[fessenheim-fr] Botschaft aus Fukushima

Klaus Schramm klausjschramm at t-online.de
So Mär 5 20:53:48 CET 2017


-------- Original Message --------
Date: Sun, 5 Mar 2017 09:05:51 +0100
From: Mika Kumazaki

Hallo zusammen,

anbei ist der deutsche Text, was Kerstin gestern in Heilbronn
vorgelesen hat.

Ich könnte auch deren französischen Übersetzung senden,
wenn jemand möchte.

Liebe Grüߟe,
Mika

+++
Text hier einkopiert und als odt-Datei im Anhang

Botschaft von Frau Ruiko Muto, Sprecherin der Klägergruppe gegen TEPCO 
und Repräsentantin der Gruppe Frauen von Fukushima

Allen auf der Welt, die mit den Opfern der Atomkatastrophe von Fukushima 
fühlen und ihnen immer noch verbunden sind, meinen herzlichen Dank.

Bald wird auch dieses Jahr wieder ein 11. März sein. Und wie an diesem 
Tag vor sechs Jahren fällt auch heute leichter Schnee. Das Erdbeben 
einer Stärke von knapp fünf im November vergangenen Jahres hat für viele 
einen Flashback auf den 11. März 2011 mit sich gebracht und wieder ins 
Bewusstsein gerufen, wie tief die Verletzungen waren.

Zur Zeit werden die Evakuierungsanordnungen nach und nach aufgehoben und 
Maßnahmen propagiert, um die Leute zur Rückkehr zu bewegen. Zur Rückkehr 
allerdings nicht, weil man sagen könnte: "Es ist wieder sicher, bitte 
kommen Sie zurück." Rückkehr bedeutet vielmehr: "Nach der 
Dekontamination Ihrer Gemeinde gibt es zwar immer noch radioaktive 
Substanzen – aber leben Sie bitte dort und nehmen das halt in Kauf." In 
den Gebieten, für die die Evakuierungsanordnung bald aufgehoben werden 
soll, türmt sich der Dekontaminationsmüll zu Bergen; es werden 
Verbrennungsanlagen gebaut, um die Menge zu verringern. Zum 1. April 
soll die Evakuierungsanordnung für Tomioka aufgehoben werden, wo die 
durchschnittliche Ortsdosis bei 0,65 MikroSievert pro Stunde liegt. Die 
Hälfte der Einwohner will nicht dorthin zurückkehren. In die im 
vergangenen Jahr freigegebenen Orte Naraha, Minamisoma und Katsurao sind 
bisher nur knapp zehn Prozent der Einwohner zurückgekehrt.

Im Rahmen der Rückkehrpolitik setzen die japanische Regierung und die 
Präfektur Fukushima verstärkt darauf, für die in anderen Regionen 
lebenden Evakuierten nicht länger die Wohnkosten zu übernehmen.

Als ob ihr Leben durch den Atomunfall nicht schon genug beeinträchtigt 
worden wäre, verlieren die Strahlenflüchtlinge ihre Wohnung oder geraten 
in wirtschaftliche Schwierigkeiten, wenn diese Maßnahmen umgesetzt 
werden. Familien werden getrennt, aus der allmählich vertraut gewordenen 
Umgebung muss man wieder weg, muss zurückkehren, wohin man nicht will, 
und hat jede Menge anderer Schwierigkeiten.

Auf der anderen Seite gibt es für die Aufhebung der 
Siedlungsbeschränkungen und die Ansiedlung neuer Unternehmen ein 
riesiges Wiederaufbaubudget. Die Präfektur Fukushima hat das Ziel 
ausgegeben, bis 2020 die Zahl der Evakuierten auf Null zu senken, und 
plant daher die Dekontamination auch der höchstbelasteten 
Evakuierungsgebiete und die Einrichtung sogenannter Modell-Regionen. So 
wird vier Kilometer entfernt von der Anlage Fukushima Dai’ichi ein 
Archivgebäude errichtet, das 5 Milliarden Yen – ungefähr 39 Millionen 
Euro – kosten soll. Wie es heißt, sollen dorthin Klassenfahrten von 
Oberschulen stattfinden, um den Atomunfall und seine Folgen zu vermitteln.

