[FoME] WG: Bundesregierung darf EU-Entwurf zu Überwachungsexporten nicht verwässern

Christian Mihr | Reporter ohne Grenzen Christian.Mihr at reporter-ohne-grenzen.de
Do Sep 14 13:02:25 CEST 2017



-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Presse | Reporter ohne Grenzen 
Gesendet: Donnerstag, 14. September 2017 12:32
An: Christian Mihr | Reporter ohne Grenzen 
Betreff: ROG: Bundesregierung darf EU-Entwurf zu Überwachungsexporten nicht verwässern

ROG: Bundesregierung darf EU-Entwurf zu Überwachungsexporten nicht verwässern 


(Diese Meldung auf der ROG-Webseite: http://ogy.de/i8rd)

14.09.2017 – Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die Bundesregierung auf, sich nicht gegen schärfere Regeln der Europäischen Union für den Export von Überwachungstechnologie zu stellen. Der Handelsausschuss des Europäischen Parlaments berät derzeit über eine Neufassung der Dual-Use-Verordnung der EU. Diese regelt unter anderem Ausfuhren von Produkten wie „Staatstrojanern“, IMSI-Catchern und anderen Systemen zur Überwachung von Telefon- und Internetverkehr, mit denen repressive Regierungen auch Journalisten ausspähen. Die EU-Kommission will Unternehmen verpflichten, selbst sorgfältig zu prüfen, ob durch den Verkauf solcher Überwachungsprodukte Menschenrechte gefährdet werden könnten. Die Reform bietet auch die Chance, die Kontrollbehörden zu regelmäßigen Berichten zu verpflichten und so endlich mehr Transparenz über Exporte von Überwachungstechnologie zu schaffen.

„Die EU-Kommission hat gute Vorschläge vorgelegt, um Überwachungsexporte an autoritäre Regierungen endlich wirksam zu regulieren“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Dieser richtige Reformansatz darf im Europäischen Parlament nicht auf Druck von Industrie-Lobbyisten verwässert werden.“ Mit Blick auf die vorgeschlagene Ausweitung von Transparenzpflichten fügte Mihr hinzu: „Die europäische Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, ob ihre Regierungen den Handel mit Überwachungstechnologie mit repressiven Regimen unterbinden oder sogar fördern.“

Zu den wichtigsten geplanten Neuerungen gehört eine menschenrechtliche „Catch-all-Klausel“. Demnach müssten Unternehmen künftig selbst dann Exportlizenzen beantragen, wenn ihre Produkte zwar nicht explizit in den Kontrolllisten der Behörden aufgeführt sind, die Unternehmen aber um Verdachtsmomente wissen, dass sie für Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden könnten. Erstmals wären Hersteller damit stärker für ihre eigenen Produkte verantwortlich und könnten strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie gegen Sorgfaltspflichten verstoßen. 

Laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung warnt die Bundesregierung in einem Papier, das in Brüssel zirkuliert, die Behörden würden künftig mit Ausfuhranträgen „geflutet“ werden, weil die Unternehmen nicht wüssten, wie sie den möglichen Missbrauch ziviler Güter vorhersehen sollten (http://ogy.de/vgc5). Der Bundesverband der Deutschen Industrie sieht staatliche Stellen in der Pflicht, die Menschenrechtsrisiken zu beurteilen. Der zuständige Berichterstatter im Europäischen Parlament, Klaus Buchner (ÖDP) hat dazu im April weitgehende Verbesserungen vorgeschlagen.

KONKRETE VORSCHLÄGE FÜR PRAKTIKABLE MENSCHENRECHTSPRÜFUNGEN

Die aktuelle Entwurfsfassung sieht auch vor, dass die EU eigene, sogenannte autonome Listen genehmigungspflichtiger Überwachungstechnologien einführen kann. Bisher nehmen die Exportkontrollen der EU ausschließlich auf die Listen internationaler Regime wie des Wassenaar-Abkommens Bezug. Was dort nicht auftaucht, kann weitgehend frei gehandelt werden. ROG begrüßt die Möglichkeit autonomer Listen, denn damit bekäme die EU die Möglichkeit, bei der Regulierung neuer Überwachungsprodukte mit gutem Beispiel voranzugehen und damit Druck auf andere Exportkontrollregime auszuüben.

