[fessenheim-fr] Ein Beispiel fuer gewaltfreie Aktion
Klaus Schramm
klausjschramm at t-online.de
Do Apr 7 22:47:37 CEST 2022
Hallo Leute!
Der enge Zusammenhang von Krieg und Atomenergie
wurde einer breiteren Bevölkerung in den
vergangenen Wochen durch die Berichterstattung
über den Krieg in der Ukraine bewußt...
Leider gibt es im Bereich der Friedensbewegung
nur wenige Beispiele für gewaltfreie Aktionen.
In meinem Vortrag zum Gandhi-Wochenende in Lahr
behandelte ich einige Beispiele. Hier ein
wichtiges weiteres Beispiel, das "Schule machen"
sollte...
Ciao
Manöver und Züge stoppen
Erfahrungen einer Kleingruppe mit persönlichem Ausblick
[leicht redigiert]
Im Februar 2008 stoppten und blockierten Aktivist*innen der Gruppe
„Militarismus jetzt stoppen“ nahe Husum/Nordfriesland einen
Militärtransport für mehrere Stunden. Der Zug transportierte Fahrzeuge
und Raketen für ein Manöver der Nato-Response-Force. Die Aktion ist bis
heute eine der wenigen in Deutschland, bei denen Protest direkt störend
in die Abläufe des Militärs vor Ort eingriff.
Ohne Transporte kein Militär
Krieg und Logistik hängen seit Anbeginn der Zeit untrennbar miteinander
zusammen. Man denke an die Straßen der Römer*innen, die es ihren
Legionen ermöglichten, quasi überall sein zu können und wie dumm
ausgerechnet die Römer*innen aus der Wäsche guckten, als die Armee aus
Karthago einschließlich Elefanten die Alpen logistisch bewältigte. Auch
die Eisenbahn hatte in Preußen von Beginn an militärische Relevanz. Dies
zeigt sich u.a. daran, dass wir die Idee einer Berliner Ringbahn all den
Deserteuren verdanken, die es bei der Mobilisierung 1850 vorzogen,
zwischen den Kopfbahnhöfen zu verschwinden.
Auch im zweiten Weltkrieg waren Eisenbahnen ein entscheidender Teil der
Militärlogistik. Der Badische Bahnhof im neutralen Basel glich einer
Festung, um Blockaden und Sabotage an den zwischen Deutschland und
Italien über helvetische Alpenpässe verkehrenden Güterzügen zu
unterbinden. Jüdische Widerstandskämpfer*innen in Belgien blockierten
einen Deportationszug, um Menschen vor dem KZ zu retten. Streikende
Eisenbahner*innen in Dänemark weigerten sich, Deportationszüge
abzufertigen. Eine der Hauptaktionen des Widerstandes in den
Niederlanden war die Organisation (und Finanzierung) eines Eisenbahnstreiks.
Schaut man heute über die deutschen Grenzen hinaus, so sieht man, dass
im Rest von Europa fast ständig Militärlogistik angegriffen wird. Es
vergeht kaum eine US-Intervention im Nahen Osten, ohne dass italienische
Genoss*innen Militärtransporte durch die Alpen blockieren oder
sabotieren. An den Mittelmeerhäfen streiken regelmäßig
Dockarbeiter*innen, wenn sie Teil der militärischen Logistik sein
sollen. In Deutschland hingegen läuft es ganz anders. Statt dahin zu
gehen, wo es das Militär stört, mobilisiert die Friedensbewegung bis auf
ganz wenige Ausnahmen zu nicht besonders großen „Großdemos“ in die
Großstädte und lauscht dort den ewig gleichen Reden der ewig gleichen
Bewegungsführer*innen. Das ist umso überraschender, als dass die
Anti-Atom-Bewegung seit Jahren mit großem Erfolg mit Blockaden und
Sabotage die u.a. auf der Eisenbahn stattfindenden Castor-Transporte
dort, wo es stört, angreift und in ihrer Geschichte zentrale Anregungen
aus den friedenspolitischen Blockaden der Raketenstützpunkte (Mutlangen,
u.a.) aufnahm. Eine der wenigen Ausnahmen ereignete sich im Februar 2008
im ansonsten beschaulichen Nordfriesland.
