[fessenheim-fr] EU-Taxonomie: Ein abgekarteter Handel
Klaus Schramm
klausjschramm at t-online.de
Do Jan 6 11:30:21 CET 2022
Hallo Leute!
Hier ein sehr guter Artikel aus 'telepolis'
zum Thema "EU-Taxonomie", in dem insbesondere
die Rolle *einer* der an der "Ampel"-
Regierung beteiligten Parteien beleuchtet
wird.
Ciao
Klaus Schramm
EU-Taxonomie: Ein abgekarteter Handel
05. Januar 2022
Ralf Streck
Bundesregierung stellt sich offiziell gegen die Aufnahme der Atomkraft,
will aber dagegen nicht vorgehen
Es war absehbar: Alles läuft wie geschmiert in Brüssel, besonders für
das Atomstromland Frankreich. Dessen Präsident Emmanuel Macron kann neu
strahlen über seinen Erfolg, dass Atomkraft nahezu ebenso
zukunftsträchtig wie Sonnen-, Wind- und Wellenkraft eingestuft wird.
Es kam alles genau so, wie an dieser Stelle vor einem Monat vorab
berichtet und wie es nun aus dem Entwurf für einen Rechtsakt zur
Taxonomie, den die Brüsseler Behörde am Neujahrstag 2022 an die
EU-Mitgliedstaaten versandt hat, hervorgeht.
"Macron bisher recht erfolgreich an der Aufnahme der Atomkraft in die
Taxonomie gearbeitet. Er hat mit der Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel
(CDU) einen Deal angerührt, demzufolge neben der Atomkraft auch Erdgas
als nachhaltig eingestuft werden soll", hatte Telepolis Anfang Dezember
berichtet. Denn, das wird aus dem Entwurf ebenfalls klar, auch das
klimaschädliche Gas soll, ebenfalls befristet, das Gütesiegel
"nachhaltig" von der EU-Kommission erhalten.
Vor Wochen war schon zu beobachten, wie sich die Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen (CDU) und diverse EU-Kommissare vorauseilend hinter
den Deal von Merkel und Macron positionierten, so war es dann auch
keinerlei Überraschung mehr, dass die EU-Kommission genau diesen Deal
zum Jahreswechsel festzuklopfen versucht.
Investitionen mobilisieren, ohne nennenswerten Schaden für die Umwelt
Die EU-Taxonomie soll laut Brüsseler Behörde dabei helfen, "private
Investitionen zu mobilisieren und Anlegern und Investoren Orientierung
zu geben, welche Aktivitäten dabei helfen, in den nächsten 30 Jahren
klimaneutral zu werden".
Die Taxonomie liste demnach Arten der Energieerzeugung auf, die es den
Mitgliedstaaten ermöglichen, sich von ihren sehr unterschiedlichen
Ausgangspositionen aus in Richtung Klimaneutralität zu bewegen.
Gestützt auf wissenschaftliche Gutachten und den aktuellen Stand
des technologischen Fortschritts ist die Kommission der Auffassung, dass
Erdgas und Kernenergie die Transition zu kohlenstoffarmen
Energiesystemen erleichtern und auf dem Weg in eine überwiegend auf
erneuerbaren Energien basierenden Zukunft eine Rolle spielen können. Das
hat zur Folge, dass diese Energiequellen unter klaren und strengen
Bedingungen als mit der Taxonomie-Verordnung vereinbar eingestuft werden
– allerdings nur insoweit sie tatsächlich zum Übergang zur
Klimaneutralität beitragen. Gas etwa muss bis 2035 aus erneuerbaren
Quellen stammen oder niedrige Emissionen haben.
Europäische Kommission
Grundsätzlich sollen nur Arten der Energieerzeugung in die Taxonomie
aufgenommen werden, bei denen "kein nennenswerter Schaden für die
Umwelt" entsteht. Deshalb hatte das EU Joint Research Centre (JRC) einen
Bericht für die Europäische Kommission verfasst, der genau zu diesem
Schluss kam, wonach die Atomenergie angeblich keinen "signifikanten
Schaden" für Mensch und Umwelt anrichte und deshalb als nachhaltige
Technologie finanziell gefördert werden könne.
