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<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"><FONT size=5>Plädoyer für ein anderes
Korrespondieren<BR></FONT>von Klaus Jürgen Schmidt / </FONT><A
href="mailto:radiobridge@aol.com"><FONT size=3
face="Times New Roman">radiobridge@aol.com</FONT></A><FONT size=3
face="Times New Roman"> / </FONT><A href="http://www.radiobridge.net"><FONT
size=3 face="Times New Roman">www.radiobridge.net</FONT></A></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">Mitte April 1974 – Nelken-Revolution in
Portugal: der ARD-Korrespondent <FONT size=2>***</FONT> ist soeben von Madrid in
Lissabon eingetroffen. Das Telefon in seinem Hotelzimmer klingelt.
Heimat-Redaktionen wollen von ihm eine Einschätzung der Lage – jetzt!<BR>Er ruft
bei einem Kollegen an, bei mir, in der Zeitfunk-Redaktion von Radio Bremen. Ich
will ihn in die Mittagssendung schalten. Er will nicht – er weiss nichts. Er
bittet mich, ihm die neuesten Lageberichte der Nachrichtenagenturen vorzulesen.
Dann schalte ich ihn durch. Radio Bremen-Hörer erfahren von ihm telefonisch aus
Lissabon, was ich ihm soeben vorgelesen habe.</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">8. Oktober 2014 – IS-Truppen drohen,
die syrische Grenzstadt Kobane einzunehmen: Am Morgen höre ich bei NDR-Info eine
Telefon-Schaltung zu einem ARD-Korrespondenten; er soll die Lage einschätzen. Er
kommentiert die Entwicklung an der türkisch-syrischen Grenze – aus dem
ägyptischen Kairo!</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">Meine per E-Mail an die Redaktion
gerichtete Frage, warum das nicht ein Kollege in der Heimatredaktion aus
Agentur-Nachrichten habe destillieren können und statt dessen Hörern
authentisches Korrespondenten-Wissen vorgegaukelt wurde, blieb
unbeantwortet.</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">Wie kommt es, dass nach 40 Jahren das
Korrespondieren zwischen Heimat-Redaktionen und deren Auslands-Berichterstattern
oft noch immer wiedergibt, was auch zu Hause z.B. aus Agenturmeldungen zu
erfahren gewesen wäre?<BR>Oder anders gefragt: Muss unter “Korrespondieren”
verstanden werden, was dieser Begriff sonst noch meint: “korrespondieren =
übereinstimmen, entsprechen, in Beziehung stehen”? Beispiel: <EM>“Das gestrige
Theaterstück korrespondiert inhaltlich mit dem Theaterstück, das wir letzte
Woche gesehen haben.”</EM> (de.wiktionary.org/wiki/korrespondieren)</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">1973 war ich von einer Recherchereise
aus Vietnam zurückgekehrt, bei der nicht Kriegsverlauf, sondern das daraus
folgende Kinderleid im Mittelpunkt stand.<BR>In Saigon hatte mir u.a. ein
Kameramann von seiner Arbeit für ZDF-Sonderkorrespondent Scholl-Latour erzählt:
Es sei lebensgefährlich, in unbekanntem Gelände zu filmen – Minen auf
abgelegenen Straßen, Fallen auf Dschungelwegen! “Man muß sich zu helfen wissen,”
hatte er gegrinst, “für ein paar Piaster gibt es immer ein paar Kinder, die
vorweg gehen!”</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">Ein Konzept für
Dritte-Welt-Berichterstattung müsste her, dachte ich, als mir klar wurde, woraus
das durchschnittliche Korsett eines ausländischen Berichterstatters genäht sein
muss, wenn es in einem hierarchischen Aufstiegssystems hilfreich sein soll;
Muster-Vorgaben aus der Heimatredaktion sind da eher von Vorteil als neue Moden.
