[FoME] Iranische Blogger suchen Unterstützung von außen

Christoph Dietz christoph.dietz at CAMECO.ORG
Fr Dez 5 09:42:08 CET 2008


Neue Zürcher Zeitung, 5.12.2008:

Kampf gegen Teherans Informationskontrolle
Oppositionelle Blogger brauchen kluge Unterstützung von aussen

In Iran versuchen viele Staatsstellen, die Informationsfreiheit zu
unterdrücken. Im Internet sehen sich die Blogger einer unberechenbaren
Zensur ausgesetzt. Die freien Blogger wünschen sich Hilfe von aussen.
Allerdings sollte sie von zivilgesellschaftlichen Akteuren kommen.

vk. Eine Berliner Tagung des Aspen-Instituts mit Akteuren der
iranischen Zivilgesellschaft aus Teheran und im Exil hat den Befund
erhärtet, dass die staatlichen Medien der Islamischen Republik das
Informationswesen beherrschen. Einen Kontrapunkt setzen einige westliche
Satellitenfernsehsender und Radios sowie die vielen Quellen des
Internets. Die nur sieben Zeitungen der Reformströmung, die nicht
gleichgeschalteten Blogger und unabhängige Filmemacher werden durch eine
vielfältige Zensur und Repression in eine Randzone abgedrängt, die vom
Staat aber als Ablassventil für politische Spannungen ein Stück weit
toleriert wird. Unterstützung aus dem Ausland für diese marginalisierten
Aktivisten ist oft wünschbar. Sie kann vor staatlicher Verfolgung
schützen, aber die vermeintlichen iranischen Nutzniesser auch
gefährden. 

Dichtes Blogger-Netz

Die prägende Feststellung der Tagung war, dass das staatliche Fernsehen
IRIB 80 bis 85 Prozent der Bevölkerung erreicht, das Radio merklich
weniger, während das Internet nach offiziellen und nicht unbedingt
zuverlässigen Angaben 20 bis 22 Prozent der Bevölkerung erreicht.
Private Rundfunksender gibt es keine. In Städten, wo etwa zwei Drittel
der iranischen Bevölkerung leben, verfügt gegen die Hälfte der Haushalte
über eine Satellitenfernsehschüssel, womit ungefilterte fremde Programme
empfangen werden. Die iranische Presse umfasst etwa 2000 Titel, wovon 14
national verbreitete Zeitungen und 20 Lokalblätter.

Alle Medien unterliegen einer dauernden, direkten und indirekten
Zensur, die durch eine Vielzahl von Instanzen ausgeübt wird. Iran zählt
je nach Schätzung 100 000 bis 1,5 Millionen Blogs; sollte letztere Zahl
zutreffen, würde dies weltweit eine der höchsten Dichten im Verhältnis
zur Einwohnerzahl darstellen. Als jüngeren Trend erkennt man eine
Zunahme der Kommunikation via SMS. Mithin bieten sich YouTube und
ähnliche Websites als Plattform für die Publikation von
Videodokumenten etwa über Kundgebungen oder Ausschreitungen der
Sicherheitskräfte an. 

Genau deshalb wird YouTube in Iran zensuriert, doch entwickeln die
Computerfreaks immer neue Wege, die Blockaden zu umgehen. Eine Analyse
des Berkman Center der Universität Yale, die 60 000 aktive iranische
Blogs ermittelte, ergab, dass Regimeanhänger ebenso aktiv sind wie
Oppositionelle und dass nur 30 Prozent der Blogs sich der Politik
widmen, während 40 Prozent kulturellen Inhalts sind und der Rest der
Kontaktsuche, sozialem Austausch und der Unterhaltung dient.

Unberechenbare Zensur

Während die staatlichen Medien völlig von der offiziellen Ideologie
dominiert sind, im Urteil der unabhängigen Aktivisten also eine dauernde
Gehirnwäsche betreiben und der Bevölkerung ein Bewusstsein einer
umfassenden Überwachung und Selbstkontrolle einbleuen, verhindert die
Zensur die Verbreitung «unislamischer und der Republik schädlicher
Ideen». Die Zensurgesetze sind vage. Entsprechend biegsam und breit
sind die roten Linien des nicht mehr Erlaubten. Sie sind nach den Worten
eines Filmemachers so breit, dass man sie gar nicht überspringen kann. 

Um die Einhaltung der roten Linien kümmern sich das Büro des
Revolutionsführers, welchem Radio und Fernsehen direkt unterstehen, das
Islamische Führungsministerium, das Fernmeldeministerium, der
Geheimdienst, die Rollkommandos des Hizbullah, loyalistische
Chefredaktoren und Kolumnisten und viele andere. Diese alle
interpretieren und definieren laufend die Tabus, und wenn eine Instanz
eine Übertretung unbeachtet lässt, so fängt eine andere den Durchbruch
auf und stellt die Ordnung wieder her. 
Die unabhängigen Blogger werden beschattet, von Sicherheitskräften
bedroht, und ihre Websites werden unterdrückt. Angesichts dieser
Schikanen, wozu auch Verhaftungen und Verbote von Reisen ins Ausland
zählen, verlangt eine dissidente Web-Tätigkeit in Iran Mut und
Motivation. Die Lage war in den Khatami-Jahren einfacher, hat sich aber
seit dem Antritt von Ahmadinejads Neokonservativen wieder zugespitzt. 

Die Internet-Aktivisten wünschen sich Unterstützung vom Ausland. Die
Grundbedingung dafür ist aber, dass sie nicht von Regierungsstellen
kommt, denn das würde den Behörden die Handhabe zur Verurteilung der
Blogger als Spione liefern. Die iranischen Aktivisten wünschen sich vor
allem Hilfe bei der Ausbildung in der Produktion zuverlässiger
Nachrichten und Inhalte, in den Techniken der Internetnutzung und in der
Umgehung der obrigkeitlichen Sperrungen. Für festgenommene oder bedrohte
Aktivisten sind Solidaritätserklärungen von Menschenrechtsorganisationen
oder von anderen internationalen Verbänden, wie etwa jene von
Nobelpreisträgern oder von Journalisten, nützlich. 

Die Blogger rufen westliche Sympathisanten auf, sich nicht durch die
Regierungspropaganda blenden zu lassen, wonach jede Zusammenarbeit von
Iranern mit dem Ausland ein Beweis für Korruption, Dekadenz oder offene
Feindschaft sei. Umgekehrt sollten Sympathisanten sich umsichtig und
entsprechend den Bedürfnissen der iranischen Betroffenen verhalten, um
diese nicht erst recht ins Verderben zu stürzen. Besonders nützlich
wären auch Ausbildungshilfen auf CD oder via Internet, die den
Iranern eine möglicherweise verdächtige Auslandreise ersparen.



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