[fessenheim-fr] Artikel zu TechnoCentre in 'Bad. Ztg.'

Redaktion Umwelt RDL umwelt at rdl.de
Di Aug 11 15:23:35 CEST 2020


Hallo Leute!

In der gestrigen Ausgabe der 'Bad.
Ztg.' erschien ein Artikel von Frau
Nückles zum Thema TechnoCentre,
der den Anschein erweckt, es gäbe
in dieser Hinsicht Neuigkeiten. - s.u.

Tatsächlich jedoch enthält dieser
Artikel viel heiße Luft und die Ver-
mutung liegt nahe, daß es sich
um einen (weiteren) Test-Ballon
handelt.

...was nicht heißen muß, daß wir
dazu schweigen sollten!

Eine Information aus diesem Artikel
ist zudem falsch:
EdF verfolgt die Pläne, ein TechoCentre
zu bauen *nicht* erst seit "Anfang 2019".
Von diesen Plänen war bereits in der
Ausgabe von 'Le Monde' vom 4.10.2018
zu lesen:
www.lemonde.fr/economie/article/2018/10/04/fermeture-de-la-centrale-de-fessenheim-le-gouvernement-presente-son-plan-de-reconversion_5364283_3234.html

...und wer den Artikel von Frau Nückles
bis zu Ende liest (was wohl der einen oder
dem anderen Mühe bereiten dürfte), erfährt
dann sogar, daß die Pläne, ein TechnoCentre
am Standort Fessenheim zu bauen,
nach wie vor noch gar nicht spruchreif sind,
da EdF auch Tricastin "in die engere Wahl
zieht"...

Ciao
    Klaus Schramm


Streitfall Technocentre
Atomkraftgegner warnen vor nuklearer Müllkippe in Fessenheim

Von Bärbel Nückles

Mo, 10. August 2020 um 14:45 Uhr

Südwest

Auf dem Gelände des einstigen AKW Fessenheim sollen nukleare Reststoffe 
weiterverarbeitet werden. Das plant der Betreiber EDF. Dagegen werden in 
Frankreich und Deutschland Proteste laut.

     Auf dem Gelände des abgeschalteten AKW in Fessenheim soll ein 
Technocentre entstehen. Metall aus stillgelegten Reaktoren soll dort
zur Weiterverwertung eingeschmolzen werden. Foto: SEBASTIEN BOZON (AFP)

Fessenheim ist der Auftakt eines gigantischen Abrissprozesses, den 
Frankreich in den kommenden Jahrzehnten angehen muss. Ein Dutzend 
Reaktoren wird nach der Abschaltung des Atomkraftwerks Fessenheim bis 
2035 stillgelegt werden. Ziel ist es, den Anteil des Atomstroms am 
Energiemix zu senken.

In Fessenheim könnte Electricité de France (EDF) nach der Stilllegung 
des AKW deshalb ein nukleares Reststoffverarbeitungszentrum – die EDF 
spricht von einem "Technocentre" – bauen. Metall aus stillgelegten 
Reaktoren soll dort zur Weiterverwertung eingeschmolzen werden.

Entsteht in Fessenheim die größte nukleare Müllkippe Europas?

Französische AKW-Gegner wollen das Technocentre allerdings verhindern. 
Aber auch die Deutschen sind dagegen, nicht nur die Umweltverbände, auch 
die Politik. Der Streit um die Schmelzanlage könnte so dem 
grenzüberschreitenden Zukunftsprozess für Fessenheim einen gehörigen 
Kratzer zufügen. So fürchtet man im Freiburger Regierungspräsidium, das 
in der Sache die baden-württembergische Landesregierung vertritt, einen 
Imageschaden für das Zukunftsprojekt Fessenheim. Statt an Themen wie 
Innovation und umweltfreundliche Technologien wäre es dann an das 
Recycling von radioaktiven – wenn auch schwach radioaktiven – Abfällen 
gekoppelt. Der französische Aktivist und Physiker Jean-Marie Brom von 
Réseau sortir du nucléaire drückt sich weniger diplomatisch aus und 
warnt vor "der größten nuklearen Müllkippe Europas" in Fessenheim.

Die EDF hat ihre Pläne trotz Kritik seit Anfang 2019 weiterverfolgt. 
Denn "aus Sicht des Konzerns handelt es sich um ein vorrangiges, 
wichtiges Projekt", sagt Marie-Hélène Bouhand-Mergey, Sprecherin der EDF 
vor Ort in Fessenheim. Sobald die französische Gesetzeslage angepasst 
sei, dürfe Recycling von Metall aus kerntechnischen Anlagen stattfinden. 
"Das Verfahren wird streng kontrolliert", versichert sie und verweist 
unter anderem auf Schweden, wo es so etwas längst gibt.