Aber der Atomunfall ist auch heute noch nicht bewältigt.

Immer noch steigt die Zahl der mit kontaminiertem Wasser gefüllten 
Tanks. Die Eiswand, die mit hohen Erwartungen verbunden war, ist 
anscheinend ein fast völliger Fehlschlag. An den Stahlstützen für die 
120 Meter hohen Ablufttürme von Reaktor Eins und Zwei nehmen Löcher und 
Risse zu – wann werden sie wohl zusammenbrechen? Kürzlich wurden Fotos 
aus dem Inneren von Reaktor Zwei veröffentlicht und bekannt gegeben, 
dass die Strahlung dort 650 Sievert pro Stunde beträgt. Es gibt auf dem 
Kraftwerksgelände viele Stellen, denen sich auf Jahrzehnte kein Mensch 
nähern kann.

Unter den Kindern der Präfektur Fukushima gibt es jetzt 184 mit Verdacht 
auf Schilddrüsenkrebs, davon sind 145 tatsächlich als Krebs bestätigt. 
Nach Angaben der Stiftung für schilddrüsenkrebskranke Kinder sind auch 
außerhalb der Präfektur in Gebieten, wo die Radio-Jod-Wolke durchzog, 
Schilddrüsenkrebse im fortgeschrittenen Stadium gefunden worden. Jeder 
macht sich Sorgen um die Gesundheitsschäden durch die Verstrahlung. In 
den Behelfsunterkünften und an den Fluchtorten erkranken immer mehr 
Menschen an Depressionen. Seit 2014 steigt die Selbstmordrate plötzlich 
steil an.

Weiträumig und mit enormer Energie werden Kampagnen zu Radioaktivität 
und Sicherheit durchgeführt, die sich an junge Leute und Kinder richten. 
Im Sommer vergangenen Jahres wurde eine sehr zweifelhafte 
Bildungseinrichtung zum Thema Radioaktivität eröffnet, die schon 30.000 
Menschen besucht haben. Zum Jahresende haben Oberschüler die 
Aufräumarbeiten im Kraftwerk Fukushima Dai’ichi besichtigt – also an 
einem Ort, an dem unter Achtzehnjährige aus Strahlenschutzgründen nicht 
arbeiten dürfen.

Wenn ein Atomkraftwerk einmal eine Katastrophe verursacht, sind Erde, 
Meer, Berge und Wälder für mehrere hundert Jahre verstrahlt, und die 
Menschen werden ihrer Rechte als Menschen beraubt.

Man wird gezwungen, die Gefahren hinzunehmen und zu resignieren, das 
Leben wird auseinandergerissen und das Recht der Selbstbestimmung wird 
verletzt.

Kein Atomkraftwerk auf dieser Erde darf weiter in Betrieb sein!

Atomkraftwerke und das Leben in all seinen Formen schließen einander 
aus! Sorgen wir dafür, dass der tragische Unfall von Fukushima der 
letzte gewesen ist!

Für dieses Ziel schließen wir Geschädigte uns zusammen, wir stehen auf 
und werden laut.

In diesem Jahr wird es bei zahlreichen Zivilprozessen zu letzten 
Verhandlungen kommen. Auch einige Strafprozesse werden beginnen, in 
denen die Verantwortung für den Unfall geklärt werden soll.

Ganz gleich, wie schwach sie leuchtet, lasst uns die Glut in unseren 
Herzen weitertragen!

Wir Frauen von Fukushima arbeiten zusammen mit allen auf der Welt, die 
das auch wollen, für eine Zukunft, in der wir anders leben können.


Aus dem Japanischen von Annette Hack und Yu Kajikawa (Sayonara Nukes 
Berlin)



-------------- nächster Teil --------------
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