[fessenheim-fr] Gehirngewaschene Physikstudenten

Amish D. Leßmann bodhi-amish at sonnenkinder.org
Mo Jun 25 22:08:06 CEST 2018


Hallo zusammen,

ich bin neulich auf einer Party in ein mir bisher unbekanntes Milieu 
geraten und habe eine für mich erschreckende und alarmierende 
Erfahrung gemacht. Die meisten Gäste waren Studierende, darunter ein 
(männlicher) Physikstudent, der im Verlauf eines Gesprächs anfing, von 
der Atomkraft zu schwärmen.

Er hielt es für unbezweifelbare wisenschaftliche Fakten, daß diese 
sicher, CO2-frei und überhaupt die beste Art und Weise der 
Energieerzeugung sei.

Ich gab ihm so gut ich konnte Kontra, doch er stritt alles mit 
haarsträubenden Gegenargumenten ab, worauf ich schließlich, weil ich 
keinen Sinn mehr darin sah und die Schnauze voll hatte davon, ihm 
vorwarf, er sei gehirngewaschen und - was gar nicht so leicht war - 
die Diskussion schließlich für beendet erklärte und mich von ihm 
abwandte...

Zur Veranschaulichung, was für ein hanebüchener, lebensbedrohlicher 
und die Tatsachen verdrehender Unfug den Physikstudent_inn_en 
heutzutage als Grundlagenwissen beigebracht wird, hier ein paar 
Beispiele, soweit ich sie noch im Gedächtnis habe:

Auf seine Behauptung, Atomkraft sei vollkommen CO2-frei, erwiderte 
ich, daß sehr viel Energie aufgewandt werden muß für Abbau, 
Aufbereitung, Anreicherung und Transporte des Brennstoffs. Er wischte 
das einfach weg. Ich legte nach, daß auch die Atomkraftwerke erstmal 
gebaut werden müßten. Das müßten Solaranlagen auch, sagte er.

Ich versuchte es mit der Bewachung der Atommüllager: Um auch nur einen 
einzigen Wachmann pro Schicht rund um die Uhr für eine Million Jahre 
zu bezahlen würde aller Geld der Welt nicht reichen. Den Atommüll 
müsse man nicht bewachen, behauptete er.

Auch mein Argument mit den alten Ägyptern und mein Vergleich damit, 
wie die von diesen behaupteten Flüche, die auf manchen Gräbern gelegen 
hätten, von den Archäologen mißachtet wurden, konterte er einfach, daß 
es ja keine Flüche (tatsächlich) gegeben hätte.

Die Gefahr, daß irgendwann einmal Archäologen den Atommüll wieder 
ausgraben könnten und die Warnungen davor als Religion abtun könnten, 
schloß er aus - ohne Begründung.

Und die drei- bis vierfache Atomkatastrophe in Fukushima (je nachdem, 
ob man das sog. Abklingbecken von Block vier mitrechnet oder nicht) 
sei ja nicht so schlimm. Sein Beweis: Die Leute könnten jetzt ja 
zurückkehren, folglich sei die restliche Strahlung nicht mehr gefährlich.

Und dann tischte er mir das altbekannte Märchen auf, daß die 
natürliche Strahlung ja auch nicht gefährlich sei und ein eine erhöhte 
Gammastrahlung folglich auch nicht. Und sowohl Alpha- als auch 
Betastrahlung sei sowieso vollkommen harmlos. Auch das Argument mit in 
den Körper aufgenommenen Partikeln wies er zurück.

Von der Kinderkrebsstudie KIKK hatte er noch nie etwas gehört, er sei 
außerdem kein Medizinier, und daß aus Atomkraftwerken radioaktive 
Partikel, Aerosole und Gase entwichen, stritt er ab. Daß 
Atomkraftwerke Schornsteine haben, die als "Abluftkamine" bezeichnet 
werden, erklärte er ebenfalls für falsch.

Daß ich sie selber gesehen habe und daß er ja nur mal selber kucken 
müsse, wollte er nicht wahrhaben.

