[fessenheim-fr] franzoesisch-chinesische Hintergrund-Fakten zum Fall Maureen Kearney
Klaus Schramm
klausjschramm at t-online.de
Do Aug 3 11:16:39 CEST 2023
Hallo Leute!
Hier ein sehr interessanter Artikel von
Detlef zum Winkel über den Hintergrund
des Kampfes der Gewerkschafterin und
Personalrätin beim französischen Atom-
Konzern Areva Maureen Kearney - s.u.
Da sich vermutlich nicht jedEr von uns den
Film "Die Gewerkschafterin" mit Isabelle
Huppert in der Hauptrolle angeschaut hat,
hier vorab ein paar grundlegende Infos,
die zum Verständnis des Artikels nötig
sind:
Kearney hatte Anfang der 2010er-Jahre
ihr von einem Whistleblower zugespielte
Pläne über die geheime franz.-chinesische
Nuklear-Kooperation veröffentlicht. Ihr
ging es vor allem darum, den drohenden
Abbau von Arbeitsplätzen bei Areva zu
verhindern. Mit ihren Veröffentlichungen
hatte sie die Mächtigen der frz. Atom-
Branche gründlich verärgert. Am 7.
Dezember 2012 wurde Maureen Kearney von
ihrer Putzfrau im Keller ihres Hauses
in einem Pariser Vorort gefunden. Sie
war an einen Stuhl gefesselt und man
hatte ihr den Buchstaben 'A' in ihren
Bauch geritzt. Den Griff des Messers,
mit dem man dies tat, hat man in ihre
Vagina geschoben...
Ciao
Klaus Schramm
Französisch-chinesische Atomgeschäfte
26. Juli 2023
Detlef zum Winkel
Der Technologietransfer und das Ende von Areva
Kürzlich ist der Film “Die Gewerkschafterin” mit Isabelle Huppert in den
Kinos angelaufen. Da die meisten Rezensionen den politischen und
wirtschaftlichen Hintergrund nicht verstanden haben, wird er im
Folgenden ausführlich dargestellt.
Als Nicolas Sarkozy 2007 zum Präsidenten Frankreichs gewählt wurde,
reiste er noch im gleichen Jahr mit einer großen Wirtschaftsdelegation
nach China. Es gelang ihm, zahlreiche Verträge oder Vorverträge mit
einem Gesamtvolumen von 30 Mrd US Dollar abzuschliessen. Darunter war
ein Auftrag an Areva, für 8 Mrd Euro zwei Atomreaktoren für Taishan in
der südchinesischen Provinz Guangdong zu liefern. Es ging um den
Europäischen Druckwasserreaktor (EPR), ursprünglich eine
französisch-deutsche Entwicklung, um eine technische Antwort auf den
Supergau von Tschernobyl zu finden.
Die französisch-chinesische Zusammenarbeit sollte über bloße Ein- und
Verkäufe hinausgehen, wechselseitige Beteiligungen und gemeinsame
Entwicklungen waren ebenfalls vorgesehen. China hatte zu jenem Zeitpunkt
bereits vier AP-1000 Reaktoren vom US-Konzern Westinghouse für 5,3 Mrd
Dollar erworben. Die genannten Preise, die die amerikanischen ebenso wie
die französischen Lieferanten akzeptiert hatten, erscheinen aus heutiger
Sicht ruinös, aber sie wollten eben den boomenden chinesischen
Nuklearmarkt erobern.
Die französische Atomindustrie konnte auf frühere Kooperationen mit
China zurückgreifen, insbesondere beim Verkauf von vier als M310
bezeichneten Reaktoren an China, jeweils zwei für das AKW Daya Bay und
das AKW Ling Ao. Dabei handelt es sich um den in Frankreich
meistvertretenen Reaktortyp der 900 Megawatt Klasse, der für China
leicht angepasst wurde. Diese Reaktoren wurden bereits in den
achtziger/neunziger Jahren verkauft und relativ zügig errichtet.
