[FoME] Filmerzähler in Tanzania

Christoph Dietz christoph.dietz at CAMECO.ORG
Mi Apr 14 11:26:17 CEST 2010


Aus Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 10.4.2010

http://www.faz.net/s/RubCD175863466D41BB9A6A93D460B81174/Doc~EE8EA0F361B7242D08E3EC00473C9C4B2~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Titanic auf Swahili

Filmerzähler bringen Kinogängern in Tansania Hollywood mit vielen
Kommentaren nahe

Von Sandra-Katharina Groß, Daressalam

Ein kleines Zimmer in einem Vorort von Daressalam. Ein Bett, an der
Wand eine Weltkarte, ein surrender Ventilator. Links Arbeitswerkzeug:
auf Rollen gespielte VHS-Bänder, Klebestreifen, ein Fernsehgerät, neun
VHS-Rekorder, ein DVD-Player, ein Tonmischgerät und ein Mikrofon. Auf
dem Bett ein Mann Ende fünfzig, neben ihm ein Notizbuch. Er setzt seinen
Cowboyhut auf, testet das Mikrofon, das Play-Zeichen des DVD-Spielers
leuchtet. Es kann losgehen.

Der Film läuft, und Captain Mukandala fängt mit der Arbeit an. „Wapenzi
watazamaji ndugu zangu wapendwa“: „Sehr geehrte Zuschauer, meine
lieben Gäste, die Lufufu-Videothek in Daressalam bringt euch jetzt einen
neuen interessanten Film, einen Film, mit einer wahren Geschichte:
Titanic.“ Jetzt läuft aber nicht nur der Film. Jetzt werden die Bilder
mit Kommentaren überblendet, die das ferne Hollywood den
ostafrikanischen Zuschauern nahebringen sollen. Mukandala erzählt den
Film und fügt dem Originalton auf einer neuen Tonspur seinen Kommentar
hinzu. Dann wird die Masterkassette für den Verkauf
kopiert.Hollywoodfilme liebt man in Tansania, aber man versteht sie oft
nicht. 127 Sprachen werden in dem ostafrikanischen Land gesprochen. Aber
nicht einmal alle verstehen die Nationalsprache Swahili, zu schweigen
von Englisch. Die Filme bloß zu synchronisieren hilft auch wegen des
kulturellen Abstands zu Amerika nicht. Und den Filmerzählern – wie
Captain Mukandala, dem pensionierten Marineoffizier, und den rund zehn
weiteren Filmerzählern in der tansanischen Hauptstadt – wäre eine
einfache Übertragung auch viel zu wenig. Sie wollen selbst erzählen.

„Den Anteil der Filmimporte vor allem aus Amerika, Indien und China am
tansanischen Filmmarkt schätze ich auf 40 bis 50 Prozent“, sagt
Claudia Böhme, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für
Ethnologie und Afrikastudien der Universität Mainz. Sie sitzt an einer
Dissertation über swahilisprachige Filmproduktionen und stand schon
selbst als Schauspielerin in tansanischen Filmen vor der Kamera. Seit
der Etablierung der tansanischen Videofilmindustrie im Jahr 2003 wachse
aber auch die Zahl örtlicher Produktionen. In Videotheken seien diese
Filme sogar noch beliebter als die ausländischen.

Die meisten Filmerzähler können von ihrer Arbeit nur schlecht leben.
Der Lohn liegt bei 2,50 bis fünf Euro pro übersetztem Film. Die
Distributoren streichen durch den Verkauf den Hauptgewinn ein. Von zehn
Filmkommentatoren in Daressalam haben es nur zwei in die
Selbstständigkeit geschafft, Captain Mukandala ist einer von ihnen. Er
produziert und verkauft die übersetzten Filme in seiner eigenen
Videothek. Tansania hat eine große Tradition mündlichen Erzählens. „Wir
kommentieren den Film so, wie es die Leute auf der Straße machen
würden“, sagt Filmerzähler Juma Khan. Und sie werden berühmt.
„Wenn ich meinen Hut aufziehe und durch die Straßen laufe“, sagt
Captain Mukandala, „erkennen mich die Leute.“

