[fessenheim-fr] Artikel: Schweizer "Endlager"-Projekt in der 'Schwäbischen Ztg.'
Klaus Schramm
klausjschramm at t-online.de
So Jan 5 19:15:56 CET 2025
Hallo Leute!
Hier (s.u.) ein Artikel der 'Schwäbischen Ztg.'
über das Schweizer Endlager-Projekt.
Bemerkenswert ist, daß hier mal (im Gegensatz
zu 'Bad. Ztg.') wenigstens zwei der fünf
wichtigsten Argumente gegen ein "Endlager"
für hochradioaktiven Müll an dieser Stelle
benannt werden.
Ciao
Klaus Schramm
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Baden-Württemberg
„Schweizer Atomklo“
Umstrittenes Projekt rückt näher: Wie groß ist diese Gefahr direkt an
der Grenze?
Hohentengen am Hochrhein
Vier Atomreaktoren sind in der Schweiz noch in Betrieb. Einer davon
befindet sich im Kernkraftwerk Leibstadt direkt am Hochrhein an der
Grenze zu Deutschland. Rund 20 Kilometer weiter östlich soll das
Endlager für den eidgenössischen Atommüll entstehen - ebenso in
Grenznähe. (Foto: Patrick Seeger/dpa)
Dass die Schweizer daran denken, ihren Atommüll an der deutschen Grenze
zu lagern, ist bekannt. Doch nun machen sie Ernst. Das
Genehmigungsverfahren wurde eingeleitet.
Veröffentlicht:05.01.2025, 09:53
Aktualisiert:05.01.2025, 09:54
Von: Uwe Jauß
Hohentengen wirkt vom Anschauen her eher verschlafen: eine der kleinen
badischen Gemeinden am Hochrhein, an denen die Weltgeschichte
vorbeigegangen ist. Unten beim Fluss gibt es quasi als örtlichen
Höhepunkt einen Campingplatz, welcher zum Verweilen einlädt. Die
unaufgeregte Beschaulichkeit wäre perfekt, wenn es die Nachbarn nicht
gäbe: die Schweizer in diesem Fall.
Sie nerven die rund 4000 Hohentenger seit langem durch niedrige
Überflüge von Passagierjets. Was mit dem relativ nahe gelegenen Zürcher
Airport Kloten zusammenhängt. Etwas jünger ist aber ein ganz spezieller
Ärger: der Umstand, dass sich die Schweizer darauf vorbereiten, auf
ihrer Hochrheinseite ein Atommüllendlager zu bauen – rund zwei Kilometer
von Hohentengen entfernt. „Das Schweizer Atomklo“, wie Kernkraftgegner
auf beiden Seiten der Grenze schon immer hämisch geschimpft haben.
Das Neue an der Geschichte: Nun wird es Schritt für Schritt Ernst mit
dem Endlager. In Hohentengen und den Dörfern drumherum fragt man sich
mit steigendem Interesse, inwiefern ein deutsches Mitspracherecht bei
dem Schweizer Projekt vorgesehen ist. Wobei Hohentengens Bürgermeister
Jürgen Wiener schon in jüngster Vergangenheit klargemacht hat, dass es
letztendlich auf die Kulanz der Nachbarn ankäme. Hereinreden, sagt der
CDU-Kommunalpolitiker, könne man den Eidgenossen bei der Standortwahl
sowieso nicht.
Womit Missstimmung und Enttäuschung programmiert sind. Dass dies alles
nun losgetreten wurde, hat mit einem aktuellen Akt der Schweizer
Bürokratie zu tun. Der Anstoß kam von der Nationalen Genossenschaft für
die Lagerung radioaktiver Abfälle, in der Schweiz wie im Ausland besser
unter dem Kürzel Nagra bekannt. Sie hat im Spätherbst den
Genehmigungsantrag für einen Endlagerbau eingereicht – das aktuelle
Schlüsselereignis bei diesem Thema.
Vier Schweizer Reaktoren laufen noch
Entsorgt werden muss schwach radioaktiver Müll sowie die Brutalvariante
aus den Reaktoren: abgebrannte Brennstäbe aus einst fünf kommerziellen
Meilern. Wovon vier noch laufen, sinnigerweise drei davon auch in der
Hochrhein-Gegend. Das Kernkraftwerk Leibstadt steht sogar unweit der
badischen Kreisstadt Waldshut-Tiengen. Der Schatten der Wasserdampfsäule
aus dem riesigen Kühlturm fällt täglich weit aufs deutsche Ufer. Dies
heißt, der Nuklear-Betrieb läuft.
Endlagerung tut also Not. Auf rund 30.000 Seiten will die Nagra
nachweisen, dass der anvisierte Standort der sicherste im ganzen Land
ist. Nagra-Chef Matthias Braun betonte auf einer anberaumten
Pressekonerenz: „Wir zeigen, dass wir ein solches Tiefenlager sicher
bauen und betreiben können und wir weisen nach, dass das Lager mit dem
Umweltschutz vereinbar ist.“ Fakten kämen jetzt auf den Tisch. Die
Lösung des Endlagerproblems sei in Griffweite.
