[fessenheim-fr] Niedrigstrahlung aus AKW - Risiko ist groesser als gedacht
Klaus Schramm
klausjschramm at t-online.de
Mo Mai 17 12:31:45 CEST 2021
Hallo Leute!
Hier noch ein Artikel v. 10.05.2021
zum Thema der gefährlichen Niedrigstrahlung -
s.u.
Quelle:
https://www.beobachter.ch/umwelt/niedrigstrahlung-aus-akws-risiko-ist-grosser-als-gedacht
Ciao
Klaus Schramm
Niedrigstrahlung aus AKWs
Risiko ist grösser als gedacht
Neue Forschungsergebnisse zeigen: Die bisherigen Grenzwerte für AKW im
Fall einer Naturkatastrophe sind gesundheitlich bedenklich.
Von Lukas Lippert
Veröffentlicht am 10.05.2021
Zuerst verbrennt die Haut. Dann stirbt das Knochenmark ab, zersetzen
sich Organe, verengen sich Blutgefässe. Der Tod tritt nach wenigen Tagen
ein. Dieses Schicksal erlitten viele, die im April 1986 rund um das
Kernkraftwerk Tschernobyl arbeiteten. Sie waren enormen Dosen
radioaktiver Strahlung ausgesetzt. Die Reaktorkatastrophe führte der
Welt die tödliche Gefahr der Atomkraft vor Augen. Ende April jährte sich
das Unglück zum 35. Mal.
Durch den Wind gelangten geringste Strahlenmengen auch bis in die
Schweiz. Gesundheitlich unbedenklich, dachte man. Doch eine neue, breit
angelegte Metaanalyse der Medizinischen Hochschule Brandenburg mit
international renommierten Expertinnen und Experten zeigt: Bereits im
Niedrigdosisbereich lässt sich eine eindeutige Erhöhung des Krebsrisikos
nachweisen. Dabei geht es um Strahlungsdosen von weniger als 100
Millisievert (mSv) pro Person. Zum Vergleich: Durch medizinische
Untersuche und natürliche Strahlung nimmt man im Schnitt 5 mSv pro Jahr auf.
Niedrigstrahlung ist in der Regel nicht tödlich. Wenn sie das Erbgut in
den Zellen angreift, rettet der Reparaturmechanismus die Zelle oder
stösst sie ab. In wenigen Fällen verändert sich die Zelle aber
krankhaft. Die Folge ist Krebs. Bislang ignorierten der Bundesrat und
die Atomaufsichtsbehörde Ensi dieses Risiko. So steht etwa in den
Erläuterungen zur Kernenergieverordnung: «Bei Dosen unterhalb von 100
mSv sind mit epidemiologischen Methoden keine Gesundheitseffekte mehr
nachweisbar.»
Kritik am Bundesrat
Fachleute weisen schon länger auf die Gefahr von Niedrigstrahlung hin.
Nun könne man sie nicht länger vernachlässigen, sagt Claudio Knüsli. Der
pensionierte Krebsspezialist ist Mitglied der Ärztinnen und Ärzte zur
Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) und setzt sich seit Jahrzehnten mit
den gesundheitlichen Schäden durch Strahlung auseinander. «Die neue
wissenschaftliche Erkenntnis muss in die Gesetzgebung einfliessen. Die
Bevölkerung darf nicht einem unverhältnismässigen Risiko ausgesetzt werden.»
Knüslis Forderung ist brisant. Ende 2018 änderte der Bundesrat unter der
damaligen Energieministerin Doris Leuthard die Kernenergieverordnung. Es
ging um den Strahlengrenzwert rund um ein AKW nach schwersten Erdbeben,
wie sie statistisch alle 10'000 Jahre vorkommen. Dieser sollte «klar und
eindeutig» bei 100 mSv festgelegt werden und damit eine «bisher unklar
formulierte Bestimmung» regeln.
Das löste heftigen Protest aus – nicht nur unter Atomgegnern. Sogar die
Expertinnen und Experten der eidgenössischen Strahlenschutzkommission
mahnten aus gesundheitlichen Bedenken, maximal einen Grenzwert von 50
mSv in die Verordnung zu schreiben.
Selbst bürgerliche Politiker zweifelten am Vorgehen des Bundesrats. Die
ständerätliche Umweltkommission forderte einen Prüfbericht von
«unabhängigen Experten». Darin sollte umfassend aufgezeigt werden, was
die gesundheitlichen Risiken der Entscheidung sind. Etwa ob der
Grenzwert von 100 mSv zu hoch angesetzt ist. Bis heute wurde der Bericht
nicht publiziert.
Bericht in Arbeit
Die Suche nach unabhängigen Expertinnen und Experten sei schwierig
gewesen, sagt die Sprecherin des Bundesamts für Energie. Gegenüber dem
Beobachter nennt sie erstmals die Namen der Wissenschaftler, die den
Bericht schreiben sollen. Einer davon ist François Bochud, Direktor des
Instituts für Strahlenphysik in Lausanne. Er bestätigt auf Anfrage, dass
die Erkenntnisse der neuen Metaanalyse im Prüfbericht berücksichtigt
würden. Die Studienautoren seien für ihre Kompetenz «weltweit anerkannt».
