[fessenheim-fr] NZZ: "...in grossem Stil Unterschriften gekauft"

Klaus Schramm klausjschramm at t-online.de
Do Sep 5 16:22:08 CEST 2024


Hallo Leute!

Auch in den Kreisen der Anti-Atom-Bewegung
gab es in den vergangenen Jahren gewisse
Hemmungen den Begriff "Atom-Mafia" weiterhin
zu benutzen...

Hier ein aktueller Artikel aus der NZZ
zu den Hintergründen der Pro-AKW-Initiative
"Blackout stoppen", die in der Schweiz eine
"Renaissance der Kernenergie" einzuläuten
versucht - s.u.

Ciao
    Klaus Schramm


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Für die Initiative «Blackout stoppen» haben die Kernkraft-Freunde in 
grossem Stil Unterschriften gekauft – das bringt sie nun in Bedrängnis

Nach den Betrugsfällen beim Unterschriftensammeln wird der Ruf nach 
einem Marschhalt bei der Aufhebung des AKW-Verbots laut.

David Vonplon 04.09.2024, 05.30 Uhr

Die Volksinitiative «Blackout stoppen» könnte die Energiepolitik dieses 
Landes auf den Kopf stellen. Am 16. Februar dieses Jahres deponierten 
bürgerliche Politiker des Initiativkomitees 129.000 Unterschriften bei 
der Bundeskanzlei. Es soll der Startschuss sein für ein Comeback der 
Kernenergie in der Schweiz. Einen ersten Etappensieg haben die 
Initianten vergangene Woche bereits erzielt: Bundesrat Albert Rösti 
kündigte an, mit einem indirekten Gegenvorschlag das Neubauverbot für 
Kernkraftwerke aufzuheben.

Nun jedoch könnte eine Recherche der Tamedia-Zeitungen die gegenwärtige 
Euphorie bei den Initianten dämpfen. Sie legt nahe, dass kommerzielle 
Unterschriftensammler Tausende Daten für Volksinitiativen gefälscht 
haben. Unter dem Verdacht, teilweise gefälschte Unterschriften 
aufzuweisen, stehen etwa ein Dutzend Volksbegehren, darunter auch die 
«Blackout stoppen»-Initiative.

Ihr Drahtzieher, der Energie-Club Schweiz, hat beim 
Unterschriftensammeln unter anderem mit dem Lausanner Kleinunternehmen 
Incop zusammengearbeitet, das im Zentrum der Betrugsvorwürfe steht. 
Incop ist eine von etwa einem Dutzend Organisationen, die sich auf das 
kommerzielle Beschaffen von Unterschriften spezialisiert haben und 
grösstenteils aus der Westschweiz stammen. Gegen verschiedene dieser 
Unternehmen ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen Wahlfälschung.

Das wirft die Frage auf, ob auch die Initiative der AKW-Befürworter nur 
dank illegalen Praktiken ihres Unterschriftenlieferanten zustande kam. 
Stutzig macht, dass mehr als die Hälfte der Unterschriften für die 
Initiative aus der Westschweiz kommt. Gemäss Bundeskanzlei gehen dabei 
nicht weniger als 35 164 Unterschriften auf Stimmberechtigte aus dem 
Kanton Waadt zurück, wo sich auch der Sitz und das Zentrum der 
Sammelaktivitäten von Incop befinden.

Auffällig viele Unterschriften aus dem Kanton Waadt

Auf den Plan gerufen haben diese Zahlen die Schweizerische 
Energie-Stiftung (SES), die sich für die erneuerbaren Energien und gegen 
die Atomkraft engagiert. «Die von dem Kanton Waadt beigesteuerten 
Unterschriften zur Atominitiative können nicht realistisch sein», sagt 
der SES-Geschäftsführer Nils Epprecht.

Er rechnet vor, dass der Kanton Waadt zum Zeitpunkt der Einreichung der 
Initiative 475 000 Stimmberechtigte aufwies. Gemäss einer Umfrage des 
atomfreundlichen Nuklearforums von letztem Jahr sind rund 25 Prozent der 
Wohnbevölkerung in der Romandie der Meinung, das Neubauverbot solle 
aufgehoben werden, was knapp 119 000 Stimmen entspricht. Die 
Unterschriftensammler hätten somit innert der Sammelfrist von achtzehn 
Monaten etwa 30 Prozent aller für das Anliegen grundsätzlich offenen 
Personen für eine Unterschrift gewinnen müssen. Für eine Volksinitiative 
ohne regionalen Bezug seien diese Werte völlig unglaubwürdig und würden 
stichprobenartige Vergleiche mit anderen Volksinitiativen um den Faktor 
vier oder mehr übersteigen, so Epprecht. Praktisch identische Werte 
würden sich auch im Kanton Genf zeigen.