Regionalzeitung verrät Details für Blockade
Zwischen Husum und Schleswig blockierten Antimilitarist*innen einen
Militärtransport der Bundeswehr auf dem Weg zu einem Manöver der
Nato-Response-Force. Beim Lesen der örtlichen Regionalzeitung stolperten
wir über ein Gefälligkeitsinterview mit dem Presse-Offizier des
Standortes. Dieser berichtete der Zeitung stolz, dass die
Flugabwehrgruppe 52 teil der Nato-Response-Force sei, und deshalb ab
nächster Woche über 14 Tage Zugtransporte stattfänden. Aus dem Text
ließen sich die Strecke, Abfahrtszeiten und Details zur Fracht und
Bewachung entnehmen. Wir staunten nicht schlecht, wie weit ihre
Aufmerksamkeitsgeilheit die Militärs treiben kann.
Drei Tage verwendeten wir für die Beschlussfassung und Rekrutierung des
Teams, weitere vier Tage für die technischen Vorbereitungen. Den ersten
Transport observierten wir, um sicher zu gehen, dass alles wie in der
Zeitung beschrieben und bei den Planungen unterstellt ablaufen würde.
Dann schlugen wir zu. Kaum hatte der zweite Militärtransport gegen 3 Uhr
nachts das Kriegsmaterialdepot in Ohrstedt verlassen, ging es an der
ersten Weiche schon nicht mehr weiter. Dort hatten sich Aktivist*innen
der Gruppe „Militarismus jetzt stoppen“ am Gleis angekettet. Auf einem
Banner verkündeten wir: „Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in
aller Welt“. Nachdem die Polizei das Gleis zersägen ließ, gelang es den
Cops, die Aktivist*innen vom Gleis zu entfernen. Der Zug konnte mit
mehreren Stunden Verspätung am Morgen weiterfahren.
Wir wurden bis mittags befragt, durchsucht, eingesperrt und hatten viel
Gelegenheit, die eingesetzten Beamt*innen der Bundespolizei und des
Staatsschutzes zu veralbern. Besonders interessierte sie, wie wir an die
Infos über den Transport gekommen waren und wer der Maulwurf war, was
uns Gelegenheit für allerlei Spott und Schabernack gab (sie haben es
nach einigen Tagen von allein geschnallt; anschließend war der
Propaganda-Offizier in den Medien etwa zwei Jahre lang deutlich
schmallippiger). Der nächste Transport wurde vom Militär abgesagt, da
erst die halbe Bereitschaftspolizei von Schleswig-Holstein
einschließlich Helikopter in den Landstrich verlegt werden müsste, um
weitere Transporte gegen Protest abzusichern.
Langes Strafverfahren mit vielen Aktionen
Die Polizei ermittelte anschließend wegen Sachbeschädigung, schweren
Eingriff in den Schienenverkehr und Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz.
Zur Anklage brachte die Staatsanwaltschaft letztlich eine „Nötigung.“ In
der Woche vor dem ersten Prozess am 1. Dezember 2009 fand eine kleine
Kundgebung vor dem Kriegsdepot statt. Die Polizei begleitete diese mit
einem riesigen Aufgebot. Sie bewachte jeden Stromkasten, jeden
Bahnübergang, jede Weiche und jede Ortsdurchfahrt im Bereich zwischen
Nordsee, Treene und Eider. Außerdem organisierten wir eine Fahrradtour
rund um die Militärstützpunkte in Husum.
(...)
So ging es fünfeinhalb Jahre weiter. Zu den vier Strafrechts- und drei
Zivilrechtsprozessen organisierten wir umfangreiche kreative Aktionen an
den Gerichtsstandorten Husum, Flensburg, Schleswig und Karlsruhe. Hanna,
in den Augen der Staatsanwaltschaft die Haupttäter*in, wurde letztlich
zu 120 Tagessätzen verurteilt. Einen Teil davon saß sie in der JVA
Frankfurt ab. Außerdem befanden die Gerichte, dass die Aktivist*innen
verantwortlich seien für einen 14.000 Euro schweren Schaden am von den
Cops zersägten Gleis. Die restlichen Verfahren wurden eingestellt.
Darunter auch dutzende Verfahren gegen Unterstützer*innen, gegen die die
Beamt*innen bei Gerichtsprozessen gewalttätig vorgegangen waren und die
sich anschließend mit den Vorwürfen der Beleidigung, des Widerstandes
und der Körperverletzung konfrontiert sahen. Die Anwaltskosten konnten
durch Spenden aufgebracht werden, die Rechnung fürs Gleis ist bis heute
nicht bezahlt.
