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Mi Mai 27 14:04:13 CEST 2009


25.05.2009

Atombombentest in Nordkorea

Weiterdrehen an der Spirale des Irrsinns

Das Regime des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Il hat offenbar 
einen zweiten unterirdischen Atombombentest durchgeführt. Der US-
amerikanische Präsident Obama Barack, der entgegen seiner 
Ankündigung, Atomwaffen abrüsten zu wollen, bislang nichts unternahm, 
um den hehren Worten Taten folgen zu lassen, hat stattdessen den US-
amerikanischen Militärhaushalt in ungebrochener Kontinuität zu seinem 
Vorgänger George W. Bush erhöht. Dennoch getraute sich die US-
amerikanische Regierung, mit dem Finger auf Nordkorea zu weisen und 
zeterte, Nordkorea bedrohe den internationalen Frieden und die 
Sicherheit. Wenn der US-Präsident den Zeigefinger auf Nordkorea 
richtet, weisen vier Finger seiner Hand auf ihn selbst. Ebensolche 
heuchlerischen Reaktionen kamen umgehend von den Atommächten 
Frankreich und Großbritannien.

Am heutigen Montag gegen 10 Uhr Ortszeit wiesen Meßgeräte in den 
Erdbebenwarten rings um Nordkorea eine Erschütterung zwischen 4 und 5 
Einheiten auf der Richertskala aus. Kurz drauf gab die 
nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA bekannt, daß die 
"Demokratische Volksrepublik Nordkorea" einen unterirdischen Atomtest 
vorgenommen habe. Laut einer russischen Stellungnahme sei die Bombe 
mit 10 bis 20 Kilotonnen rund 20-mal so stark wie jene des ersten 
nordkoreanischen Tests vom 9. Oktober 2006.

Kurze Zeit später folgten weitere Meldungen, wonach eine 
nordkoreanische Boden-Luft-Rakete mit einer Reichweite von 130 
Kilometern aufs Japanische Meer abgefeuert worden sei. Nach dem 
ersten Test war von internationalen ExpertInnen allerdings in Zweifel 
gezogen worden, ob es sich bei der Explosion tatsächlich um eine 
Atombombe gehandelt habe. Der heutige Atomwaffentest war Anfang Mai 
2009 von der nordkoreanischen Regierung angekündigt worden.

Nach dem ersten Atomtest im Oktober 2006 hatte der UN-Sicherheitsrat 
Nordkorea mit Sanktionen belegt. Diese blieben jedoch weitgehend 
wirkungslos, da die Nachbarstaaten China und Rußland sie unterliefen. 
2008 unternahm die US-amerikanische Außenpolitik unter G.W. Bush 
einen Schwenk und unterstützte einen angekündigten Verzicht des 
nordkoreanischen Regimes auf Atomwaffen mit der Lieferung von 
Schweröl und Getreide für das Land, dessen Bevölkerung unter 
Mangelernährung leidet.

Das nordkoreanische Regime benutzt das Leid der eigenen Bevölkerung 
skrupellos als politisches Druckmittel. Die beiden Nachbarstaaten, 
die "kommunistische Volksrepublik" China und das kapitalistische 
Südkorea fürchten bei einem wirtschaftlichen Zusammenbruch Nordkoreas 
den massenhaften Zustrom von Hungerflüchtlingen.

Nordkorea ist ein Musterbeispiel für die Weiterverbreitung von 
Atomwaffen auf dem Weg über die "friedliche" Nutzung der Atomenergie. 
Zweifellos stammt das Plutonium zur Herstellung der nordkoreanischen 
Atombombe vom Atomkraftwerk Yongbyon. Der dortige, mit 5 MW relativ 
kleine Reaktor produzierte seit seiner Inbetreibnahme vor 20 Jahren 
50 bis 60 Kilogramm Plutonium - ausreichend für sechs bis zwölf 
Atombomben.

Auch die Entwicklung der "friedlichen" Nutzung der Atomenergie in 
Ländern wie Frankreich, Deutschland, Israel oder der Schweiz, die mit 
gigantischen staatlichen Subventionen ermöglicht wurde, beruhte auf 
dem Bestreben, eigene, nationale Atomwaffen zu erlangen. Mittlerweile 
zählen mehr oder weniger offiziell die Regierungen von zwölf Staaten 
zum Atomwaffen-Club: die der USA, Rußlands, Großbritanniens, 
Frankreichs, Chinas, Israels, Indiens, Pakistans und Nordkoreas.

