[FoME] Mikrokredite über Websites

Christoph Dietz christoph.dietz at CAMECO.ORG
Fr Feb 19 09:20:59 CET 2010


Aus: Entwicklung und Zusammenarbeit, 2/2010, S.62-63,
http://www.inwent.org/ez/articles/166591/index.de.shtml:
 
Persönliche Note, große Reichweite
 
Websites bieten Privatleuten die Möglichkeit, mit wenig Aufwand und
kleinem Kapitaleinsatz selbst zum Mikrokreditgeber zu werden
beziehungsweise die Arbeit von Mikrofinanzinstitutionen (MFIs) zu
unterstützen. Besonders attraktiv sind diese Angebote wegen der
zumindest suggerierten persönlichen Verbindung zum Kreditnehmer und der
virtuellen Teilhabe an deren Erfolgen.

[ Von Wolfgang Zenker ]

Am 31. Oktober 2009 wurde in San Francisco gefeiert: Die
Internet-Plattform Kiva hatte Mikrokredite in Höhe von insgesamt 100
Millionen Dollar an Empfänger in 50 Ländern vermittelt – davon rund die
Hälfte allein im Laufe des vergangenen Jahres. Das Projekt, das 2005 mit
sieben Krediten in Uganda seinen Ausgang nahm, ist mithin in vier Jahren
zum Global Player geworden. Nachahmer schießen mittlerweile geradezu aus
dem Boden. 

Die Idee ist einfach: Kiva stellt im Internet Kreditanfragen von
Kleinunternehmern vor. Geldgeber suchen sich Projekte aus, die sie mit
wenigstens 25 Dollar unterstützen wollen. Kommt so binnen 30 Tagen die
gesamte Kreditsumme zusammen, zahlen MFIs, die mit Kiva kooperieren, das
Geld vor Ort ohne Abzug an die Kreditnehmer aus. 

Kivas lokale Partner-MFIs verwalten die Kredite, unterstützen die
Kleinunternehmer (etwa durch Schulungen, Versicherungs- und
Bankleistungen) und leiten Rückzahlungen sowie Fortschrittsberichte an
Kiva und die Geldgeber weiter. Weder Kiva noch die Geldgeber erhalten
Zinsen. Allerdings bezahlen die Kreditnehmer meist Zinsen, mit denen die
Kosten abgedeckt werden, die den MFIs entstehen. Diese Kosten (und damit
die Zinsen) sind wegen niedriger Kreditvolumina, kurzer Laufzeiten und
intensiver Betreuungsleistungen im Mikrofinanzwesen typischerweise
relativ hoch. Kiva selbst finanziert sich aus Fördermitteln und
Spenden.

Kivas Erfolg hat mehrere Gründe. So ist das Konzept Mikrofinanz an sich
schon populär. Kredite an Kleinunternehmer gelten als motivierende Hilfe
zur Selbsthilfe mit hohen Rückzahlungsquoten. Den Daten von Kiva zufolge
werden rund 98 Prozent der Mittel zurückᆳgezahlt. Das Risiko bleibt für
die Geldgeber also überschaubar, in der Regel büßen sie nur die
entgangenen Zinsen ein. 

Kiva profitiert zudem von den Vorteilen des Internets. Die
Einstiegshürden sind gering, die Zahlungsabwicklung läuft einfach und
schnell über Paypal, die Website hat internationale Reichweite. Die
Unterstützung durch Prominente wie Bill Clinton, Oprah Winfrey oder
Dambisa Moyo hat sicherlich auch zum Erfolg beigetragen. 

Wichtig ist aber vor allem, dass das soziale Netzwerk von Kiva
Individuen weltweit miteinander verbindet. Nutzer können über ein
Nachrichtensystem miteinander sowie über die Partner-MFIs mit
Kreditnehmern kommunizieren. Kiva unterstützt die persönliche Note und
den Eindruck einer unmittelbaren Verbundenheit mit den Kreditnehmern
durch individuelle Kreditanfragen mit Kurzbiografien und Fotos oder
Videoclips. Fortschrittsberichte werden versprochen und oft (wenn auch
längst nicht immer) in guter Qualität geliefert. Ehrenamtliche „Kiva
Fellows“ spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie unterstützen die
Partner-MFIs in ihrer Arbeit und stellen eigene Mikrofinanzeindrücke,
-erlebnisse und -erfahrungen ins Netz.

Kiva macht kein Geheimnis daraus, dass die Verbindungen oft nicht ganz
so direkt und persönlich sind, wie es auf den ersten Blick erscheint.
Aus Gründen der Praktikabilität nutzen die meisten MFI-Partner Kiva für
ihre Refinanzierung, aber nicht für die unmittelbare
Kreditbereitstellung. In der Regel kommen höchstens 30 Prozent des
Kreditkapitals der MFIs von Kiva, so dass sie die Darlehen selbst aus
anderen Quellen vorfinanzieren können. Auch eine rechtliche
Verpflichtung der Kreditnehmer besteht nur gegenüber den Partner-MFIs,
nicht gegenüber Kiva oder den Geldgebern. 

