[fessenheim-fr] Interview mit M. Sailer in der 'Gorleben Rundschau'
Redaktion Umwelt RDL
umwelt at rdl.de
Do Feb 13 13:22:44 CET 2020
13.02.20
Hallo Leute!
In der aktuellen Ausgabe der 'Gorleben Rundschau' findet sich ein
Interview mit Michael Sailer. Alle darin enthaltenen technischen
Aussagen zu den Themen Atomenergie und Klima" und zu den jüngst
verstärkt propagierten neuartigen und "inhärent sicheren"
Atomkraftwerken der "Generation 4" sind korrekt - Aussagen, die zwar
wertvoll sind (weshalb die Widergabe des Interviews lohnend erscheint)
und in der gegenwärtig auch in der Anti-AKW-Bewegung anzutreffenden
Verwirrung Klarheit stiften können, die aber auch jedEr andere, die/der
sich einigermaßen auskennt, so hätte treffen können.
Zu kritisieren sind allerdings zwei Punkte: Es ist unerfindlich, warum
Wolfgang Ehmke ausgerechnet Michael Sailer (siehe
www.linkszeitung.de/akwoek191017liz.html) zum Interview bittet und ihm
dabei Gelegenheit bietet, sich wieder als Atomkraft-Gegner darzustellen.
Zum Zweiten ist die Aussage Sailers über den angekündigten Atomausstieg
Deutschlands zum 31. Dezember 2022 , "Aber selbst für den wäre eine
explizite Änderung des Atomgesetzes nötig, für den ich derzeit keine
Mehrheiten im Bundestag sehe." irreführend. Also: Ob Sailer eine
Mehrheit im Bundestag für eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten über 2022
hinaus sieht oder nicht sieht, entzieht sich einer objektiven
Feststellung und eine mögliche politische Mehrheit im Herbst 2021
einzuschätzen, ist eh reine Glaubenssache. Tatsache ist jedoch, daß eine
neue Mehrheit nach der voraussichtlich im Herbst 2021 stattfindenden
Bundestagswahl und eine auf der Grundlage dieser Mehrheit gebildete
Bundesregierung das Atomgesetz so ändern kann, daß eine Verlängerung der
AKW-Laufzeiten über 2022 hinaus ermöglicht wird. Die nötigen
Brennelemente können von der Brennelementefabrik Lingen (deren Existenz
allein schon hinreichender Beweis ist, daß es in Deutschland aktuell
keinen Atomausstieg gibt) rechtzeitig bis Ende 2022 geliefert werden.
Etwas Neues wäre eine solche Änderung des Atomgesetzes nicht - siehe
Herbst 2010 und die (wenig) bekannten Fälle von "Ausstieg aus dem
Atomausstieg" in Schweden, Spanien und Belgien.
Weiter unten der Text aus der 'Gorleben Rundschau' (, die leider
weiterhin nur im virenträchtigen pdf-Format online zugänglich ist).
Ciao
Klaus Schramm
„Das sind keine neuen Konzepte!”
Nuklearexperte Michael Sailer über die Wahrscheinlichkeit einer
Laufzeitverlängerung von AKWs
Interview Seit 1975 befasst sich Michael Sailer mit Fragen der
Kernenergie und gilt heute als einer der profiliertesten Kritiker der
Atomkraft. Dennoch war er unter anderem Mitglied der
Reaktorsicherheitskommission und des Scientific & Technical Committee
von EURATOM sowie Vorsitzender der Entsorgungskommission und Vertreter
der Wissenschaft in der Endlagerkommission. Seit 1980 arbeitete Sailer
überwiegend als Gutachter und Sachverständiger im kerntechnischen
Bereich. Tätigkeitsschwerpunkte dabei waren Fragen der Entsorgung und
Endlagerung, der Sicherheit kerntechnischer Anlagen, der
Weiterverbreitung von Kernwaffen sowie Fragen zu Nuklearanlagen im
benachbarten Ausland und in Osteuropa. Wolfgang Ehmke sprach mit Sailer
über die Gefahr einer Renaissance der Atomkraft.
***
Wenn als seriös geltende Zeitungen sich neuerdings wieder des Themas
Atomkraft annehmen, bilden sie dann eine echte, aktuell geführte Debatte
ab? Kippt die Anti-Atom-Stimmung, weil die Erderwärmung das größere
Problem ist, oder geht es schlicht um kleine Provokationen, um
Stimmungsmache zur Steigerung der Verkaufszahlen?
Aus meiner Sicht geht es um Letzteres. Zur Atomkraft gehört nicht nur
die Liebe zu ihr, sondern auch viele Milliarden Euro, die dann zu
investieren wären. Es müsste also kapitalkräftige
Energieversorgungsunternehmen geben, die wieder auf Atomkraft setzen,
und die sehe ich in unserem Land nicht. Neben den reinen Kosten sind
auch die Aufwendungen für ein Genehmigungsverfahren, das sicher viele
Jahre dauern würde und mit vielen Sicherheitsfragen befrachtet sein
würde, für potenzielle Interessenten nicht gerade motivierend, um nicht
zu sagen abschreckend.