In Deutschland sind US-amerikanische Atombomben stationiert. 
Brasilien und Argentinien stehen unter Verdacht, ebenfalls zumindest 
in die Nähe des Besitzes von Atomwaffen gelangt zu sein. Der Iran 
strebt trotz reicher Erdölvorkommen die Entwicklung und den Bau von 
Atomkraftwerken an und steht daher international zurecht im Verdacht, 
trotz gegenteiliger Bekundungen der iranischen Regierung den Besitz 
von Atomwaffen anzusteben.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des gesamten Ostblocks 
bestand für einige Jahre große Hoffnung, mit dem Wegfall der 
scheinbaren Legitimation der nuklearen Rüstung in den USA, in 
Großbritannien und in Frankreich käme die nukleare Abrüstung einen 
entscheidenden Schritt voran.

Der vom obersten militärischen Befehlshaber über die US-
amerikanischen Atomwaffen zum Atomwaffen-Gegner gewandelte Ex-General 
Lee Butler sagte 1999 in einer Rede über die US-amerikanische 
Atomkriegs-Planung: "Als ich mit dieser Feldarbeit fertig war, 
verstand ich endlich die wahre Bedeutung von MAD, von Mutually 
Assured Destruction (gesicherte gegenseitige Zerstörung; engl. mad = 
verrückt). Außer vermutlich dem sowjetischen Atomkriegsplan war dies 
mit Abstand das absurdeste und verantwortungsloseste Dokument, das 
ich in meinem Leben je zu Gesicht bekommen hatte."

In der Zeit zwischen 1991 und 1994 kam es tatsächlich zu einer Reihe 
von nuklearen Abrüstungsschritten, an denen Lee Butler maßgeblich 
mitwirkte. Doch nach seiner Pesionierung mußte Butler mit "Bestürzung 
und schließlich mit Entsetzen" feststellen, daß zwischen 1995 und 
1999 innerhalb relativ kurzer Zeit der außerordentliche Abrüstungs-
Impuls, diese einmalige Gelegenheit, an Schwung verlor und eine 
schleichende Neubegründung der nuklearen Rüstung begann. Die 
militärisch-politische Bürokratie hatte sich wieder durchgesetzt.

Die Franzosen nahmen in dieser Zeit die Atomtests wieder auf. Der 
START-II-Vertrag wurde zunächst drei Jahre lang im US-Senat und von 
1996 bis 1999 drei Jahre lang in der russischen Duma blockiert. Das 
kostbare "Fenster der Gelegenheit" begann sich zu schließen, und 1999 
befand die Welt sich in der kaum vorstellbaren Situation wieder, daß 
die Kernwaffenpolitik der Vereinigten Staaten nahezu wieder identisch 
war mit der von 1984 unter Ronald Reagan. Bereits 1999 waren die US-
amerikanischen Streitkräfte mit ihrer ständigen Einsatzbereitschaft 
effektiv dieselben wie auf dem Höhepunkt des "Kalten Krieges".

Das Beharren auf nuklearer Rüstung und der Besitz von Atomwaffen ist 
letztlich nicht rational begründbar. Wenn der Besitz der Atom-Bombe 
damit zu legitimieren versucht wird, es handele sich hierbei um eine 
Stärkung der "Selbstverteidigung" - wie es in der heute verbreiteten 
nordkoreanischen Meldung wieder einmal heißt - ist dies 
fortgepflanzter Irrsinn. Dieses kranke Denken treibt die 
menschenverachtende Logik eines Selbstmordattentäters auf die Spitze: 
Der Besitz von Atomwaffen ist nichts anderes als eine Drohung mit der 
gegenseitigen Vernichtung. Hinzu kommt, daß jedes einzelne 
Atomkraftwerk eine Einladung an TerroristInnen darstellt, einen 
Anschlag zu verüben, mit dem die Radioaktivität von mehr als hundert 
Hiroshima-Bomben freisetzt würde.

Brian Easlea und Robert Jungk ist die Erkenntnis zu verdanken, wo die 
tatsächliche Motivation für den Besitz von Atomwaffen zu suchen ist. 
Die Atombombe ist das Endprodukt eines Männlichkeitswahns, der sich 
aus Neid und Schwäche die Natur unterwerfen will, die mit 
Weiblichkeit gleichgesetzt wird. Dies zeigt sich schon an der 
Ausdrucksweise der - nahezu ausschließlich männlichen - 
Wissenschaftler, die an der Entwicklung der Atombombe beteiligt 
waren. In einer nach diesen Hinweisen kaum zu übersehenden Vielzahl 
von sexuellen Anspielungen kommt zum Ausdruck, daß die Motivation zu 
einer tatsächlich grandiosen und zugleich monströsen Leistung in 
ihren privaten psychischen Problemen liegt.