Auf dem Bildschirm im kleinen Arbeitszimmer Mukandalas tanzen Jack
(Leonardo DiCaprio) und Rose (Kate Winslet) ausgelassen. Der
pensionierte Marineoffizier kommentiert die Szene: „Was wir von diesem
Film lernen können, meine lieben Zuschauer: Auch wenn du reich bist,
kannst du dich in einen armen Menschen verlieben. Vergiss nicht: Im
Schlaf sind wir alle gleich.“ Jeder Film habe eine Botschaft, sagt
Captain Mukandala. Das Publikum zu unterrichten und zu bilden, das sei
die Aufgabe des Filmerzählers. Das Fernsehgerät flimmert, Captain
Mukandala spricht ununterbrochen seinen Kommentar. Nach drei Stunden ist
die Arbeit getan. Er bedankt sich bei den Schauspielern für die gute
Leistung, bei den Zuschauern fürs Zuhören und ruft zum Schluss seinen
Künstlernamen: „Lufufuuu“.

Eine Stunde Busfahrt, ein anderer Vorort von Daressalam. Aus einer
Wellblechhütte tönt die Stimme von DJ Mark: „Darf ich mich vorstellen,
ich bin DJ Mark. Man nennt mich auch starker Bulle aus Zabanga oder
einfach Kampfhahn.“ Der junge Mann, Jeans, T-Shirt, Baseballkappe,
sitzt auf einer Holzbank vor dem Fernsehgerät hinten an der Hüttenwand.
Er hält in der einen Hand das Mikrofon, die andere regelt den
Tonmischer. Auf dem Bildschirm lehnt Jack (Leonardo DiCaprio) vorn an
der Reling: „Ich bin der König der Welt, juhuu!“ Über die
Originaltonspur rückt jetzt DJ Marks Stimme in den Vordergrund: „Der
Mann, den wir hier sehen, schreit laut und sagt, dass er Amerika schon
sehen kann. Er fährt nach Amerika! Jetzt lehnt er sich nach vorn und
fühlt sich, als würde er übers Meer fliegen.“

Die 80 gebannten Zuschauer auf dem Boden der Hütte, unter ihnen viele
Kinder, lieben diese aufgesprochenen Kommentare. Und Filme kommentieren
wie zu Stummfilmzeiten – das kann DJ Mark. Er versteht zwar nicht
jedes englische Wort. Aber das ist auch gar nicht nötig. Er kann sich
einfühlen in die Bilder und die Musik. Jetzt ist der glanzvolle
Speisesaal der Titanic zu sehen. „Meine Zuschauer, da ist kein Schmutz
zu finden“, so klingt Marks Kommentar aus den beiden Boxen. „Da kannst
du sogar den Boden ablecken, ohne krank zu werden.“

„Stundenlang live zu kommentieren, das ist anstrengend“, sagt Mark.
„Vor jedem Auftritt bin ich nervös.“ Nur mit Live-Auftritten kann
er bekannt werden, kann er soviel verdienen, dass er sich vielleicht
selbständig machen kann. Er ist sich nicht sicher, ob er es schafft.
„Wenn ich eine besser bezahlte Arbeit finde, wechsele ich sofort.“
Populär wie Captain Mukandala ist er noch nicht, aber immerhin kennen
die Leute in seinem Viertel ihn schon, vor allem die jungen – weil er
die mit Sprüchen gespickte Swahili-Jugendsprache beherrscht.
„Nakumalizia picha hii. Asante Sana kuazima macho na masikio yako“,
sagt er zum Schluss. „Der Film ist aus, danke, dass ihr mir zugehört
habt.“



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