Das Thema Krypton 85 traute ich mich nicht zu erwähnen, da ich mir 
nicht sicher war, ob ich die richtige Zahl im Kopf hatte und mich 
nicht blamieren wollte - was auch klüger war, denn ich hätte aus 
Versehen "Krypton 84" statt "85" gesagt, ahnte aber meinen Irrtum.

Außerdem befürwortete er ja vor allem die Kernfusion ("ITER"), und bei 
dieser entstünde keinerlei Radioaktivität. Daß daran schon seit 
Jahrzehnten geforscht und viel Geld dafür ausgegeben worden war, 
störte ihn überhaupt nicht. Für deren Harmlosigkeit nahm er die Sonne 
als "Beweis".

Ich entgegnete ihm, daß unsere Atmosphäre und das Magnetfeld der Erde 
uns vor der Strahlung schützt, die sonst tödlich für uns wäre. 
Daraufhin behauptete er, das liege daran, daß in der Sonne noch andere 
Prozesse außer der Kernfusion stattfänden (ich weiß nicht, ob das 
ausnahmsweise stimmt, kann mich aber nicht erinnern, jemals zuvor 
Derartiges gehört oder gelesen zu haben).

Nachdem ich ihm - als vergeblichen Versuch, das Gespräch damit 
abzubrechen - vorwarf, er sei gehirngewaschen, versuchte ich diese 
Behauptung wie folgt zu zu untermauern: Vor ein paar Jahren hatte ich 
mal eine verlinkte Physik-Vorlesung von einer kalifornischen 
Universität auf YouTube gesehen - Kernphysik, Lektion 1 (auf Englisch!).

Ich hatte damals alles verstanden und einen offensichtlichen Fehler 
gefunden: Der Dozent hatte gesagt, wenn im Reaktordruckbehälter ein 
Loch sei und das Wasser ausliefe, dafür hätten wir ja die Notkühlung. 
Dann sei wieder Wasser drin und somit eine Kernschmelze verhindert. 
Aber niemand hatte gerufen: "Herr Professor, aber da ist ein Loch, das 
Wasser liefe ja sofort wieder raus!"

Und was entgegnet der Pysikstudent? Ja, aber natürlich bliebe das 
Notkühlwasser drin. Man müsse erst wieder Wasser reintun und dann 
könne man das Loch wieder verschließen. Ich sagte ihm, daß das nicht 
ginge. Doch, das ginge. Und wie, bitte? Es ginge, und daran hatte er 
absolut keinen Zweifel.

Tja, was soll man dazu noch sagen? Mir bleibt echt die Spucke weg. 
Aber ich halte es für wichtig, Euch darüber zu informieren, was für 
Lügen und Halbwahrheiten künftigen sog. "Experten" (respektive 
"Expertinnen") an unseren Universitäten heutzutage gelehrt werden.

Viele Grüße
Amish D. Leßmann

P.S. (an die, die mich persönlich kennen):
Ich habe mich weitgehend aus der politischen Arbeit zurückgezogen und 
fast ganz auf die Kunst verlegt. Auch bei den vielen Auftritten, die 
ich mit zwei Chören, einem Opernchor, zwei Laienschauspielensembles 
und hin und wieder auch mit ad hoc rekrutierten Gruppen hatte und habe 
geht es fast immer auch um vielfältige politische Themen, oft 
explizit, manchmal implizit.

Fast alles, womit ich mich bisher befaßt hatte, war schon dabei, 
ebenso Manches, wovon ich bisher sagte, das sei "nicht meine 
Baustelle". Meiner Ansicht nach besteht so am eheseten die 
Möglichkeit, wenigstens hin und wieder mal jemanden mit offenem Herzen 
und Hirn zu erreichen und zum Hinspüren und Nachdenken zu bringen.

