[Gen-Info] Fw: [WoZ] Verbreitung von Gen-Saatgut nimmt zu - wie verhält sich Brasilien?
Klaus Schramm
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Do Sep 16 00:39:22 CEST 2004
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Gentechsoja
Lulas Bohnen
Die Verbreitung von genmanipuliertem Saatgut nimmt zu. Argentinien hat sich dem
Markt bereits geöffnet. Wie verhält sich Brasilien?
Von Gerhard Dilger
Roberto Requião ist sauer. «Präsident Lula hat mir zugesagt, dass unsere Region
zur gentechfreien Zone deklariert wird», sagt der Gouverneur des
südbrasilianischen Bundesstaates Paraná. Das war zu Beginn dieses Jahres, doch
auf die Einlösung dieses Versprechens wartet er bis heute. Für Requião steht
fest: «Die Lula-Regierung will den Anbau von Gentechsoja um jeden Preis
durchdrücken.»
Der 63-jährige Politiker der Zentrumspartei PMDB ist in Brasilien zum härtesten
Widersacher der Gentechlobby avanciert. Als Präsident Luiz Inácio im September
2003 den Anbau der Monsanto-Bohnen freigegeben hatte, erliess Requião ebenfalls
ein Dekret: Er untersagte nicht nur den Anbau von Gentechsoja in seiner Provinz
Paraná (ein Fünftel der brasilianischen Sojaproduktion stammt von hier), sondern
er setzte auch rigorose Kontrollen in Paranaguá durch, dem weltweit grössten
Hafen für Getreideexporte. Lastwagen mit Gentechsoja aus Paraguay oder anderen
brasilianischen Nachbarstaaten liess er zurückschicken, internationale
Handelsmultis wie Bunge, Cargill, ADM oder Louis Dreyfus drängte er aus der
Hafenverwaltung. Monsanto und BASF untersagte er den Verkauf von fünf
Herbiziden, darunter das Monsanto-Präparat Roundup. Kein Wunder, gilt Requião in
den Mainstreammedien alternativ als Populist oder als rückwärts gewandter
Investorenschreck.
Schmuggelware aus Argentinien
Soja ist Brasiliens wichtigster Devisenbringer. Im vergangenen Jahr schlugen die
Exporte von Bohnen, Schrot und Öl mit über acht Milliarden Dollar zu Buche. Es
waren die Bauern aus dem südlichsten Bundesstaat Rio Grande do Sul und
Landwirtschaftsminister Roberto Rodrigues, die Lula vor einem Jahr zur
vorläufigen Freigabe von Gentechsoja gedrängt hatten. Ihr stärkstes Argument:
Gentechsoja sei rentabler, und die Skepsis der Europäer schlage sich bisher
nicht in höheren Preisen für konventionelle Soja nieder.
Vor allem aber werden die Soja-Dollars für den Schuldendienst gebraucht.
Umweltschützer, Verbraucher-NGOs und die Landlosenbewegung MST mussten erkennen:
Die von ihnen unterstützte Regierung bleibt in der Logik des Weltmarkts
gefangen.
Soja ist ein Produkt der Globalisierung: Vor knapp hundert Jahren brachten
japanische Einwanderer die proteinhaltigen gelben Bohnen mit. Von Rio Grande do
Sul aus fanden sie Verbreitung, diese beschleunigte sich in den sechziger
Jahren. Mittlerweile verdrängen die Sojaanbauflächen den Amazonasurwald.
Seit 1997 verwenden Bauern im Süden das aus Argentinien eingeschmuggelte,
genmodifizierte Saatgut mit Spitznamen wie «Maradona» oder «Mercedes 70».
«Im Vergleich zum herkömmlichen Anbau spare ich mit der Monsanto-Soja ein
Drittel der Produktionskosten, denn ich muss meine Felder nur einmal jährlich
mit dem Herbizid Roundup spritzen», sagt Landwirt Hamilton Jardim aus Palmeira
das Missões, einer Kleinstadt gut 400 Kilometer nordwestlich von Porto Alegre.
