werde nie das ganze Korn samt den Keimlingen 
verwendet. Ausserdem gehe ein Grossteil der Vitalstoffe und der Enzyme beim 
Erhitzen verloren. Das Mehl verliere an Vitaminen, Mineralien und 
Spurenelementen. Schüpbach sagt: «Das Mehl wird tot gemacht.» 

In der Schweiz essen nur sechs Prozent richtiges Vollkornbrot. Die anderen 94 
Prozent, so Schüpbach, glauben, sie ässen Brot, in Tat und Wahrheit essen sie 
«himmeltraurigen Industriefrass». Allergien, Erkrankungen der Verdauungsorgane, 
auch Krebs, das sind die Folgen. Für Schüpbach ist das ausgemacht. «Oder nehmen 
wir Diabetes-2. Diabetes-2 ist eine hochgradige Ernährungskrankheit, nur weiss 
das niemand. Dabei steht alles in diesen Büchern.» Schüpbach zeigt mit dem 
Finger auf eine Reihe dicker Bücher. Schüpbach sagt: «Wer die nicht gelesen hat, 
weiss nichts.» 

Prof. Felix Escher vom Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften 
an der ETH Zürich sagt: «Seit der Industrialisierung haben ernährungsbedingte 
Erkrankungen und Probleme im Zusammenhang mit der Gesundheit zugenommen. Das 
stimmt. Wobei man relativieren muss: In erster Linie geht es nicht darum, wie 
die Lebensmittel produziert werden, sondern wie man sich ernährt. Es geht um die 
Ausgewogenheit, um den Mix. Einmal Fastfood pro Woche verursacht keine 
gesundheitlichen Probleme, fünfmal schon. Und nicht alle industriell 
hergestellten Nahrungsmittel sind schlechter als frische. Tiefgefrorener Spinat 
beispielsweise hat gleich viel Nährwerte wie frischer Spinat, der zwei Tage lang 
in einem Regal steht oder im Kühlschrank zuhause.» Auf die Gesundheit, so 
Escher, hätten viele Faktoren Einfluss: Bewegungsmangel, Medikamente, Stress. 
Ernährung sei nur einer davon. 

Und bei Diabetes-2? Escher sagt: «Auch hier: Diabetes-2 ist eine 
multifaktorielle Erkrankung. Die Ernährung ist nicht der alleinige Auslöser. 
Übergewicht und Bewegungsmangel können ebenso zu einer Diabetes-2-Erkrankung 
führen wie genetische Veranlagungen und Stoffwechselerkrankungen auch. Sonst 
wäre jeder Diabetes-Patient selber schuld an seiner Erkrankung, und das stimmt 
nicht.» 

Der 80-jährige Schüpbach und der 62-jährige Escher; beide haben viele Bücher 
gelesen. Wahrscheinlich nicht dieselben. 

Schlüsselerlebnis bei Novartis

1998 hatte Schüpbach ein weiteres Schlüsselerlebnis, diesmal im Laborraum von 
Novartis. Es war das Jahr der Genschutzinitiative. Novartis lud zum Dialog, 
Schüpbach hörte sich die Fragen aus dem Publikum an, die Antworten von Novartis 
auch und wusste in diesem Moment, dass die Genschutzinitiative abgelehnt werden 
würde. «Von wegen Dialog. Kritische Fragen wurden nicht beantwortet. Novartis 
sprach von Aids, von Parkinson und Krebs. Von einem Geschenk an die Menschheit, 
der Forschung, der Zukunft. Was konnte man da entgegensetzen.» Aufgeben? 
Niemals. Schüpbach zitiert Studien von französischen WissenschaftlerInnen, die 
Veränderungen der Nieren bei Ratten beobachtet haben, die mit gentechnisch 
verändertem Mais gefüttert worden sind. Er steht auf, zeigt Tabellen und Zahlen 
und ist nicht zu stoppen. Es ist aussichtslos, ihm jetzt eine Frage zu stellen, 
Pausen verhindert er geschickt: Ernährungsprobleme der Dritten Welt, 
US-amerikanische Saatgutfirmen, Medizin, wachsender Fleischkonsum. Alles ohne 
Unterbruch. «Seine Ausdauer und sein Engagement sind bewundernswert», sagt 
Daniel Ammann, Geschäftsführer der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft 
Gentechnologie. Ammann lud ihn ein, im Rahmen der aktuellen Moratoriumskampagne 
gegen den kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln einen 
Vortrag zu halten. «Schüpbach ist ein Initiator von neuen Ideen, einer, der nie 
aufhört, Fragen zu stellen, zu recherchieren und Missstände aufzuzeigen.» 

Gentechnologie und Rinderwahn

Der Keller in Werner Schüpbachs Haus ist gleichzeitig sein Archiv. Hier stehen 
Kisten voller Zeitungen und Unterlagen wild durcheinander. Eine Lampe ohne 
Schirm hängt auf Augenhöhe und blendet, die Wände sind kahl. Draussen stehen 
Bretter, mit denen er Regale bauen will, um alles zu ordnen. Später. «In der 
Gentechnologie müssen wir jetzt etwas unternehmen. Wir dürfen diesen 
entscheidenden Moment nicht verpassen. Nicht wie damals beim Rinderwahnsinn.» 
Rinderwahnsinn? 1970 habe ein befreundeter Futtermittelkontrolleur von der 
schweizerischen land- und milchwirtschaftlichen Versuchsanstalt Bern-Liebefeld 
festgestellt, dass sich Fleischabfälle im Viehfutter befinden. Der Kontrolleur, 
der «Schneider Walter», habe verlangt, die Produktion einzustellen. «Er 
informierte die Direktion und das Bundesamt für Landwirtschaft. Aber leider 
vergeblich. Es gelang ihm nicht, diesen Wahnsinn aufzuhalten. Man hat ihn nicht 
gehört oder nicht hören wollen. Ein ähnlich kritischer Zeitpunkt ist jetzt in 
der Gentechnologie erreicht. Wir müssen die Gentech-Lobby stoppen und das 
Moratorium durchsetzen. Wir haben noch viel Arbeit vor uns.» An Schüpbach liegts 
nicht. Er ist kein bisschen müde - dem frisch gemahlenen Getreidemüsli sei Dank. 

Gentech-Moratorium

Voraussichtlich am 27. November dieses Jahres wird über ein fünfjähriges 
Moratorium gegen den kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten 
Nahrungsmitteln abgestimmt. Die Chance, dass das Volk einem Anbaustopp zustimmt, 
sei intakt, sagt Daniel Ammann, der Geschäftsführer der Schweizerischen 
Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG). Sämtliche landwirtschaftlichen 
Organisationen stünden dahinter. Das Moratorium verhindere jedoch nicht, dass 
gentechnisch veränderte Lebensmittel in die Schweiz importiert werden können. 
Die Ablehnung und Skepsis gegenüber genetisch veränderter Nahrung sei in der 
Bevölkerung jedoch so gross, dass Import und Verkauf unwahrscheinlich seien. 

Swissaid, die Schweizerische Stiftung für Entwicklungszusammenarbeit, stimmte 
ihre Jahreskampagne «Gentechnologie in der Landwirtschaft» auf die 
Moratoriumsdiskussion ab. Geplant sind mehrere Informationsveranstaltungen, bei 
denen auch die Situation der Entwicklungsländer thematisiert wird. 

WOZ vom 24.02.2005




Mehr Informationen über die Mailingliste Gen-Info