Fragwürdiges Gutachten
So versucht das JCR nur eine längst getroffene politische Entscheidung
mit einem mehr als fragwürdigen Gutachten abzusichern, auf das sich die
EU-Kommission nun wiederum stützt. Dabei hatte das Bundesamt für die
Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) und das Bundesamt für
Strahlenschutz (BfS) dem JRC-Gutachten längst ein vernichtendes Urteil
ausgestellt und ihm "schwerwiegende methodische Mängel" vorgeworfen.
Es würden "Schlussfolgerungen getroffen", deren "fachliche Herleitung an
zahlreichen Stellen nicht nachvollzogen werden kann". Themenbereiche mit
hoher Umweltrelevanz würden nur sehr reduziert dargestellt oder komplett
ausgespart.
"Auswirkungen schwerer Unfälle – die es in den vergangenen Jahrzehnten
der Nutzung dieser Energieform bereits mehrfach gegeben hat – auf die
Umwelt wurden nicht in die Bewertung der Taxonomie-Fähigkeit der
Kernenergienutzung einbezogen."
Natürlich wurde auch die ungelöste Entsorgungsfrage für Hunderttausende
Jahre praktisch nicht berücksichtigt sowie etliche weitere Probleme.
Scheindebatte
Dass die Debatte um die Atomkraft als angeblicher Klimaretter eine
Scheindebatte ist, das soll an dieser Stelle nicht ausgewalzt werden.
Das kann auf Telepolis etwa am Beispiel Frankreich nachgelesen werden,
wo man sich mit der Atompolitik in eine Sackgasse manövriert hat.
Mit seiner "Renaissance" der Atomenergie und seinem neuen "European
Pressurized Reactor" (EPR) erleidet das Land seit 20 Jahren Schiffbruch.
Und der EPR weist auch in China, wo die ersten beiden Meiler ans Netz
gebracht werden konnten, katastrophale Konstruktionsfehler auf, womit
die "Totgeburt" vor dem definitiven Aus steht.
Explodiert sind die Meiler bisher zwar noch nicht, aber an allen
Standorten explodieren die Kosten – im französischen Flamanville von
geplanten 3,3 schon auf 19,1 Milliarden Euro.
Dass es weder Frankreich noch Finnland gelungen ist, in den vergangenen
zwei Jahrzehnten einen EPR ans Netz zu bringen oder in der Slowakei
ebenfalls seit Jahrzehnten an unsicheren Uraltmeilern herumgewerkelt
wird, führt schon seit Längerem vor Augen, dass die Atomkraft real kaum
etwas zur drängenden Klimakrise beitragen kann.
Dass Macron kürzlich angesichts des EPR-Desasters für die französische
Atomindustrie die "Small Modular Reactors" (SMR) aus dem Hut gezaubert
hat, ist ebenfalls nur ein Ablenkungsmanöver. Erstens gibt es bisher
nicht einmal einen einsetzbaren SMR und zweitens würden Planung und Bau
mindesten 10 bis 20 Jahre dauern. Bis dahin ist das Klima längst gekippt.
Allerdings hat Macron auch deutlich gemacht, dass bei seinen Atomplänen
die militärischen Ziele der Atomstreitmacht Frankreich eine bedeutende
Rolle spielen. "Ohne zivile Kernenergie, keine militärische
Nuklearmacht", sagte er und bekannte offen, worum es dem Land eigentlich
geht.
Würde es ihm real um Klimaschutz gehen, würden die vielen Milliarden,
die auch über die Taxonomie weiterhin in eine Technik der Vergangenheit
gesteckt werden sollen, in erneuerbare Energiequellen der Zukunft
fließen. Damit könnte Frankreich auch real etwas dagegen tun, dass das
Land jeden Winter vor einem Blackout steht. Die Gefahren sind nun, wegen
des altersschwachen und zahlreich ausfallenden Atomkraftwerken,
besonders groß.