Hinweise darauf, dass professionelle Firmen bei der Initiative 
Unterschriften erschlichen haben, gab es bereits in der Sammelphase. Die 
«Rundschau» berichtete im Februar 2023, dass die Verantwortlichen der 
«Blackout stoppen»-Initiative 7 Franken 50 pro Unterschrift bezahlen 
würden – und dabei getrickst und geschummelt werde. «Nun zeigt sich, 
dass die bei der Unterschriftensammlung beteiligten Firmen in grossem 
Stil in ein Strafverfahren wegen Unterschriftenfälschungen involviert 
sind», sagt Epprecht. Das sei gravierend.

Der Atomkritiker fordert vom Bundesrat einen Marschhalt, bis die 
Vorwürfe geklärt sind. Solange ungewiss sei, ob die Initiative mit 
legalen Mitteln die nötige Unterschriftenzahl erreicht habe, fehle dem 
Gegenvorschlag des Bundesrats eine gesicherte Grundlage. «Einfach so 
weitermachen, als wäre nichts geschehen, ist bizarr», kritisiert Epprecht.

Im Departement von Energieminister Albert Rösti will man sich nicht zu 
den Fragen äussern, die sich mit den mutmasslichen 
Unterschriftenfälschungen und der «Blackout stoppen»-Initiative stellen. 
Die Bundeskanzlei wiederum erklärt, sie könne keine Aussagen über das 
Ausmass mutmasslicher Fälschungen machen, solange die 
Strafuntersuchungen liefen.

Vanessa Meury, Präsidentin des Energie-Clubs Schweiz, reagiert derweil 
gelassen auf die Attacke der Energiestiftung. Es gebe keinen Anlass, die 
Initiative zu diskreditieren oder diese gar für ungültig zu erklären. 
«Sämtliche Unterschriften der Initiative wurden von den Gemeinden 
bescheinigt und durch die Bundeskanzlei geprüft.»

Zusammenarbeit mit Unterschriftensammler gekündigt

Die SVP-Politikerin bestätigt, dass Incop den Energie-Club in einer 
ersten Sammelphase bei der Unterschriftensammlung unterstützt hat. 
Bereits im Januar 2023 – etwa ein halbes Jahr nach dem Start der 
Sammelphase – habe man die Zusammenarbeit mit der Firma jedoch wieder 
beendet. «Wir haben rasch gemerkt, dass die Fehler- und 
Ungültigkeitsquote der eingegangenen Unterschriften sehr hoch ist», sagt 
Meury. Von da an habe man beim Sammeln stärker auf die eigenen Leute 
sowie andere Unternehmen gesetzt, so die Solothurnerin.

Wie viele tatsächlich bescheinigte Unterschriften von kommerziellen 
Unterschriftenbeschaffern aus der Westschweiz stammen, bleibt derweil im 
Dunkeln. «Dazu können wir keine Angaben machen», sagt Meury. Die 
engagierten Firmen hätten teilweise schweizweit Unterschriften 
gesammelt. Man habe aber auch mit Organisationen zusammengearbeitet, die 
nur in der Romandie gesammelt hätten.

Einen verdächtig hohen Anteil an Unterschriften aus dem Kanton Waadt und 
der Westschweiz weist nicht nur die «Blackout stoppen»-Initiative auf. 
Die Tamedia-Zeitungen listen insgesamt neun Volksbegehren auf, bei denen 
der «Waadt-Anteil» über 20 Prozent liegt. Bei der Volksinitiative gegen 
den Import von tierquälerisch erzeugter Stopfleber stammt zudem 
ebenfalls mehr als die Hälfte der Unterschriften aus den vier 
Westschweizer Kantonen Waadt, Genf, Freiburg und Neuenburg. Wohnhaft 
sind dort bloss 19 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer. Auch die 
Initianten dieser Volksbegehren müssen sich unangenehme Fragen gefallen 
lassen.
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