Schmelzanlage in Schweden als Vorbild für Fessenheim

Dort, in Studsvik an der schwedischen Ostküste, wurde vor Jahrzehnten 
nicht nur der erste schwedische Reaktor entwickelt, sondern später auch 
eine Schmelzanlage aufgebaut, in der kerntechnische Abfälle aus ganz 
Europa (auch aus Deutschland) weiterverarbeitet werden. 2016 hat die 
Studsvik AB diesen Bereich ausgegliedert und verkauft – an die 
französische EDF. Mit dem Erwerb von Cyclife, wie der Betrieb heute als 
EDF-Tochter heißt, verfügen die Franzosen folglich längst über das 
Knowhow für das Einschmelzen ausgedienter AKW-Komponenten.

Ansonsten gibt EDF nur wenige Informationen preis. Intern verfolge man 
Vorstudien, wobei das Thema Umwelt eine wichtige Rolle spiele, sagt 
Philippe Monory, der bei EDF bis vor kurzem die Nachnutzung von 
Fessenheim koordiniert hat. Vor Ort gehört der EDF ausreichend Fläche, 
um das Technocentre anzugehen, noch bevor das AKW abgerissen ist. In den 
1970er Jahren sollten eigentlich weitere Reaktoren gebaut werden – 
Pläne, die an hartnäckigen Protesten scheiterten. Nach Jahrzehnten ohne 
industrielle Nutzung wuchert auf dem Gelände nördlich des gerade 
stillgelegten AKW (wie im übrigen auf der künftigen Gewerbezone 
Ecorhéna) ein Auwald. Und dieser darf nicht ohne ökologische 
Gegenleistung abgeholzt werden.

Fessenheim-Betreiber EDF hat europäischen Markt im Blick

Monory lässt keinen Zweifel daran, dass EDF auch ohne deutsche 
Beteiligung an der Schmelzanlage festhält. Für die Investition in der 
Größenordnung von 300 Millionen Euro habe man den internationalen Markt 
im Blick. Eine Entscheidung müsste bis 2023 fallen. Die Bauphase könnte 
2029 abgeschlossen sein.

Dann dürften AKW-Teile, wenn auch nicht aus Deutschland, so doch aus 
anderen europäischen Staaten zum Einschmelzen ins Elsass gebracht 
werden. Insbesondere auf dem Wasserweg. Die geplante Gewerbezone 
(Ecorhéna) bei Fessenheim soll einen eigenen Hafen am Rheinseitenkanal 
bekommen, der für entsprechende Schiffe ausgerüstet wird.

"Eine solche Anlage ist in Frankreich früher oder später erforderlich." 
Simone Mohr, Nuklearforscherin

Alternativ zieht EDF derzeit auch Tricastin in die engere Wahl, einen 
AKW-Standort im südlichen Rhonetal. Ob Fessenheim oder Tricastin: "Eine 
solche Anlage ist in Frankreich früher oder später erforderlich", sagt 
Simone Mohr, Senior Researcher für Nukleartechnik und Anlagensicherheit 
am Ökoinstitut Darmstadt, und verweist auf den bevorstehenden Rückbau 
weiterer AKW in Frankreich. Das Gefahrenpotenzial einer Anlage zur 
nuklearen Reststoffverarbeitung sei immerhin nicht mit demjenigen eines 
Kernkraftwerks vergleichbar, betont sie. Man müsse jedoch mit einem 
erheblichen Transportaufkommen rechnen.

Beim Abriss von Atomkraftwerken fällt nämlich jede Menge Metall an, wie 
Rohrleitungen, die vor der Weiterverarbeitung durch eine spezielle 
Spülung dekontaminiert werden müssen. Vor allem aber stellen die 
Dampferzeuger – in Fessenheim sind pro Reaktor drei von je knapp 21 
Metern Höhe eingebaut – eine Herausforderung dar, was die Materialmenge 
angeht.

Störfälle kann es auch in Schmelzanlagen kommen

Dass Komponenten wie Dampferzeuger eingeschmolzen werden, hält Mohr 
angesichts von deren Größe für unverzichtbar. Die Radioaktivität würde 
beim Schmelzvorgang in die Schlacke übergehen und diese Schlacke 
endgelagert. Aus dem dekontaminierten Metallanteil können später neue 
Behälter für den nuklearen Bereich – Castoren – hergestellt werden.