Seit 1972 auf Endlager-Suche
Bewahrheitet sich dies, würden die Schweizer anders als etwa die
Deutschen weltweit zur Spitzengruppe in Sachen Atommüll-Entsorgung
gehören. Wobei Braun quasi vom Job her Optimismus versprühen muss –
schon weil es seine Organisation seit 1972 gibt. So lang beschäftigt
sich die Nagra mit Recherchen für ein geeignetes Loch, in welchem
Brennstäbe oder anderes radioaktives Material verschwinden könnten.
Zeit, um endlich zu Potte zu kommen. Dies wäre auch ganz im Sinne der
Nagra-Träger: den heimischen Atomkraftwerksbetreibern, dem Bund sowie
einer Zwischenlager AG.
Die Lage des Atommüll-Stollens im Gebiet Nördlich Lägern bei der
Gemeinde Stadel. Neben unterirdischer Kavernen braucht es auch
oberirdische Installationen. Zum Entsorgungskomplex gehört zudem
Würenlingen, bisher Standort eines Zwischenlagers. Dort wird der
hoch radioaktive Atommüll rund 40 Jahre lang in Castorbehältern
abgekühlt bevor er ins Endlager kommt.
Für die Betroffenen der Standortsuche am Hochrhein mag die Angelegenheit
weniger dringlich erscheinen – zumal mancher Gegner weiterhin hofft,
dass das Projekt noch scheitert. Die Nein-Sager wittern Ungemach.
Bekannt ist unter anderem, dass die Gegend latent erdbebengefährdet ist
– wie der ganze Hochrhein bis weit in den anschließenden Bodenseeraum
hinein.
Der Schweizer Physiker Harald Jenny vom Unabhängigen Schweizer
Begleitgremium Tiefenlager sieht das Umfeld des anvisierten Standorts
zudem von Erdwärmesonden bis in 400 Meter Tiefe durchlöchert. Immerhin
soll der Müllstollen aber doppelt so tief gebaut werden. Doch Jenny
verweist darauf, dass ausgerechnet dort das größte eidgenössische
Erdwärmevorkommen zu finden sei und Sonden künftig auch weiter in die
Erde hineingehen könnten. Werde das Tiefenlager gebaut, sei ein
Ressourcenkonflikt vorprogrammiert, warnt der Physiker.
Zum Rheinfall ist es nicht weit
Die Standortgegner haben somit Munition, um gegen die Lagerpläne zu
schießen. Ihr Löwenanteil sitzt naturgegeben vor Ort, ist also
Eidgenosse. Dies gilt für die Gemeinde Stadel, ein völlig unscheinbarer
Ort, der ein Wald- und Wiesenstück im Haberstal fürs Endlager hergeben
soll. Zudem kommen weitere Proteste generell aus dem umliegenden, dicht
besiedelten eidgenössischen Landstrich, der als Nördlich Lägern
bezeichnet wird.
Zusätzlich ist nicht zu vergessen, dass sich in greifbarer Entfernung
die wichtigste Touristenattraktion der Gegend befindet: der auf
Schweizer Boden herabstürzenden Rheinfall bei Schaffhausen. Ob ein
Endlager dafür Werbung ist, kann als gute Frage gelten. Vielleicht lockt
aber der Müllstollen zusätzlich Besucher an, sollte es Führungen für
Erlebnishungrige und Technikfreaks geben. Immerhin existiert ein solches
touristisches Prozedere auch für diverse Atomkraftwerke.
Doch bis so etwas überhaupt realistisch angedacht werden könnte, dürfte
nach dem Zeithorizont der Nagra noch viel Wasser den Hochrhein
hinunterfließen. Nach jetzigem Stand kann sie sich erst ab 2050 einen
Betrieb vorstellen. Was wiederum daran liegt, dass selbst in der Schweiz
die bürokratischen Mühlen langsam mahlen und sich der Bau hinzieht.
Zuvorderst schauen Beamte, ob die eingereichten Unterlagen vollständig
sind. Danach wird der Nagra-Antrag veröffentlicht. Schweizer
Fachbehörden überprüfen ihn auf Sicherheits-, Umwelt- und
raumplanerische Aspekte. Ist dies im Sinne des Antragsstellers positiv
beschieden, kommt es zur Abstimmung im Bundesrat, dem eidgenössischen
Parlament in Bern.
Am Schluss dürfte eine Volksabstimmung stehen
Das Votum wäre um 2030 herum möglich. Bei einer Zustimmung zum
Endlagerbau durch die Abgeordneten ist aber noch längst nicht alles
geregelt. Die Schweizer haben ihr traditionelles Recht auf
Volksentscheide. Die Mächtigen müssen sich fürchten.