Die Blöcke 1 und 2 des AKW Ling Ao sind von der Internationalen
Atomenergie Agentur (IAEA) als Modell 310 registriert, während die etwas
leistungsstärkeren Blöcke 3 und 4 unter dem Modellnamen CPR-1000 geführt
werden, eine Weiterentwicklung des französischen Reaktors, bei der die
Blöcke 5 und 6 des AKW Gravelines (Calais) als Referenz dienten. Der
CPR-1000 wird von der China General Nuclear Power Group (CGNPG) gebaut
und betrieben. Schrittweise ließ CGNPG mehr und mehr Komponenten für die
Kraftwerke im eigenen Land herstellen.
China ist bekannt für seine zweifelhaften Methoden, Knowhow ins Land zu
bringen. Bei der Nukleartechnologie sah das Verfahren so aus: Man kaufte
ausländische Reaktoren, gab ihnen eine neue Typenbezeichnung und baute
sie Zug um Zug nach, bis man sie als eigenen Reaktortyp besaß. Der
CPR-1000 stellt heute mit 18 Installationen einen beachtlichen Anteil
des chinesischen Nuklearparks, was empfindliche Folgen zeitigen kann,
wenn man beispielsweise an die Risseproblematik in den französischen
Reaktoren denkt.
Bei den von Westinghouse erworbenen AP1000-Reaktoren das gleiche Spiel.
Diese Meiler sind im AKW Haiyang und im AKW Sanmen, jeweils Blöcke 1 und
2, im Betrieb. In beiden AKWs will China zwei zusätzliche Blöcke des
eigenen Typs CAP1000 errichten. Seine Leistungsmerkmale gleichen denen
des AP1000: Wieder handelt es sich um die chinesische Adaption eines im
Ausland erworbenen Reaktors. Das Vorgehen hat System.
Nach dieser Methode, die ihren Geschäftspartnern schon vertraut gewesen
sein musste, gingen die Chinesen auch das EPR-Projekt an. Sie bestellten
zwei Reaktoren bei Areva, starteten den Bau des ersten Blocks Ende 2009
und den des zweiten Blocks ein halbes Jahr später. Für Block 2 setzten
sie durch, dass wesentliche Komponenten von eigenen Unternehmen
geliefert wurden, etwa die Turbine und der Reaktordruckbehälter vom
Staatsunternehmen Dongfang aus Chengdu, statt von Alstom und Mitsubishi
Heavy Industries, die das für Block 1 bewerkstelligten (MHI hielt damals
eine 19% Beteiligung an Areva). Auch der EPR erfuhr eine Umbenennung, er
heißt in China “Evolutionärer Druckwasserreaktor”.
Die EPR sollten Grundlage für zukünftige Reaktoren dieser Baulinie in
China werden. Der zeitnahe Nachbau an Ort und Stelle schafft
selbstredend optimale Bedingungen für einen Technologietransfer. Der
französische Energieriese EDF, zu 30% an der Betreiberfirma des AKWs,
Taishan Nuclear Power Joint Venture Company, beteiligt, war mit diesem
Verfahren einverstanden. Areva als Lieferant musste wohl oder übel in
die Reduzierung seines Auftragsvolumens einwilligen. Die beiden
französischen Firmen fingen an, sich gegenseitig Konkurrenz zu machen.
Die ehrgeizige damalige Areva-Chefin Anne Lauvergeon, genannt Atomic
Anne, ging davon aus, eine Vielzahl weiterer EPR-Aufträge zu bekommen
und begann damit, hochfliegende Pläne umzusetzen, eine Schwäche, die
sich nahezu bei allen kurzfristig erfolgreichen Nuklearisten beobachten
lässt. Areva sollte durch Akquisitionen weiterer Firmen zu einem
Unternehmen ausgebaut werden, das alle Stationen der Nukleartechnik von
der Uranförderung bis zur Entsorgung mit eigenen Produkten und
Dienstleistungen bedienen könnte. Doch Atomic Anne überhob sich: Viele
der Zukäufe mussten auf verlustreiche Weise wieder veräußert werden.
