[FoME] Twitter in Iran

Christoph Dietz christoph.dietz at CAMECO.ORG
Mo Jun 29 11:43:16 CEST 2009


Iran-Berichte in sozialen Medien
Geschrieben von: Klaus A. Boldt     
Entwicklungspolitik Online (www.epo.de), Sonntag, 21. Juni 2009 um
07:40 Uhr  

Berlin (epo.de). - Während ARD, ZDF und andere Fernsehsender ihre
Zuschauer in Sondersendungen mit Liveschaltungen in die Hotelzimmer
ihrer Korrespondenten in Teheran langweilen, da die "Korrespondenten
faktisch nicht mehr arbeiten dürfen", geht in den sozialen Medien die
Post ab. Wer bei Twitter das Stichwort ("Hashtag") #iranelection
eingibt, erhält hunderte Updates pro Minute mit kurzen Hinweisen, welche
Blogger im Iran noch online sind, welche Websites überwacht werden oder
wo auf YouTube neue Videos zu den Protesten aufgetaucht sind. 

Twitter wird von Aktivisten auch dazu genutzt, sogenannte "Denial of
service (DDOS)"-Attacken auf Regierungs-Websites im Iran zu fahren.
Dabei geht es darum, durch das massenhafte Abrufen von Websites einen
Server lahmzulegen. "Ich habe eben ein Skript online gestellt", meldet
ein Twitter, und gibt die Webadresse bekannt, die für die Attacke
benutzt werden soll. Das Web-Magazin "Wired" meldete, Websites wie
leader.ir, ahmadinejad.ir, and iribnews.ir seien "derzeit nicht
erreichbar". 

Andere finden das eine "gutgemeinte Dummheit", weil der Ausfall eines
Webservers die Mullahs kaum scheren dürfte und die Gefahr besteht, dass
die Netzbetreiber ganze Teilnetze abschalten, um ihren Service zumindest
teilweise aufrechterhalten zu können. Von den Attacken könnten so auch
Protest-Seiten betroffen sein. 

"solidarityIran This is being LOGGED! Do not use!", warnt ein
Twitterer, dass die Internet-Adressen (IP's) von Bloggern überwacht
werden könnten. Viele solcher Meldungen sind sicher Unsinn - die Spreu
vom Weizen zu trennen, ist bei der Fülle der Nachrichten nicht leicht.
Die Twitter-Betreiber verschoben "aufgrund der Rolle, die Twitter
derzeit als wichtiges Kommunikationswerkzeug im Iran spielt", sogar eine
geplante Wartung ihrer Webserver. 

Es gibt aber auch Kritik am Twitter-Hype: ""Twitter's impact inside
Iran is zero", erklärte Mehdi Yahyanejad, der Betreiber eine
Farsi-sprachigen Website in Los Angeles, der Washington Post. "Here,
there is lots of buzz, but once you look . . . you see most of it are
Americans tweeting among themselves." 

PROTESTE ZENTRAL GESTEUERT

Hamid Tehrani, ein in Europa lebender Blogger und Journalist,
beschreibt auf der Website DigiActive (www.digiactive.org), wie die
Proteste im Iran seiner Kenntnis nach organisiert werden. Demnach werden
Demonstrationen und Aktionen zentral von den Büros der reformistischen
Kandidaten der Präsidentschaftswahl gesteuert. Mussawi nutzt Websites
wie Kalamhe und Ghalam News, vor allem aber seinen Facebook-Account zur
Ankündigung von Aktionen. Mussawi hat mehr als 78.000 "Fans" auf
Facebook, die jede seiner Nachrichten direkt erhalten. 

Entgegen der Darstellung vieler westlicher Mainstream Medien werden
soziale Medien wie Twitter weniger zur dezentralen Organisation von
Protesten als zur Außendarstellung und als Plattformen für
"Bürgerjournalisten" genutzt. "The role of citizens with regard to
social media is as citizen journalists, using YouTube and Twitter to
report on what is happening, rather than to organize the protests", so
Tehrani. "Since this activity is intended for an international audience
(and is in English) it is no wonder that this use of social media is
more visible to a Western audience than the online tactics actually
being used to organize the protests." 

Unterschätzt werde hingegen die Mund-zu-Ohr"-Methode der Verbreitung
von Informationen, die "keine Regierung abschalten kann". Lediglich
Gholamhossein Karbaschi, einer der Berater von Mehdi Karroubi,
kommuniziere über Twitter (@gkarbaschi, in Farsi) mit dem Ziel,
iranische Aktivisten im Land zu erreichen. 

Die Vorsicht ist angebracht: Nach einem Bericht des Wall Street Journal
verfügt die iranische Regierung über eine der am besten ausgestatteten
Einrichtungen für die Kontrolle und Zensur des Internet, die auch die
Inhalte massenhafter individueller Onlinekommunikation überwachen und
filtern kann Das Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks habe im
vergangenen Jahr Anlagen und Software geliefert, die eine “deep packet
inspection” der Datentransfers erlauben. Das Kontrollzentrum sei beim
staatlichen Telekommunikationsunternehmen eingerichtet worden,
bestätigte Ben Roome, ein Sprecher von Nokia Siemens Networks, dem
Blatt. Die tiefgreifende Filterung der Daten könnte laut Wall Street
Journal erklären, warum der Netzwerk-Verkehr in den vergangenen Tagen
nur ein Zehntel der üblichen Geschwindigkeit betrug - und warum die
iranische Regierung das Netz nicht einfach sperrte.

Twitter und "Twitpic", ein Fotokanal von Twitter, dienen nach Angaben
von Hamid Tehrani vor allem der Information und Mobilisierung eines
internationalen Publikums. Weil Fotos und Handy-Videos, die auf YouTube
veröffentlicht werden, von vielen Fernsehsendern mangels eigenen
Filmmaterials übernommen werden, haben die Bürgerjournalisten einen
enormen Einfluss auf die internationale Berichterstattung.
Fehlinformationen und Manipulationen sind dabei schwer auszuschließen. 

Web-Aktivist Ben Parr schrieb eine Online-Leitfaden für Leute, die die
Berichterstattung über die Revolte im Iran in den "social media"
verfolgen möchten, aber nicht wissen wie man das anstellt und worauf es
dabei ankommt: ("HOW TO: Track Iran Election with Twitter and Social
Media". Der australische Kommunikations-Wissenschaftler Terry Flew hat
sich vor allem in der Bloggerszene umgesehen.



Mehr Informationen über die Mailingliste FoME