Medial war die Aktion ein Erfolg: Dpa-Meldung, Titelseite, Seite Drei,
und zwei Tage später noch ein großes Interview in der Regionalzeitung
nach der Aktion. Mit den folgenden Gerichtsprozessen nahm die
Berichterstattung sogar noch zu. Nun veröffentlichten auch taz, Junge
Welt und Neues Deutschland Berichte. Vor und nach der Haft war Hanna
gleich zweimal bei Markus Lanz im Fernsehen mit Ausschnitten aus unserem
Aktionsvideo zu sehen. Die Lokalzeitung druckte zwar nach wie vor
Gefälligkeitsberichte für die Militärs, doch auch unsere Positionen
fanden zusehends Eingang in die Berichterstattung. Wenn wir einen
Infostand veranstalteten, wussten die Passant*innen auch noch Jahre nach
der Aktion auch in Orten, in denen wir noch nie aktiv waren, sofort, wer
wir sind, und was unsere Anliegen sind.
Eine Bilanz
Die Aktion brauchte nur wenige Menschen und kostete keine 500 Euro. Auch
in der Folgezeit waren nie mehr als ein Dutzend Leute aktiv und auch die
Kosten für Aktionen hielten sich dank großer Kreativität und viel
Frechheit in Grenzen (ins Konto schlugen die Anwaltskosten mit ca.
500-1.000 Euro für die etwa alle neun Monate stattfindenden sieben
Gerichtsprozesse mit mehreren Verhandlungstagen). Unsere Aktion
erreichte sehr viel mediale Berichterstattung. Es gelang in den gerade
für Afghanistan so wichtigen Jahren von 2008 bis 2012 die Rolle der
lokalen Militärs getreu dem Slogan „Der Krieg beginnt hier!“ in den
lokalen Diskurs einfließen zu lassen.
Wie konnte das gelingen? Etwas Glück gehörte dazu. In den Jahren 2001
und 2003 lag auch für junge Leute die Beschäftigung mit
friedenspolitischen Themen nahe, sodass sich eine Clique an diesen
Themen politisierte. Zudem gibt es in Nordfriesland kaum zur
Friedenserstarrung verkommene Bewegungsreste. Deshalb konnten junge
Leute einfach selber Politik machen, ohne sich mit lokalen
Bewegungsfürst*innen auseinandersetzen zu müssen, die Gefolgschaft
erwarten oder um ihre diskursive Macht fürchten.
Dazu kam eine Portion Realismus. Der Traum von den ach so großen
„Großdemonstrationen“ funktioniert in Nordfriesland einfach nicht.
Deshalb war allen Beteiligten klar, dass Kreativität und Frechheit die
mangelnde Personalstärke ausgleichen müssen, um überproportional
Einfluss auf den lokalen politischen Diskurs zu gewinnen. (...)
Und heute?
Doch mit der gerade bei Gerichtsprozessen so wichtigen Unterstützung sah
es damals mau aus. Obwohl unsere Verlautbarungen inhaltlich recht brav
von einer Ablehnung der Auslandseinsätze getragen waren und klassisch
bürgerlich moralisch-pazifistisch argumentierten, hielt sich die
Unterstützung aus diesen Kreisen in sehr engen Grenzen. Aus der DFG-VK
vermittelte uns Marion Küpker Beiträge in der Zivilcourage und im
Friedensforum, Ralf aus Flensburg versuchte leider erfolglos, uns
Stiftungsgelder aus der Friedensarbeit zuzuschanzen. Trotz Besuchen von
Veranstaltungen örtlicher lokaler Vernetzungen, die den
Friedens-Koordinationen nahestehen, ernteten wir dort vor allem
verständnisloses Desinteresse.
Wir versuchten, Ökos und Atomstrom-Gegner*innen auf das Problem
aufmerksam zu machen: Ohne Erfolg. Zu unserem Bahn-Aktionstag 2010
kletterte Greenpeace sogar auf dem Berliner Hauptbahnhof,
selbstverständlich ohne solidarischen Verweis auf unsere Kampagne. Dass
die kapitalistische Aufmerksamkeitsökonomie auch vor linken Kreisen
nicht halt macht, und dass man, wenn man Hilfe und Unterstützung
braucht, ständig so laut schreien muss, wie man nur kann, war eine
bordsteinharte Erkenntnis.
Politisch halte ich solche Aktionen nach wie vor für sinnvoll. Gerade
die vermehrt stattfindenden kleinen und großen Manöver bieten super
Gelegenheiten, vor Ort und wo es die Bundis stört, mit verhältnismäßig
geringen Mitteln diskursiv starke Aktionen durchzuführen. Dies bietet
die Chance, dem Militär vor Ort zumindest für die in weiten Teilen der
Bevölkerung abgelehnten Auslandseinsätze die gesellschaftliche
Betriebserlaubnis zu entziehen. Deshalb lohnt es sich, solche Aktionen
zu unterstützen.
www.imi-online.de/download/Ausdruck-Maerz-Web.pdf
März 2022
20. Jahrgang - Ausgabe 108
S. 30 ff.
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