Schlimmer noch: von den EPR Baustellen in Finnland (Olkiluoto),
Frankreich (Flamanville) und China (Taishan) wurden immer neue und
kostspieligere Probleme gemeldet. Budgets und Fristen wurden weit
überschritten. Am 11. März 2011 setzte der Supergau von Fukushima Arevas
Zukunftsträumen ein jähes Ende. Ein weiterer Sargnagel für Lauvergeons
Karriere, die ein Vierteljahr später von Sarkozy entlassen und durch
ihren Vize, Luc Oursel, ersetzt wurde. Es war auch eine Unterordnung
unter die große EDF: Oursel galt als “Vasall” von EDF.
Schon vorher hatten die Chefs des Stromkonzerns die Weichen gegen seinen
Reaktorbauer gestellt. Während sich Areva angesichts der überbordenden
Kosten beim EPR mit Mitsubishi zusammentat, um einen kleineren und
billigeren Reaktortyp, den ATMEA, zu entwickeln, verabredete EDF in
aller Stille ein Konkurrenzvorhaben mit seinen Partnern von der China
General Nuclear Power Corporation. In einer Vereinbarung vom April 2010
wurde CGNPC in Aussicht gestellt, an neuen Atomprojekten in Frankreich
als Investor und Lieferant teilzunehmen. Weitere Verhandlungen folgten.
Unter Ausschluss von Areva. Im Jahr 2011 äußerte der
Vorstandsvorsitzende von EDF, Henri Proglio, eine Art Pate der
Atomgemeinde und Vertrauter von Sarkozy, er könne sich auch andere
Zulieferer von Nukleartechnik als Areva vorstellen. Namentlich nannte er
die britische Rolls-Royce, die russische Rosatom oder “chinesische Firmen”.
Im Januar 2012, pünktlich zum Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich,
enthüllte der Nouvel Observateur den Text der Vereinbarung. Trotz der
Unruhe, die diese Nachricht auslöste, verhandelte EDF unmittelbar nach
der Veröffentlichung des Nachrichtenmagazins und hinter dem Rücken von
Areva ein weiteres, noch radikaleres Geheimabkommen mit den Chinesen.
Darin erklärte sich EDF bereit, für einen zukünftigen
französisch-chinesischen Reaktor der EPR-Klasse strategische
Großkomponenten aus China zu beziehen, das geistige Eigentum am
Reaktorkern des EPR aufzugeben und bei der Entwicklung von
klassifizierter, d.h. streng geschützter Software zusammenzuarbeiten.
Doch die (noch) von den Konservativen gestellte Pariser Regierung
befürchtete einen neuen Skandal und wies das Ansinnen intern zurück.
Allerdings ist kaum vorstellbar, dass EDF-Chef Proglio ohne das
Einverständnis von Sarkozy gehandelt hätte.
Sarkozy verlor die Wahl im Mai 2012, zum Präsidenten wurde der Sozialist
François Hollande gewählt. Er veranlasste alsbald eine harsche
Zurechtweisung Proglios (ersetzte ihn aber erst zweieinhalb Jahre später
durch Jean-Bernard Lévy an der Spitze von EDF). In dieser Situation des
Jahres 2012 führt die sozialistische Gewerkschaft CFDT eine Kampagne
gegen die französisch-chinesische Kooperation auf dem Nuklearsektor,
weil sie eine Zerschlagung von Areva und den Verlust tausender
Arbeitsplätze befürchtet. Dabei spielt Maureen Kearney,
Generalsekretärin des europäischen Konzernbetriebsrats von Areva, eine
zentrale Rolle, weil sie der Presse Insider-Informationen zuspielt, die
die Befürchtungen der Gewerkschaft bestätigen.
Ungeachtet dessen unterzeichnen die Vorstandsvorsitzenden von EDF und
Areva, jetzt wieder mit am Tisch, am 19. Oktober 2012 ein dreiseitiges
Dokument mit ihren Partnern von CGNPC zur gemeinsamen Entwicklung eines
zukünftigen Atomreaktors. Den genauen Inhalt wollen weder Proglio noch
Oursel noch der neue sozialistische Wirtschaftsminister Arnaud
Montebourg preisgeben. Doch die Gewerkschafterin Maureen Kearney deckt
das Stattfinden des geheimen Treffens auf und präsentiert ein Foto von
der Unterzeichungszeremonie.