Ich sehe meine Aufgabe darin, Zweifel in den Herzen und Köpfen der 
Menschen zu säen, ob denn wirklich alles so in Ordnung sei, wie es 
ist, insbesondere der Kapitalismus und dessen als Neoliberalismus 
bezeichnete verschärfte Ausprägung und ideologische Untermauerung.

Und andererseits - auf Kundgebungen und anderen politischen 
Veranstaltungen - den Anwesenden Mut zuzusingen. Ich weiß selber noch 
von früher, wie gut das tut und die Entschlossenheit und das 
Durchhaltevemögen stärkt.

Ich habe es mal so ausgedrückt (und die Vegetarier_innen, 
Veganer_innen, Antimilitarist_inn_en und Pazifist_inn_en unter Euch 
mögen es mir bitte verzeihen - wobei ich selber Pazifist bin und 
jegliches Militär kategorisch ablehne):

"Wir sind die Gulaschkanone für die Seele."

Mit konfrontativem Protest kann man jedoch lediglich vorhandene 
Überzeugungen stärken - sowohl bei denen, die der gleichen Meinung 
sind als auch auf der Gegenseite. Das ist eine psychologische 
Tatsache, und ich habe es selber erlebt:

Als ich vor einem Jahrzehnt darüber nachdachte, meinen damals extrem 
hohen Fleischkonsum zu reduzieren und wenn, dann bevorzugt Fleisch aus 
Weidehaltung zu kaufen, hinderte es mich, daß auf jedem STOP-Schild 
ein Aufkleber angebracht war, der das "STOP" ergänzte zu "STOP EATING 
MEAT".

Jedesmal, wenn ich das las, kam automatisch die Trotzreaktion hoch: 
"Doch!" Und ich wette, das geht allen anderen Fleischesser_inne_n ähnlich.

Soviele Tiere, wie infolge dieser kontraproduktiven Aufkleber 
zusätzlich gequält und getötet wurden, hätten diejenigen, die sie 
dorthin geklebt hatten, in ihrem ganzen Leben nicht essen können, 
selbst wenn sie sich von nichts anderem ernährt hätten und (was sich 
gegenseitig ausschlösse...) hundert Jahre alt geworden wären.

Und daß man z.B. Nazis nicht wirksamer in ihrer menschenverachtenden 
Ideologie bestärken kann als indem man sie krankenhausreif prügelt 
oder auf Kleidung und Hauswänden die Parole "Nazis raus!" anbringt, 
sollte inzwischen eigentlich auch bekannt sein...

Man muß die Leute da abholen, wo sie stehen. Nur wenn sich jemand 
einem öffnet, hat man eine Chance, ihn zum Nachdenken, Hinspüren und 
Umdenken zu bewegen.

Deshalb widme ich mich mittlerweile voll und ganz meiner (bis auf 
Weiteres ehrenamtlichen) Tätigkeit als Laienschauspieler, Sänger und 
Performance-Tänzer. Und ich bin selber dadurch ein anderer Mensch 
geworden...

Außerdem wurde ich vor einer Woche auf der Mitgliederversammlung des 
ver.di-Bezirks Südbaden-Schwarzwald als Mitglied des 
Bezirks-Erwerbslosenausschusses wiedergewählt, dessen Koordinator ich 
in den vergangenen vier Jahren war.

Und ich bin weiterhin fast jeden Montag auf der "Freiburger 
Montagsdemo gegen Hartz IV und Sozialabbau" aktiv, die seit dem 23. 
August 2004 fast jede Woch stattfindet (und auch Atomkraft, 
Umweltschutz und Frieden zum Thema hat, denn die Ursache für all das 
ist dieselbe, nämlich der auf grenzenlose Profitmaximierung 
ausgerichtete Kapitalismus).

Alles Andere dient nur noch entweder (frei nach Karl Marx) der 
Reproduktion meiner künstlerischen Schaffenskraft oder hängt irgendwie 
mit irgendeiner dieser Betätigungen zusammen oder läuft bei mir nur 
noch nebenher. Ich bekomme mittlerweile Rente wegen voller 
Erwerbsminderung plus Grundsicherung.





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