Das dürfte den Bundesrat in Erklärungsnot bringen. Den Grenzwert
begründete er damit, dass «erst ab 100 mSv gesundheitliche
Beeinträchtigungen nachgewiesen werden können». Wenn das widerlegt wird,
müsste der Grenzwert wohl herabgesetzt werden. Der Prüfbericht wird Ende
Jahr erwartet. Mit Folgen für das AKW Beznau?
Problemfall Beznau
Das AKW Beznau wird gern als «Schrottreaktor» verhöhnt, ist bald 52
Jahre alt und gehört damit zu den ältesten AKW weltweit. Schon mehrmals
zeigte es Anzeichen von Altersmüdigkeit. Bei den Strahlenwerten nach
schwersten Erdbeben kann es nicht mit den anderen AKW mithalten. Eine
Untersuchung im Nachgang der Katastrophe von Fukushima zeigte, dass bei
einem schweren Ereignis eine Strahlung von bis zu 78 mSv austreten
könnte. Falls der Grenzwert herabgesetzt wird, wäre das wohl das Ende
von Beznau.
Bislang, so will es scheinen, strahlt die Kernenergie aber bis in die
höchsten Ämter. Beim Grenzwert-Entscheid des Bundesrats von 2018 wurde
der Beznau-Betreiberin Axpo ein weiterer Gefallen getan: Der Bundesrat
lockerte die Bestimmungen für eine automatische Ausserbetriebnahme.
Neu müssen AKW-Betreiber einen Reaktor nicht mehr unverzüglich vom Netz
nehmen, wenn sie den bei mittelschweren Erdbeben vorgeschriebenen
Strahlengrenzwert nicht erfüllen – es reicht eine Nachrüstung bei
laufendem Betrieb. Diese Naturkatastrophen kommen häufiger als alle
10'000 Jahre vor. Dabei gilt der Grenzwert von 1 mSv. «Doris Leuthard
und ihr Abschiedsgeschenk an die Axpo», titelte der «Tages-Anzeiger»
damals. Die Lockerungen drückte die Bundesrätin kurz vor ihrem Rücktritt
durch den Bundesrat.
Sie beeinflussen auch das sogenannte Beznau-Verfahren. Bis vor
Bundesgericht stritten Anwohnerschaft und Umweltorganisationen gegen die
Atomaufsichtsbehörde Ensi. Im Kern ging es darum, dass das Ensi nach
Fukushima den Weiterbetrieb von Beznau genehmigte. Nach Ansicht der
Gegner hätte Beznau einen Grenzwert von 1 mSv einhalten müssen, dem Ensi
genügten 100 mSv. Vor zwei Wochen wurde endlich das Urteil gefällt.
Darin stützt das Bundesgericht zwar das Ensi in der Frage, ob der
Weiterbetrieb von Beznau genehmigt werden durfte. Der Grenzwert von 100
mSv sei korrekt angewendet worden. Gleichzeitig äusserte es aber scharfe
Kritik. Das Ensi habe seine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe, die
Sicherheit der AKW zu gewährleisten, nur «ungenügend wahrgenommen»,
steht im Urteil. Die Aufsichtsbehörde habe es verpasst, einen weiteren
Sicherheitsnachweis zu verlangen.
Unter Verschluss
«Dass Beznau noch in Betrieb ist, hat einzig damit zu tun, dass es das
Ensi rechtswidrig unterlassen hat, diesen Sicherheitsnachweis
einzuholen», sagt Martin Pestalozzi, der Anwalt der AKW-Kritiker. Für
ihn ist unbestritten: Das AKW würde den Grenzwert von 1 mSv deutlich
überschreiten.
Auf Anfrage lässt das Ensi verlauten, man habe den Sicherheitsnachweis
2016 von den AKW-Betreibern verlangt. Die Dokumente dazu würden jedoch
bis zum Abschluss der Prüfung 2022 unter Verschluss bleiben. «Aktuell
werden dazu noch Unterlagen nachgereicht.»
Es herrscht keine Eile. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass
Beznau den Grenzwert von 1 mSv nicht einhalten kann, darf das AKW am
Netz bleiben. Dafür sorgte der Bundesrat 2018 – obwohl der Atomausstieg
beschlossene Sache war.
+++
Fehlende Mädchen
Die Ärztinnen und Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) haben die
Folgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl für die Schweiz neu
aufgearbeitet.
Ihre Auswertung ergab: In den ersten sieben Jahren nach dem
Reaktorunglück kam es in der Schweiz zu rund 200 zusätzlichen
Totgeburten. 400 Kinder mehr als im langjährigen Mittel starben noch vor
ihrem ersten Geburtstag.
Die niedrigen Dosen ionisierender Strahlung wirkten sich auch auf die
Fruchtbarkeit aus: Durch Mutationen in der Erbsubstanz veränderte sich
das Geschlechterverhältnis bei den Geburten. Zwischen 1987 und 2019
fehlen gemäss der statistischen Analyse von IPPNW rund 3200 Mädchen.
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