[FoME] Blogger in arabischen Staaten

Christoph Dietz christoph.dietz at CAMECO.ORG
Fr Nov 28 10:32:10 CET 2008


28. November 2008, Neue Zürcher Zeitung

«Sie können uns nicht alle einsperren»: Freiheitskampf von Bloggern in
arabischen Staaten

Araber, die für Freiheit und Menschenrechte kämpfen, nutzen mit einigem
Erfolg das Internet. Obwohl die Regime die Cyber-Dissidenten scharf
bekämpfen, wächst die Zahl der Blogger

Von Hubertus Ecker 

Ein Klick auf das Blog DigiActive,¹ das die weltweiten
Internet-Aktivitäten von Menschenrechtlern katalogisiert, ergibt
Verblüffendes: 46 Fälle stammen aus dem Mittleren Osten - im Vergleich
zu 12 aus Europa und 20 aus Asien. Zwar basieren die Zahlen auf simplen
Fallstudien, doch geben sie einen Einblick in die Verbreitung des World
Wide Web in der von Diktaturen geprägten Region - und in das Geschick,
mit dem es die Aktivisten nutzen. 

Ein Video erregt Aufsehen

So stellte der Tunesier Sami Ben Gharbia im Mai ein Video² ins Netz,
das eine Luftaufnahme des Präsidentenpalasts in Karthago zeigt, welche
symbolisch umsäumt ist mit Orten, von denen aus einstige politische
Gefangene und Menschenrechtler über ihre Erfahrungen berichten. Das
Video schlug unter Arabiens Cyber-Dissidenten wie eine Bombe ein - und
das weniger wegen seiner allen vertrauten Informationen, sondern wegen
Gharbias Tricks. Er hatte den tunesischen Geheimdienst überlistet.
Nachdem dieser von der Aktion Wind bekommen hatte, sperrte er im Nu den
landesinternen Zugang zu Youtube und Dailymotion. Doch Gharbia,
Mitbetreiber des tunesischen Gemeinschaftsblogs Nawaat³ und Direktor von
Global Voices Online, wich gleich auf Google Earth aus. «Wir lernen
voneinander», sagt Mohammad Ali Abdallah. «Ben Gharbia hat diesen Coup
gelandet, und die Ägypter haben im Frühjahr demonstriert, was man mit
Facebook bewirken kann, als sie zu landesweiten Generalstreiks
mobilisierten.» Herkömmliche Versammlungen hätten wenig gebracht in
einem Land, das Treffen von mehr als fünf Personen untersagt. Bloggen,
sagt Abdallah, sei unter jungen Arabern im Trend, obwohl das Risiko
gross sei - vor allem für Tunesier, deren Geheimdienst allenfalls vom
syrischen übertroffen werde. Der 26-Jährige weiss, wovon er spricht.
Sein Vater Ali, ein syrischer Journalist, sitzt seit 2007 seine dritte
Haftstrafe ab, sein Bruder Omar wurde wegen eines regimekritischen Blogs
im März 2006 verhaftet. Die offiziellen Anklagen, sofern vorhanden,
lauten in Syrien wie anderswo meist auf «Schädigung des
Nationalgefühls», worunter fällt, was den Diktatoren gerade
missfällt. Mohammad floh 2006 nach Libanon, von wo aus er für die
Menschenrechte kämpft - und bloggt.

Besonders rege sind Ägyptens Cyber-Dissidenten, wie die rund 80 000
Blogs zeigen, die Folter, Korruption, aber auch die sexuelle Belästigung
von Frauen anprangern. Weil Wael Abbas unter anderem solche Vorfälle auf
seinem Blog bildlich dokumentiert hatte, wurde er Anfang 2007 zu vier
Jahren Haft verurteilt. «Aber sie können uns nicht alle einsperren»,
sagt die Betreiberin des Blogs «Eine ägyptische Frau» und verweist
darauf, dass ägyptische Journalisten das Internet zunehmend als
Ausweichmedium nützen: Lehnt eine Redaktion das Material aus Angst vor
Repressalien ab, erhalten es die Blogger, die mittlerweile zu den festen
Informanten von Massenmedien wie al-Jazira oder al-Arabiya zählen. 
«Google Earth ermöglicht die sofortige Veröffentlichung von Fotos, die
via Links oder SMS weitergeschickt werden können. So kann man innerhalb
von Minuten über Aktuelles informieren. Das ist überall dort Gold wert,
wo man nur ein Handy dabei hat, mit dem man fotografieren kann», sagt
Abdallah. Zudem wachse der zunehmende Verkehr den Behörden über den
Kopf: Kaum hätten sie eine Seite wegen einer Nachricht gesperrt, tauche
diese anderswo auf. 

Gegenwehr der Regierungen

Die Gegenwehr der Regierungen unterschätzt indes keiner. Dazu ist sie
zu beträchtlich. So kaufte Damaskus 2006 einen Server in Spanien ein,
der nach und von Syrien versandte E-Mails nach Schlüsselwörtern filtert
und auf einer regierungseigenen Festplatte speichert. Zudem wird von
Marokko bis Saudiarabien über schärfere Gesetze nachgedacht. Doch Mazen
Darwisch vom Syrischen Zentrum für Presse- und Meinungsfreiheit, einer
offiziell nicht legitimierten Vereinigung, bleibt skeptisch. Das
Internet kenne eben keine Ländergrenzen, und so könnten die Regime zwar
die Websites, nicht aber die Proxy-Server blockieren, die alles im Nu
wieder entblockierten. Das eigentlich Besorgniserregende sei, dass diese
Chance oft ungenutzt bleibe: «Selbstzensur und Angst sind letztlich der
Diktaturen bestes Mittel, die Tore wieder zu schliessen.» Dennoch: Die
Zahl der arabischen Blogger wächst. 

¹ http://www.digiactive.org/ ²
http://www.nawaat.org/portail/2008/05/22/human-
rights-videos-besiege-the-tunisian-presidential-palace/ ³ www.nawaat.org
 http://globalvoicesonline.org/  http://raye7wmishraj3.wordpress.com/ 
http://wa7damasrya.blogspot.com/ 




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