Zu den Herausforderungen der Dual-Use-Reform zählt es festzulegen, wie Menschenrechtsgefahren in der Exportkontrolle konkret geprüft werden können, damit das Verfahren für Unternehmen und Behörden handhabbar ist und Schlupflöcher für schwarze Schafe vermieden werden. Reporter ohne Grenzen schlägt vor, sich dabei an neu entwickelten Verfahren der menschenrechtlichen Folgenabschätzung (Human Rights Impact Assessments) zu orientieren (PDF: http://t1p.de/igiq). Dies sind Prüfmethoden, um zum Beispiel beim Bau von Fabriken in Bangladesch Menschenrechtsstandards einzuhalten. Dieser Prozess muss nun auf Exportkontrollen übertragen werden.

Reporter ohne Grenzen hat angeregt, auf europäischer Ebene eine Datenbank zu erstellen, in der Menschenrechtsverletzungen dokumentiert werden. Hiermit entstünde eine verlässliche Recherchegrundlage für Unternehmen, damit diese besser einschätzen können, ob Exporte ihrer Produkte negative Auswirkungen für die Menschenrechte haben könnten. Ein solches Verfahren würde die Kritik der Wirtschaft entkräften, die menschenrechtliche Folgeabschätzung sei für die Unternehmen nicht leistbar. Nach Informationen von ROG denkt das Europäische Parlament mittlerweile in eine ähnliche Richtung.

BEHÖRDEN SOLLTEN REGELMÄSSIG ÜBER AUSFUHRGENEHMIGUNGEN BERICHTEN

Nachholbedarf gibt es zudem bei der Transparenz der Exporte. Die Pflichten für Kontrollbehörden, über Art und Umfang genehmigter Exporte zu informieren, sind bislang völlig unzureichend, so dass etwa journalistische Recherchen dazu meist ins Leere laufen. Bisher kommen deshalb nur Einzelfälle ans Licht, wenn etwa europäische Firmen Überwachungstechnologie in den Nahen Osten liefern. 

Nötig sind jedoch regelmäßige, mindestens jährliche Statistiken, die Dual-Use-Güter in Untergruppen kategorisieren. Digitale Überwachungstechnik könnte eine Untergruppe sein. Nötig sind ferner detaillierte Informationen, aus welchen Ländern wie viele Exportanträge gestellt wurden, wie viele abgelehnt und wie viele bewilligt wurden, in welche Länder wie viele Exporte vollzogen wurden und welches Handelsvolumen sich damit ergibt. Dadurch ließe sich etwa erkennen, ob aus Deutschland immer noch Überwachungstechnologie in Bürgerkriegsländer wie Syrien geliefert wird.

Die EU-Kommission hatte ihren Entwurf für die neue Dual-Use-Verordnung Ende September 2016 vorgelegt (PDF: http://t1p.de/n0lg). In einer Stellungnahme an das Bundeswirtschaftsministerium machte ROG im Februar Vorschläge, wie mit einer präziseren Ausgestaltung der Verordnung die Pressefreiheit wirksam geschützt werden kann (PDF: http://t1p.de/ejm5). Dual Use-Güter können sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke eingesetzt werden. Seit 2015 zählt auch Überwachungstechnologie dazu. Wer zum Beispiel aus Deutschland ein Programm zur Vorratsdatenspeicherung in ein Nicht-EU-Land exportieren will, benötigt dafür eine Genehmigung der nationalen Kontrollbehörde. 

Reporter ohne Grenzen ist regelmäßig mit Fällen konfrontiert, in denen Journalisten überwacht wurden und sie oder ihre Informanten dadurch in Gefahr geraten sind. Im Zuge des Arabischen Frühlings war bekannt geworden, dass Journalisten von autokratischen Regierungen mit Technologien auch aus der EU überwacht worden waren (http://t1p.de/q6se). Mit der Aufnahme solcher Produkte in die Dual-Use-Vorordnung wollte die EU den Handel europäischer Hersteller mit diesen Ländern unterbinden – doch das Geschäft ging weiter.


WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN:
- Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Exportkontrollen für Überwachungstechnologie: www.reporter-ohne-grenzen.de/themen/internetfreiheit/exportkontrolle/ 
- Stellungnahme von Reporter ohne Grenzen zum Entwurf der Dual Use-Verordnung (Februar 2017): http://t1p.de/ejm5 (PDF)
- Entwurf der EU-Kommission (September 2016): http://t1p.de/n0lg (PDF) 



Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer / Anne Renzenbrink
presse at reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29


Mehr Informationen über die Mailingliste FoME