So ist es auch kein Zufall, daß Oppenheimer und Teller als die 
»Väter« der Atom- und Wasserstoffbombe bezeichnet werden, daß die 
Hiroshimabombe »Little Boy« getauft wurde und Teller auch die erste 
erfolgreiche Zündung der H-Bombe mit dem Jubeltelegramm "It's a boy" 
("Es ist ein Knabe") meldete.

Es war also eine Art Geburtstagsfest, das 1945 in Los Alamos gefeiert 
wurde, und nur wenige unter den Teilnehmern ahnten damals schon, daß 
letztlich auch sie selber Opfer ihrer ohne weibliche Hilfe 
zustandegekommenen »Geschöpfe« werden würden. Zunächst allerdings 
durften sie ihren Triumph, ihren frischen Ruhm, ihre neugewonnene 
Stellung in der Gesellschaft genießen. Sie wurden gefeiert, umworben, 
als Angehörige des plötzlich wichtigsten, einflußreichsten 
Berufsstandes beneidet. Erst nach und nach entdeckten sie, daß man 
sie auch fürchtete, ja sogar haßte, und daß man ihnen nur 
schmeichelte, um sich ihrer zu bedienen.

Die Vorstellung einiger der hervorragendsten Rüstungsforscher, daß 
sie nun nach dieser kriegerischen Episode wieder zu ihrer ruhigen 
selbstbestimmten Wahrheitssuche zurückkehren könnten, erwies sich 
sehr schnell als Illusion. Denn der so erfolgreiche neue 
Forschungsstil, den sie geschaffen hatten, nahm ihnen die alte 
Freiheit. Individuelle Forschung mit »Wachs und Bindfaden« - das war 
nicht mehr »in« und nun kaum mehr möglich. Die in den 
Rüstungslaboratorien entstandenen »Projektwissenschaften« mit ihrem 
Teamwork, ihren kostspieligen Instrumenten, ihrer straffen 
Organisation waren ohne staatliche Mittel nicht lebensfähig. Damit 
aber mußte der Einfluß von Instanzen wachsen, denen es in erster 
Linie nicht um Wahrheit, sondern um Macht ging, nicht um 
Erkenntnisse, sondern Erzeugnisse. Für die Freiheit angetreten, 
hatten diese Forscher ihre Freiheit verloren.

"Der nukleare Rüstungswettlauf, dessen dröhnendes Startsignal die 
Katastrophe vom 6. August 1945 war, hat inzwischen ungleich 
weitergreifende, noch radikaler wirkende Massenzerstörungsmittel 
hervorgebracht als den »kleinen Jungen« von damals: bösartige Riesen, 
reißende Ungeheuer, Heuschreckenschwärme und Vernichtung," schrieb 
Robert Jungk 1985.


REGENBOGEN NACHRICHTEN


Anmerkungen

Siehe unsere Artikel zum Thema:

      US-Regierung bricht Schweigen über Israels Atombombe
      Neue Perspektive bei Verhandlungen mit dem Iran? (11.05.09)

      Euratom
      Sicheres und friedliches Europa oder Atom-Supermacht?           
      (22.04.09)

      Frankreichs Verbrechen auf Moruroa
      188 Atom-Bomben und die Folgen (29.09.08)

      Schweizer Atomwaffen-Skandal
      Zehn Millionen Dollar von der CIA (26.08.08)

      Putin reiht sich in die Polonaise
      der Atom-Irren ein / Bau neuer Atomraketen angekündigt          
      (19.10.07)

      Zwei Irre und die A-Bombe
      Sarkozy offeriert Gaddafi AKW als Eintritt in den Club          
      (27.07.07)

      Brasiliens Präsident Lula auf dem Atom-Trip
      Ein weiterer Irrer giert nach der A-Bombe (11.07.07)

      50 Jahre GKSS
      und Deutschlands Streben nach der Atombombe (17.05.06)

      Ein weiterer Irrer outet sich
      Chirac droht dem Iran mit der Atombombe (20.01.06)

      Israels Spiel mit der Atombombe (23.03.04)

      Gedanken zu Hiroshima
      von Robert Jungk, 1985 (6.08.03)

      Sind Kernwaffen notwendig?
      Rede von Lee Butler, 1999 (14.01.02)

Siehe auch unseren Hintergrund-Artikel:

      Der siamesische Zwilling: Atombombe
      Info-Serie Atomenergie - Folge 4


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