[Gen-Info] politischer Pollenflug

Klaus Schramm 078222664-0001 at t-online.de
Sa Nov 8 22:48:17 CET 2003


Hallo Leute !

Hier mal ein für FAZ-Verhältnisse überraschend "neutraler" Artikel - 
dazu überrascht auch, daß das Gen-Moratorium mal ausnahmsweise nicht
als bereits beendet bezeichnet wird...

Ciao
   Klaus
   klaus.schramm at bund.net


Frankfurter Allgemeine Zeitung
Donnerstag, 06. November 2003, Nr. 258
Seite 3, Politik
Politischer Pollenflug
Gentechnik auf dem Acker / Von Christian Schwägerl

BERLIN, 5. November. In seinem früheren Leben war Jens Katzek als
Kampagnenleiter des Bund für Umwelt und Naturschutz gegen die Gentechnik
aktiv. Noch 1996 warnte er davor, die Verbraucher "gegen ihren Willen zu
Versuchskaninchen für die genmanipulierte Massenernährung" zu machen. Dann
wechselte er das Lager, weil ihm viele Positionen in der Umweltbewegung als
zunehmend ritualisiert und fundamentalistisch erschienen. Er begann eine
Karriere in der Biotechnologie, was ihm frühere Weggenossen als Verrat
übelnahmen. Schon bald könnte Katzek in der Ökoszene endgültig zur Persona
non grata werden. Als Geschäftsführer der "Bio Mitteldeutschland", einer
Agentur der sachsen-anhaltischen Landesregierung, will er nun helfen, den
ersten großflächigen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland
zu organisieren.
Am Freitag kommen in Magdeburg Vertreter der CDU-geführten Landesregierung
mit Saatgutfirmen und innovations- wie risikofreudigen Landwirten zusammen,
um ein Abkommen zu unterzeichnen. Im Rahmen eines gemeinsamen Anbauprogramms
soll auf mehreren hundert Hektar Ackerland erprobt werden, wie sich
sogenannter Bt-Mais im ganz normalen Anbau bewährt. In das Erbgut des Maises
wurde ein Bakteriengen eingeschleust. Es produziert ein Eiweiß, das für die
Larven eines wichtigen Schädlings, des Maiszünslers, giftig ist. Kritiker
fürchten, daß das biologisch erzeugte Gift auch anderen Insekten schaden und
daß das Bakteriengen auf andere Maissorten, etwa von Ökobauern, übertragen
werden könnte.
Trotz weitverbreiteter Skepsis in der Bevölkerung glaubt man in
Sachsen-Anhalt an die Zukunft der Gentechnik in der Landwirtschaft und will
ihre Möglichkeiten erkunden, sobald ein großflächiger Anbau rechtlich
zulässig ist. Daß in Amerika, Kanada, China und Argentinien bereits sechzig
Millionen Hektar Land mit Gentech-Pflanzen bebaut werden, läßt
Agrarministerin Wernicke und Wirtschaftsminister Rehberger hoffen, hier
liege ein Zukunftsmarkt für neue Sorten und Verfahren, auf dem das
wirtschaftlich schwache Bundesland punkten könne. Hundert Millionen Euro
investiert die Landesregierung in eine "Biotechnologie-Offensive". Der Anbau
von Gentech-Pflanzen gehört als Priorität dazu. Das Land hat bereits mehrere
renommierte Forschungsinstitute auf diesem Gebiet vorzuweisen, darunter das
Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben.
Zudem gibt es spezialisierte Firmen. Hat man sich in Magdeburg bisher
gegrämt, als Agrarland bekannt zu sein, soll das nun zum Aushängeschild für
Technologiefreundlichkeit werden.
Die Magdeburger Initiative markiert einen tiefen Einschnitt im Umgang der
Deutschen mit der Grünen Gentechnik. Bisher wurden die High-Tech-Pflanzen
nur auf wenigen Hektar Forschungsflächen angebaut, aber nicht als
kommerzielle Ware, die in die Lebensmittelproduktion eingespeist wird. Den
Pflanzenbestand auf den Forschungsflächen haben in vielen Fällen
Greenpeace-Aktivisten abgeräumt. Doch schon im nächsten Jahr könnten die
radikalen Gegner der Gentechnik den Überblick verlieren, wenn sich nicht nur
in Sachsen-Anhalt, sondern im ganzen Bundesgebiet Bauern für die neuen
Pflanzensorten entscheiden. Denn ein bislang geltendes Moratorium der EU für
Zulassung und Anbau genveränderter Pflanzen läuft in diesen Monaten aus. An
seine Stelle treten strenge Brüsseler Regeln, die den sicheren Anbau
ermöglichen und dem Verbraucher die Wahl zwischen konventionellen