Was ist dran an der „Renaissance der Atomkraft“? Wird das letzte AKW in
Deutschland 2022 abgeschaltet oder kommt doch noch – wenn auch ein
kleiner – der Ausstieg aus dem Ausstieg?
Für den Betrieb sind eine konkrete Menge an Brennelementen nötig, und
der Kauf des Urans, die Anreicherung und die Brennelementherstellung
müssen mehrere Jahre vor den Einsatz veranlasst werden. Nach meiner
Kenntnis haben die deutschen Energieversorgungsunternehmen keinen
Brennstofferwerb getätigt, der einen Betrieb über die gesetzlich
vorgeschriebenen Endpunkte 2021 beziehungsweise 2022 hinaus ermöglicht.
Ein Rückgriff auf Brennelemente für andere ausländische Reaktoren ist
praktisch nicht möglich, da fast jedes AKW unterschiedliche technische
und nuklearphysikalische Detailanforderungen hat. Solche Brennelemente
passen dann einfach nicht. Möglich wäre höchstens ein ein paar Monate
verlängerter Stretch-Out-Betrieb mit den vorhandenen Brennelementen.
Aber selbst für den wäre eine explizite Änderung des Atomgesetzes nötig,
für den ich derzeit keine Mehrheiten im Bundestag sehe.
Wie sieht es in Europa aus? Das EU-Parlament hat gerade die Atomenergie
als nicht nachhaltig eingestuft, also eine hohe Hürde in Fragen der
Investitionen errichtet. Oder bestimmen letztlich die Franzosen als
Atomstreitmacht und Befürworter der Atomkraftnutzung die Debatte in der
EU?
Der Entscheidung des EU-Parlaments ist ein langer und intensiver Kampf
hinter den Kulissen vorausgegangen, bei dem sich „die Franzosen“
offensichtlich nicht durchgesetzt haben. Für Frankreich bleibt natürlich
das Interesse, die eigene finanziell marode Atomindustrie irgendwie aus
der Kostenfalle zu manövrieren; allerdingswürde nach den
Desaster-Projekten in Finnland und in Flammanville sowieso niemand mehr
AKWs französischer Produktion kaufen.
Rettet Atomkraft das Klima?
Das Weltklima hängt wesentlich von der Freisetzung von CO2 und anderen
Treibhausgasen ab. AKWs können nur kleine Teile der CO2-Emissionen
vermeiden. Die großen Reduzierungen sind nur durch andere Maßnahmen zu
erreichen. Ein wiederbelebter Traum der klimarettenden AKW kann aber
politisch und psychologisch verhindern, dass die wirklich großen
Reduktionsmöglichkeiten für Treibhausgase energisch
genug angepackt und weitergeführt werden.
Wie sind die „neuen“ Reaktorentwicklungen der US-Firma Terrapower, von
denen der Spiegel berichtet, einzuschätzen? Gibt es inhärent sichere
Atomkraftwerke, die auch noch den Atommüll „verspeisen“?
Das sind keine neuen Konzepte, sondern ein Wiederaufkochen von
Konzepten, die erstmalig in den 1950er-Jahren aufgetaucht sind und vor
zwei Jahrzehnten im Rahmen der „Generation IV“ erneut propagiert wurden.
Es gibt aber bis heute kein einziges funktionsfähiges Exemplar eines
solchen Reaktors. Dies ist entscheidend, weil die Rentabilität einer
solchen Anlage nicht von der Prinzipskizze, sondern von der realen
Betriebsfähigkeit abhängt. Nur die interessiert potenzielle Investoren
für konkrete Reaktoren.
Im Weiteren wird ja argumentiert, dass diese Reaktoren viel kleiner
sind. Aber dies bedeutet auch, dass viele tausend solcher Reaktoren
gebaut werden müssten, um merklich zur Elektrizitätsversorgung
beizutragen. Die Kosten pro Reaktor sind bisher auch nicht geklärt; die
Proponenten rechnen immer so, dass praktisch keine Investitionen in
Sicherheitssysteme gemacht werden.
Das Verspeisen von Atommüll wird von den Proponenten wider besseres
physikalisches Wissen behauptet. Der Großteil der in einem solchen
Reaktor erzeugten Energie entsteht durch Kernspaltung. Damit ist
physikalisch untrennbar die Produktion von radioaktiven Spalt- und
Aktivierungsprodukten verbunden, die im vorgeschlagenen Reaktorprozess
nur in kleinerem Umfang wieder „verbrannt“ werden. Es bleibt also eine
Menge Atommüll. Bei Unfällen, Bränden zum Beispiel, kann aus einem
solchen Reaktor ein großer Teil der darin enthaltenen radioaktiven
Stoffe in die Umwelt freigesetzt werden.
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