Zu Störfällen kann es allerdings auch in solchen Schmelzanlagen kommen, 
wie in der seit 1989 betriebenen Schmelzanlage Carla im deutschen 
Krefeld. 2014 explodierten strahlende Teile eines Baggers während des 
Einschmelzvorgangs. Unabhängig vom Schaden an der Halle stieg die 
Strahlenbelastung auf das Zwei- bis Dreifache der dort üblichen Dosis. 
In Fessenheim käme wegen der notwendigen Kapazitäten wohl nur eine 
größere Anlage in Frage.

Vielleicht können die Kritiker des Technocentre EDF und die französische 
Politik mit einem alternativen Konzept überzeugen, das nicht nur 
schneller, sondern vor allem sehr viel mehr neue Arbeitsplätze schaffen 
könnte. Denn: Beim Thema Technocentre steht nicht nur die Verwertung von 
Akw-Teilen im Raum. Die Regierung, auf deren Betreiben das AKW 
stillgelegt worden ist, schuldet der Region neue Jobs.

Region braucht neue Arbeitsplätze

Wissenschaftler der oberrheinischen Universitäten (EUCOR) haben 
gemeinsam mit dem Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare 
Energiesysteme einen Innovationspark für Fessenheim entwickelt. Diese 
"Innovationsregion Fessenheim" sieht im Wesentlichen drei Säulen vor. 
Einen Innovations- und Ökoindustriepark (darin als Arbeitsschwerpunkte 
Gigawattspeicher, Batterie-Produktion, intelligente Stromnetze und 
Wasserstoff-Speichertechnologie). Zweite Säule soll ein europäisches 
Forschungsinstitut für Sozial- und Umweltwissenschaften sein, drittens 
soll ein Besucherpark entstehen, der die populäre Vermittlung von 
Innovationsthemen zum Ziel hat.

"Wir hoffen, dass wir die französische Seite im Sinne einer 
deutsch-französischen Gemeinschaftslösung davon überzeugen können, dass 
dieses Konzept nachhaltiger ist", sagt Klaus Schüle, Leiter der 
Stabsstelle für grenzüberschreitende Zusammenarbeit im 
Regierungspräsidium Freiburg. Also nachhaltiger als das Technocentre, 
von dem man sich in Frankreich 150 Jobs verspricht. Die Prognosen für 
das EUCOR-Projekt, bei dem in einzelnen Bereichen EDF übrigens mitwirkt, 
dürfte ein Vielfaches erreichen und schneller umsetzbar sein.

Frankreichs Umweltministerin steht hinter Plänen von EDF

Paris jedoch scheint dieses Technocentre unbedingt zu wollen. Zumindest 
stellte sich die Umweltministerin noch am Tag vor der Abschaltung des 
ersten Reaktors Ende Februar klar hinter EDF. Derzeit ist die 
Stimmungslage schwer einzuschätzen. Denn mit der Regierungsumbildung 
Anfang Juli übernahm Barbara Pompili das Umweltressort. Es ist der 
vierte Wechsel der Regierungszeit Macron in dem zur Causa Fessenheim 
federführenden Ministerium. Immer wieder müssen da die Ziele abgesteckt, 
muss Vertrauen neu aufgebaut werden.

David Coste, Regierungsbeauftragter für den Zukunftsprozess Fessenheim, 
wirbt im Gespräch mit der Badischen Zeitung für Verständnis, dass es so 
kurz nach der Amtsübergabe keine Stellungnahme der neuen Ministerin 
bezüglich der Pläne für das "Technocentre" geben könne.

Erschwerend kommt hinzu, dass Brigitte Klinkert, vor kurzem noch 
Départementspräsidentin des Haut-Rhin, jetzt zum Stab des 
Arbeitsministeriums gehört und nach vier Jahren der Präfekt in Colmar, 
Laurent Touvet, auch er wie Klinkert ein verlässlicher, der 
deutsch-französischen Kooperation äußerst zugewandter Partner, auf einen 
anderen Posten beordert worden ist. Klinkert verweist auf ein baldiges 
Arbeitstreffen mit der neuen Umweltministerin, bei dem sie auch das 
Thema Technocentre ansprechen werde. "Ich weiß, dass die Regierung 
darauf bedacht ist, dass das Zukunftsprojekt für Fessenheim sehr 
überlegt und gemeinsam mit allen Akteuren angegangen wird", versichert 
sie. Schließlich sei das Fessenheim-Projekt als deutsch-französische 
Kooperation im Aachener Vertrag verankert.

Um den Bau des Technocentre abzuwenden, wird es allerdings größere 
Anstrengungen brauchen, um Tatsachen schaffen, die in Paris wie auf 
Kommunaler Ebene überzeugen. "Aus unserer Sicht kommt es nun darauf an, 
die Innovationsregion schnell voranzutreiben", sagt Klaus Schüle, "damit 
es gar nicht erst zur Ansiedlung des Technocentre bei Fessenheim kommt."




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