[Gen-Info] Interview von Künast

Klaus Schramm 078222664-0001 at t-online.de
Fr Okt 24 17:22:47 CEST 2003


Hallo Leute !

Hier ein vielsagendes Interview mit Renate Künast. Als entscheidenden
Satz erachte ich: "Das Abstimmungsverhalten Deutschlands
ist noch in der Ressortabstimmung."

Hat jemand andere Vorschläge ?

(Nebenbei bemerkt: Dagmar Dehmer arbeitete vor einiger Zeit bei der
Badischen Zeitung in Freiburg)

Ciao
   Klaus
   klaus.schramm at bund.net


Interview mit Verbraucher- und Agrarministerin Renate Kuenast -
Tagesspiegel, Berlin, 22.10.03

(http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/22.10.2003/801393.asp)


"Wir wollen, dass Verbraucher die Wahl haben"
Agrarministerin Renate Künast über ihr Gentechnikgesetz und die Mutlosigkeit
der Europäischen Kommission


Die Europäische Union verlangt, dass Lebensmittel gekennzeichnet werden
müssen, wenn sie mehr als 0,9 Prozent gentechnisch verändertes Material
enthalten. Wozu braucht es ein neues Gentechnikgesetz?

Wir sind uns mit der Europäischen Kommission einig, dass wir Regeln zur
Koexistenz brauchen. Um eine gentechnikfreie und eine gentechnisch
veränderte Landwirtschaft nebeneinander existieren zu lassen, reichen
die Kennzeichnungspflicht und die Rückverfolgbarkeit der Lebensmittel
nicht aus. Wir wollen, dass Verbraucher die Wahl haben.


Das Forschungs- und das Wirtschaftsministerium werfen Ihnen vor, die
grüne Gentechnik verhindern zu wollen.

Weltweit wird grüne Gentechnik auf 60 Millionen Hektar angebaut. Die
Frage ist nicht, ob Gentechnik existiert. Wir haben uns in der Koalition
entschieden, Wahlfreiheit und Koexistenz zu organisieren. Um diese zu
ermöglichen, müssen wir sicherstellen, dass es noch gentechnikfreie
Produkte gibt - egal ob bei Saatgut oder Lebensmitteln.


Wo sehen Sie die größten Probleme?


Es muss ein Standortregister geben, das schreibt schon die
EU-Freisetzungsrichtlinie vor. Außerdem reden wir über Haftungsfragen,
den Schutz ökologisch sensibler Gebiete und die wissenschaftliche
Begleitung des Anbaus gentechnisch veränderter Organismen (GVO). Wenn
zwei Felder nebeneinander liegen und die Pollen vom einen auf das andere
fliegen, ist das bisher kein Problem. Doch wenn es ein GVO- und ein
gentechnikfreier Acker sind, hat der konventionell oder ökologisch
wirtschaftende Bauer einen finanziellen Nachteil, wenn die Pollen
fliegen. Der Ökobauer, weil für ihn Gentechnik verboten ist. Wer als
konventioneller Landwirt Lieferverträge hat, die Gentechnikfreiheit
verlangen, hat ebenfalls einen Schaden. Diesen Schaden kann nicht der
Geschädigte tragen.


Vor kurzem ist eine britische Studie veröffentlicht worden, die
nachweist, dass die biologische Vielfalt abnimmt, wenn
herbizidresistente Sorten angebaut werden.

Die von der Regierung in Auftrag gegebene Studie hat eine riesige
Diskussion ausgelöst. Die Studie stellt fest, dass die alte Arbeitsthese
"Gentechnisch veränderte Pflanzen sind gut für die Umwelt, weil
Pflanzenschutzmittel gezielter eingesetzt werden können" nicht stimmt,
im Gegenteil.


Wie wollen die anderen EU-Staaten die Koexistenz regeln? Gibt es Absprachen?

Derzeit beobachtet jeder jeden, besonders bei den Koexistenzregeln.
Deshalb finde ich, dass die Kommission ihrer Verantwortung nicht gerecht
wurde, als sie nur unverbindliche Leitlinien formuliert hat. Sie hat
aber nicht den Mut aufgebracht, verbindliche Regeln zu entwerfen.


Gleichzeitig versucht die Kommission über die Saatgutrichtlinie Fakten
zu schaffen, die eine Koexistenz schwer machen werden. Wie wird sich
Deutschland im EU-Saatgutausschuss bei der geplanten Probeabstimmung
verhalten?

Wir wollen, dass die 0,9 Prozent, die als zulässige gentechnische
Verunreinigung für die Kennzeichnung von Lebensmitteln beschlossen
worden ist, auch zu halten sind. Das Abstimmungsverhalten Deutschlands
ist noch in der Ressortabstimmung. Aber natürlich gibt es auch Fragen an
die Kommission. Zum einen haben wir rechtliche Zweifel daran, dass sie
mit dem Plan, die Schwellenwerte für eine gentechnische Verunreinigung
von Saatgut zwischen 0,3 und 0,7 Prozent im Saatgutausschuss
festzulegen, das korrekte Verfahren gewählt hat. Inhaltlich ist zudem
die Frage, ob 0,9 Prozent bei Lebensmitteln mit diesen Schwellenwerten
im Saatgut einzuhalten sind. Das müssen auch die EU-Wissenschaftler
beantworten. Es darf keine Strategie gefahren werden, die dazu führt,
dass sich die genetisch veränderten Organismen schleichend ausbreiten.
Wahlfreiheit fängt beim Saatgut an.


Die Saatgutkonzerne argumentieren, dass gesundheitliche Schäden bisher
nicht aufgetreten sind, und ihre Pflanzen gegen den Welthunger helfen.
Kann man da dagegen sein?

Die Tragik ist: Der größte Teil der Menschen, die hungern, lebt auf dem
Land und arbeitet in der Landwirtschaft. Es gibt riesige Anbauflächen,
auf denen Exportprodukte für den Norden angebaut und Löhne gezahlt
werden, von denen niemand leben kann. Wenn man den Menschen Land und
Saatgut gäbe, könnten sie sich auch selbst ernähren. Es gibt genug
Nahrung auf der Welt. Sie ist nicht richtig verteilt.



Das Interview führte Dagmar Dehmer.




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