Auf Seiten der eidgenössischen Endlager-Gegner will man diese Karte
definitiv ziehen. So haben sich mehrere Vereine, Bürgerinitiativen und
Personen zu einem Komitee mit dem Namen „Atomares Endlager vors Volk!“
zusammengeschlossen. Da können die Badener nördlich des Hochrheins nur
neidisch schauen. Als Ausländer sind sie außen vor. Wobei ihre Heimat
die direkte Demokratie der Nachbarn in dieser Ausprägung eh nicht vorsieht.
Bemerkenswerterweise möchten sich die Schweizer aber auf dem Weg zum
Endlagerbau gut nachbarschaftlich zeigen. Eigentlich ist man ja abseits
staatlicher Grenzen vom selben Schlag: Alemannen hier, Alemannen dort.
Als hilfreich stellt sich in diesem Zusammenhang das eidgenössische
Kernenergiegesetz heraus. Demnach sind neben den Nachbarkantonen die
Nachbarländer an der Vorbereitung des Rahmenbewilligungsentscheides der
Nagra zu beteiligen. Ebenso müssen deren Anliegen berücksichtigt werden.
Kenner der Materie erklären, diese Einflussmöglichkeiten würden weit
über eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung
hinausgehen. Hoffentlich, ließe sich sagen. Immerhin geht es um mehr als
eine Fischtreppe an einem Hochrhein-Wehr.
Auch deutsche Orte sollen finanziell entschädigt werden
Des Weiteren sieht die eidgenössische Gesetzeslage eine finanzielle
Entschädigung der betroffenen Gemeinden vor – und dies nicht nur in der
Eidgenossenschaft. Hohentengen und andere Orte können also auf
Schweizer Franken hoffen.
Aktuell laufen dazu erste Verhandlungen an. Bei ihnen soll geklärt
werden, wer wie viel Geld erhält. Die badischen Orte bekommen dabei
offenbar Rückdeckung aus Stuttgart. „Wir bringen uns aktiv ein und
werden uns eng mit den Behörden in der Schweiz abstimmen“, verlautbarte
Umweltministerin Thekla Walker von den Grünen.
Zahlen müssen wiederum die Betreiber der Atomkraftwerke – zumindest in
erster Linie. Auf 20 Milliarden Franken werden die Gesamtkosten des
Projekts geschätzt, zwölf Milliarden davon fließen direkt in den Bau.
Für die einzelnen Orte sind im Vergleich dazu jedoch eher Peanuts
vorgesehen: Franken-Summen in bloßer Millionenhöhe. Willkommen ist das
Geld dennoch. Besonders der Landstrich bei Hohentengen gilt als
strukturschwach.
Die größte Baustelle der Schweiz
Dort hat Bürgermeister Wiener bereits früh verkündet: „Ich stehe dem
Verfahren offen gegenüber.“ Dadurch könne zwar keine Akzeptanz des
Endlagers erreicht werden, aber eine Toleranz. Er sieht durch das
Projekt auch Chancen für seine Gemeinde. Für mehrere Jahre dürfte das
Endlager die größte Baustelle der Schweiz werden. Womöglich dehnt sich
die Infrastruktur dafür über die Grenze aus, etwa durch
Monteursübernachtungen. Wer in Hohentengen und anderen nahen Orten
Zimmer zu vermieten hat, könnte seinen Reibach machen.
Hinzu kommt, dass die Baustelle viele Arbeitsplätze verspricht - mit
gutem eidgenössischen Salär. Eine Option für Hohentengener. Pendeln hat
in diesem Ort Tradition. Manch einer schafft tagsüber im Zürcher
Flughafen – um dann abends daheim über Fluglärm zu schimpfen.
Wenn das Endlager schließlich fertig sein sollte, kann es neben dem
wenig strahlendem Müll rund 1620 Kubikmeter hoch radioaktiven Abfall
aufnehmen: die Brennstäbe. Da aber die verbliebenen eidgenössischen
Nuklearmeiler bis zu einem noch genau zu bestimmenden Zeitpunkt
weiterlaufen sollen, sind Reserveplätze für weitere 880 Kubikmetern
vorgesehen.
Vielleicht wird der Müll wieder nach oben geholt
Und anschließend? Was geschieht dann? Absperren und den Schlüssel
wegwerfen? Durchaus nicht. Die Schweizer bauen so, dass der Müll aus der
Tiefe wieder hervorgeholt werden kann. Der Gedanke dahinter: Im
nuklearen Abfall steckt noch so viel Energie, die eventuell durch
künftige Techniken verwertbar wird. Womit ein Hin- und Her denkbar ist:
Antransport des strahlenden Materials, Abtransport.
Der potenzielle Verladebahnhof würde übrigens weitaus näher an der
Grenze liegen als das Endlager. Die Hohentengener könnten vor ihrem
Hochrhein-Ufer aus fast schon den Zügen zuwinken - oder wahlweise den
Lokführern die geballte Faust zeigen.
https://www.schwaebische.de/regional/baden-wuerttemberg/umstrittenes-projekt-rueckt-naeher-wie-gross-ist-diese-gefahr-direkt-an-der-grenze-3198028
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