[fessenheim-fr] verheerendes Urteil: VGH Mannheim hat den Eilantrag auf Stilllegung des AKW Neckarwestheim II abgelehnt
Klaus Schramm
klausjschramm at t-online.de
Fr Apr 29 19:31:58 CEST 2022
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Datum: Fri, 29 Apr 2022 19:17:11 +0200
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Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ("VGH Mannheim") hat nach
9,5 Monaten )und damit mehr als der Hälfte der zum Antragszeitpunkt noch
gültigen restlichen AKW-Betriebszeit) festgestellt, dass keine
Eilbedürftigkeit vorliege, dass die Atomaufsicht sowieso immer Recht
habe ("exekutiver Funktionsvorbehalt") und dass er im Atomrecht nicht
über Tatsachen, sondern allenfalls über mögliche Willkür der
Atomaufsicht urteilen dürfe. Eine Willkür der Aufsicht konnte er
allerdings dank angestrengten Wegsehens nicht entdecken.
Zudem argumentiert das Gericht einerseits, dass eine Entscheidung in
unserem Sinn wegen der zeitlichen Nähe zum 31.12.2022 eine
ungerechtfertigte Vorwegnahme der Hauptsache wäre, und nimmt damit doch
selbst die Hauptsache faktisch vorweg - und begründet mit dieser
faktischen Vorwegnahme sogar die Höhe des Streitwerts, den er
ausdrücklich an einem Hauptsacheverfahren statt an einem Eilverfahren
bemisst.
Insgesamt sehr bedauerlich, wenn auch nicht wirklich unerwartet.
Immerhin kam der VGH in seinen Verrenkungen nicht ganz daran vorbei,
auch einzelne Dinge zu formulieren, die wir vielleicht doch noch für uns
nutzen können.
(...)
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Pressemitteilung
Hamburg/Neckarwestheim, 29. April 2022
Gemeinsame Pressemitteilung von .ausgestrahlt und Bund der
Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar (BBMN)
AKW Neckarwestheim: Entscheidung des VGH Mannheim erhöht die Rissgefahr
VGH Mannheim lehnt Eilantrag auf einstweilige Stilllegung des AKW
Neckarwestheim-2 ab / Atomkraftgegner kritisieren Flachrechnerei
gefährlich tiefer Risse / Rissgefahr weiter akut, Bersten von Rohren
weiterhin nicht ausgeschlossen / AKW wird weiter bewusst auf Verschleiß
gefahren
Wie heute (29.04.2022) bekannt wurde, hat der Verwaltungsgerichtshof
(VGH) Mannheim den Eilantrag von Atomkraftgegnern auf vorläufige
Einstellung des Betriebs des AKW Neckarwestheim wegen der akuten Gefahr
gefährlicher Risse in sicherheitsrelevanten Rohren des Reaktors
abgelehnt und erlaubt, den Reaktor weiter auf Verschleiß zu fahren.
Hierzu erklären Armin Simon von .ausgestrahlt und Franz Wagner vom Bund
der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar (BBMN):
"Die Physik richtet sich leider nicht nach den juristischen Abwägungen
baden-württembergischer Verwaltungsrichter in einem Eilverfahren. Die
Rissgefahr im AKW Neckarwestheim ist durch die Entscheidung des VGH
Mannheim keineswegs gebannt – ganz im Gegenteil: Der Weiterbetrieb des
AKW vergrößert die Gefahr weiterer Risse. Nach wie vor herrschen in dem
Reaktor korrosive Bedingungen, die zu immer neuen Rissen führen. Es
besteht weiter die akute Gefahr, dass rissige Rohre schon beim Auftreten
von Betriebsstörungen spontan bersten. Ein derartiger
Kühlmittelverluststörfall könnte sich bis zum Super-GAU entwickeln, die
radioaktive Wolke könnte weite Teile Süddeutschlands radioaktiv
kontaminieren.
EnBW führt mit der von ihr praktizierten Flachrechnerei von Rissen im
AKW Neckarwestheim seit Jahren Aufsichtsbehörden und Gutachter an der
Nase herum. Durch diese Mittelung der Risstiefe über den gesamten
Rohrumfang verwandeln sich gefährlich tiefe echte Risse auf dem Papier
in harmlose flache fiktive Risse. Dieses von EnBW selbst erfundene
Verfahren missachtet gleichermaßen geltende Sicherheitsvorschriften wie
physikalische Gesetze.