Scholz in Paris
Interessant ist jetzt aber auch der Eiertanz der neuen Bundesregierung
und der Ampelkoalition. Zwar lehnt die Bundesregierung offiziell die
Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie ab. Sie will aber nichts dafür
tun, um ihre Position auch durchzusetzen (vgl. dazu Atomkraft:
Katerstimmung in "Ampel"-Parteien).
Deutlich wurde das bereits beim Antrittsbesuch des neuen Bundeskanzlers
Olaf Scholz (SPD) in Paris. Das Thema "Atomkraft und Taxonomie" wurde da
ausgeklammert. Aber es kommt noch besser. Aus dem Entwurf für einen
Koalitionsvertrag, der dem Handelsblatt vorlag, verschwand auf
mysteriöse Weise auch die Passage zur Taxonomie": "Gegen die Aufnahme
von Atomkraft und Gas als nachhaltige Technologie wird sich die
Bundesregierung einsetzen", hieß es dort zunächst noch.
Jedoch ist diese Passage in der Endfassung nicht mehr zu finden. Deshalb
ist es nur richtig, dass auch im Focus darauf verwiesen wird, dass die
Grünen nun massiv selbst das "Greenwashing" betreiben, das sie sonst
gern anderen vorwerfen. Focus titelt: "Die gespielte Atom-Empörung der
Grünen: Sie wussten doch, was passiert."
Nach der anfänglich theatralisch vorgebrachten Empörung, wonach die
Partei angeblich gegen die "EU-Taxonomie-Pläne zur Atomkraft kämpfen"
wolle, werden längst andere Töne angeschlagen.
Noch am Montag erklärte Ingrid Nestle dem Handelsblatt: "Wir können dem
Vorschlag der EU-Kommission nicht zustimmen. Atomkraft kann niemals
nachhaltig sein." Die energiepolitische Sprecherin der
Grünen-Bundestagsfraktion erklärte weiter. "Es wäre ein schwerer Fehler,
die Atomkraft in die Taxonomie aufzunehmen. Das würde das gesamte
Instrument erheblich beschädigen."
Doch inzwischen rudert man längst in der "Ökopartei" zurück und bereitet
die Anhänger auf einen neuen realpolitischen Kurs vor. Denn die
Bundesregierung hat vor, nichts gegen den Entwurf zum Rechtsakt zu
unternehmen und will ihn damit durchwinken.
Hinter verschlossenen Türen: Nord Stream 2 und LNG-Infrastruktur
In Übereinstimmung mit Informationen, die Telepolis vorliegen, hat auch
die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass sich die Bundesregierung
in dem bis Mitte Januar laufenden Konsultationsprozess schlicht und
ergreifend enthalten will.
"Hinter verschlossenen Türen" hätten sich die Chefs der drei
Ampelparteien längst darauf geeinigt, nicht gegen den Vorschlag der
Europäischen Kommission vorzugehen und man werde sich bei der Abstimmung
enthalten, wenn die EU-Staats- und Regierungschefs auf einem
Gipfeltreffen später in diesem Jahr das letzte Wort haben werden,
zitierte Reuters zwei mit der Entscheidung vertraute Personen.
Schaut man sich an, wie sich nun auch Bundesumweltministerin Steffi
Lemke (Grüne) äußert, ist auch klar, dass jetzt nur noch grünes Theater
gespielt wird. Denn sie meint aktuell, dass es nur wenig Chancen gebe,
die EU-Pläne zur Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie noch zu
verändern zu können. "Ob der Vorschlag noch zu ändern ist, noch
aufzuhalten ist, das wage ich zu bezweifeln", sagte sie im Bayrischen
Rundfunk.