Lebensmitteln und solchen mit Gentechnik sichern sollen.
Wie genau diese Regeln in deutsches Recht umgesetzt werden sollen, darüber
streiten in Berlin derzeit die Ressorts für Verbraucherschutz, Wirtschaft
und For schung. Von der Ausgestaltung im deutschen Gentechnik-Gesetz wird es
abhängen, wie viele Bauern sich ab nächstem Jahr für die neue Technik
entscheiden werden. Formal zuständig ist Verbraucherschutzministerin Künast
(Grüne), die kein Geheimnis daraus macht, daß sie der Gentechnik skeptisch
gegenübersteht. Um das zu verdeutlichen, ließ sie aus ihrem Entwurf für das
Gentechnik-Gesetz als erstes die bisher gültige Regel streichen, der Staat
sei auch für die Förderung der neuen Technologie zuständig. Künftig sollen
sich die Beamten allein um den Schutz vor Gefahren kümmern. Zudem will
Künast Bauern, die Gentech-Pflanzen anbauen, umfangreiche Haftungspflichten
auferlegen. Sie sollen für Verluste bezahlen, wenn ein Nachbar seine Ernte
nicht mehr als "gentechnikfrei" vermarkten kann, weil das neuartige Erbgut
per Pollenflug oder Samen von umliegenden Feldern eingewandert ist. Ist
nicht feststellbar, von wem die fremden Gene kamen, sollen alle Bauern der
Region, die als Verursacher in Frage kommen, gemeinsam zur Kasse gebeten
werden.
Künast hat bei ihrem Kurs besonders die Interessen des Ökolandbaus im Blick,
dessen Produkte mit dem Verzicht auf Gentechnologie beworben werden. Kommen
gentechnische Merkmale über den Pollenflug zum Ökoacker, könnte schnell
Schluß sein mit dem Label "Öko" und den höheren Preisen, die es ermöglicht.
Ab einem Schwellenwert von 0,9 Prozent Gewichtsanteil müssen Waren ab dem
Frühjahr 2004 mit dem Hinweis "Mit Gentechnik" versehen werden. Gentechniker
werben zwar für ihre Arbeit mit dem Hinweis, der Landverbrauch und der
Einsatz von Pflanzenschutzmitteln lasse sich mit ihren Produkten senken,
doch die Statuten des Ökolandbaus sehen einen Verzicht auf Pestizide und
Gentechnik vor.
Sicherheitsabstände und Informationsaustausch sollen helfen, den Anteil von
gentechnisch verändertem Material bei Produkten von ökologisch und
konventionell wirtschaftenden Bauern unter- dem Schwellenwert zu halten.
Wird der Wert aber überschritten, müßte der Gentech-Landwirt haften. An
diesem finanziellen Risiko wird es wohl hängen, ob Bauern sich auf die Grüne
Gentechnik einlassen. Deutsche Versicherer zerbrechen sich bereits den Kopf,
wie teuer die Haftungspflichten-für sie werden könnten, sollten sich viele
Bauern für die Gentechnik entscheiden, und manche überlegen schon, das
Risiko auf die Bauern abzuwälzen. So vertritt der Gesamtverband der
Deutschen versicherungswirtschaft die Position, der Pollenflug von einem
Feld zum anderen sei so vorhersagbar, daß man seine Folgen aus
grundsätzlichen Gründen gar nicht versichern könne. Wären die Bauern nicht
von ihrer Haftpflichtpolice geschützt, würde wohl keiner das Risiko
eingehen, Gentech-Pflanzen anzubauen und des Nachbarn Ernteausfall bezahlen
zu müssen.
In den Ressorts für Forschung und für Wirtschaft ist der Gesetzentwurf auch
wegen der Haftungsregeln auf lautstarken Protest gestoßen. Mehrere Treffen
von Experten und zuletzt von Abteilungsleitern der Ministerien haben bisher
aber keine Annäherung gebracht. Am Ende, wird gemutmaßt, muß Bundeskanzler
Schröder ein Machtwort sprechen, welche Regeln dem Bundestag vorgelegt
werden. Schröder zeichnet bei diesem Thema Wankelmut aus. Noch im Sommer
2000 schlug er den deutschen Saatgutzüchtern ein großangelegtes
Anbauprogramm vor, wie es nun Sachsen-Anhalt verfolgt. Als dann wenig später
die ersten Fälle von Rinderwahnsinn bekannt wurden, zog er das Angebot
zurück, aus Rücksicht auf die Verbraucher, wie es hieß. Will der Kanzler die
Gentechnik nun fördern, wie er oft betont, müßte er die aus Umfragen
bekannte Skepsis der Verbraucher übergehen und darauf setzen, daß ihnen die
neuen Produkte vielleicht sogar schmecken werden.




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