Die baden-württembergische Atomaufsicht hat diese Flachrechnerei
gefährlich tiefer Risse stets ohne jeden Nachweis akzeptiert. Erst
aufgrund unseres Eilantrags vor dem VGH legte EnBW dann Rechenmodelle
vor, welche nachträglich eine ausreichende Stabilität der Rissrohre
nachweisen sollten. Diese Modelle gehen allerdings irreführend von einer
mehr als dreimal so dicken Restwandstärke der Rohre aus wie tatsächlich
gemessen (14 % bzw. 0,17 mm angenommene Restwandstärke gegenüber 0,1–4 %
bzw. 0,001–0,05 mm real gemessene Restwandstärke). Als
Sicherheitsnachweis für die Rissrohre in Neckarwestheim sind diese
Rechenmodelle schlicht unbrauchbar. Der Aufsichtsbehörde fiel auch dies
allerdings nicht auf.
Die Richter am VGH waren im Eilverfahren nicht willens, diese Täuschung
zu entlarven. Mit Blick auf die vom AKW Neckarwestheim weiterhin
ausgehende akute Gefahr eines schweren Atomunfalls ist das fatal. Die
vorläufige Gerichtsentscheidung im Eilverfahren entbindet die
Atomaufsicht aber nicht von ihrer Pflicht, die Behauptungen der
AKW-Betreiber kritisch zu hinterfragen und zu überprüfen und den Betrieb
des Reaktors zu unterbinden, solange keine gültigen Sicherheitsnachweise
vorliegen. Diese Pflicht hat die einem grünen Umweltministerium in
Stuttgart unterstellte Behörde im vorliegenden Fall vorsätzlich
vernachlässigt.
Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof missachtet mit seinem
Entscheid darüber hinaus die Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts
(Wyhl-Urteil 1985), wonach ein AKW nicht bis an die Gefahrengrenze
betrieben werden darf und die Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden stets
auf der sicheren Seite sein müssen. Genau dies ist in Neckarwestheim
aber nicht der Fall: Statt den Schadensmechanismus abzustellen und für
rissfreie Rohre zu sorgen, begnügt sich die Atomaufsicht damit, die
Rohre einmal im Jahr auf Risse abzusuchen und darauf zu hoffen, dass in
der Zwischenzeit nichts passiert. 'Bestmögliche Gefahrenabwehr und
Risikovorsorge', wie sie das Bundesverfassungsgericht bereits im
Kalkar-Beschluss von 1978 gefordert hat, sieht auf jeden Fall anders aus.
Wir fordern das baden-württembergische Umweltministerium auf, den
Maulkorb, den es seinen Gutachtern erteilt hat, zu widerrufen und
endlich eine fachliche Auseinandersetzung über die Risse und die von
EnBW praktizierte Flachrechnerei derselben zu ermöglichen. Bis zum
Vorliegen von validen Sicherheitsnachweisen oder der restlosen
Beseitigung der korrosiven Bedingungen in den Dampferzeugern des AKW
muss der weitere Betrieb des Rissreaktors Neckarwestheim II umgehend
unterbunden werden."
Hintergrund:
Im AKW Neckarwestheim II werden seit 2017 jedes Jahr neue Korrosionen in
den Dampferzeugern des Reaktors nachgewiesen, darunter bisher mehr als
300 zum Teil lange und gefährlich tiefe Risse. Ursache der Risse ist die
gefährliche Spannungsrisskorrosion. Alle Bedingungen für das Auftreten
von Spannungsrisskorrosion sind im AKW Neckarwestheim II weiterhin gegeben.
Mit Unterstützung von .ausgestrahlt und dem BBMN haben zwei
Anwohner*innen des AKW Ende 2020 beim VGH Mannheim Klage gegen dessen
Weiterbetrieb eingereicht (Az. 10 S 4004/20). Darüber hinaus haben sie
den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt (Eilantrag, Az. 10 S
1870/21), um den weiteren Betrieb des AKW Neckarwestheim-2 vorläufig zu
untersagen. Diesen Antrag hat der VGH nun unter Verweis auf den
"exekutiven Funktionsvorbehalt" der Atomaufsicht abgelehnt. Eine eigene
Prüfung haben die Richter nicht vorgenommen. Über die Klage in der
Hauptsache hat der VGH noch nicht entschieden. Durch die unvertretbar
lange Verfahrensdauer des Eilverfahrens von fast 10 Monaten und damit
mehr als der Hälfte der restlichen Betriebszeit des AKWs hat das Gericht
jedoch in aus unserer Sicht unzulässiger Weise die Hauptsache
vorweggenommen, ohne in der hierfür notwendigen Tiefe zu prüfen.
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