[FoME] Zum Streit um die Frage, wer schwarze Lyrik übersetzen darf

Klaus Jürgen Schmidt radiobridge at aol.com
Sa Apr 3 10:22:50 CEST 2021


WELCHE FARBE MÜSSEN BRÜCKENBAUER HABEN?

Klaus Jürgen Schmidt / radiobridge at aol.com / www.radiobridge.net

Ein Foto zeigt vor blauem Himmel eine weiße und eine schwarze Hand, 
ineinander verschränkt. Das Bild etstand im Juni 1996 in Zimbabwe. Ich 
hatte seinerzeit keine Ahnung, dass jemals die Frage auftauchen würde, 
welche Farbe Menschen haben dürfen, um gemeinsam an Brücken zu bauen.
Arglos hatte ich an deutschen Medien-Fakultäten die Nachricht verbreiten 
lassen, Studenten könnten gerne nach Abschluss ihres Studiums auf eigene 
Kosten drei Monate lang Medien-Praxis bei „RADIO BRIDGE OVERSEAS“ 
sammeln. Die beiden abgebildeten Hände stützten sich gegenseitig während 
des ersten interkulturellen Experiments, bei dem schwarze 
Journalistinnen und Journalisten Geschichten aus ihrer eigenen Kultur 
identifizieren konnten, um sie dann für Radiosender in Deutschland in 
kleinen O-Ton-Features zu erzählen: „Stimmen des Südens für Ohren im 
Norden“.
Dabei, so hatte ich es mir ausgedacht, könnten Medien-Studenten aus dem 
Norden ihren Kolleginnen und Kollegen im Süden helfen. Die aus dem 
Norden würden nie eine eigene Sendung produzieren, sie würden dabei 
assistieren, dass erstmals afrikanische Geschichtenerzähler die Chance 
haben würden, zu verstehen, wie sie was erzählen müssten, damit 
Radiohörer in einer anderen Kultur ihrer Erzählung folgen würden.
Das konnte natürlich nur gelingen, wenn in einem zweiten Schritt, die 
aufgenommenen O-Töne durch die Reporter aus ihren afrikanischen Sprachen 
in ein allgemein verständliches Englisch übersetzt wurden, also für 
weitere Übersetzungen in eine Brückensprache. Und wir hatten im Laufe 
der Zeit O-Töne von Menschen nicht bloß aus Zimbabwe, sondern aus allen 
umliegenden Ländern. Die englischen Übersetzungen waren dann Grundlage 
für die Medien-Studenten aus Deutschland, deutschsprachige Versionen 
herzustellen, für die sie in der Endproduktion auch ihre Stimmen liehen.
Während sie für die Finanzierung von An- und Abreise sowie für ihren 
dreimonatigen Aufenthalt in einem angemieteten RBO-Komplex selber sorgen 
mussten, gelang es mir weitgehend, diese Kosten für die afrikanischen 
Kolleginnen und Kollegen mit Honoraren für RBO-Programme bei Sendern in 
Deutschland, in Österreich und in der Schweiz auszugleichen. Später 
gelang es sogar, Programm-Versionen in afrikanischen Originalsprachen 
bei Sendern in Zimbabwe selbst und in Nachbarländern unterzubringen.
Zurück zum Streit um die aktuelle Frage, wer schwarze Lyrik übersetzen darf:
Wer darf die Lyrik von Amanda Gorman übersetzen? Um das Buch des jungen 
US-Shootingstars gibt es Streit – einige bestehen darauf, es müsse eine 
schwarze Übersetzerin sein.
Okay, die Übersetzung von Lyrik mag eine Zumutung sein. Sich einfühlen 
in die verästelten Windungen eines fremden Gehirns, Assoziationen und 
Anspielungen erfassen und in eine andere Sprache kongenial übertragen, 
das bedarf Erfahrung und Kreativität.
Die aber benötigt jeder Brückenbau!
Das Projekt „RADIO BRIDGE OVERSEAS“ war nur möglich, weil schwarze und 
weiße Brückenbauer gelernt hatten, sich gegenseitig zu unterstützen.




Mehr Informationen über die Mailingliste FoME