</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">Im März 1974 legte ich mein Konzept dem
neuen Chefredakteur bei Radio Bremen vor; der hieß Gert von Paczensky. Dank
seiner Erfahrungen bei der publizistischen Aufarbeitung des französischen
Kolonialkrieges in Algerien fand ich einen aufmerksamen Gesprächspartner und
Förderer für Grundsätze journalistischer Arbeit, die ich so formuliert
hatte:<BR></FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"><EM>> “Die Berichterstattung über
Situation, Strukturen, Entwicklungen und Beziehungen der Dritten Welt –
vornehmlich im Hörfunkbereich – bedarf einer Systematisierung, die sich abwendet
vom kurzatmigen Interesse, oft lediglich ausgelöst durch spektakuläre Ereignisse
und rasch erlahmend bei nachlassender Aktualität.”</EM></FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"><EM></EM></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"><EM>> “Die Sammlung von Fakten darf
sich nicht auf die Erstellung immer neuer Mosaike beschränken; vielmehr müssen
immer wieder Zusammenhänge herausgearbeitet werden, ökonomische, politische,
ideologische Interessen müssen deutlich werden.”</EM></FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"><EM></EM></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"><EM>> “Rückwirkungen auf unser
eigenes gesellschaftliches Selbstverständnis – die zweifellos zur Hauptaufgabe
der gesamten Arbeit gehören – sind aber nur zu erreichen, wenn die Informationen
in einer Weise geliefert werden, die Aufnahmebereitschaft
weckt.”</EM></FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">Drei Jahre lang, von Dezember 1974 bis
Dezember 1977, ermöglichte ein unkonventioneller Chefredakteur mit seiner
Verfügungsgewalt über Etat und Sendeplätze – und mit sachkundigem Rat – ein
Experiment außerhalb von Korrespondenten-Zwängen der ARD, das mich unter
Menschen in Lateinamerika, in Südostasien, in der arabischen Welt lehrte, wie
zwischen unterschiedlichen Kulturen Brücken gebaut werden können.<BR>Diese
Erfahrungen halfen mir später – zwischen 1993 und 2000 – einen globalen und
regelmäßigen Zugang zu Stimmen aus Afrika zu schaffen, mit der überregionalen
Trainings- und Produktionseinrichtung von "Radio Bridge Overseas" in Harare /
Simbabwe (</FONT><A href="http://www.radiobridge.net"><FONT size=3
face="Times New Roman">http://www.radiobridge.net</FONT></A><FONT size=3
face="Times New Roman">).</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">Zwei Prinzipien zeichneten die
Programmarbeit von RBO aus: das erste Prinzip setzte den Schwerpunkt auf die
Sichtweise von Laien. RBO-Korrespondenten nahmen ihre Mikrofone mit zu den
Menschen in ihrem Alltag, am Strassenrand, in Tanzhallen, dort, wo Menschen auf
dem Kontinent zusammenkommen, und sie sammelten so Perspektiven mit einem neuen
Verständnis. Der zweite Aspekt der Programmarbeit von RBO war die Rolle, die den
Autoren in ihren Geschichten zukam. Tatsächlich wurden sie keineswegs ermutigt,
sich aus ihren Geschichten herauszuhalten, im Gegenteil, sie sollten ihre eigene
Haltung nicht verschweigen. Gerade weil RBO eine unabhängige Organisation war,
meinten wir, dass es nur fair sei, wenn die Hörer verstünden, dass RBO’s Autoren
immer aktiver Bestandteil ihrer Umgebung blieben. Es war diese Philosophie, die
RBO’ afrikanische Geschichtenerzähler dazu bewog, sich als Teil ihrer Geschichte
zu begreifen, und viele mögen Sätze benutzt haben wie <EM>"... in meiner
Gesellschaft ...", "... war mein Freund ..."</EM> oder <EM>"... ich hatte Angst
..."</EM></FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">Die ARD erklärt auf ihrer Website:<EM>
“Die Korrespondentinnen und Korrespondenten im In- und Ausland sind das Rückgrat
der ARD-Nachrichtensendungen – sowohl im Fernsehen als auch im Hörfunk und
Online. Sie machen die besondere Qualität unserer Berichterstattung aus. Ob mit
Berichten und Reportagen oder live zugeschaltet vom Ort des Geschehens: Die
Fernseh- und Radio-Korrespondenten der ARD informieren aktuell und kompetent. …
Für das Fernsehen berichten 45 Korrespondenten aus dem Ausland, für das Radio
rund 60 Korrespondenten. Im Jahr 2012 lagen die Kosten für die
Auslandsberichterstattung der ARD bei 67 Millionen Euro: knapp 48 Millionen für
das Fernsehen und 19 Millionen Euro für das Radio.”</EM> (<A
href="http://korrespondenten.tagesschau.de">http://korrespondenten.tagesschau.de</A>)</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">SWR-Auslandsreporter Peter Puhlmann,
seinerzeit mit Sitz in Mexico-City: <EM>„Wir betreuen mehr als 20 Länder,
darunter Mexiko, Zentralamerika, die Karibik und das nördliche Südamerika.
