[Gen-Info] Artikel aus der Sueddeutschen

Klaus Schramm 078222664-0001 at t-online.de
So Jun 20 23:43:46 CEST 2004


Hallo Leute!

Zum Gentechnik-Gesetz ist von unserer Seite bereits alles gesagt. Besonders
enttäuschend ist die positive Reaktion des BUND. Wenn wir folgendes in einer 
aktuellen PM lesen müssen, ist das recht bitter:

"Das öffentliche Register ist ein geeignetes Instrument für mehr 
Transparenz bei der Agro-Gentechnik", sagte die BUND-Vorsitzende 
Angelika Zahrnt. "Jetzt können Bauern, Imker, Anwohner und alle 
anderen Interessierten über das Internet erfahren, wo sich Felder 
mit gentechnisch veränderten Pflanzen befinden."

Frau Zahrnt hat alle nötigen Informationen, so daß sie wissen könnte,
daß Koexistenz, die mit diesem Gesetz angeblich gewährleistet werden
soll, nicht möglich ist.

Hier (unten einkopiert) ein recht guter Artikel aus der Süddeutschen 
Zeitung v. Samstag, 19.06.04.

Ciao
   Klaus Schramm
   klaus.schramm at bund.net

19.06.04
Gen-Pflanzen: Der Anbau in Bayern verunsichert Landwirte und Verbraucher

Manipulation am Mittagstisch

Über die Chancen und Risiken gentechnisch veränderter Nahrungsmittel - ein
Forscher und eine Kritikerin im Streitgespräch
Auch in Bayern wird jetzt erstmals Gen-Mais angebaut. Über das Pro und
Kontra diskutieren die promovierte Biologin Martha Mertens vom Bund für
Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) und Professor Gerhard Wenzel
vom Lehrstuhl für Pflanzenbau und -züchtung der Technischen Universität
München.
SZ: Die Grünen haben bei der Europawahl mit ihrer Kampagne gegen die
Gentechnik Stimmen geholt. Ärgert Sie das?
Wenzel: Ich bin nicht glücklich, dass hier mit Argumenten, die aus dem Bauch
heraus kommen, Wahlkampf gemacht wird. Es wäre besser, wenn man sich auf
Daten stützen würde. Aber Populismus kommt beim Verbraucher gut an.
Mertens: Gerade relativ gut informierte Menschen lehnen Gentechnik ab.
Wenzel: Ich halte ja ständig Vorträge. Wenn man hier die grundlegenden
Tatsachen erläutert, dann kommt bei der Mehrzahl der Zuhörer das Verständnis
auf, dass man die Gentechnik nicht pauschal ablehnen kann.
SZ: Aber 70 Prozent der Deutschen lehnen grüne Gentechnik ab.
Wenzel: Ich bin daher skeptisch, ob es gelingen wird, in den nächsten fünf
Jahren in Deutschland gentechnisch produzierte Nahrungsmittel, die hier auch
gewachsen sind, auf den Markt zu bringen. Es ist verrückt, dass transgener
Zuckermais eingeführt und verzehrt werden kann, wir ihn aber nicht anbauen
dürfen. Wir exportieren also den Anbau ins Ausland.
Mertens: Gentechnisch veränderter Zuckermais wird hier in absehbarer Zeit
nicht auf den Markt kommen, weil weder der Handel noch die Verbraucher
Interesse daran haben.
Wenzel: Dank der unglaublichen Aktivitäten der Firma Greenpeace ist eine
Stimmung aufgekommen, die es jedem Lebensmittelkonzern schwer macht, mit der
Kennzeichnung anzufangen.
SZ: Aber warum soll ein Bauer gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen, wenn
der Verbraucher es nicht will?
Wenzel: Bei der derzeitigen Haftungsfrage würde ich es keinem Bauern
empfehlen. Andererseits wird es schon bald so sein, dass der
Lebensmittelhandel nur schwer Rohstoffe bekommt, die frei von transgenen
Substanzen sind. Das ist ein Faktum. Bei den Nahrungsmitteln werden wir noch
ein halbes Jahr mit gentechnikfreien Produkten operieren können. Danach wird