Die Position der Bundesregierung sei geschlossen: "Die SPD,
Bundeskanzler Olaf Scholz, haben alle insgesamt deutlich gemacht, dass
Atomkraft aus unserer Sicht, aus Sicht der deutschen Bundesregierung,
keine nachhaltige Investition ist."
Wie sich das damit verträgt, dass die entsprechende Passage dazu aus dem
Koalitionsvertrag gestrichen wurde und man ganz offensichtlich nichts
unternehmen will, um den auch wirtschaftlich ruinösen Atom-Wahnsinn zu
stoppen, bleibt ein grünes Rätsel.
Lemke und ihre Partei fallen damit auch den grünen Partnern in Europa in
den Rücken. Denn die Europäischen Grünen prüfen eine Klage gegen die
Pläne der EU-Kommission, neben Atomkraft auch fossiles Gas als
nachhaltig einzustufen, was Merkel im Deal mit Frankreich mit Blick auf
die Pipeline Nord Stream 2 durchgesetzt hatte.
"Wir erwägen als europäische Grüne vor dem Europäischen Gerichtshof
(EuGH) gegen die Pläne der EU-Kommission, Investitionen in Gas- und
Atomkraftwerke als nachhaltig und klimafreundlich einzustufen, zu
klagen", sagte der Österreicher Thomas Waitz. Gegenüber der Welt meinte
er, die Pläne schleuderten Europa "zurück ins energiepolitische
Mittelalter".
Die Ablehnung der EU-Pläne ist in Österreich besonders groß. Dort wirft
Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) der EU-Kommission vor,
"in einer Nacht- und Nebelaktion" versucht zu haben, "Atomkraft und Gas
grün zu waschen". Schon der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Entwurfs
zeige, dass die Kommission selbst nicht von ihrer Entscheidung überzeugt
sei.
Anders als ihre grünen Kollegen in Deutschland ist die Österreicherin
allerdings glaubwürdig. Sie hatte sich auch gegen die Untätigkeit
angesichts der unsicheren Atommeiler in der Slowakei ins Zeug gelegt und
bereits Vorbereitungen für eine Klage gegen den Taxonomie-Entwurf getroffen.
"Sollten diese Pläne so umgesetzt werden, werden wir klagen. Denn
Atomkraft ist gefährlich und keine Lösung im Kampf gegen die
Klimakrise", twitterte die Umweltministerin weiter.
Für Österreich ist ganz klar: Weder die Atomkraft noch das
Verbrennen von fossilem Erdgas haben in der Taxonomie etwas verloren.
Denn sie sind klima- und umweltschädlich und zerstören die Zukunft
unserer Kinder.
Leonore Gewessler
Die Linke fordert derweil auch, dass Deutschland den Klageweg
Österreichs unterstützen sollte und bringt die Bundesregierung und vor
allem die Grünen und ihr Schmierentheater in Bedrängnis. Der
Europaexperte der Bundestagsfraktion Andrej Hunko fordert, dass sich die
Bundesregierung der geplanten Klage anschließen müsse.
Eine einfache Nicht-Zustimmung im EU-Rat reicht nicht und würde den
Kommissionsvorschlag de facto durchwinken, weil dort eine qualifizierte
Mehrheit notwendig ist, die aktuell nicht erreichbar ist.
Andrej Hunko
Gegenüber Telepolis erklärte Hunko: "Hinter den Kulissen der EU ist die
Sache bereits ausgedealt." Frankreich bekomme die Förderung der
Atomenergie, Deutschland die des Gases. "Mit der Einstufung insbesondere
der Atomenergie als nachhaltig und klimafreundlich werden weltweit
wirkende verheerende Standards gesetzt", fügt der Parlamentarier an.
Bemerkenswert sei für ihn auch, "dass bei der Einstufung der
Gaserzeugung Fracking offenbar kein Thema ist." Hunko meint, es gehe
"nicht um russisches Gas, sondern um die Schaffung einer
LNG-Infrastruktur, die auch das für das Klima besonders schädliche
Fracking-Gas beinhaltet".
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