Einige MFIs übernehmen eine Rückzahlungsgarantie gegenüber Kiva.
Zumindest indirekt besteht aber gleichwohl ein Zusammenhang zwischen dem
wirtschaftlichen Schicksal der Kreditnehmer und dem von Kiva-Nutzern
bereitgestellten Kapital.

Mittelpunkt von Kivas Wirken ist letztlich die Förderung von MFIs, die
unter sozialen Gesichtspunkten ausgewählt wurden, mit zinslosen
Kreditmitteln. Dabei erschließt Kiva im Internet einen neuen Kreis von
MFI-Förderern, die zuvor vermutlich wenig mit Entwickᆳlungspolitik oder
Mikrofinanzsystemen zu tun hatten.

Kiva steht vor einer Reihe von Herausforderungen. Die Organisation ist
noch jung. Sie muss die richtige Balance zwischen Transparenz einerseits
und möglichst einfachen Abläufen sowie Benutzerfreundlichkeit
andererseits finden. Besonders wichtig ist die sorgfältige Auswahl und
Überwachung der Partner-MFIs. Kiva muss sicherstellen, dass diese
nicht aus Gewinnstreben tätig werden, sondern primär soziale Ziele
verfolgen. Außerdem muss selbstverständlich verhindert werden, dass
Partner-MFIs – wie in der Vergangenheit in Ausnahmefällen geschehen –
Geld unter Vorspiegelung falscher Tatsachen einwerben oder gar
veruntreuen.

Wachsende Vielfalt 

Kiva wird im Netz längst nachgeahmt. Einige interessante Beispiele
seien hier genannt: 
– LendforPeace.org vermittelt Kleinkredite an Unternehmer in der West
Bank. 
– Vittana spezialisiert sich auf Kredite für Studenten. 
– Babyloan refinanziert Mikrokredite auf Eurobasis, wobei die
Partner-MFIs die Rückzahlung garantieren. Geldgeber aus dem Euroraum
tragen hier also weder Wechselkurs- noch empfängerbezogene
Ausfallrisiken. 
– Novica vermittelt ohne Zwischenschaltung von MFIs zinslose Kredite an
Kunsthandwerker. 
– Wokai mobilisiert Mittel für Kleinkredite in China, das Geld wird
allerdings nicht an die Förderer zurückgezahlt. Sie können lediglich
mehrmals bestimmen, wofür ihr Geld verwendet wird, bevor es dann zur
Verfügungsmasse der Partner-MFIs wird. 
– Bei United Prosperity beteiligen sich Unterstützer an Kreditgarantien
zugunsten (bislang nur) einer indischen MFI. Diese finanziert dann mit
von lokalen Banken eingeworbenen, die Garantiesumme deutlich
übersteigenden Mitteln die vorgestellten Mikrokredite.
Zukunftsträchtig ist an diesem Modell die Kooperation mit dem
formalen Bankensektor. 

Schließlich gibt es auch zwei Plattformen, die den Geldgebern Zinsen
versprechen. Dabei handelt es sich um die Websites der dänischen
Organisation MYC4 und der nur für US-Investoren geöffneten eBay-Tochter
Microplace. Microplace verzichtet allerdings von vornherein auf die
Attraktivität von p2p („person to person“) und bietet nur indirekte
Investitionen in einzelne MFIs an. 

Sicherlich ist gerade p2p aber einer der faszinierendsten Aspekte der
neuen Internetmöglichkeiten. Dabei erlaubt die beinahe erreichte
Ubiquität des Internets noch eine eher ungewohnte Form der
Bilateralität: Seit Juni 2009 stellt Kiva auch Kreditwünsche von
Kleinunternehmern in den USA vor – und die Finanzierung kommt,
wenngleich zu eher kleinen Teilen, unter anderem von Förderern in
Indonesien, den Philippinen und sogar der DR Kongo. 



Wolfgang Zenker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für
Interdisziplinäre Restrukturierung (iir) e. V. in Berlin und
Co-Moderator des Forums KivaFriends
Links: 
Kiva: http://www.kiva.org 
KivaFriends: http://www.kivafriends.org 
KivaFellows Blog: http://fellowsblog.kiva.org 
LendforPeace.org: http://www.lendforpeace.org 
Vittana: http://www.vittana.org 
Novica: http://microfinance.novica.com 
Babyloan: http://www.babyloan.org 
Wokai: http://www.wokai.org 
United Prosperity: http://www.unitedprosperity.org 
MYC4: https://www.myc4.com 
Microplace: http://www.microplace.com 
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