man vor allem wegen der Zusatzstoffe zur Kennzeichnung gezwungen sein.
SZ: Warum dann grüne Gentechnik?
Wenzel: Ich unterstütze die Umwelt, weil die Pflanzen kaum Pflanzenschutz
mehr brauchen; ich sichere Ernten; ich bringe neue Qualitäten in die
Pflanzen: In der Kartoffel kann ein Wirkstoff die Altersblindheit
reduzieren. Jetzt fahren alle Menschen Autos mit Klimaanlagen. Warum soll
man in der Pflanzenzüchtung nicht tun, was wir in der gesamten Industrie
tun? Auch in der Pflanzenzüchtung haben wir eine ständige Entwicklung neuer
Techniken.
Mertens: Aber ich habe noch nie gehört, dass sich Autos mit Klimaanlagen
selbst vermehren. Pflanzen sind lebendige Wesen und können sich
selbstständig ausbreiten und vermehren. Man kann sie nicht wie Autos wieder
in die Werkstatt zurückholen.
SZ: Kritiker behaupten, grüne Gentechnik sei gefährlicher als Atomkraft. Ist
das Panikmache?
Wenzel: Ganz klar ja! Tatsache ist, dass wir in der grünen Gentechnik
inzwischen biologische Prozesse verstanden haben und anfangen, sie zur
Gestaltung zu nutzen. Auch als die Glühbirne kam, hat es diese Panikmache
gegeben.
SZ: Die Glühbirne ist aber rückholbar.
Wenzel: Die Rückholbarkeit ist in der Tat ein Punkt, den man sehr gut
beobachten muss. Deshalb sage ich auch nicht grundsätzlich, dass alle
Gentechnik gut ist. Wir haben ein umfangreiches Gentechnikgesetz - genau
wegen dieses Problems. Bevor ich Pflanzen in die Umwelt entlasse, muss
gesichert sein, dass daraus keine negativen Folgen entstehen. Das kann man
inzwischen sehr gut beurteilen. Wenn Pflanzen wirklich auswildern, werden
sie sich in der Regel wieder aus der Natur verabschieden, wenn sie keinen
selektiven Vorteil haben.
Mertens: Wie wollen Sie das denn sicher stellen? Da haben wir überhaupt
keine Sicherheit in dieser Richtung. Es ist auch nicht so, dass nur
Eigenschaften erhalten werden, die gebraucht werden. Vieles wird
mitgeschleppt und kommt erst wieder zum Tragen, wenn sich die
Umweltbedingungen ändern. Wenn es um die Schädlingsresistenz geht, dann
müsste man sehr viel vorsichtiger sein. Denn die bringt automatisch
Selektionsvorteile mit sich. Und was den Quantensprung in der Biologie
anbelangt: Wir wissen immer noch nichts. Schauen Sie sich doch mal das
humane Genom an: Wir haben gedacht, 95 Prozent davon seien Abfall. Erst
jetzt erkennt man, dass der vermeintlich Junk wichtige Aufgaben hat. Die
Ökosysteme sind so komplex, dass man sie nie überschauen kann!
SZ: Das kleine Flussneunauge aus Europa bringt die großen Seen in
Nordamerika zum Umkippen.
Wenzel: Diese Gefahr hat nichts mit Gentechnik zu tun. Mit einem Organismus
bringen Sie immer gleich 30 000 Gene aus! Wir operieren gerade mal mit zwei
bis fünf Genen. Ich sage nicht, dass nichts passieren kann. Natürlich kann
es sein, dass wir ein Gen übertragen, das etwas ganz Verrücktes macht und
wir es in den zehn Jahren nicht merken, die es dauert, bis die Pflanze in
den Verkehr gebracht wird. Die Wahrscheinlichkeit ist aber außerordentlich
gering.
Mertens: Die Fremd-Organismen sind weltweit ein gewaltiges Problem. Daran
sieht man, dass die besten Absichten nicht schützen und es sehr schwierig
und teuer - wenn überhaupt möglich - ist, etwas wieder in den Griff zu
bekommen, das schief gelaufen ist. Das rät zur Vorsicht. Es bleiben auch
nicht alle Pflanzen, die verändert werden, auf dem Acker. Auch einzelne
Eigenschaften können zu einer unerwünschten Ausbreitung führen, besonders