Eigentlich sind wir eher ein Reisebüro, weil wir immer unterwegs sind.“</EM> (<A
href="http://de.wikipedia.org/wiki/Korrespondent">http://de.wikipedia.org/wiki/Korrespondent</A>)</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">Ungefähr zu der Zeit, da private Medien
in den deutschen Rundfunk- und Fernsehmarkt drängten, behaupteten in den
öffentlich-rechtlichen Anstalten neue Quoten-Kontrolleure, Studien zufolge lasse
die Aufmerksamkeit der Zuhörer nach ca. 3,5 Minuten nach, weshalb die Beiträge
meist nicht länger sein sollten. “Sei fleißig! Drei-dreißig!” wurde zur Maßgabe,
bald unterboten von “Eins-dreißig!” für Auslandskorrespondenten, die nun auch
24-Stunden-Aktualitäten-Magazine von ARD-Anstalten zu bedienen hatten.<BR>Ich
war dabei, als dieser Unfug auch bei Radio Bremens “Zeitfunk” eingeführt wurde
und sich unter den Korrespondenten schließlich ein Kollege in Neu-Delhi bereit
fand, sich zur Premiere für einen “Eins-dreißig”-Aufsager am Telefon
bereitzuhalten.<BR>Von diesem Telefon kamen er und immer mehr Auslandskollegen
bald nicht mehr weg! Unter dem Druck, Sendezeiten mit original klingendem
Material vor allem von weit weg zu füllen, nahmen Heimatredaktionen ihren Mann /
ihre Frau vor Ort immer öfter an die Strippe.</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">Am 21. August 2014 erwies ich auf dem
Kölner Melatenfriedhof meinem Mentor Gert von Paczensky die letzte Ehre, wir
begruben ein journalistisches Urgestein.<BR>Begruben wir auch einen
journalistischen Anspruch, z.B. den, Brückenbauer zwischen Kulturen zu
sein?</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">Was wäre nötig für einen solchen
Brückenbau ?</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">Fünf Forderungen für einen radikalen
Umbau von Programm-Verständnis – nicht bloß in Sachen
Dritte-Welt-Berichterstattung:</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">1. In erster Linie, den
Brückenbauern Zeit zum Eintauchen in den Alltag ihrer jeweiligen Gastkultur
verschaffen, indem sie eben nicht mehr <EM>“Rückgrat der
ARD-Nachrichtensendungen”</EM> sein müssen, jederzeit erreichbar für “Aufsager”
nach Zeitplan und Vorgabe von Heimatredaktionen.</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">2. Mit wachsendem Verständnis der
Brückenbauer wäre ihre primäre Aufgabe, immer mehr authentische Quellen zu
erschließen und diesen vor Ort mit Übersetzung und Technik zu helfen, für sich
selber ein Fenster in die Welt ihnen fremder Medien zu öffnen, also selber
Korrespondenten eigener Angelegenheiten zu werden.</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">3. Als Konsequenz in den
Heimatredaktionen: erheblich verstärkte Kooperation mit international
arbeitenden Nachrichtenagenturen und kontinuierliche Verwendung von deren
angeliefertem Material in deutlich ausgewiesenen Nachrichtenblöcken, mit klarer
Quellen-Angabe, aber durchaus in eigener redaktioneller
Bearbeitung.</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">4. Kompletter Verzicht auf
“Häppchen”-Journalismus durch ARD-eigene Auslandsberichterstatter in aktuellen
Magazinen, statt dessen ständiger Freiraum für Originalstimmen zu aktuellen
Zeitfragen, kompetent gesammelt, editiert, deutsch synchronisiert, und ständig
angeboten von den jeweiligen ARD-Auslandbüros, deren nobelste Aufgabe es wäre,
dabei weder politische noch ideologische Filter zuzulassen.</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">5. Neben dieser
Brückenbau-Funktion in einer fremden Kultur würde sich die Kompetenz eines
ARD-Auslandskorrespondenten darin erweisen, ob und wie es ihm/ihr gelingt,
seine/ihre Erfahrungen grundsätzlich zu reflektieren und dabei in gelegentlich
umfangreicheren Programmen und unter Einsatz diverser Formate Hörer-Interesse zu
mobilisieren.</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman">KJS / 14.10.2014</FONT></DIV>
<DIV><FONT size=3 face="Times New Roman"></FONT> </DIV>
<DIV><FONT lang=2 color=#133064 size=3 face="Times New Roman" FAMILY="SANSSERIF"
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