Den Rest erzählt eindrucksvoll der Film La Syndicaliste von Jean-Paul
Salomé, der mit einer Pressekonferenz Kearnys nach ihrer jahrelangen,
quälenden Auseinandersetzung mit der französischen Justiz endet. Dort
sagt sie, die Entlassungen bei Areva hätten wie befürchtet
stattgefunden. Sie sei die Letzte, die noch darüber berichten könne,
weil so viele andere Kolleginnen und Kollegen von der Bildfläche
verschwunden seien.
Das trifft zu: Die französische Wikipedia gibt die Beschäftigtenzahlen
von Areva für 2010 mit 76 000 an, für 2014 mit 42 000 und für 2020 mit
19 000. Das alte Unternehmen wurde radikal umstrukturiert, seine
Kraftwerkssparte existiert unter dem Namen Framatome noch als
Tochtergesellschaft von EDF. Die Täter und ihre Auftraggeber, die
Maureen Kearney so übel zugerichtet haben, wurden nicht identifiziert,
die Ermittlungen eingestellt.
Die avisierte französisch-chinesische Kooperation beim Bau neuer
Reaktoren realisiert sich vorerst im südwest-englischen Atomkraftwerk
Hinkley Point C. Dort werden zwei EPRs von einem Konsortium aus EDF
(66,5%) und CGNPC (33,5%) installiert. Das chinesische Unternehmen tritt
dabei nur als Investor auf. Für das nächste britische Projekt, zwei
Reaktoren im AKW Sizewell C, hatten sich die Partner ebenfalls schon
2015 verständigt. Das fiel noch in die Amtszeiten von François Hollande
und David Cameron. In einer Pressemitteilung vom Oktober 2015 berichtete
das chinesische Unternehmen stolz von seinem Vormarsch in das United
Kingdom und der Aussicht, den chinesischen Hualong Reaktor dort
platzieren zu können. Im November 2015 reiste Hollande zu einem
Staatsbesuch nach Peking, um eine chinesische Minderheitenbeteiligung an
Areva auf den Weg zu bringen. “Da China ein Partner ist und wir
gemeinsam Atomkraftwerke bauen”, rechtfertigte sich Hollande
anschließend, sei es legitim, “sie an der Umstrukturierung zu
beteiligen”. Gedacht war dabei an das Unternehmen China National Nuclear
Corporation (CNNC).
Zu diesem Zeitpunkt war der heutige Präsident Emmanuel Macron
Wirtschaftsminister. Das zeigt, dass die ursprünglich von Sarkozy
eingeschlagene Strategie auch von seinen Nachfolgern befolgt wurde.
Entsprechend gering war das Interesse, den Überfall auf Maureen Kearney
aufzuklären und der Gewerkschafterin Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Doch im August 2019 setzte das US-Handelsministerium die inzwischen in
China Nuclear Power Group umbenannte CGNPC wegen Industriespionage auf
die Sanktionsliste. Es folgte damit der Forderung des damaligen
Präsidenten Donald Trump, Exporte ziviler Nukleartechnik nach China zu
unterbinden, da sie dort für militärische Zwecke verwendet werden
könnten. Ein Jahr später wurde auch CNNC sanktioniert. Trumps Nachfolger
Joe Biden hält an dieser Linie fest, was den französischen und
britischen Partnern von CGNPC erhebliche Kalamitäten bereitet. Das
britische Department for Business, Energy and Industrial Strategy
überlegt daher, als Partner an der Seite von EDF in das Sizewell-Projekt
einzusteigen, ohne dass ein Ausscheiden von CGNPC bereits bekannt
geworden wäre.
Im AKW Taishan läuft es derweil keineswegs wie geplant. Dort hat man mit
diversen Schwierigkeiten zu kämpfen, die zu langen Ausfallzeiten geführt
haben. Eine Beteiligung französischer Spezialisten an der Behebung der
Mängel verstößt jedoch gegen die US-Sanktionen.
In Hinkley-C freilich wird weitergebaut, als sei nichts geschehen,
obwohl die Hersteller und Betreiber unter dem dringenden Verdacht
stehen, eine Allianz gebildet zu haben, die mit Foltermethoden gegen
eine Betriebsrätin geschmiedet wurde.
https://extradienst.net/2023/07/26/franzoesisch-chinesische-atomgeschaefte/
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