wenn sie in Wildpflanzen einkreuzen.
SZ: In Bayern werden Anbauversuche gemacht. Ist die Koexistenz möglich?
Mertens: Nach den Erfahrungen aus den USA und Kanada geht das praktisch
nicht. Insbesondere bei Raps. Da viele Bauern grundsätzlich gegen transgene
Pflanzen sind, wollen sie auch nicht gezwungen werden, solche Pflanzen als
Folge einer Kontamination zum Beispiel von Saatgut auch noch selbst
anzubauen. Das erbost sie zu Recht.
Wenzel: Die Koexistenz ist dann möglich, wenn man vernünftige Schwellenwerte
einführt. Wir haben auch jetzt schon im Saatgutverkehrsgesetz solche
Schwellenwerte, denn es kann nicht gelingen, einen lebendigen Organismus
hundert Prozent rein zu erzeugen. Wenn sie heute eine Weizensorte kaufen,
sind in diesem Saatgut bis zu zwei Prozent andere Weizen drin. Wenn sie eine
Gräsersorte kaufen, sind bis zu 15 Prozent Beimischung erlaubt. Bei
transgenen Pflanzen hat man den Schwellenwert für den Verzehr auf 0,9
Prozent gesenkt.
SZ: Bayerische Biobauern fürchten aber den Ruin. Zu Recht?
Wenzel: Bio und Gentechnik sind keine Gegensätze. Ein Biobauer könnte auch
transgene Pflanzen nutzen. Dass er das nicht tut, ist eine freiwillige
Selbstbeschränkung aus ökonomischen Gründen.
Mertens: Biobauern haben eine andere Herangehensweise. Sie betrachten das
gesamte System und nicht isolierte Lösungen, die wieder neue Probleme
verursachen. Sie setzen stärker auf die Selbstregulation der ökologischen
Systeme.
Wenzel: Es wird sicher passieren, dass Biobauern nicht völlig
gentechnikfreie Produkte ernten, wenn sie neben gentechnisch veränderten
Pflanzen wachsen. Es können ja auch heute biologische Waren verkauft werden,
auf die das Spritzmittel vom Nachbarn gedriftet ist. Ein Bauer darf die
Technik nur nicht selbst einsetzen. Bei der Gentechnik ist es genauso.
Mertens: Das ist nicht vergleichbar, denn Pestizide sind keine veränderten
Organismen, die sich vermehren und ausbreiten können.
SZ: Kann man hier überhaupt noch an transgenen Pflanzen forschen?
Wenzel: Ich habe 13 000 Euro für ein Feld investiert, um Kameras zu
installieren, nachdem es voriges Jahre dreimal zerstört worden ist. Ich
befürchte, dass das Feld trotzdem auch in diesem Jahr zerstört wird.
Forschung ist kaum noch möglich.
SZ: Ist der Widerstand gegen transgene Pflanzen nicht vergebens?
Mertens: Seit einiger Zeit ist seitens der Wissenschaft, der Politik und der
Industrie die Strategie zu beobachten: Es wird den Bürgern suggeriert, dass
sie sich zwar wehren können, dass das aber nichts hilft. Ich sage, die
Menschen dürfen das nicht akzeptieren. Es kann nicht sein, dass wenige
Firmen entscheiden, was eine Bevölkerung zu sich nimmt und welche Technik
sie zu akzeptieren hat.
Wenzel: Unabhängig davon, ob wir das selbst produzieren, werden wir hier
bald transgene Nahrung auf dem Teller haben. Deutschland kann mitmischen
oder das den USA überlassen. Dann wundern wir uns, wenn es beim Mais um
Herbizid-Toleranz geht, die wir hier nicht brauchen. Wir brauchen
Pilzresistenz und Hitzetoleranz, gerade in Bayern. Daran arbeiten wir.
Mertens: Es ist eine sehr enge Sicht, wenn man glaubt, die Probleme der
Landwirtschaft mit Gen-Technik lösen zu können. Ich sehe die Zukunft in
nachhaltiger Produktion, die mehr Rücksicht nimmt auf natürliche Ressourcen
und auf Vielfalt setzt.

Moderation: Sebastian Beck und Christian Schneider




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