In den neunziger Jahren hatten die Monsanto-Wissenschaftler ihrer Soja ein Gen
eingepflanzt, das sie gegen das Gift aus dem eigenen Hause (Roundup) resistent
macht - und dem Multi ein doppeltes Geschäft sichert. Noch wird Roundup zwar
besser mit dem Unkraut fertig als herkömmliche Herbizide, doch in Argentinien
sind wegen zunehmender Resistenzen bereits mehrere Applikationen der Regelfall.
In Rio Grande do Sul sind über achtzig Prozent der gesamten Produktion
gentechnisch verändert, und Monsanto kassiert seit diesem Jahr für jeden
60-Kilogramm-Sack Soja eine Gebühr von umgerechnet 25 Rappen.
Gentechfreie Zonen?
Der Trend zur Gentechsoja sei nicht mehr aufzuhalten, meint der Landwirt Jardim,
und auch der Sojahändler Antonio Sartori aus Porto Alegre ist dieser Ansicht:
Jetzt müsse nur noch die Gesetzeslage endgültig geklärt werden.
Gentechgegner wie der linke Bundesabgeordnete Adão Pretto und die Agronomin
Flavia Londres von der Kampagne für ein gentechfreies Brasilien hoffen auf
Schadenbegrenzung. Um seine Umweltministerin Marina Silva zu halten, werde sich
Lula dafür einsetzen, dass das Umweltministerium künftig bei der Freigabe von
gentechnisch veränderten Organismen mitentscheiden darf, glaubt Londres. So
steht es zumindest im Gesetzesentwurf der Regierung zur «Biosicherheit». Doch
die Agrarlobby im Kongress mauert. Deswegen dürfte Lula demnächst erneut eine
«Ausnahmeerlaubnis» für die kommende Aussaat erteilen.
Aber nicht überall wird schon heute Gentechsoja angepflanzt. Nach
Regierungsangaben waren nur acht Prozent der letzten Ernte gentechnisch
verändert. Anders als in Rio Grande do Sul dominiert im übrigen Brasilien noch
die konventionelle Soja. In der Agrarhochburg Mato Grosso etwa, die vom weltweit
grössten Sojaproduzenten und Gouverneur Blairo Maggi regiert wird, hoffen viele
Farmer darauf, dass die im Vergleich zum Gentechsojaanbau höheren
Produktionskosten künftig durch höhere Preise ausgeglichen werden.
In diese Richtung zielt ein Projekt, das kürzlich auf den
deutsch-brasilianischen Wirtschaftstagen in Stuttgart angestossen wurde. Geplant
ist, dass Brasilien eigene Anbaugebiete und Hafenanlagen für gentechfreie Soja
ausweist.
Für «100-prozentige Nicht-Gentechsoja» müssten die Europäer aber einen Aufpreis
zahlen und langfristige Lieferverträge abschliessen, sagte Bunge-Manager Carlo
Lovatelli, derzeit Chef des Sojadachverbands Abiove und der brasilianischen
Agrobusiness-Vereinigung. Beide Seiten seien gerade dabei, das Projekt
auszuarbeiten. Allerdings sei dafür der brasilianische Mittelwesten geeigneter,
denn in Paraná betrage der Gentechsojaanteil bereits mehr als zehn Prozent der
Produktion.
Paranás Gouverneur Requião bestreitet dies vehement. «De facto haben wir hier
bereits eine gentechfreie Zone», versichert er.
Fest steht: Beide Seiten hantieren mit lückenhaften Statistiken, und Requiãos
Intimfeind, Lulas Minister Rodrigues, lässt nichts unversucht, um das Projekt
eines gentechfreien Paraná zu sabotieren. Der Gouverneur, der die
Kleinproduzenten und globalisierungskritische Organisationen auf seiner Seite
weiss, pocht auf das Vorsichtsprinzip. Die Haltung des brasilianischen
Agrobusiness erklärt Requião so: «Die werden von dem US-amerikanischen Konzern
Bunge finanziert, also von internationalen Interessen. Mit der hoch
subventionierten US-Gentechsoja könnten wir im Falle einer Überproduktion nicht
konkurrieren.» Und die Haltung der Regierung Lula dazu? Diese sei lauwarm,
weinerlich, sagt Requião. Er denke, mittel- und langfristig sei Gentechsoja für
Brasilien «ein schlechtes Geschäft».
WOZ vom 19.08.2004
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